Jülich oder Ahaus – dumme Frage Bereits im Dezember 2023 und im Mai 2024 hat die TERZ zum Thema hochradioaktive Atommüll-Kugeln aus dem Forschungszentrum Jülich berichtet, die als größte Castor-Lawine aller Zeiten quer durch NRW von Jülich nach Ahaus gekarrt werden könnten. Diese Transporte stellen unkalkulierbare Gefahren für die Bevölkerung dar und sind zudem überflüssig. Hierzu liegen zwei neue Kurzgutachten vor, die von der Anti-Atom-Organisation „.ausgestrahlt“ in Auftrag gegeben wurden. 130 Tonnen-Spezial-LKW musste mitten auf der A3 rückwärts fahren Anti-Atomkraft-Initiativen berichten über einen erschreckenden Zwischenfall bei einem der Probetransporte, die auch durch heikle Passagen wie den Düsseldorfer Flughafentunnel führten. So sei am 21. November 2023 laut NRW-Landesregierung im Autobahnkreuz Duisburg-Kaiserberg der Sichtkontakt zwischen dem Castor-LKW und den zu seinem Schutz dienenden Polizeifahrzeugen abgebrochen, der LKW verpasste die vorgesehene Abfahrt, musste anhalten und langsam zurücksetzen, wofür die Polizei die A 3 ungeplant ca. 30 Minuten sperrte. Bei Atommülltransporten sei „die Streckenführung zwingend einzuhalten“, daher habe der rund 130 Tonnen schwere Spezial-LKW mitten auf der A3 rückwärts fahren müssen, berichtete die taz am 17.07.24 über das Debakel. Der LKW war während dieser Zeit ungeschützt, dabei sind Atommüll-Transporte potentielle Anschlagsziele. Dieser Vorfall wurde über sieben Monate lang von der NRW-Landesregierung unter Verschluss gehalten. Nach den Enthüllungen zu der schweren Sicherheitspanne haben Anti-Atomkraft-Initiativen sowohl vom Bundesumweltministerium als auch der zuständigen Genehmigungsbehörde, dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), darüber Auskunft verlangt, wie es zu der gravierenden Panne kommen konnte und warum die Öffentlichkeit nicht früher informiert wurde. Das BASE hatte gegenüber der taz noch im Juli behauptet, hiervon keine Kenntnis zu haben. Falsche Einschätzungen? Die von NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) auf Nachfragen hin veröffentlichten Details des besorgniserregenden Vorfalls werfen Fragen zum Sicherheitskonzept der insgesamt 152 Einzeltransporte der Castoren auf. Weder das BASE, die Polizei, noch die in Jülich für die Lagerung der 300.000 hochradioaktiven Brennelementkugeln zuständige Firma JEN schätzen anscheinend die enormen Sicherheitsprobleme bei den geplanten Transporten richtig ein. Deshalb die Forderung nach der einzig sicheren Lösung: „Weitere Aufbewahrung der 152 Castoren in Jülich und den dortigen Neubau einer Zwischenlager-Halle”, führte Hartmut Liebermann von der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ aus. BASE-Präsident Christian Kühn bot den Anti-Atomkraft-Initiativen, dem BUND NRW sowie der Ahauser Bürgermeisterin Karola Voß ein Gespräch zur Problematik der Langzeit-Zwischenlagerung an, das am 05.11.24 stattfinden soll. Nach aktuellem Stand wird ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll womöglich nicht vor 2074 gefunden werden können. Daher möchte Kühn über „die verlängerte Zwischenlagerung der radioaktiven Abfälle“ sprechen. Die Anti-Atomkraft-Initiativen haben ihre Teilnahme jedoch davon abhängig gemacht, dass das BASE bis zum 05.11. keine Transportgenehmigung für die 152 Jülicher Castoren erteilt. Noch immer anhängig ist auch eine Klage der Stadt Ahaus gegen die Einlagerungsgenehmigung für die Jülicher Castoren vor dem Oberverwaltungsgericht Münster. Nachweislücken ausgeräumt Die Anti-Atom-Organisation „.ausgestrahlt“ gab ein Rechtsgutachten beim renommierten Verwaltungsrechtler Dr. Ulrich Wollenteit in Auftrag, wonach die Neugenehmigung eines Zwischenlagers am Standort Jülich nach Ausräumung der Nachweislücken zur Erdbebensicherheit dort nun möglich sei. Der Verbleib der 152 Castor-Behälter stelle sich aus heutiger Sicht als das mildere Mittel für die Allgemeinheit dar, die durch den Verzicht auf die Transporte und die damit verbundenen Risiken erheblich entlastet werde. Hierzu erklärt Helge Bauer von „.ausgestrahlt“: „Das (...) Rechtsgutachten zeigt klar, dass die NRW-Atomaufsicht ihre Prioritäten falsch gesetzt und Lösungen bewusst ignoriert hat.” Dieses Vorgehen erscheine unvereinbar mit der Behauptung der NRW-Landesregierung, die Castor-Transporte verhindern zu wollen, wie sie es auch in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben habe. Ministerpräsident Wüst (CDU) müsse den Jülicher Atommüll zur Chefsache machen. Die zuständige Wirtschaftsministerin Mona Neubaur scheine mit der Klärung der Castor-Frage überfordert. Am 20.08. veröffentlichte „.ausgestrahlt“ ein weiteres Kurzgutachten, das die unkalkulierbaren Gefahren der Atommüll-Transporte drastisch schildert. Die renommierte Sicherheitsexpertin für Atomanlagen, Diplom-Physikerin Oda Becker, zeigt erhebliche mögliche Gefahren bei einem Transport der Jülicher Castoren für die Bevölkerung entlang der Transportstrecke auf. Hierbei untersuchte die Gutachterin erstmals auch mögliche terroristische Angriffsszenarien mit Drohnen. Diese sind relativ leicht zu beschaffen und umzurüsten und können sehr flexibel eingesetzt werden. Sogenannte Kamikaze-Drohnen bzw. „loitering munition“ gelten im Ukraine-Krieg als „Gamechanger“. Bei einem solchen Angriff zerstörte Castoren hätten unweigerlich schwerwiegende Folgen für die im Umfeld liegende Gebiete, die radioaktiv kontaminiert würden: Bis in eine Entfernung von rund 120 Metern sind die möglichen Inhalationsdosen tödlich (ab 7.000 Mikrosievert). Eine Dosis von 4.000 Mikrosievert, der eine Sterbewahrscheinlichkeit von 50 Prozent zuzuordnen ist, kann bis etwa 180 Meter Entfernung auftreten. Eine langfristige Umsiedlung der Bevölkerung würde bis in eine Entfernung von rund 600 Meter erforderlich werden. Bei Betrachtung dieser Horrorvorstellungen erscheint die Frage, Jülich oder Ahaus als Zwischenlager für die 152 Castoren, wirklich dumm. Christine Am Donnerstag, 29.08.2024, 17 Uhr, ist im Kulturbahnhof Jülich eine Veranstaltung zu den geplanten Castortransporten geplant. Mehr auf https://westcastor.org und https://ausgestrahlt.de. Für den 15.09.2024 planen die Anti-Atomkraft-Initiativen in Ahaus eine Protest-Kundgebung. Weitere fundierte Infos unter www.bi-ahaus.de Die vollständigen Rechtsgutachten von Dr. Ulrich Wollen­teit und Dipl.-Phys. Oda Becker, erstellt im Auftrag der Anti-Atom-Organisation „.ausgestrahlt“, sind zu finden unter https://ausgestrahlt.de/gutachten-juelich https://ausgestrahlt.de/kurzgutachten-oda-becker/