TERZ 09.24 – TEURER WOHNEN
Post vom Vermieter zu bekommen, lässt meist nichts Gutes ahnen. Ist mit höherer Miete zu rechnen? Werden die Nebenkosten erhöht? Sind im Haus umfangreiche Modernisierungen geplant? Wie hoch fällt die dann fällige Modernisierungsumlage aus? Ist mit erheblicher Minderung der Wohnqualität zu rechnen? Oder ist es gar der worst case: Der Wohnungseigentümer kündigt den Mietvertrag?!
Die Kündigung von Mietverträgen durch Vermieter*innen betrifft in der Regel einzelne Haushalte, eher selten sind gleichzeitig alle Mietparteien eines Hauses betroffen. Genau das mussten aber alle zehn Mietparteien des Hauses Mauerstraße 32 im Stadtteil Golzheim im April diesen Jahres einem Schreiben des Düsseldorfer Eigentümers DusInvest PrivatCapital entnehmen. Die Kündigungen wurden mit dem notwendigen Abriss des Gebäudes und einem anschließend geplanten Neubau gerechtfertigt. Das im Jahr 1920 erbaute Haus ist, wie man sich durch Augenschein von außen und innen leicht überzeugen kann, keineswegs baulich vernachlässigt, marode oder gar baufällig!
In den Kündigungsscheiben, die alle Mieter*innen erhalten haben, hält sich der Investor mit dem baulichen Zustand auch gar nicht lange auf. Ganz offen wird als einzige Begründung für den Abriss und den geplanten Neubau angeführt, der Erhalt und die weitere Vermietung des Gebäudes seien für den Eigentümer wirtschaftlich nicht tragbar. Von einer „wirtschaftlichen Restnutzungsdauer“ des Gebäudes ist die Rede, die nur noch knapp 15 Jahre betrage, da lohne sich die nötige aufwendige Sanierung einfach nicht. „Wirtschaftlich“ heißt in diesem Zusammenhang nur, dass man das Haus zwar noch weitaus länger zu Wohnzwecken nutzen und vermieten kann, nur lässt sich dann der schon fest einkalkulierte Gewinn nicht erzielen. Das aber erwarten Kreditgeber*innen und Mitinvestor*innen des Eigentümers. Deswegen heißt es in den Kündigungsschreiben unmissverständlich: „Ihr Mietverhältnis steht bedauerlicherweise dieser einzig sinnvollen wirtschaftlichen Verwertung entgegen.“ Mit anderen Worten: Die Mieter*innen der Mauerstraße 32, die größtenteils schon viele Jahre in dem Haus wohnen, stehen dem Streben des Investors und der von ihm eingesammelten Kapitalanleger*innen nach höherem Gewinn im Weg, sie sind ein Renditehemmnis – und deswegen müssen sie weg!
Was das für die Bewohner*innen bedeutet, die ihr langjähriges Zuhause, ihre gewohnte Umgebung, ihre soziale Vernetzung verlieren, die nicht damit rechnen können, in der näheren Umgebung Wohnungen zu finden, die sie auch bezahlen können – das alles interessiert die Investor*innen nicht. Die „einzig sinnvolle wirtschaftliche Verwertung“ für investiertes Kapital besteht unter kapitalistischen Verhältnissen darin, maximalen Gewinn zu erzielen. Systembedingt hat soziale Verantwortung dabei keinen Platz. Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist ohne Moral, streng genommen ist es noch nicht einmal unmoralisch, es ist amoralisch. Alle sozialen Zugeständnisse mussten historisch hart erkämpft werden und sind bis heute immer umstritten geblieben, wie die aktuelle Debatte um die Kürzung von Sozialausgaben im Bundeshaushalt zeigt.
Es kommt nicht so oft vor, dass die nackte Wahrheit des kapitalistischen Wohnungs- und Immobilienmarktes so direkt beim Namen genannt wird. DusInvest hat auf jedes beschönigende Beiwerk verzichtet. Das hat durchaus sein Gutes: Die Mieter*innen der Mauerstraße 32 wissen so, woran sie sind. Das hat sicher auch ihre Entschlossenheit gestärkt, sich gegen die Pläne des Investors zur Wehr zu setzen. Geholfen hat aber auch, dass in der Mauerstraße 32 nicht nur Menschen zufällig dasselbe Haus bewohnen, sondern dass sich hier schon vor dem aktuellen Konflikt eine solidarische Hausgemeinschaft formiert hat, in der man sich gegenseitig hilft und unterstützt. Ein Beispiel, das sehr zur Nachahmung zu empfehlen ist!
Es stellt sich die grundsätzliche Frage: Darf ein*e Immobilieneigentümer*in überhaupt so handeln wie im Fall der Mauerstraße 32? Die kurze Antwort lautet: Leider ja. In unserem herrschenden Rechtssystem sind das Privateigentum und die Verfügungsrechte privater Immobilien-Eigentümer*innen nicht nur durch Gesetze, sondern auch durch die gerichtliche Rechtsprechung in hohem Maße geschützt. Allerdings genießt auch die Wohnung als Lebensmittelpunkt der Bewohner*innen einen gewissen rechtlichen Schutz. Ein Vermieter kann ein unbefristetes Mietverhältnis nur dann durch eine ordentliche Kündigung beenden, wenn ein berechtigtes Interesse nachgewiesen werden kann[1]. Dazu zählen erhebliche Vertragsverletzungen seitens der Mieter*innen (z.B. größere Mietrückstände), Eigenbedarf des Eigentümers, oder erhebliche wirtschaftliche Nachteile, die dem Eigentümer durch eine Weitervermietung entstehen würden.
Von der letztgenannten Möglichkeit, der Verwertungskündigung, hat der Investor im Fall der Mauerstraße 32 Gebrauch gemacht. Oft sind Mieter*innen schon von einem Kündigungsschreiben so eingeschüchtert, dass sie von vornherein auf Gegenwehr verzichten. Dann hat der Investor das Ziel der Entmietung, denn um nichts anderes geht es, mit der geringsten Anstrengung erreicht. Angesichts des starken Zusammenhalts der Bewohner*innen in der Mauerstraße dürfte das aber nicht so einfach gelingen. Die meisten Mietparteien haben bereits Widerspruch gegen die Kündigungen eingelegt oder werden das in Kürze tun. Gegen die Widersprüche muss der Eigentümer vor Gericht klagen. Erst dann wird es auch zu einer gerichtlichen Überprüfung der Argumente des Investors kommen. Konkret geht es darum, wie belastbar die angeführten wirtschaftlichen Gründe und die gutachterliche Einschätzung des Gebäudezustands seitens des Eigentümers überhaupt sind. Ein erst kürzlich in einem ähnlichen Fall ergangenes Urteil des Berliner Landgerichts II, das nach der Vorinstanz auch im Berufungsverfahren gegen den Eigentümer entschieden hat (Berlin LG II; Az: 67 S 289/23, Beschluss vom 11.3. 2024), gibt zumindest Anlass zu vorsichtigem Optimismus.
Das geplante Vorhaben von DusInvest PrivatCapital, das Haus Mauerstraße 32 abzureißen und auf dem Grundstück einen Neubau zu realisieren, wurde von der Stadt Düsseldorf schon vor einigen Monaten genehmigt. Das zuständige Bauaufsichtsamt hat am 23.01.2024 die Baugenehmigung erteilt und das Wohnungsamt hat dem Investor am 14.03.2024 erlaubt, das bestehende Mehrfamilienhaus abzureißen. Geprüft wurde vom Wohnungsamt, ob für den durch Abriss wegfallenden Wohnraum ein „beachtlicher Ersatzwohnraum“ bereitgestellt werde. Damit kein Missverständnis aufkommt: Hier ist nicht von Ersatzwohnraum für die betroffenen Bewohner*innen die Rede, sondern nur davon, dass entsprechende Ersatzflächen geschaffen werden! Diese Bedingung der Wohnraumschutzsatzung hat der Investor aus Sicht des Wohnungsamts mit der Zusage erfüllt, auf dem Grundstück die doppelte Wohnfläche wie bisher schaffen zu wollen. Ob diese Absicht überhaupt realistisch ist, wurde allerdings nicht überprüft! Eine Gruppe von Architekt*innen der Hochschule Düsseldorf hält das in einer ersten vorläufigen Einschätzung für schlicht unmöglich, wenn die Bestimmungen des geltenden Planungsrechts eingehalten werden sollen.
Wenn der Neubau tatsächlich, so wie vom Investor geplant, mit 12 Wohneinheiten und einer Gesamtwohnfläche von 1.639 qm umgesetzt werden könnte, entstünden Wohnungen mit im Durchschnitt 137 qm Wohnfläche, die dann – nach Aussage des Investors – „zu einer marktgerechten Miete“ angeboten würden. Was das in Golzheim bedeutet, liegt auf der Hand: Es entstünden Wohnungen, die für die allermeisten Miethaushalte in Düsseldorf unbezahlbarer Luxus wären. Die geplanten hochpreisigen Wohnungen wären nur für eine kleine kaufkraftstarke Bevölkerungsgruppe erschwinglich, sie stünden also dem Wohnungsmarkt keineswegs so wie der jetzt noch vorhandene bezahlbare Wohnraum zur Verfügung. Zudem entsprechen Mietwohnungen in dieser Größenordnung auch nicht dem aktuellen Wohnstandard: 80 Prozent der Wohnungen in Düsseldorf haben eine Wohnfläche von weniger als 100 qm, nur 7 Prozent verfügen über mehr als 140 qm (Statistisches Bundesamt, Zensus 2022).
Nach der Zweckentfremdungssatzung der Stadt darf der Ersatzwohnraum aber kein Luxuswohnraum sein, der den Standard des entfallenden Wohnraums in erheblicher Weise überschreitet. Zudem muss der Ersatzwohnraum dem Wohnungsmarkt in gleicher Weise wie der entfallende Wohnraum zur Verfügung stehen (Satzung der Landeshauptstadt Düsseldorf zum Schutz und Erhalt von Wohnraum vom 10.3.2022, Paragraf 8.2, Punkte 5 und 6). Aus Sicht der Mieter*innen wie auch des Bündnis für bezahlbaren Wohnraum erfüllt der in der Mauerstraße 32 geplante Neubau die in der Satzung genannten Bedingungen in keiner Weise.
Hätte sich das Wohnungsamt diese Einschätzung zu eigen gemacht, hätte der Abriss des bestehenden Gebäudes nie genehmigt werden dürfen! Offenbar hat man sich aber mit der Zusage des Investors begnügt, mit dem Neubau die Wohnfläche verdoppeln zu wollen, damit sei ein „ausreichendes Ersatzwohnraumangebot“ gegeben. In ihrer Antwort auf einen offenen Brief der Mieter*innen bekräftigt die für Planen und Bauen zuständige Beigeordnete der Stadt, Cornelia Zuschke, diese Interpretation mit der Feststellung, in der Mauerstraße 32 finde keine „Luxussanierung“ statt. Punkt. Auch höhere Mieten und (erheblich) größere Wohnungen stünden nicht im Widerspruch zur Zweckentfremdungssatzung. Zu diesem Bild passt auch, dass offenbar gar nicht geprüft wurde, ob der geplante Abriss des bestehenden Gebäudes und der anschließende Neubau mit der städtebaulichen Erhaltungssatzung vereinbar sind, in deren Geltungsbereich das Haus Mauerstraße 32 liegt (Stadtbezirk 1, Teilgebiet 2).
Man gewinnt den Eindruck, hier sei nach dem Grundsatz verfahren worden „Was nicht sein darf, ist dann auch nicht“. Es bleiben deshalb am Schluss verstörende Fragen offen: Warum wurde das Investorenvorhaben nicht eingehender geprüft? Warum wurde offenbar gar nicht erst erwogen, ob sich der vorhandene bezahlbare Wohnraum mit vertretbarem Aufwand erhalten ließe? Mit den wohnungspolitischen Zielen der Stadt, bezahlbaren Wohnraum zu erhalten und neuen zu schaffen, ist diese Genehmigungspraxis jedenfalls kaum vereinbar.
Das Instrument der Verwertungskündigung, um Bewohner*innen aus ihren Bestandswohnungen zu verdrängen, wurde bisher von Investor*innen noch nicht sehr häufig eingesetzt. Das scheint sich aber gerade zu ändern. Dem Bündnis für bezahlbaren Wohnraum sind inzwischen weitere Fälle bekannt, bei denen Eigentümer*innen mit Verwertungskündigung drohen oder sie auch schon angewandt haben. Immer geht es darum, Mieter*innen im Wohnungsbestand loszuwerden, weil deren Mieten nur in engen, gesetzlich festgelegten Grenzen erhöht werden können. Renditeorientierte Investor*innen wollen sich damit aber nicht begnügen. Mit Neuvermietungen oder mit der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, die dann teuer vermarket werden, lassen sich weitaus höhere Renditen erwirtschaften. Wirtschaftlich florierende, wachsende Städte, zu denen auch Düsseldorf gehört, zeichnen sich durch hohe Zuwanderungszahlen aus, darunter auch einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen, die bereit und in der Lage sind, höhere Mieten oder Wohnungskaufpreise zu zahlen. Als Folge wächst im Wohnungsbestand der Verdrängungsdruck. In diesen Städten sind die Angebotsmieten im ersten Halbjahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr erneut um 6,3 Prozent gestiegen, auch weil sich die Mietpreisbremse gerade hier als vollkommen wirkungslos erweist. Die wachsende Differenz zwischen niedrigen Altmieten und hohen, weiter steigenden Neumieten ist für Investor*innen ein mächtiger Anreiz, sich wo immer möglich der Bestandsmieter*innen zu entledigen, um so den Weg für höhere Renditen freizumachen.
Die Mauerstraße 32 ist kein Einzelfall, wohl aber ein exemplarischer Fall für die zunehmend rabiaten Entmietungsstrategien von renditeorientierten Investoren. Aus den Erfahrungen der Mauerstraßen-Bewohner*innen lassen sich wichtige Lehren ziehen: Die erste ist, sich in den betroffenen Häusern zusammenzuschließen und das gemeinsame Vorgehen abzusprechen. Eine zweite Lehre ist, möglichst frühzeitig die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen. Die damit erzielte Wirkung sollte nicht unterschätzt werden. Das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum ist dabei gern unterstützend behilflich. Die Pressekonferenz vor der Mauerstraße 32 am 11. Juli hat bereits eine außerordentlich große mediale Resonanz gefunden. Daran lässt sich anknüpfen. Wichtig ist schließlich auch, sich rechtzeitig um juristischen Beistand zu kümmern. Hier ist der Mieterverein Düsseldorf ein hilfreicher Ansprechpartner.
Die Bewohner*innen der Mauerstraße 32 bemühen sich inzwischen darum, über die einzelnen betroffenen Häuser hinaus eine Vernetzung im gesamten Quartier zu erreichen. Dem Bemühen um eine solche übergreifende Vernetzung dient auch eine Mieter*innenversammlung, zu der das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum am 24. September um 18:30 Uhr in das Forum Freies Theater (FFT) im KAP 1 einlädt. (https://bezahlbarer-wohnraum-duesseldorf.de/gemeinsam-gegen-verdraengung/).
Je mehr Protest und Widerstand gegen den Verdrängungsdruck renditehungriger Investor*innen öffentlich hör- und sichtbar werden, um so stärker wird auch der Druck auf die lokale Politik wachsen. Während die Stadt mit einem Impulsprogramm zur Wohnungsbauförderung bis 2027 bestenfalls gerade 800 geförderte Wohnungen schaffen kann, droht im Wohnungsbestand weit mehr bezahlbarer Wohnraum verlorenzugehen, als überhaupt neuer gebaut werden kann. Diese Vernichtung bezahlbaren Wohnraums geschieht jeden Tag. Die lokale Politik muss deswegen jetzt handeln! Die Betroffenen haben keine Zeit, auf bezahlbare Neubauwohungen zu warten, die es vielleicht in einigen Jahren gibt.
Helmut Schneider
Bündnis für bezahlbaren Wohnraum
[1] Auf die Gründe, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wird hier nicht weiter eingegangen.