Da wir die letzten Ausgaben nur Specials gewidmet haben, gibt es diesmal wieder den

aktuellen heißen Scheiß

Unser Freund Marcel van Blumen vertraute uns das Probehören seiner Lasst Hundert Blumen Blühen-Testpressung an. Die Veröffentlichung ist zum 20jährigen Bandjubiläum am 29.11.24 geplant. Vorgestellt werden die 4 Songs und die Coverversion Erschießen der NDW Pioniere Ideal am 30.11.2024 bei der 20-Jahrfeier im Weltkunstzimmer hier bei uns in Düsseldorf. Special Guests sind NinaMarie, Labelmates der Blumen auf Rookie Records und NIN KUJI, ein alter Weggefährte von Marci, als die Blumen noch eine One-Man-Show waren und harschen Electro-Noise gespielt haben. Das Cover Artwork wird wie in alten Tagen von Stefan Alt (Ant Zen Records) sein. Der Kreis schließt sich also auch hier. So sind die vier Songs auf der 12“ mit 10“ inside-out-cut, ja, die Nadel läuft von innen nach außen, eine gelungene Mixtur aus den alten Electro-Noise Nummern und den neuen Punk Krachern.

Die Kinder fängt mit einem klassischen NDW Intro an und geht dann in einen treibenden Punk Beat über. Krokodilhaut schließt sich dem nahtlos an, beinhaltet aber ein paar mehr Electro-Skills. Unter Menschen, der erste Track auf Seite 2, fängt auch wieder verspielt an, ist zwischendurch brutal knackig und dann wieder Synth-Pop lastig. Der letzte Track Blumendisaster, eine Electro-Noise-Orgie wie in den Anfangstagen. Beim Anhören der Testpressung meinte Mrs. Cave nur, das Beste, was die Blumen seit langem gemacht haben. Dem kann ich mich bedingungslos anschließen. Der 10“ wird eine Flexi beiliegen, die die NDW Hymne Erschießen von Ideal in eine treibende Punk Nummer verwandelt, bei der Akki den Bass hart rannimmt. Es dröhnt und rappelt so richtig im Gebälk!

Lasst Hundert Blumen Blühen macht Lust auf die Release Show am 30.11.24.

Als erste Single wird Erschießen online/digital am 15.10.24 veröffentlicht. Die Kinder soll dann kurz darauf, natürlich auch digital, veröffentlicht werden. Wir sehen uns hoffentlich am 30.11.!

Bei der nächsten Veröffentlichung dachten Mrs. Cave und ich beide gleichzeitig: Die läuft zu schnell! Nachgeschaut: Ne, die läuft auf 33…. Nächster Song: Die LP läuft doch zu schnell! Nein, läuft auf 33! Melt Banana stellen auf ihrem achten oder neunten Studioalbum 3+5, je nach Zählweise, ungeahnte Geschwindigkeitsrekorde auf.

Es scheint so, als ob die Sängerin Yasuko Onuki und der Gitarrist und Programmierer Ichiro Agata beschlossen haben, die 11 Jahre Distanz seit dem letzten Album Fetch im Wettlauf hinter sich zu bringen und der oder die Verlierer*in dann den kompletten Abwasch aus dem Zeitraum erledigen muss.

Melt Banana war schon immer eine extreme Band, die die verschiedensten Musikrichtungen mit einander verschmolzen hat. Von Hyper-Pop, Punk, Vintage Metal bis Noise, alles wird wieder verarbeitet und durch den Fleischwolf gedreht! 3+5 ist definitiv keine Platte für den gemütlichen Abend zuhause auf dem Sofa. Wer sich aber mal kurz und schmerzvoll die Ohren durchblasen lassen möchte, hier ist die Medizin dazu. Für eventuelle Nebenwirkungen wie Verstörtheit oder Orientierungslosigkeit wird aber keine Haftung übernommen! Wie gehabt auf A-Zap Records, dem bandeigenen Label, veröffentlicht.

26 Jahre sogar haben sich The Jesus Lizard Zeit gelassen. Sie machen auf Rack aber auch sofort klar, warum wir sie vermisst haben. Hart, erbarmungslos, langsam brachial fräst sich Rack in die Gehörgänge. Das, was Melt Banana an Geschwindigkeit aufbringen, um 11 Jahre aufzuholen, schalten Jesus Lizard teilweise in den ersten Gang zurück. Rollen langsam durch die Dünung und walzen alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellt. Die Gitarre von Duane Denison zerfräst den Rest. Anschließend setzen dann Mac McNeilly am Schlagzeug und der Bass von David Wm. Sims wie eine Dampframme an und zermalmen alles. Was dann noch übrig ist, wird von David Yow und seiner Reibeisenstimme pulverisiert, treibt als Gischt auf der Dünung und fragt sich: Wie konnte das passieren?

Veröffentlicht auf Ipecac Recordings, Mike Pattons (Faith No More) Label; für die Genießer*innen unter uns.

Fast schon harmonisch geht es weiter mit Die Nerven und Wir Haben Hier. Die Stuttgarter schaffen es bei jedem Album, noch ein Quäntchen Wow draufzulegen, neue Wege zu beschreiben und sich dabei trotzdem treu zu bleiben. Der Opener Als Ich Davonlief präsentiert uns Die Nerven so wie wir sie lieben. Das Schlagzeug und der Bass sind sofort da, greifen uns und lassen uns nicht mehr los. Dazu ausgefeiltes Songwriting: „Auf Der Flucht Vor Der Wirklichkeit, Ist Mir Kein Weg Zu Weit …“

Persönlich lädt mich Achtzehn ein, über meine Adoleszenz, aber auch mein eigenes älter werden mit körperlichen Verfall, den beginnenden Schmerzen und den immer häufiger werdenden Todesfällen von Freund*innen im engsten Kreis nachzudenken: „…. Mein Körper Ist Ein Tempel; Ich will Nie Mehr Achtzehn Sein ….“ Dazu wunderschöne Streicher, ich habe Tränen beim Schreiben in den Augen.

Wir Haben Hier ist textlich ein unheimlich persönliches Album, das zum Nachdenken einlädt! Glitterhouse Records.

Fontaines DC legen mit Romance dann auch ihr Meisterstück vor. Befreit vom reinen Post Punk, wird in allen musikalischen Bereichen geräubert, ohne dass es aufgesetzt oder künstlich wirkt. Wir fragen uns, wie kann bei so viel Schmalz und Pathos in Musik und Texten, gleichzeitig so viel Wut verpackt werden? Dazu aber auch Understatement, Nonchalance und Sexyness. Romance macht seinem Namen alle Ehre.

Romance, der Opener auf Seite A, verbindet Liebe und Traurigkeit: „…. And Deep In The Night, I Confide; That Maybe My Goodness Has Died; I Pray For Your Kindness; Heart On A Spit .…“

Oder In The Modern World zum Beispiel: „.… I Feel Alive; In The City; You Despise; And Wait For The Day; When You Come ….“ Nehmt euch bitte die Zeit, hört euch Romance in Ruhe an und immer wieder an, es eröffnen sich jedes Mal weitere anmutig verstörende Momente. XL Recordings.

Ein neues Album hat auch die Grandezza des britischen Pops veröffentlicht. Marc Almond! Auf I‘m Not Anyone macht er das, was er am besten kann, er covert Klassiker der Pop-Geschichte und interpretiert diese in seiner unnachahmlichen, kitschig-charmanten Art und Weise neu! Neben etablierten Soul-Nummern wie Gone With The Wind (Is My Love) hat er sich diesmal auch an Prog-Rock-Stücke von The Marmelade oder Stücke von Don Mc Lean oder Neil Diamond herangewagt. Dazu hat er sich teilweise hochkarätige Unterstützung gesichert. Bei Kring Crimsons – I Talk To The Wind wird er zum Beispiel von niemand geringerem als Ian Andersons (Jethro Tull) an der Querflöte begleitet. Der House Vocalist Bryan Chambers singt mit im Duett bei Mahalia Jacksons Gospel Klassiker Trouble Of The World. Louise Clare Marshall begleitet ihn bei Look To Your Soul. Das Mrs. Cave Mark Mandel Devotie ist, dürfte allseits bekannt sein! Aber ich muss mich wirklich ihrer Einschätzung anschließen: I‘m Not Anyone ist das Beste, was Marc Almond in den letzten Jahren veröffentlicht hat! Das würdige Alterswerk eines der größten Entertainer, den die englische Popkultur zu bieten hat. Wir freuen uns auf das Marc Almond Konzert am 30.09.24 im Kölner Gloria Theater.

Jetzt geht es nach Kanada. Bibi Club aus Montreal sind eine WDR 5-Entdeckung. Das Duo Adèle Trottier-Rivard und Nicolas Basque wurde dort mit seinem zweiten Album Feu De Garde vorgestellt und hat mir den Arbeitstag in der Werkstatt versüßt. Ja, zuckersüße Indie-Pop-Melodien mit kandiertem Gesang überzogen. Das reservierte, ein wenig unterkühlte Gitarrenspiel von Nicolas Basque ist aber der zweite Anker des Albums. Beide zusammen tragen beim erneuten hören an einem Sonntagmorgen in Oberbilk zu einem entspannten Start in den Tag bei. Unser Anspieltipp, Parc De Beauvoir. Erschienen auf Secret City Records, Montreal, Kanada, Feu De Garde ist aber momentan bei jeden Mailorder in Deutschland erhältlich, und zur Not könnt ihr ja auch bei Bandcamp reinhören.

Aus der Abteilung Lost And Found kommt als Tipp The Cat‘s Miaow. Von der Indie-Pop-Band aus Melbourne, Australien ist die Kompilation Songs ‘94​-​‘98 auf World Of Echo, einem kleinen Indie Label aus London wiederveröffentlicht worden. Stilistisch schließen sich The Cat‘s Miaow nahtlos an Bibi Club an. Kerrie Bolton, mittlerweile Musiklehrerin, und ihr leicht verhallter Gesang könnten in jedem englischen Indie Film, der sich mit dem Coming Of Age beschäftig, den Soundtrack für die unglückliche Liebe ohne Happy End liefern. Wir sehen förmlich einen rothaarigen, verpickelten Jugendlichen am Ende des Films bitterlich weinend seiner vermeintlichen großen Liebe hinterher trauern. Ein Großteil der alten Singles, oder der Song Shoot The Moon, 1995 auf Flexi-Disc als Split mit Stereolab erschienen, sind hier versammelt. Vom Pop-Faktor würde ich The Cat‘s Miaow eher in Neuseeland auf Flying Nun ansiedeln. Hatten Flying Nun Bands doch auch immer den besonderen subantarktischen Pop-Appel.

Einen kleinen Nachruf gibt es an dieser Stelle für Martin Phillipps. Martin Phillipps war das letzte Original- und Gründungsmitglied der The Chills. Kaleidoscope World, 1986 auf Flying Nun in Neuseeland erschienen, versammelt die allerersten Singles der Band um Phillips und ist der Grundstein dessen, was heutzutage als Dunedin Sound bezeichnet wird. Geradlinige Lo-Fi Melodien, zurückgenommener Bass, einfaches Schlagzeugspiel, alles mit 60th Anleihen, sorgten für den internationalen Siegeszug und Fangemeinden in der nordamerikanischen und westeuropäischen Indieszene. Groß prangte damals der Aufkleber „Musik aus Neuseeland“ auf dem Cover und fixte mich sofort an. Weitere NZ Bands, die dann über Normal Records aus Bonn in Deutschland bekannt wurden, waren The Clean, The Bats, The Verlaines oder die Tall Dwarfes. Martin Phillips Tod am 28.7.24 löste weltweit Betroffenheit aus, das schwedische Pop-Trio Peter, Björn And John bezeichneten The Chills als großen musikalischen Einfluss, und Nada Surf Sänger Matthew Caws bedankte sich für Phillips „heavenly pop“.[1]

Unsere zwei Anspieltipps sind Pink Frost und der Heavenly Pop Hit. Kaleidoscope World ist letztes Jahr über Fire Records als Doppel-LP wiederveröffentlicht worden und somit gerade erhältlich. Es spricht also nichts dagegen, die Tage mal musikalisch nach Neuseeland zu reisen und Martin Phillipps sowie The Chills zu gedenken.

Zum Ende ein kleiner Veranstaltungstipp. „Unter keiner Flagge“ präsentieren am Samstag den 19.10.24, No Shelter (Emsdetten, Metal / Hardscore), Grim Silence (Düsseldorf, Hardcore) und Manøver (Münster, Crust / Sludge) sowie am Samstag den 02.11.24 Deûle (Lille, Frankreich, Black Metal / Noise Rock) und YürkE (Düsseldorf, Harsh Noise an diesem Abend)

Zum Abschluss: Das neue Nick Cave & The Bad Seeds Album Wild God ist göttlich wild!

Pani Cave i Oberbilker

[1]  ByteFM Redaktion, 29. Juli 2024