Umstrittenes RWE-Megaprojekt startet ohne Genehmigung

Wasser marsch! Mit markigen Worten wirbt der Essener Stromkonzern RWE für sein Vorhaben, die nach dem Bodensee größten Bade- und Freizeitseen in Deutschland zu schaffen. Es gibt allerdings so einige Risiken und Nebenwirkungen.

Für sein Projekt, eine neue rheinische Seen-Platte zu schaffen, will RWE durch gigantische Pipelines mit Durchmessern von jeweils mehr als 2 Metern Rheinwasser in die Tagebaulöcher ­Garzweiler  und Hambach  leiten – 40 Jahre „nur“, und die Attraktionen sind fertig, die Restlöcher der Tagebaue mit mehr als 20 Billionen Liter Wasser geflutet. Doch um welchen Preis? Auch der Zeitraum von 40 Jahren ist mehr als fraglich. Das umstrittene Megaprojekt hat allerdings den Segen der schwarz-grünen Landesregierung. Von den Seenlandschaften werde, so die RWE, eine ganze Region profitieren, und außerdem der Braunkohlebergbau auf verantwortliche Weise zu seinem Ende geführt. Für nicht wenige Menschen in der betroffenen Region, die schon durch Jahrzehnte Bergbau so einiges durchlebt haben, klingt das sicherlich wie glatter Hohn. Dormagens Bürgermeister Erik Lierenfeld (SPD) will das Pumpwerk  und die Trasse auf seinem Stadtgebiet jedenfalls verhindern. Aktuell protestierten verschiedenste Klimaaktivist*innen aus dem Rheinland, vereint im Wasserbündnis Rheinisches Revier, an der Entnahmestelle der geplanten Rheinwassertransportleitung (RWTL) bei Dormagen gegen die Pläne RWEs, bereits im Oktober entlang der geplanten Pipelinetrasse umfangreiche Rodungsarbeiten durchzuführen. Dabei ist das umstrittene Vorhaben, die Befüllung der Restlöcher im Rheinischen Braunkohlerevier mit Rheinwasser, bisher noch gar nicht komplett genehmigt.

Die Aktivist*innen aus der Region protestierten dagegen, dass RWE frühzeitig Fakten schaffen will. Außerdem kritisieren sie die wasserwirtschaftlichen Maßnahmen des Konzerns. „RWE ist ausschließlich an der günstigsten Nutzbarmachung der Tagebaue interessiert, wonach sie nach dem Bundesberggesetz verpflichtet sind”, so Timo Luthmann vom Wasserbündnis Rheinisches Revier. Zu weiteren Problemen zählen beispielsweise die Verschmutzung und Schließung von Trinkwasserbrunnen durch die Tagebauflutungen sowie die negativen Auswirkungen der geplanten Wasserentnahme aus dem Rhein von 340 Millionen Kubikmetern pro Jahr auf die Flussökologie. Und das mitten in der Klimakrise, die immer öfter zu niedrigen Wasserständen führt und damit auch die Schifffahrt gefährdet. Diese möglichen gravierenden Folgen werden in der Öffentlichkeit kaum thematisiert.

Zu den Verlierer*innen des massiven Eingriffs in das riesige Gebiet zählen die Landwirt*innen im Rheinischen Revier, denen die größten Flächenverluste drohen. Allein für die RWTL sollen bis zu 315 Hektar Land in Anspruch genommen werden. Entlang der 45 Kilometer langen Trasse mit einem 70 Meter breiten Arbeitsstreifen käme es zu umfangreichen Zerstörungen, die das Wasserbündnis auf einer Onlinekarte dokumentiert hat.

Die Aktivist*innen solidarisieren sich auch mit der neuen Besetzung des Mahnheimer Erbwalds, die am 29.9.24 begann. Diese Waldbesetzung richtet sich gegen die sogenannte Mahnheimer Bucht , die RWE zur Gewinnung von Abraum für den Hambacher See auskiesen möchte. Auch hier soll eine große landwirtschaftliche Fläche von bis zu 600 Hektar zerstört werden, obwohl genug Abraum auf einer Innenkippe liegt.

Insgesamt fehle, so die Protestierenden, eine Gesamtbetrachtung aller wasserwirtschaftlichen Maßnahmen im Rheinischen Revier, mit der verantwortungsvolle Entscheidungen getroffen und Genehmigungen für die RWE in Betracht gezogen werden könnten. Stattdessen werde die Bevölkerung bewusst über Tatsachen wie längere Flutungsdauer (schätzungsweise 60 statt 40 Jahre) und offensichtlich bestehende Gefahren getäuscht, kritisiert Blanche Schwanke von Wasserbündnis Rheinisches Revier das Mammutprojekt.

Als abschreckendes Beispiel führt sie den Cottbuser Ostsee an, der seit 2019 mit Spreewasser befüllt wird und nie voll werden könnte. Zudem ist die Wasserqualität schlecht, was auch für die geplanten Seen im Rheinischen Revier nicht unwahrscheinlich ist. Aber dies werde verschwiegen und dafür vorgegaukelt, wie schön die perfekten Seen in der Lausitz seien, so Schwanke.

Darüber und über die Gesamtsituation im ehemaligen Braunkohlerevier Lausitz ist noch bis zum 12.11.24 die Doku „Auf der Kippe” auf 3sat in der Mediathek zu sehen, die auch die Machenschaften der LEAG beleuchtet, dem dortigen RWE-Pendant.

Des Weiteren setzt sich das Wasserbündnis für die größtmögliche Verkleinerung der Tagebaue Hambach, Garzweiler und Inden  ein, um einen sorgsamen Umgang mit Wasser und Land zu gewährleisten.

Ewigkeitsschaden für das Grundwasser einer ganzen Region

Der geplante Bau der insgesamt etwa 45 Kilometer langen RWTL zur Befüllung der Braunkohlenrestlöcher nach Tagebauende und zur Stützung der von der tagebaubedingten Grundwasserabsenkung betroffenen Feuchtgebiete wirft auch für den BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz) viele kritische Fragen auf. Die bisherigen Planungen seien aus ökologischen Gründen untragbar und würden zu einem Ewigkeitsschaden für das Grundwasser einer ganzen Region führen. Ähnlich kritisch wie das Wasserbündnis sieht der BUND die Entnahme des Rheinwassers und die bereits begonnenen Aktivitäten der RWE wie die Rodungen. Darüber berichtet der BUND umfänglich auf seiner Homepage.

Schon vor Jahrzehnten wurde die Entscheidung getroffen, die nach dem Ende der Braunkohleförderung verbleibenden Restlöcher künstlich mit Rheinwasser zu befüllen. Eine Alternative haben die Planenden nicht ernsthaft in Erwägung gezogen und erst gar nicht ergebnisoffen untersucht. Mit dem auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg wird die Umsetzung der Planung jetzt umso dringlicher.

Bereits 2020 war die Trasse für eine RWTL von Dormagen nach Frimmersdorf am Tagebau Garzweiler raumordnerisch festgelegt worden. Diese Leitung sollte dazu dienen, die grundwasserabhängigen Feuchtgebiete nördlich des Tagebaus Garzweiler für etliche weitere Jahrzehnte künstlich zu erhalten und nach dem Ende des Tagebaus den Grundwasserkörper sowie das Restloch zu befüllen. Denn mit dem absehbaren Ende der Sümpfungsmaßnahmen nach Tagebauende steht kein gehobenes Grundwasser mehr für die Stützung der Feuchtgebiete zur Verfügung, ein natürlicher Grundwasseranstieg würde Jahrhunderte benötigen, ehe die ursprünglichen Flurabstände wieder erreicht würden, so berichtet der BUND. Laut RWE soll auf Basis der derzeitig geplanten Entnahmemengen von Rheinwasser eine Befüllung der Tagebau-Löcher in rund 60 Jahren denkbar sein, zunächst sprach der Konzern von 40 Jahren. Nach Befüllungsende soll die RWTL weitere 30 Jahre betrieben werden, um sogenannte Versickerungsverluste auszugleichen. Erst wenn die Seen vollständig vom natürlichen Grundwasserstrom gespeist werden, wird die RWTL überflüssig. Wenn es denn jemals dazu kommt.

Ungefiltert rein in den See

Sehr beunruhigend ist auch der Aspekt der wechselnden Qualität des Rheinwassers, das sich nicht so ohne weiteres zur Füllung der Restlöcher, Grundwasserkörper und zur Versorgung der Feuchtgebiete eignet. Das Rheinwasser soll wohl lediglich mechanisch gesäubert und dann in Richtung der Restseen gepumpt werden.

Eine Überprüfung der Rheinwasserqualität vor Einleitung in die Rohrleitungen ist offenbar ebenso wenig vorgesehen wie der Einbau einer Reinigungsstufe. Das mit einer Reihe problematischer Schadstoffe belastete Rheinwasser würde sowohl durch direkte Infiltration als auch durch Verbindung mit dem Grundwasserkörper über viele Jahre in verschiedene Erdschichten bzw. Grundwasserleiter gelangen. Beispielsweise gelangten am 24.8. vom Klärwerk Leverkusen-Bürrig aus

kiloweise Pestizid-Rückstände und Ackergifte in den Rhein, die Bezirksregierung Düsseldorf löste Rhein-Alarm aus. Jedoch werden nicht alle problematischen Stoffe überhaupt von der Grundwasserverordnung erfasst.

Reinigungsanlagen und ­Messstellen gefordert

Im Chemiepark Leverkusen  fallen unter ­anderem Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) an, die als Ewigkeitschemikalien bezeichnet werden, weil sie sehr langlebig sind und in der Natur nicht abgebaut werden. Diese Abfallprodukte werden in Wupper und Rhein abgeleitet, schlimm genug, denn einige davon gelten als krebserregend. Bei einer Rheinwasserentnahme unterhalb des Chemieparks wäre eine deutlich schlechtere Wasserqualität zu befürchten als die im Rheinwassergütebericht der Landesregierung geforderte. Dieser Bericht erfasst zudem nur die Daten zur Wasserqualität bei Düsseldorf-Flehe und Stürzelbach. Beide Messstellen liegen deutlich flussabwärts, Düsseldorf auf der anderen Rheinseite. Zwingend erforderlich wäre, eine weitere Messstelle direkt flussaufwärts vor der Entnahmestelle für die RWTL einzurichten. Deren Daten müssten zur Grundlage für eine mögliche Entnahmegenehmigung gemacht werden. Die drängende Frage, was bei einem Störfall des unmittelbar oberhalb der Entnahmestelle liegenden Chemparks   passieren würde, ist ebenso beunruhigend wie bislang ungeklärt. Die Frage, ob die Entnahmepumpen rechtzeitig abgestellt werden könnten, ist bis dato unbeantwortet.

Die RWE müsse das Rheinwasser aufbereiten und reinigen, so die BUND-Forderung, bevor es in die Tagebaurestseen Hambach und Garzweiler oder in die Feuchtgebiete nördlich des Tagebaus Garzweiler eingeleitet wird. Hierfür sollte sichergestellt werden, dass eine oder mehrere Reini-gungsanlagen in ausreichender Dimensionierung eingeplant und errichtet werden. Die spätere Versorgung der Feuchtgebiete mit Ersatzwasser sollte unbedingten Vorrang vor der Befüllung der Restlöcher bekommen. Besonders kritisch wird es in Trockenperioden und bei Niedrigwasser des Rheins. Nicht einkalkuliert werden können bereits jetzt die Ausmaße des Klimawandels. Vor allem die zunehmende Gletscherschmelze hat einen großen Einfluss auf den Pegelstand des Rheins.

Wer soll das bezahlen?

Gewährleistet ist bislang offenbar auch nicht, dass die vorgesehenen und geforderten Maßnahmen, auch wiederum für viele Jahrzehnte, nach Bergbau- und Wasserumleitungsende aufrechterhalten werden müssen. Dafür liegen bislang keine ausreichenden Sicherheiten seitens der RWE vor.

Es darf nicht dazu kommen, dass letztendlich die Steuerzahlenden für die nicht absehbaren Langzeitfolgen aufkommen müssen. Nach dem Verursacherprinzip sollte die RWE verpflichtet werden, die Folgekosten ihres gigantischen Vorhabens zu tragen. Sie will schließlich auch die Gewinne kassieren. À propos Kosten: Eigentlich ist die Entnahme von Wasser aus dem Rhein kostenpflichtig, denn nach dem Wasserentnahme-Entgeltgesetz NRW erhebt das Land für das Entnehmen und Ableiten von Wasser aus oberirdischen Gewässern ein Entgelt in Höhe von 5 Cent pro Kubikmeter. Da käme im Falle der RWE-Pläne ein hübsches Sümmchen zustande. Diese Einnahmen sollen der Finanzierung von Maßnahmen zur Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie wie etwa der Renaturierung von Fließgewässern dienen. Die RWE jedoch gedenkt nicht, dafür zu zahlen, der Konzern ist der Ansicht, dass das nicht erforderlich sei. Der grüne NRW-Umweltminister Oliver Krischer ist hingegen anderer Meinung und stellte kürzlich gegenüber dem WDR klar, dass RWE für die Folgekosten der Tagebaue aufkommen müsse und beruft sich hierbei auf eben dieses NRW-Wasserentnahme-Entgeltgesetz. Es scheint so, als ob auch hierüber das letzte Wörtchen noch nicht gefallen ist. Immerhin, so berichtete der WDR am 9.9.24 weiter, lägen die Pläne zur RWTL in den Rathäusern der betroffenen Städte, also unter anderem in Dormagen, Neuss, Grevenbroich, Rommerskirchen, Bedburg und Bergheim, jetzt aus. Damit können Einsprüche bei den zuständigen Bezirksregierungen gegen das Projekt erhoben werden. Eile tut Not, denn die RWE hat, wie eingangs berichtet, bereits Fakten geschaffen.

Ob die Seebefüllung funktioniert, die Stand­sicherheit der Böschungssysteme gewährleistet ist? Welche Folgen ergeben sich für das Grund­wasser? Welche ökologischen Funktionen können die Seen überhaupt erfüllen, besonders bei fraglicher Wasserqualität? Oder verteilen sich die Ewigkeitschemikalien sowie andere Gifte in Billionen Kubikmetern Wasser? Wir baden schließlich auch in anderen Gewässern, in denen alles ­Mögliche verklappt wird, und essen deren Lebewesen. Offene Fragen, die sich erst in vielen Jahren, von kommenden Generationen, beantworten lassen, wenn überhaupt. ³

Quellen: Wasserbündnis Rheinisches Revier, BUND, RWE, WDR, ZDF

Text: Christine
Grafik & Foto (Druckausgabe): Sven

Weitere Informationen:

Karte des Wasserbündis zur Zerstörung beim Bau der RWTL http://revierkarte.wasserbuendnis.org/pipe_map.html
Folgen für die Wasserwirtschaft und das Grundwasser https://bund-nrw.de/themen/braunkohle/hintergruende-und-publikationen/braunkohle-und-umwelt/braunkohle-und-wasser/
Immer weniger Wasser im Rhein durch Gletscherschmelze https://greenpeace.de/klimaschutz/klimakrise/berge-eis-gletscher-schmelzen
Keine beständige Wasserqualität im Rhein https://cbgnetwork.org/bayer-pestizid-loest-rheinalarm-aus/