TERZ 09.24 – KLASSENKAMPF
Wie Henry Ford ja schon in der Sommer-Ausgabe berichtete, wird bei Daimler Benz in Düsseldorf zum 01.10.24 die Nachtschicht wegfallen. Da Henry Ford selber 27 Jahre bei den Ford-Werken in Wülfrath gearbeitet hat, in dieser Zeit diverse Betriebsübergänge, Sanierungstarifverträge, Sozialpläne, eine Insolvenz und zum Schluss die Werksschließung erlebt hat, verfolgt er Arbeitskämpfe immer noch mit einem sehr großen persönlichem Interesse. Das Fordwerk in Köln war in der Jahresmitte ebenfalls in der Presse, dort sollen definitiv weitere Arbeitsplätze abgebaut werden.
Der Daimler-Konzern baut nicht nur die Nachtschicht in Düsseldorf ab, es sollen auch konzerneigene Niederlassungen verkauft werden. Ca. 8.000 Kolleg*innen sind davon betroffen. Der Konzern bietet 30.000 Euro Abfindung, der Gesamtbetriebsrat (GBR) fordert 300.000 Euro[1]. Alles nur Makulatur, da der Beschluss zum Verkauf schon gefallen ist. Für die 8.000 Kolleg*innen ist das Ausscheiden aus dem Konzern mit erheblichen Lohnverlusten verbunden, auch der Wegfall der sozialen Komponenten ist nicht unbedeutend. Auszubildenden in einer Niederlassungswerkstatt wird nach der Lehre oft ein Arbeitsplatz in den Produktionsstätten angeboten, mit Anerkennung der Betriebszugehörigkeit usw. Wenn die Vertragswerkstätten nicht mehr zum Konzern gehören und die Werkstätten nachweisen können, dass sie sich den oder die neue Gesell*in nicht leisten können, droht nach der Lehre die Arbeitslosigkeit.
Die Prämienzahlung bei Daimler, im Jahr 2022 6.000 Euro hoch, wird es nur für Konzernbeschäftigte geben [2]. Anzumerken ist, dass in 2022 die Leihleute 200 Euro Prämie erhalten haben. Dass die Prämie / Ergebnisbeteiligung und die Rekorddividenden durch Kurzarbeit und Coronahilfen finanziert wurden, ist kein offenes Geheimnis, sondern Fakt. Dass die Aktiengewinne der Daimler AG in 2022 so ziemlich genau um den Kurzarbeitergeld-Zuschuss gestiegen sind, ist durch mehrere Presseberichte bestätigt. Kurzarbeitergeld wiederum wird zu 50 Prozent durch die Beiträge der Arbeitnehmer*innen finanziert[3]. Die große Masse der Allgemeinheit hat also die Aktiengewinne bei Daimler ermöglicht.
Durch den Verkauf der Vertragswerkstätten macht Daimler auch noch doppelt Kasse. Erst durch die Einnahmen beim Verkauf, und dann bei der Einsparung der Lohnkosten. Das alles natürlich auf Kosten der Beschäftigten.
Die Arbeitsplätze der 1.250 Leiharbeiter*innen, die durch den Wegfall der Nachtschicht in Düsseldorf abgemeldet werden, könnten sogar gerettet werden. In einem nicht gedruckten Leserbrief von einem IGM-Vertrauensmann an die RP, der mir vorliegt, heißt es klar: Der Abbau der Nachtschicht wird mit dem Produktionsrückgang von 140.000 auf 127.000 Sprinter begründet, das sind ca. 10 Prozent Produktionsrückgang. Der Wegfall der Nachtschicht entspricht aber 33 Prozent der Produktionskapazität. Schon die Verringerung der Wochenarbeitszeit von 35 auf 32 Wochenstunden würde 500! neue Arbeitsplätze generieren. Das kostet natürlich Geld. Da der Gewinn alleine im Bereich Transporter/Vans um 59 Prozent auf 3,1 Mrd Euro gesteigert wurde, wäre das Geld aber da. Die Entlassung von 1.200 Kolleg*innen in Düsseldorf wäre also vermeidbar.
Stattdessen ist die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf Früh- und Spätschicht verteilt geplant, also 1 Stunde Produktionszeit mehr am Tag (ca. 20 Std./Monat), sowie geplante Sonderschichten an Samstagen. Die Stimmung im Werk ist natürlich bescheiden, wird den Leihleuten doch mittlerweile klar, dass der Abschied diesmal wohl ein endgültiger ist.
Völlig untergegangen ist, dass im südafrikanischen Schwesterwerk die Vernichtung von 700 Arbeitsplätzen geplant ist. Momentan sind bei MBSA 3.000 Kolleg*innen beschäftigt und produzieren Limousinen der C-Klasse für den Export. Der Stellenabbau soll auch durch die Umstellung von 3 auf 2 Schichten geschehen und durch die üblichen Maßnahmen umgesetzt werden[4]. In einem weiteren Leserbrief an die RP wird darauf hingewiesen, dass Daimler seit langem plant, die Sprinterproduktion 2026 nach Jawor in Polen zu verlagern[5]. Ausgeglichen werden soll der Wegfall der Produktion im Düsseldorfer Werk durch die Verlagerung der wesentlich geringeren Nischenproduktion der Pritschenvariante aus Ludwigsfeld/Brandenburg in die Landeshauptstadt. Der Tod auf Raten des Sprinterwerkes in Unterrath hat also schon begonnen. Anders gesagt, der Stern in Düsseldorf beginnt zu erlöschen.
Auch bei Ford in Köln steht eine weitere Entlassungswelle an. Laut Ankündigung sollen dort nochmal 2.300 Stellen in allen Bereichen abgebaut werden. Es geht quer durch die Belegschaft: Produktion, Verwaltung und Produktentwicklung sollen betroffen sein[6]. Waren 2018 noch ca. 20.000 Kolleg*innen in Köln in Lohn und Brot, sind es mittlerweile nur noch ca. 13.000. Laut Aussage des Betriebsratschefes von Ford Europa, Benjamin Gruschka, ist dieses dann das vierte Restrukturierungsprogramm seit 2018[7]. Dazu muss gesagt werden, dass in den Jahren 2018/19 Kolleg*innen aus dem ehemaligen Ford-Werk in Wülfrath nach Köln gewechselt sind, in der Hoffnung, im großen Stammwerk sicher unter zu kommen. Handhabe dafür war der Spin-Off Vertrag bezüglich des Betriebsüberganges von Ford nach Visteon im Jahr 2000. Eine der größten Verarschungen, die uns Mitarbeiter*innen damals beim Übergang von Ford an Visteon mit auf den Weg gegeben wurde. Schon alleine das Gemauschel aus dieser Zeit wäre einen Artikel für die TERZ wert gewesen.
Sollte 2024 der Personalabbau wie geplant umgesetzt werden, knabbert die Belegschaftsgröße an der 10.000er Grenze. Nur als Vergleichszahl, 1972 beschäftigte Ford 54.300 Mitarbeiter*innen[8]. Insgesamt sollen in Europa 3.800 Arbeitsplätze gestrichen werden, der größte Teil davon findet mit 2.300 Stellen in Deutschland/Köln statt[9]. Unter der Belegschaft in Köln geht momentan die Angst um, dass der US-amerikanische Mutterkonzern sich komplett aus Deutschland zurückzieht. Ein ehemaliger Kollege meinte zu mir: Zum Glück habe ich nur noch zwei Jahre.
Das Ford-Werk in Saarlouis soll bis 2032, wenn nicht sogar eher geschlossen werden. Über 7.000 Kolleg*innen waren dort einst beschäftigt, 3.750 sind es momentan, bis 2025 sollen es dann nur noch 1.000 sein.
2.700 Kolleg*innen haben bis jetzt Vorverträge unterschrieben, es bleiben also 1.050 Arbeiter*innen über, bei 1.000 Arbeitsplätzen, die Ford bis 2032 finanzieren will. Dazu fallen 1.800 Arbeitsplätze in 11 Betrieben im Ford-Zulieferpark weg[10]. Das Verhältnis 3.800 direkte Arbeitsplätze in der Automobilproduktion zu 1.800 Arbeitsplätzen bei den Zulieferern deckt sich ungefähr mit den Zahlen für Europa im Jahr 2021. Laut Statistika waren 2021 in Europa ca. 2,44 Mio. Menschen direkt im Automotiv beschäftigt, in der gesamten Automobilindustrie (inklusive Zulieferer) ca. 3,1 Mio. Menschen. Das Verhältnis ist demzufolge ca. 2:1. Wenn ich diese Zahlen auf Düsseldorf und Köln umsetze, fallen also zusätzlich bei Daimler ca. 625 und bei Ford 1.150 (Köln) rund 750 (Europa) Stellen weg. Das macht für den Köln / Düsseldorfer Raum dann insgesamt ca. 5.325 Arbeitsplätze, 5.325 Menschen und deren Familien, die von Arbeitslosigkeit und dem sozialen Abstieg bedroht sind.
Dass die Probleme im Automotivbereich hausgemacht sind, zukunftsträchtige Wege und Visionen in Deutschland regelrecht verschlafen wurden, soll nicht unter den Tisch gekehrt werden.
Das Management in den betreffenden Sparten hätte genügend Zeit gehabt, in Deutschland rechtzeitig zu intervenieren. Um z.B. in energiesparende Produktion, emissionarme Fahrzeuge, soziale und gerechte Arbeitszeitmodelle und eine allgemeine Transformation im Sinne der Verkehrswende zu investieren. Dies wurde ganz klar aus Gründen des Profites und der Gewinnmaximierung hintangestellt und immer wieder verschoben und tot geredet. Die Beschäftigten dürfen das jetzt ausbaden. Die geplanten Sanktionen beim Bürger*innengeld verstärken den sozialen Druck auf die von Arbeitsplatzverlust bedrohten Kolleg*innen natürlich und tragen zusätzlich dazu bei, die Standorte gegeneinander auszuspielen. Die Brechstange beim Lohndumping kann so dann noch viel besser angesetzt werden und die soziale Spirale dreht sich weiter nach unten!
Den Kolleg*innen wünsche ich viel Glück bei der Jobsuche.
Mit kollegialen Grüßen Henry Ford
[1] RP 02.07.24 // AutoMotorSport 25.07.24
[2] AutoMotorSport 08.03.22
[3] Deutschlandradio Kultur 25.04.22
[4] Rote Fahne 14.06.24
[5] RP 12.07.24
[6] SoKöln 22.06.24
[7] RP 18.06.24
[8] Wikipedia Deutschland
[9] Frankfurter Allgemeine 14.02.23
[10] World Socialist Web Site 10.07.24
[11] Statista 05.07.24
[12] RP 15.05.24 // Augsburger Allgemeine 12.08.24
[13] WDR 10.08.24 // Welle Niederrhein 09.08.24
[14] Sauerland Kurier 13.03.24
[15] Bloomberg 15.08.24
[16] WAZ 26.06.24
(zu den Fußnoten gibt es vollständige Links online)