TERZ 12.24 – GESCHICHTSSTUNDE
Gerhard Richters buntes Glasfenster am Kölner Dom war einigen zu bunt. So etwas passe in eine Moschee, nicht aber in den Dom, ereiferte sich Joachim Meisner. Der Erzbischof sprach in anderem Zusammenhang gar von „entarteter Kultur“ und „bediente sich somit der Terminologie der Nationalsozialisten“, hieß es September 2007 in den ARD-Tagesthemen. Das ist sachlich falsch. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Nazis hatten sich vieler im Volk virulenter Ressentiments bedient, die sie später in grausame Politik ummünzten. Und wie das Beispiel Meisner zeigt, wirken diese Ressentiments gegen alles Fremde auch heute noch bis in die Spitzen unserer Gesellschaft weiter. Mit seiner Äußerung nahm Meisner offensichtlich Bezug auf Friedrich Schlegel. Der sprach einst von „entartetem Geschmack“ und theoretisierte über die „Rückkehr der entarteten Kunst zur echten, vom verderbten Geschmack zum richtigen“ (Quelle: „Über das Studium der griechischen Poesie“, 1797).
Die Schriftstellerin Fanny Lewald hatte auf dem Weg ins revolutionäre Paris im März 1848 Zwischenstopp in Düsseldorf gemacht und Künstlerateliers besucht. Sie registrierte eine Spaltung „in kirchliche und weltliche“ Maler, wobei die Künstler analog dazu auch „in der Politik zwei Parteien“ bilden würden. Vor allem Carl Friedrich Lessing, ein Großneffe des Dichters der Aufklärung, habe „zu frischem Fortschritt“ aufgerufen.
Düsseldorf war in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Brennpunkt des Konflikts zwischen einer dem Mittelalter zugewandten religiösen und einer aufgeklärten Kunst geworden. Der 1829 hier gegründete „Kunstverein für die Rheinlande und Westphalen“ mit Sitz in Düsseldorf hatte in seinen Statuten festgelegt, einen Teil der Mitgliedsbeiträge zur Förderung von Kunst im Öffentlichen Raum bereitzustellen. Eduard Bendemanns „Die Juden im Exil“ war das erste Gemälde, das mit dieser Maßgabe erworben wurde. Der Verein trat 1832 mit dem Kölner Erzbischof zwecks Anbringung in „St. Maria in Capitol“ in Verhandlungen. Da Bendemann aus einer jüdischen, zum Protestantismus konvertierten Berliner Familie stammte und die Darstellung zudem nicht der traditionellen katholischen Ikonographie entsprach, war die Offerte ein Akt im Geiste der Aufklärung. Obwohl der Kunstverein zugesagt hatte, für 70 Prozent der Kosten aufzukommen, kam eine Vereinbarung nicht zustande (es heißt, Kardinal Ferdinand August von Spiegel habe bei den Verhandlungen geäußert, das Motiv passe nicht in eine katholische Kirche; das Wallraf-Richartz-Museum kaufte das Werk zu gleichen Konditionen an). Bendemann fertigte mehrere Repliken, und nach kurzer Zeit hingen auch die von Ferdinand Ruscheweyh 1832 in Kupfer gestochenen Reproduktionen des Gemäldes an vielen Orten aus. In „Die Düsseldorfer Malerschule und ihre Leistungen seit der Errichtung des Kunstvereins im Jahre 1829“ konstatiert Hermann Püttmann 1839: „Bendemann’s Judenbilder sprechen ein tiefernstes Wort hinein in die Tagesdebatten über Emancipation des unglücklichen Volkes.“ Püttmann knüpft an die Ideen der Aufklärung an, zitiert ausführlich die Laokoon-Schrift, in der Gotthold Ephraim Lessing erklärt, er werde ausschließlich Werke, „in welchen sich der Künstler wirklich als Künstler [hatte] zeigen können“, als Kunstwerke anerkennen. „Alles Andere“, so Lessing, „woran sich zu merkliche Spuren gottesdienstlicher Verabredungen zeigen, verdienet diesen Namen nicht […].“
Im Folgejahr erfolgte die Rolle rückwärts: Friedrich Wilhelm IV bestieg den Thron. Der Historiker Golo Mann urteilt in „Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ über diesen Preußenkönig: „Seine Ideen sind die des Romantikers, der mit seinem Zeitalter zerfallen ist.“ Der König hetzt in einem Brief an einen Freund gegen die „schnöde Judenclique“, die das „Zusammensudeln aller Stände“ wolle. Nach seiner Vorstellung soll die Gesellschaft hingegen „prachtvoll hierarchisch geordnet sein: dienende, fröhliche Bauern, biedere Bürger, frommer Klerus, treuer Adel, der Fürst im Kreise seiner Vasallen.“ Diese Auffassung machte ihn zum Wahlverwandten der „Nazarener“, einer Gruppe Maler, die das Mittelalter als traute Harmonie von Thron und Altar und frommen Untertanen in ihren Gemälden idealisierten. In der Rheinischen Zeitung bringt es Theodor Opitz Dezember 1842 auf den Punkt: „Jetzt will man mit dem schlechtsten Kleister/ Ein neues Mittelalter baun,/ Mit frommem Qualm die freien Geister/ Betrügen um ihr Selbstvertraun.“
Die staatsbürgerliche Gleichstellung des jüdischen Teils der Bevölkerung wurde in der Rheinprovinz nun demonstrativ auf die Tagesordnung gesetzt: In Aachen, Bonn, Düsseldorf, Köln, Saarbrücken und Trier initiierten Bürger*innen Petitionskampagnen, so dass die „Gleichstellung 1843 beim siebten Rheinischen Provinziallandtag eines der Schwerpunktthemen bildete.“ (Marina Sassenberg in „Wegweiser durch das jüdische Rheinland“, Berlin 1992) Als sich die Abgeordneten mehrheitlich für die Gleichstellung aussprachen, verhinderte der Preußenkönig die Umsetzung des Beschlusses durch sein Veto.
Der König strebte stattdessen den Schulterschluss von Katholizismus und Protestantismus an, bei gleichzeitigem Ausschluss des jüdischen Teils der Bevölkerung. Bald schossen neugotische Kirchen im ganzen Reich wie Pilze aus dem Boden. Wandbilder und Mosaiken zelebrierten in diesen ein idealisiertes Mittelalterbild. Nichtsdestotrotz erhielt sich in weiten Teilen der Bevölkerung eine liberale Gesinnung. Vor allem die 1904 in der Düsseldorfer Kasernenstraße erbaute große Synagoge hatte eine über die jüdische Glaubensgemeinschaft hinaus wirkende Strahlkraft. Im Verwaltungsbericht der Landeshauptstadt Düsseldorf 1922-1924 wird angemerkt, dass die jüdische Gemeindeverwaltung „für die Belebung des geistigen Lebens und für die bessere Würdigung des Judentums durch öffentliche Vorträge in der Synagoge“ viel getan habe: „Es wurden in jedem Jahr Zyklen von sechs Vorträgen gehalten, die sich eines guten Besuches von Gemeindemitgliedern und von Andersgläubigen erfreuten.“
Die Synagoge fiel in der Pogromnacht vom 9. November 1938 einem von den Nazis organisierten Brandanschlag zum Opfer. Die Installation „missing link_“ von Mischa Kuball will das Fehlen dieses Verbindungsglieds ins Bewusstsein heben. (siehe nebenstehenden Artikel) ³
Thomas Giese
Der Autor befasste sich in „Der Heilige Rock zu Trier und die Schlesischen Weber“ ausführlich mit der Thematik, erschienen in „Ästhetik im Vormärz“; kostenloser download unter aisthesis.de