Globalisierung, quo vadis?

Bei Attac laufen bereits seit einiger Zeit Diskussionen darüber, wie es um die Globalisierung steht, denn damit steht und fällt auch die von der Initiative betriebene Globalisierungskritik. Einen Beitrag dazu leistet jetzt ein kleines Buch, das der Düsseldorfer Attac-Aktivist Thomas Eberhardt-Köster geschrieben und in der Reihe „AttacBasisTexte“ veröffentlicht hat.

„Erleben wir gerade eine Krise oder gar das Ende der Globalisierung? Stagnieren Globalisierungsprozesse oder stehen wir kurz vor einem neuen Globalisierungsschub?“, fragt Thomas Eberhardt-Köster zu Beginn seines Buches und rollt auf der Suche nach einer Antwort zunächst noch einmal kurz die Geschichte der Globalisierung auf.

Diese setzte zu Anfang des 19. Jahrhunderts ein und erreichte 1913 einen ersten Gipfelpunkt. Mit den beiden Weltkriegen brach die Entwicklung ab, um erst nach 1945 erneut an Dynamik zu gewinnen. Es sollte allerdings bis in die 1970er Jahre dauern, bis die Verflechtung der Weltwirtschaft wieder das Niveau von 1913 erlangte. Zu neuen Höhen schwang die Globalisierung sich dann nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten-Gemeinschaft auf. 1994 erfolgte die Gründung der Welthandelsorganisation WTO, 1999 die Aufnahme Chinas, und im gleichen Jahr – auf dem WTO-Gipfel in Seattle – gab es auch zum ersten Mal massive Proteste von Globalisierungskritiker*innen.

Mit der Finanzkrise von 2007/2008 geriet der Prozess jedoch ins Stocken. Viele Länder reagierten auf das Platzen der Immobilien-Blase in den USA mit protektionistischen Maßnahmen. Mehr Freihandel war weder auf WTO-Ebene noch durch Abkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) oder zwischen den USA und den Pazifik-Staaten (TPP) zu machen. Die Corona-Pandemie demonstrierte dann, wie anfällig die über den ganzen Globus verteilten Lieferketten sind, und der Ukraine-Krieg bekräftigte dies noch einmal drastisch. Besonders die Versorgung mit Agrar-Rohstoffen und Energie gestaltete sich für nicht wenige Staaten schwieriger, was für einen Inflationsschub sorgte. Einfach nur immer nach gut kapitalistischer Art dort einzukaufen, wo es am billigsten ist, erwies sich als fatal.

Aber aller Tage Abend ist für die Globalisierung Eberhardt-Köster zufolge noch nicht. „Trotz der aktuell zu beobachtenden Krise der Globalisierung wäre es falsch und vorschnell, von einem Ende der Globalisierung zu sprechen“, schreibt er und zitiert die beiden Autorinnen Nancy Fraser und Rahel Jaeggi: „Der Geist der Globalisierung ist schon zu weit aus der Flasche heraus, als dass er wieder in sie zurückgedrängt werden könnte.“

Momentan sieht es aber doch eher nach Rückzug aus. Von heute aus betrachtet stellt sich die Globalisierung eher als ein Zwischenspiel dar, das immer wieder mal erklingt, aber die Wirtschaft niemals über längere Phasen hinweg prägen kann. Vor allem in Krisen-Zeiten hat es meist ein Ende mit dem „Laisser-faire“, und die „unsichtbare Hand des Marktes“ weicht der „sichtbaren Hand der Politik“, wie es Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt einmal anlässlich des Ölpreis-Schocks von 1973 formulierte.

Der Primat der Politik

Die Konzerne jedenfalls nehmen von solchen Vorstellungen vorerst Abschied. Jetzt gelte der „Primat der Politik“, konstatierte etwa der damalige Bayer-Chef Werner Baumann im Jahr 2022 auf der Bilanzpressekonferenz des Multis. Und wenig später auf der Hauptversammlung bekannte er: „Wir müssen leider davon ausgehen, dass die implizite Grundannahme eines freien Welthandels, die eher eine Optimierung nach reinen ökonomischen Effizienz-Kriterien erlaubt, nicht uneingeschränkt gilt.“ Unbarmherzig erwarteten die Aktionär*innen von ihm Aufschluss darüber, wie das Unternehmen die Zeitenwende meistert. Sie wollten wissen, wie die höheren Energie-Kosten zu Buche schlagen, wie anfällig die Lieferketten des Agro-Riesen sind und welche Aktiva im Risiko stehen, wenn der Konflikt zwischen China und Taiwan eskalieren würde.

Andere Unternehmen verhielten sich ähnlich. Von „Wirtschaftssicherheitspolitik“, „Interdependenz-Verwundbarkeit“ und einer Politisierung der Lieferketten“ war plötzlich die Rede. Als Reaktion darauf begannen Diskussionen über das reshoring“ – also die Rückverlagerung von Produktionskapazitäten an den Stammsitz – oder das „friendshoring“. Auch überlegten viele Multis, von einer „just-in-time“-Fertigung auf eine besser gegen Umwägbarkeiten gewappnete „just-in-case“-Fertigung umzusteigen.

Thomas Eberhardt-Köster nimmt solche Entwicklungen zwar wahr wie auch generell die Tendenz zu einer multipolaren Weltordnung mit neuen Machtzentren wie z. B. China, fasst das aber immer noch in den alten Begrifflichkeiten. Für ihn „globalisiert sich mittlerweile der Anspruch auf Vorherrschaft“, den in der neoliberalen Ära nach dem Mauerfall allein die USA erhob. Und auch die Kriege betrachtet er als Ausfluss der Globalisierung und nicht als Zeichen für deren Zerfall. „Nach dem Ende des Kalten Krieges um 1990 bestand allgemein die Erwartung, eine Phase des friedlichen Zusammenlebens und der Abrüstung stände bevor. Tatsächlich nahm die Anzahl der Kriege, Bürgerkriege und zwischenstaatlichen Konflikte zunächst ab. Diese Phase war aber nur von kurzer Dauer, was in den sozialen Verwerfungen in Folge der Globalisierung begründet liegt“, schreibt Eberhardt-Köster.

Folgerichtig behandelt er das Kapitel „Krieg und Frieden“ in dem Teil seines Buches, der „Dimensionen der Globalisierung“ gewidmet ist, umrahmt von altbekannten ATTAC-Topoi wie „Finanzmärkte“ und „Handels- und Investitionsschutz-Abkommen“ und Abschnitten über die soziale Frage, Flucht und Migration, Ökologie und andere Themen. In diesem Schnelldurchlauf gelingt es dem Autor, Missstände kurz und prägnant auf den – linken – Punkt zu bringen, wenn er etwa festhält: „Das große Wohlstandsgefälle zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden ist der strukturelle Daueranlass für Migration“ oder „Ganz rational gesehen bedeutet Migration für viele die mit Abstand beste Aufstiegsstrategie“. Hier zeigt sich, was für eine wichtige Stimme ATTAC nach wie vor sein kann, die Organisation sollte sich aber nicht auf Gedeih und Verderb an den Globalisierungsdiskurs klammern. Ihr Überleben hängt nicht davon ab, sondern davon, die Lage zu erkennen und daraus die richtigen politischen Schlüsse zu ziehen. ³

Jan