TERZ 11.24 – BOOKS
Auf 287 Seiten kommen in dem Ende 2023 erschienenen Buch 18 obdach- und wohnungslose Menschen zu Wort. Ihre Lebensgeschichten spielen in deutschen Städten wie Köln, Hannover, Berlin oder auch in der Schweiz, wo mit diesen Menschen mindestens ebenso gnadenlos umgegangen wird wie in Deutschland. Exemplarische Geschichten, die überall stattfinden könnten, natürlich auch in Düsseldorf. Dass die Menschen, die hier eindrücklich ihre krassen und erschütternden Lebenswege schildern, überlebt haben (die Lebenserwartung auf der Straße liegt bis zu 30 Jahre unter dem Durchschnitt), ist oft Hilfen verschiedenster Art zu verdanken, unkonventionelle, behördliche (eher die Ausnahme) oder unerwartete Hilfe. Und an einem unfassbaren Willen, zu überleben, es doch zu schaffen, sich eine Lebensaufgabe und einen Lebenssinn zu erkämpfen. Die Menschen, die Hilfe leisten, haben sich mitunter selbst aus tiefsten Krisen wieder ins Leben zurückgekämpft, Suchtkrankheiten überstanden oder mit ihnen zu leben gelernt. So auch der Herausgeber des Buches, Richard Brox, der durch Günter Wallraff zum Schreiben und in die Medien kam und heute unter anderem Sterbebegleitungen macht. Oder der ehemals spielsüchtige Jörg, der schildert, wie es für ihn aussah, nachdem er seiner Freundin Geld gestohlen und es verspielt hatte, als er in der Küche stand und kapierte: Das Geld kommt nicht wieder. „Aber sie kommt um halb fünf von der Arbeit. (...) Ich bin einfach getürmt, ganz ohne Geld bin ich los. (...) Ich wollte mich einfach nicht konfrontieren lassen. Wollte keine Frage hören, keine Kritik, wusste, dass ich nichts antworten könnte. Ich habe mich so geschämt. So sehr, dass ich nicht mal das Wort denken konnte.” Jörg wurde obdachlos, durchlebte eine Odyssee, Spielsucht, Kriminalität, Knast, Therapien, bis er seine Probleme halbwegs in den Griff kriegte. Er hat vieles überstanden, auch wenn er mit 52 Jahren nur noch drei Zähne im Mund hat. Inzwischen arbeitet er in einem Tagestreff für Obdachlose, 30 Stunden die Woche. „Aber ich bin zurück, so fühle ich das! Das ist ein Stolz, den mir niemand mehr nehmen wird. In diesem Sinne: Passt auf euch auf und auf die Menschen neben euch!” Mensch kann viel mitnehmen und lernen aus diesem Buch, ohne sich belehrt zu fühlen. Ein Buch gegen Vorurteile und ein Aufruf, endlich Ernst zu machen mit dem Kampf gegen Obdachlosigkeit. Immer wieder Thema ist Housing First, dieses Konzept ermöglicht wohnungs- oder obdachlosen Menschen die Rückkehr in ein würdevolles Leben, ohne Auflagen. Diesem Thema haben wir uns ausführlich in der TERZ 12-2023 gewidmet: „No Country for Poor Men*Women. Wohnungslos in Düsseldorf – Dauerlösung gesucht”.
Herausgeber: Richard Brox
Christine