TERZ 10.24 – LAUSIGE ZEITEN
Da nutzte alle Kunst-Anstrengung nichts: kurz nachdem das Projekt „eine Straße“ seine Stellungen auf der Graf-Adolf-Straße geräumt und seine gemeinsam mit Geschäftseigner*innen, Bewohner*innen und Vermieter*innen betriebene „Suche nach der Innenstadt von morgen“ beendet hatte, spielte der Kapitalismus von heute sein Monopoly weiter. „Starker Verbund für Graf-Adolf-Straße geplatzt“, vermeldete die „Rheinische Post“. Der Versuch, die „Interessen- und Standortgemeinschaft“ (ISG) zu einer gesetzlichen zu machen und damit auch die Eigentümer*innen zur Finanzierung von Aufhübschungsmaßnahmen heranzuziehen, scheiterte. Es hatte die Stadt schon Monate gekostet, die Eigentümer*innen überhaupt nur zu ermitteln und dann auch noch ausfindig zu machen. Als das dann erledigt war, kam das nötige Quorum für eine gesetzliche ISG nicht zustande – mehr als ein Drittel der Eigentümer*innen wollten nicht. Das Kalkül, auch Investor*innen, die ihre Immobilien nur als Anlage-Objekte betrachten, müssten ein Interesse an einer netten Umgebung haben, weil sich das wertsteigernd auswirkt, ging nicht auf. Vermutlich rechnen diese Besitzer*innen dafür in zu kurzen Zeiträumen. Jetzt will die Stadt mit den 60 Prozent Willigen in kleinerem Rahmen weitermachen.
Am 24. August gelangten vom Klärwerk Leverkusen-Bürrig aus 180 Kilogramm des Pestizid-Bestandteils 2,6-Dimethyl-1-Aminoindan in den Rhein. Die Bezirksregierung Düsseldorf löste sofort Rheinalarm aus, denn die Substanz – eine Komponente des innerhalb der EU nicht zugelassenen BAYER-Ackergiftes Indaziflam – wirkt akut toxisch und kann Haut- und Augenschäden verursachen. Für Wasserlebewesen stellt sie eine unmittelbare Bedrohung dar. Dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) zufolge gehört 2,6-Dimethyl-1-Aminoindan zur Wassergefährdungsklasse 2, was „deutlich wassergefährdend“ bedeutet. „Das ist vor allem für trinkwasser-gewinnende Betriebe im weiteren Verlauf des Rheins, vor allem in den Niederlanden, von Bedeutung“, so LANUV-Pressesprecherin Birgit Kaiser de Garcia gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Von Bedeutung ist das allerdings auch für den trinkwasser-gewinnenden Betrieb in Düsseldorf-Flehe. An der Messstelle des dortigen Wasserwerks überschritten die Rückstände von 2,6-Dimethyl-1-Aminoindan einen Tag nach der Einleitung in Leverkusen-Bürrig den Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter mit 2,4 Mikrogramm um mehr als das 20-fache, und vier Wochen danach lagen sie mit Werten von 0,11 bis 0,13 Mikrogramm immer noch über dem Limit.
Heribert Prantl zu Gast im Düsseldorfer DGB-Haus
Am 1.9.1939 löste Hitlers Überfall auf Polen einen verbrecherischen Krieg ungeahnten Ausmaßes aus: den Zweiten Weltkrieg. Dieses Ereignis, das die Welt veränderte, nehmen Gewerkschaften und Friedensinitiativen seit 1957 zum Anlass, den 1. September als Antikriegstag zu begehen. Am 2.9.2024 war zum Motto: „Den Frieden gewinnen – Die Gewalt verlernen“ Professor Dr. Heribert Prantl, Jurist, Journalist und Buchautor, der Einladung des DGB an die Friedrich-Ebert-Straße gefolgt.
„Der Frieden ist ein zu ernstes Thema, um es den politischen Rändern zu überlassen,“ so wird Prantl zitiert.
Mit dem Friedensgebot in ihrer Verfassung hat sich die Bundesrepublik dazu verpflichtet, dem Frieden der Welt zu dienen. Anlässlich des Antikriegstages 2024 appelliert der DGB an die Bundesregierung, dieses Gebot mit neuem Leben zu füllen, indem sie ihr Handeln stärker an diplomatischen Ansätzen zur Krisenprävention und Konfliktlösung ausrichtet. Hierauf kam Heribert Prantl in seinem Vortrag immer wieder zurück. Sein enormes Wissen, das er sich in den über 70 Jahren seines Lebens angeeignet hat und an dem er seine Mitmenschen u. a. in der Süddeutschen Zeitung und einigen Büchern teilhaben lässt, gab er vor seinen Zuhörer*innen im Düsseldorfer DGB-Haus breit gefächert zum Besten.
Er philosophierte ausgiebig über den Pazifismus, zitierte aus der Bibel, aus Antje Vollmers (verstorben im März 2023) Vermächtnis „Was ich noch zu sagen hätte” (als pdf im Web zu finden) und widmet sich Petra Kelly, die heute nicht mehr bei den Grünen, sondern bei Extinction Rebellion oder Letzte Generation wäre. Über Kelly läuft seit dem 12.9. die Doku „Act now!“ im Kino, Prantl hat sie gesehen und empfiehlt sie. Er zitierte Heiner Geißlers Ausspruch von 1983 „Der Pazifismus der 30er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht”, eine absurd wirkende Provokation, woraufhin die FDP-Abgeordnete Hildegard Hamm-Brücher, den Tränen nahe, fragte, was „denn der Pazifismus mit dem Judenhass in Deutschland zu tun” habe. Prantl kam auch auf Willy Brandt zu sprechen: „Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts” und sprach über das Theaterstück „Nie wieder Friede”, das Ernst Toller 1935/35 schrieb, eine bitterböse Komödie über Militarismus und Antipazifismus.
Fast mit Wehmut sinnierte Prantl über die großen Friedensdemos, 300.000 im Bonner Hofgarten, lange her, 1981, 100.000 in Düsseldorf, noch nicht lange her, am 24.1.24, nach den Correctiv-Recherchen über Remigration und andere Abscheulichkeiten Ultrarechter und deren Gästen (TERZ 2-2024). Prantl erinnerte sich seiner Teilnahme an Demos in und um Wackersdorf 1986 gegen die Wiederaufbereitungsanlage, zu der Zeit war er Staatsanwalt und machte sich dafür stark, dass Demo-Teilnehmende (auch eine steinewerfende Bauersfrau) straffrei davonkamen.
Wo sind die 100.000, die gegen die derzeitigen Kriege auf die Straße gehen? Oder gegen den Rechtsruck? Nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen? Die Friedenstauben seien müde geworden, aber wer oder was soll sie aus der Reserve locken? Dazu weiß Prantl keinen Rat, wie er offen zugibt. Aber vielleicht nehmen wir ja gerade erst Anlauf?
Die anschließende Fragerunde, knapp bemessen wegen Prantls geplanter Weiterreise mit einem Nachtzug, war eher unergiebig, kaum jemand stellte eine brauchbare Frage, die meisten präsentierten lieber über ihre eigenen Ansichten zum Thema „Frieden“.
Ob Heribert Prantl auf seiner Weiterreise ein bisschen in der Terz las, wissen wir nicht. Er hatte auf jeden Fall eine Flasche sehr guten Rotwein dabei, ein kleines Präsent vom DGB Düsseldorf. Gute Reise.
Christine
Zu einem Bürgerdialog in die Essener Philharmonie hatte die AfD am 5.9. geladen. In der Nähe versammelten sich Demonstrierende zu einer Gegenveranstaltung unter dem Motto „Demokratie stärken“. Sie pfiffen Gäste der AfD aus, die das Gebäude, wie so oft bei ihren Zusammenkünften, nur unter massivem Polizeischutz betreten konnten. Die Stimmung unter den demonstrierenden Menschen war aufgeheizt. „Deutsche Polizisten schützen Faschisten” wurde gebrüllt und „ganz Essen hasst die AfD”, wo doch ein Brüllender ein Schild hochreckte, auf dem „Hass ist keine Meinung” stand. Weit über 4.000 Menschen beteiligten sich an den Protesten, zu denen die Bündnisse „Zusammen gegen Rechts“, „Aufstehen gegen Rassismus“ und „Essen stellt sich quer“, sowie die Theater und Philharmonie GmbH (TuP) aufgerufen hatten. Schon vor Monaten hatten sich Mitarbeitende der TuP in einem Brandbrief bei der Stadt Essen über die Vermietung an die AfD beschwert. Die AfD-Veranstaltung fand aber wie geplant statt, doch wurde massiv gestört und mehrfach unterbrochen. Auch unter den etwa 200 Menschen im Publikum der Philharmonie gaben sich einige Personen als Gegner der AfD zu erkennen. Sie wurden von Sicherheitsleuten aus dem Raum gebracht.
Weiter ging‘s am 9.9., in Düsseldorf, wo der superrechte AfDler Maximilian Krah zu einer Podiumsdiskussion der AfD Düsseldorf im Bürgersaal der Bilker Arkaden geladen war. Krah, von dem sich selbst die Rechten im Europaparlament distanzieren, wurde von den Düsseldorfer Parteikolleg*innen als das „Enfant terrible der AfD“ angekündigt. Er vertrete kontroverse Positionen, was, so Elmar Salinger, Sprecher des hiesigen AfD-Kreisverbands, reizvoll sei. Dass Krah von der AfD-Spitze ein Auftrittsverbot im Europawahlkampf verordnet bekam und sich aus dem Bundesvorstand der Partei zurückziehen musste, spielte bei der Einladung nach Düsseldorf demnach zumindest keine negative Rolle. Krah war der Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, bis er sich mit Sprüchen wie: „Ich werde nie sagen, dass jeder, der eine SS-Uniform trug, automatisch ein Verbrecher war“ verscherzte.
Zu den Protesten gegen die AfD und Krahs Auftritt, wiederum in einem städtischen Veranstaltungsraum, riefen das Bündnis „Düsseldorf stellt sich quer“ (DSSQ) und der Verdi-Landesbezirk Nordrhein-Westfalen auf. Unter den gut 500 Menschen, die vor dem Bürgerhaus zusammenkamen, waren u. a. Parteivertreter*innen und die „Omas gegen rechts“ angerückt. Zahlreiche Polizist*innen waren rund um den Bilker Bahnhof im Einsatz. Im Laufe der hitziger werdenden Protestveranstaltung gerieten Demonstrierende und die Polizei aneinander, die den Bereich vor dem Eingang zum Bürgersaal räumen wollte, da die Demo nur für den Platz vor dem Bürgerhaus angemeldet worden war.
Auf Proteste stieß auch die AfD-Zusammenkunft, am 28.9. in der Düsseldorfer Dieter-Forte-Gesamtschule stattfand. Fast 200 Menschen, darunter Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern – auch vom benachbarten Lore-Lorentz-Berufskolleg – waren dem DSSQ-Aufruf zum Protest gefolgt und demonstrierten lautstark sowie mit eindrucksvollen Wortbeiträgen gegen die braune Versammlung.
Die AfD versucht inzwischen anscheinend, ihre Veranstaltung nicht öffentlich zu machen, da sie offenbar Proteste fürchtet, aber so recht geht die Strategie bisher nicht auf.