TERZ 09.24 – NOISE OF ART
Als ich in der Redaktion vorschlage, sich dem Projekt EINE STRASSE unter Leitung von Markus Ambach in einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe noch einmal anzunähern, stoße ich eher auf Skepsis: Hatten wir das Thema nicht schon mal in der Doppelnummer vor unserer Sommerpause?
Lässt sich hier nicht die Kunst in eher dekorativer Art vor den Karren von Geschäftsleuten und Immobilienbesitzern spannen? Gemeint ist die ISG - Interessengemeinschaft Graf-Adolf-Straße, die mit diesem Vorhaben an den Künstler Markus Ambach herangetreten war.
Wären solche Kunstprojekte nicht eher auf der Ellerstraße (Mintropplatz Kiez) oder etwa in Garath angesagt?
Trägt dieses Projekt womöglich eher zur Gentrifizierung dieses Gebietes um die Graf-Adolf-Straße bei?
Und setzt sich möglicherweise hier nur ein Künstler in Szene?
Alles Fragen, die ich mir auch selber stelle.
Ich begebe mich vor Ort auf Spurensuche. Da es um das Leitmotiv HEIMAT geht, ist das für mich als gebürtiger Düsseldorfer auch eine Reise in meine eigene Vergangenheit.
Ich erinnere mich an meine Kindheit, wo in den 50ern und Anfang der 60er die Graf-Adolf-Straße die Kinostraße Düsseldorfs war. Ich erinnere mich an die meterhohen, gemalten Kinoplakate an den Fassaden, die mich faszinierten: Ben Hur 50. Woche, Der Kardinal 30. Woche - ab 18 Jahre.
Damals war die Graf-Adolf-Straße die Flaniermeile. Mensch ließ sich vom Hauptbahnhof aus treiben und entschied sich ganz spontan für einen Kinobesuch. Mit dem Aufkommen des Fernsehens war es dann irgendwie damit vorbei. Die Graf-Adolf-Straße wurde zur innerstädtischen Durchgangsstraße, ein Ort, den ich heute als Fahrradfahrer lieber meide. Viel Fast Food, für mich eher uninteressant. Wäre da nicht als letztes verbliebenes Kino das Atelier im Savoy, das mich als Filmkunstkino immer wieder anzieht. An die Geschichte des großen Kinosterbens und die Schwierigkeiten in Düsseldorf, eine Programmkinokette aus der Taufe zu heben, erinnern Kalle Somnitz und Udo Heimannsberg in einer Gesprächsrunde im Atelier im Rahmen des Projektes EINE STRASSE.
Ebenfalls im Atelier läuft die „Heimatrolle“. Nach der Vorstellung ist das Publikum irritiert, überrascht, enttäuscht, fühlt sich an der Nase herumgeführt. Eigentlich hatte man unter diesem Titel eine nostalgische Rückschau auf die Graf-Adolf-Straße, etwa eine Collage aus historischen Filmschnipseln erwartet. Was stattdessen präsentiert wird, sind drei ausgezeichnete Kurzfilme der Oberhausener Kurzfimtage, die HEIMAT zum Thema haben, aber nun absolut keinen Lokalkolorit ausstrahlen und absolut nichts mit Düsseldorf zu tun haben.
In der anschließenden Diskussion zeigte sich das Publikum dann doch eher begeistert über diese drei Kurzfilme. Die drei vorgeführten, ausgezeichneten Filme haben es in sich, auch wenn sie nichts mit der Graf-Adolf-Straße und Düsseldorf zu tun haben.
Dieses Erlebnis mag stellvertretend für die Mehrdimensionalität stehen, mit der die Projektmacher*innen mit aufwändigen Kunstinstallationen in der Graf-Adolf-Straße das Thema HEIMAT verhandeln: Heimat ist auch immer die Heimat der anderen: von Geflüchteten, von Obdachlosen, von Randgruppen, Heimatlosen... Aber eben auch mein eigener, persönlicher Heimatbegriff ist sehr vielschichtig. Wo komme ich her? Wo bin ich heute angekommen? Und vermeide ich diesen Begriff nicht eigentlich eher, da mir dieser Terminus schon hinlänglich politisch besetzt scheint? Nicht zuletzt von sogenannten „Heimatfreunden“, die HEIMAT in der rechten und rechtsextremen Szene als Kampfbegriff verwenden.
Szenenwechsel: Ich schließe mich einem geführten Stadtgang vom Hauptbahnhof bis zur Graf-Adolf-Platz an. Aktivist*innen unterschiedlicher Couleur erläutern, was auf der Straße passiert – und was nicht. Es ist eng und es ist laut. Und immer wieder steht unsere rund dreißigköpfige Gruppe Passant*innen im Weg. Ich bin überrascht über den Allee-Charakter der Graf-Adolf-Straße. Den üppigen Baumbestand – mittlerweile stark ramponiert und ums Überleben kämpfend – habe ich bei meinem gestressten Durchradeln dieser unwirtlichen Verkehrsachse bisher eher nicht wahrgenommen.
Der Diskussionsbedarf in der Gruppe ist hoch, immer wieder wird von Aktiven unterschiedlicher Initiativen auf bestimmte Details aufmerksam gemacht. Dabei geht es nicht nur um Aufenthaltsqualität, deren Fehlen mensch sozusagen live und am eigenen Leibe wahrnimmt. Aktivist*innen unterschiedlicher Gruppen lassen ihren Gedanken freien Lauf und äußern sich vor Ort zu ökologischen, sozialen und politischen Themen. Das ist nicht ganz unproblematisch, denn die Lautstärke der Straße ist beträchtlich. Zudem steht mensch permanent anderen Passant*innen im Weg. Es geht vorbei an mehreren inhabergeführten Geschäften und Gaststätten, die mir bisher völlig entgangen sind und die in ihren Auslagen ihre Verbundenheit mit dem Projekt EINE STRASSE zur Schau stellen. Ich erinnere mich, dass es auch in meiner Kindheit und Jugend bereits solche Fachgeschäfte mit Alleinstellungsmerkmalen gab: zum Beispiel das Nonplusultra der Spielwarengeschäfte „Lüttgenau“, oder den kleinen, aber feinen, sehr günstigen Fotoladen Doppheide.
Aber die Führung fokussiert nicht nur auf die Imagepflege des Einzelhandels. Es wird auch immer wieder ein Blick in die Seitenstraßen mit ihren sehr „diversen“ sozialen Verhältnissen geworfen, mitsamt der zahlreichen sozialen Akteur*innen und Projekte, die hier unterwegs sind.
Die Teilnehmer*innen fragen und wollen einen Blick hinter die Fassaden werfen. Immer wieder verweisen die Organisator*innen auf die Hintergrundinformationen, die man über QR-Codes abrufen kann, die das Projekt gut sichtbar entlang des gesamten Weges vom Hauptbahnhof bis zum Graf-Adolf-Platz angebracht hat. Dieser Audiowalk ist vermutlich das, was von dem dreimonatigen Projekt zunächst einmal bleiben wird. Denn der Druck, diese Straßen und diese Plätze wieder zu räumen, ist groß. Schon steht beispielsweise am Ende des Projekts an der Ecke Königsallee/Graf-Adolf-Straße ein traditionelles Gourmetfest in den Startlöchern und fordert „seinen“ Platz. Der öffentliche Raum ist halt hart umkämpft.
Der Aufbau der teilweise monumentalen Kunstwerke, aber auch der abschließende Kehraus ist eine beeindruckende, nicht zuletzt logistische Leistung, die auch beträchtliche finanzielle Mittel erfordert.
Ursprünglich war das Budget, mit dem die ISG (Interessengemeinschaft Graf-Adolf-Straße), mit dem Wunsch zur Durchführung dieses HEIMAT-Projektes an Markus Ambach herangetreten war, doch eher übersichtlich. Hintergrund für das Ansinnen der ISG war das aufsehenerregende Projekt „Von fremden Ländern in eigenen Städten“, das 2019 rund um den Hauptbahnhof durchgeführt wurde. Die Initiator*innen der Interessengemeinschaft wussten, dass sie sich mit ihrem Vorhaben nicht nur einen Künstler*innen „einkaufen“, sondern ein ganzes soziales Netzwerk mit ins Boot holten, das die Aktion 2019 mitgetragen hatte.
Die große „Einzelleistung“ des Künstlers Markus Ambach ist sicherlich, dass er das zunächst vorgesehene eher schmale Budget als Netzwerker während der Vorbereitung von EINE STRASSE durch die Akquisition zusätzlicher Mittel vervielfachen konnte.
Markus Ambach hat an der Kunstakademie Düsseldorf von 1987 bis 1990 eigentlich Skulptur studiert. Bekannt geworden ist der Künstler in den letzten Jahren aber vor allen Dingen als Fotograf. Seine großformatigen Fotos zieren auch jeweils ganzseitig das Programmheft von EINE STRASSE. Er selbst sieht sich heute aber eher als Konzeptkünstler, der soziale Skulpturen schafft, um einen Begriff von Beuys frei zu entlehnen: um diese im öffentlichen Raum zu platzieren.
Ein solcher Anspruch bedeutet reichliche, zunächst unsichtbare und erstmal oft unbezahlte Vorarbeit. „Jeder Mensch ist ein Künstler“, aber nicht alles, was gedenkt, beim Kunstschaffen Kunst zu schaffen, ist am Ende auch Kunst. Der Initiative von Markus Ambach verdanken wir auf der Graf-Adolf-Straße die Realisierung eines soziokulturellen Projekts, das über Kunst, und nicht nur über die Kunst im Saale, weit hinausgeht. ³
Michael Flascha (Text und Fotos (siehe Druckausgabe)
Ein Audiowalk mit 20 Hörstationen entlang der Graf-Adolf-Straße mit https://eine-strasse.de/heimat-graf-adolf-strasse-2024/
Barbara Kempnich von der Bahnhofsmission Düsseldorf und Dirk Sauerborn, Polizist und Hauptkommissar a.D. als versierter Kenner der Problematiken im Umfeld von Migration und Integration, haben gemeinsam mit dem Künstler Jan Lemitz mehr als 27 lokale Akteur*innen der Graf-Adolf-Straße danach befragt, welche Rolle die Straße für sie als Heimat und der Begriff überhaupt in ihrem Leben spielt. An 20 Hörstationen kann mensch den 27 Interviews im direkten Lebensumfeld der Menschen lauschen, die von Geschichte und Zukunft des ehemals großen bürgerlichen Boulevards, aber auch von einem neuen Begriff des Zuhause-Seins erzählen. Die Interviews wurden zudem in einer Videoinstallationen im GAP 15 präsentiert (mittlerweile abgeräumt). Eine korrespondierende Videoinstallation im Hotel Düsseldorf Mitte auf der Graf-Adolf-Straße ist zurzeit wegen Renovierung des Hotels nicht mehr verfügbar – soll aber nach der Wiedereröffnung wieder allgemein zugänglich sein.
Natürlich sind die Interviews weiter verfügbar über die QR-Codes entlang der Graf-Adolf-Straße. Aber auch von zu Hause kann mensch die mehr als zweistündige Sequenz bequem abrufen.
Die Interviews, die über folgenden QR-Code auch einzeln abrufbar sind, stehen am Ende der aufgerufenen Internetseite.