TERZ 11.24 – MUSIC
Momentan werden tagtäglich hörenswerte Alben, 12“ und auch Singles veröffentlicht.
Suzan Köcher‘s Suprafon macht den Anfang mit ihrem dritten Album In These Dying Times. Der fluffige Psychedelicpop von Suzan Köcher ist mittlerweile für uns das Aushängeschild der aktuellen Pop - und Rockszene in Solingen geworden. Wer sie schon einmal live gesehen hat, hat ihre sympathische Bühnenpräsenz erleben dürfen. Neun Songs, die wieder einmal klar machen, warum die Klingenstadt Rock City # 1 ist. Die Indie & Dream Pop Elemente, gepaart mit den Kraut und Psychedelic Rock Einflüssen harmonieren hervorragend miteinander. Mal verträumt, dann wieder von Julian Müller (Blackberries / Palace Fever) an der Gitarre nach vorne gespielt, verschiedene Analoge Synthesizer, die die sphärischen Momente betonen, setzen den Sound authentisch um. Der neuen Rhythmus-Fraktion mit Janis Rosanka am Bass und Dale Lohse an den Drums, hört man nicht an, dass sie erst seit diesem Album zusammen spielen. Natürlich wie gehabt auf Unique Records, dem Label unseres Vertrauens aus Düsseldorf.
Als ich die Tage mal wieder bei Slowboy Records in Flingern war, wurde ich auf Jackson C. Frank (Jackson Carey Frank) aufmerksam. Das selbstbetitelte (s/t) Album aus dem Jahr 1965 ist eine dieser vergessenen Perlen, die man irgendwo hört und sich denkt: Warum kenne ich das Album nicht? Was vielleicht an dem sehr frühen Tod des Amerikaners 1999 im Alter von 56 Jahren liegt?! Außerdem ist das Debüt das einzige offizielle Album, welches von Jackson C. Frank zu Lebzeiten veröffentlicht wurde. Das Album wurde von niemand geringerem als Paul Simon produziert. Der dann später, wie wir nachgelesen haben, auch bei seinen eigenen Veröffentlichungen als Produzent tätig war. Neben Paul Simon hat er Nick Drake, Sandy Denny, Bert Jansch und viele andere mehr musikalisch beeinflusst. Rolling Stone Journalist David Fricke bezeichnet Jackson C. Frank als „one of the best forgotten songwriters of the 1960s.“[1]
Nur mit seiner Akustikgitarre ausgestattet, schafft es J.C.F. ein komplettes Album zu füllen, ohne dabei langweilig zu werden. Eine der Überraschungen des Jahres! Unser Anspieltipp: Milk And Honey. Wiederveröffentlicht auf Antarctica Starts Here, einem Label spezialisiert auf die 60ger und 70ger Jahre.
Fast genauso slow, aber sehr viel krachiger ist das Debüt von Death By Gong aus Berlin. Das Noise Rock & Shoegaze Trio haut mit Descalator aber auch so richtig einen raus. Was daran liegen dürfte, dass alle drei Bandmitglieder schon seit Jahren in diversen Bands aktiv und definitiv keine Neulinge im Post Hardcore - Metal - Rock Bereich sind. Bassist und Labelinhaber Christian Breuer, war bei The Ocean dabei und spielt noch aktiv bei Heads. und Zahn. Gitarrist Jobst M. Feit ist noch Mitglied bei Llynch und Radare. Drummer Peter Voigtmann war Mitglied bei den Heads. und schwingt immer noch die Sticks bei The Ocean. Unterstützt werden die drei von Fabian Bremer am Keyboard, der auch für das Artwork verantwortlich ist. Fabian selber ist als Musiker bei Actress, AUA, Radare und Velcros bekannt geworden. Bei so viel Namedropping dürfte klar sein, was euch erwartet. Ausgefeilte Sound - und Songstrukturen, 1A produziert, gemixt und gemastert. Die Wall Of Sound packt uns beide zu 100%! Erschienen auf dem Berliner Label Crazysane Records, das bekannt dafür ist, keine leichte Kost im Programm zu haben.
PS. Der Erstauflage des Albums liegt eine Single bei, die zwei non Album Tracks beinhaltet.
Ein weiteres, sehr etabliertes Berliner Label ist Morr Music. Auf diesem haben die Orcas ihr drittes Album How To Color A Thousand Mistakes veröffentlicht. Angesprochen durch das „Die-Cut“ Cover-Artwork[2], entdeckt bei a-musik in Köln, besuchte ich die Band samstags kurz auf ihrer Bandcampseite. Verdreamter Indie-Pop mit anmutigen Melodiebögen und klarem Gesang. How To Color A Thousand Mistakes ist das dritte Album nach 10 Jahren Pause der beiden Musiker Rafael Anton Irisarri und Benoit Pioulard aka Thomas Meluch. Die beiden amerikanischen Multiinstrumentalisten, Komponisten und Songwriter schaffen es, ein beschwingtes Album vorzulegen, das eher nach Frankreich und Air, als den USA klingt. Auch Slowdive Drummer Simon Scott, der das Schlagzeug eingespielt hat, hat den Sound hörbar beeinflusst. Nach mehrmaligem Anhören bemerkte Mrs. Cave, als selbsternannte Meer-, Insel- und Cetaceaexpertin, die müssten doch eigentlich Die Belugas heißen.
Nach so viel Melancholie müssen wir erst einmal wieder wach werden und da hilft nur Gewalt.
Helen Henfling, Jasmin Maria Rilke und Patrick Wagner sind auf ihrem neuen Album Doppeldenk so brachial, wie wir es erwarten und auch nicht anders wollen. Harte und treibende Drums vom LMMS. Fast schon nihilistische Texte, von Patrick Wagner beißend vorgetragen. Helen Henfling und Jasmin Maria Rilke stoisch und doch peitschend an Gitarre und Bass. Gewalt ist eine der wenigen Bands die ihre erdrückende Liveperformance eins zu eins auch auf ihren Tonträgern wiedergeben kann. Wer Gewalt schon einmal live gesehen hat, weiß, was wir meinen. Während Patrik Wagner stets dem Publikum zugewandt ist, hat man bei Helen Henfling und Jasmin Maria Rilke immer Angst, dass die beiden gleich ihre Instrumente weglegen und im günstigsten Fall nur Korn trinken. Wenn es nicht so gut läuft, verwenden die beiden dich als Christbaumschmuck an dem Dosenbier-Weihnachtsbaum. Wer bei dem Konzert am 14.12.2018 im Super 7000, Kulturschlachthof Derendorf dabei war, kann das eventuell nachvollziehen. Es gab Dosenbier und Korn, für nur einen 1 Euro! Es war arschkalt in der Lagerhalle, der Atem kondensierte, alle konnten den Winterparka getrost anlassen. Hatte ich einen Kater am nächsten Tag! Gewalt ist geil!
Das angekündigte Konzert der französischen Band Deûle am 02.11.24 im Linken Zentrum fällt leider aus. Gitarrist JB hat kurzfristig die Band verlassen, wie uns Drummer Pierre mitteilte. Was wirklich sehr ärgerlich ist, denn das s/t Tape ist sehr vielversprechend. Mrs. Cave, der Oberbilker, eigentlich die ganze Konzertgruppe (Unter keiner Flagge) haben sich so sehr auf die Show gefreut! Angecrusteter Black Metal aus Lille mit Noise / Industrial Einflüssen. Trotzdem melodisch dank Sängerin und Keyboarderin Elya, die aber auch die harten Black Metal Parts eindrucksvoll rüberbringt. Ihr Keyboardspiel und der französische Gesang tragen zum atmosphärischen Sound bei, der Deûle von den obligatorischen Black Metal Bands maßgeblich absetzt. Das Leben im Norden Frankreichs nahe der belgischen Grenze ist halt kein Zuckerschlecken und das hört man Deûle an.
Unsere All Time Favs Japandroids aus Vancouver, Kanada legen mit ihrem vierten Album Fate & Alcohol leider auch ihr mutmaßlich letztes Album vor. Gitarrist Brian King und Schlagzeuger David Prowse, beide auch am Gesang, schrieben Fate & Alcohol schon im Jahr 2017 bei ihrer Near To The Wild Heart Of Life Album Tour. Mrs. Cave und ich haben die beiden damals live im Gebäude 9 in Köln gesehen und sind heute noch begeistert von dem Konzert. Leider werden die Japandroids diesmal nicht auf Tour kommen und hinterlassen uns nur Fate & Alcohol zum Abschied. Schicksal und Alkohol, passt irgendwie zu den vergangenen Jahren, wobei Japandroids noch einmal zeigen, was sie so besonders und außergewöhnlich „gemacht“ hat. Irgendwo in einer Kritik stand mal, klassische Rock Einflüsse, wie bei Tom Petty, gepaart mit der punkigen Attitüde von Hüsker Dü. Gitarre und Schlagzeug melodisch nach vorne gespielt, tragender Gesang, alles erinnert an Emo - oder College Rock aus der 90ern im positivsten Sinne! Japandroids sind eine Band, die Lust auf das Leben, auf Musik und Konzertbesuche macht. Auch wenn die beiden auf dem Cover von Fate & Alkohol alt und müde aussehen, was sie selber in einem Interview bekundeten. Ich frage mich deswegen, würde Fate & Alkohol auch so „positiv“ klingen, wenn es in 2024 und nicht 2017 aufgenommen worden wäre? Nichtsdestotrotz, das perfekte Album, um dich nach vorne zu bringen!
Aus UK kommt momentan nicht nur sehr guter Punk und Post-Punk. Porridge Radio haben mit Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me ein Indie-Pop Album vorgelegt, welches musikalisch eher in der Singer - Songwriter Szene Nordamerikas anzusiedeln ist. Gegründet 2015 in Brighton, als solo Lo-Fi Schlafzimmer Projekt und Alias von Dana Margolin ist Porridge Radio jetzt als Band in London zuhause. Dana Margolins Stimme trägt das komplette Album, von zerbrechlichen, persönlichen Momenten bis hin zu explodierenden Gesangsparts. Begleitet von klassischer Rock Instrumentierung, wird sie bei manchen Stücken von Trompete, Flügelhorn und Violine begleitet. Im englischen gibt es den Begriff „Sadcore“ und eine grundsätzliche Traurigkeit verbreitet Porridge Radio auch. Dana Margolins Texte sind sehr persönlicher Natur, das steht auch in allen anderen Kritiken. Darum einfach die Anfangsstrophe aus dem letzten Song auf Seite B, Sick Of The Blues: „I‘m sick of the blues, I‘m in love with my life again; I‘m sick of the blues, gonna give in to everything; I‘m sick of the blues, I‘m in love with my life again; And I‘m sick of the blues, gonna give in to everything …“. Schöner können wir unsere Kritik für Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me nicht abschließen. Erschienen auf Secretly Canadian, Bloomington, Indiana, USA.
Als letztes besuchen wir unsere Nachbarn Tramhaus aus Rotterdam. Die fünfköpfige Post-Punk Band hat nach diversen Singles und einer EP im September diesen Jahres ihr Debütalbum The First Exit auf Subroutine Records, Groningen veröffentlicht. Ab und zu fragen wir uns ja, wann der Post-Punk Hype vorbei ist, aber bis jetzt ist glücklicherweise kein Ende abzusehen, nicht in UK und auch nicht International! Die fünf Holländer*innen Jim Luijten, Julia Vroegh, Lukas Jansen, Micha Zaat und Nadya van Osnabrugge machen wieder mal klar, dass Post-Punk nicht gleich Post-Punk ist, sondern ein abwechslungsreiches, nuanciertes Genre. Klar, die gewisse Nöligkeit und Angepisstheit gehört dazu, denn sonst wäre es kein (Post-) Punk. Tramhaus schafft es den labbrigen holländischen Flipje Vla in alten abgelagerten Gouda mit Härte, Kante und Geschmack umzuwandeln. Das Aroma prägt sich ein, macht süchtig und wir wollen immer mehr davon! Eine Attacke aus Holland auf unsere Ohren, die sich gewaschen hat. Es wird Zeit, mal wieder nach Venlo zu Sounds zu fahren und die Hollandfächer durchzustöbern!
Wie oben schon erwähnt: das Deûle Konzert am 02.11.24 im Linken Zentrum fällt leider aus.
Das nächste Konzert von Unter Keiner Flagge ist am Samstag, den 16.11.24 geplant. Neon Neon und ihr Debüt Rot haben wir ja letztes Jahr in der terz besprochen und wir freuen uns die sympathischen Bremer*innen in Düsseldorf als Gäste begrüßen zu dürfen. Beim Support lasst euch einfach überraschen.
Grüße und alles Gute für den November wünschen euch Mrs. Cave und der Oberbilker
[1] Wikipedia / Abbott, Jim (November 11, 2014). Jackson C. Frank: The Clear, Hard Light of Genius. Ba Da Bing Records. ISBN 978-0-9909164-1-3.
[2] Die-Cut, Ausstanzungen am Cover. Meistens ist das Innencover designtechnisch an das Gesammtlayout angepasst und es entsteht eine künstlerische Aufwertung des Plattencovers (ein Gimmick).