„Ich habe erst mit meiner Band Postford angefangen, auf Tour zu duschen.“[1]

Die Welt ist voller schlechter Nachrichten, aber Musik hilft, den ganzen Scheiß da draußen zu verdrängen! Dabei helfen uns in der dunklen Jahreszeit die neuen Alben von Peter Perret, High Vis, den Gurriers, The Body und deren Kollaboration mit Dis Fig. Außerdem The Bug, Chat Pile und Grim Silence.

Der über 70jährige Peter Perrett (Peter Albert Neil Perrett), ehemals Sänger der The Only Ones hat sein drittes Soloalbum auf Domino veröffentlicht. The Cleansing schließt nahtlos an die beiden Vorgängeralben How The West Was Won (2017) und Humanworld (2019) an. Englischer Pub-Rock mit verbrauchter Stimme, einer gehörigen Portion Punk-Attitüde und einer Frisur, die aussieht wie ein schlecht gefärbtes Schamhaartoupet, machen The Cleansing musikalisch und optisch zum Herbsthighlight.

Namen wie Bobby Gillespie und Jonny Marr adeln das Album. Seine Söhne Jamie und Peter Jr., beide ehemals Babyshambles, unterstützen ihn bei fast allen Songs an der Gitarre und am Bass. Weitere illustre Namen sind zum Beispiel Alice Go (Deam Wife) oder Carlos O‘Connell (Fontaines D.C.). Alles in allem also ein Melange aus alten und neuen Wegbegleiter*innen sowie Familienangehörigen. Gesundheitlich seit Jahren angeschlagen, durch eine Lungenerkrankung und langjährigen Drogenkonsum, vergleicht er selber The Cleansing mit dem Alterswerk von Johnny Cash: „Johnny Cash doing his best work right at the end“. Seine Lebenseinstellung: „I always flirt with death / I look ill but I don’t care about it.“ wird in den 20 Songs textlich verarbeitet. Er ist dabei tatsächlich nicht nachtragend, seine fatalistische Lebenseinstellung trägt das Album über die 20 Songs hindurch. Hoffentlich ist The Cleansing nicht sein Abschiedswerk, und Peter Perret beglückt uns noch mit vielen weiteren Meisterwerken, die uns den Lebensabend versüßen.

Wenn euch die Japandroids Besprechung des Fate & Alcohol Albums aus der letzten terz Ausgabe angesprochen hat, hier der Nachschlag. High Vis aus London haben mit ihrem dritten Album Guided Tour die Bigband Version der Japandroids vorgelegt. Hymnisch, mit viel 80ger Jahre Anklängen, treiben uns die fünf Londoner durch die Außenbezirke der Megacity. Dabei schaffen sie es, die englische Popkultur mit der rotzigen (Post-)Punk Attitüde der Insel erfrischend neu zu konzipieren. Verspielt, fast schon mit Disco Anleihen, dann wieder brachial, einfach nur auf die 12. Wie schon in der letzten Ausgabe erwähnt, es ist erstaunlich, wie viele musikalischen Spielarten es beim Genre Post-Punk immer wieder zu entdecken gibt. Bei High Vis liegt es vielleicht auch daran, dass alle 5 Bandmitglieder schon in diversen HC Bands gespielt haben und es deswegen schaffen, den Druck kontinuierlich zu halten. Als Anspieltipp empfehlen wir euch den Clip des Songs Mind‘s A Lie bei You Tube: „What Is Truth When Your Mind‘s A Lie?“ Erschienen auf Dais Records, USA.

Von London geht es rüber nach Dublin. Die Iren Gurriers sind auf ihrem Debüt Come And See dann wieder eher klassisch unterwegs, stehen aber keineswegs im Schatten von High Vis. Gurriers ist ein althergebrachter irischer Begriff für Raufbolde und Störenfriede und das passt natürlich auch zur Musik. Wütend, wer hätte etwas anderes erwartet, laut und kompromisslos wird mit allem abgerechnet, was, auch in Irland, gerade aus dem Ruder läuft. Die Probleme sind die gleichen, die es europaweit gibt, soziale Ungerechtigkeit, das Erstarken von rechten Parteien, die Schattenseiten der aktuellen Jugendkultur. Die Gurriers erfinden das Rad nicht neu, sie lassen es aber erfrischend schnell und gekonnt laufen. Zu den Punkelementen gesellen sich hier Noise und Shoegaze Einflüsse. Der Titletrack und letzte Song des Albums, Come And See, spiegelt die Essenz des Debüts am besten wieder. Die Hälfte der Songs sind bei Bandcamp bereits als digitale Singles veröffentlicht worden, die anderen werden es wohl noch. Zu dem Label No Filter haben wir keine Informationen gefunden, es sieht aber so aus, als sei es das Bandinterne Label.

Die Experimental Metaller The Body aus Portland, Oregon, haben uns in diesen Jahr mit zwei Alben verwöhnt. Anfang des Jahres erschien die Zusammenarbeit mit Dis Fig aka Felicia Chen, Orchards Of A Futile Heaven und jetzt im November The Crying Out Of Things. Beide Alben sind brutal und verstörend gut. The Body sind Chip King, Gitarre & Gesang und Lee Buford, Percussions & Electronics. The Body wurde 1999 in Providence, Rhode Island gegründet, veröffentlichten ihr erstes s/t Album The Body 2004 und zogen dann 2012 nach Portland, Oregon. Sehr früh erarbeiteten sich Chip und Lee einen Namen in der Metal Szene. Die experimentellen und elektronischen Noise Elemente setzten neue Maßstäbe und begeisterten Metalheads, Punks und Elektroniker genauso wie Hardcore Fans. Das neue Album The Crying Out Of Things ist dann auch die Weiterführung des Releases vom Jahresanfanges. Chip schreit sich wieder die Seele aus dem Leib, als wenn es keinen Sonnenaufgang mehr zu erleben gibt. Dazu harte Noise-Soundkollagen, teilweise untermalt mit tribalartigen Schlagzeugeinsätzen, die dann in einen harten Industrialbeat übergehen. Selbst Hörner und Strings kommen zu Einsatz. Am Gesang werden die beiden wieder von Felicia Chen sowie Ben Eberle (Sandworm)[2] unterstützt. Auf der Rückseite des Covers prangt groß, ohne weitere Informationen, „Love Cannot Come Here“. Sowieso sind The Body in ihren Titeln immer sehr eindeutig, wie zum Beispiel beim Album von 2016 No One Deserves Happiness.

Beide Alben wurden wieder von Seth Manchester im Machines With Magnets Studio aufgenommen und produziert. Seth Manchester arbeitet seit Jahren mit The Body zusammen und unterstützt diese teileweise auch an den Sounds und Keyboards.

Die Zusammenarbeit mit Dis Fig (Felicia Chen) stand bei uns auf der Liste der Platten für den Jahresrückblick im Dezember, schafft es aber aufgrund der aktuellen Veröffentlichung schon jetzt in die terz. Felicia Chen ist eine Produzentin und DJane, die in Berlin und New York beheimatet ist. Aufgefallen ist sie uns 2020, als sie mit The Bug aka Kevin Richard Martin das Album In Blue veröffentlicht hat. Auch dort war sie als Sängerin tätig und hat das Album maßgeblich geprägt. Die 2024 Kollaboration mit The Body ist einfach nur grandios, weniger Metal, mehr Elektronik und eine fantastische Felicia Chen am Gesang. Falls Putin die Atombombe zünden sollte und der Weltuntergang Fakt wird, ist Orchards Of A Futile Heaven der perfekte Soundtrack dazu. Die Platte auflegen, einen sehr guten Whisky einschenken und die ionisierende Strahlung genießen. Falls dann noch Zeit ist, The Crying Out Of Things auflegen und den zweiten Whisky genießen. Weglaufen macht keinen Sinn, glaubt dem Oberbilker, der weiß das. Beide Alben sind auf Thrill Jockey, New York veröffentlicht worden.

Der Londoner The Bug aka Kevin Richard Martin machte sich als erstes einen Namen als Elektroniker und Produzent im Grime, Hiphop, Ragga, Dubstep und Dub Techno Bereich. Seine eigenen Veröffentlichungen wurden immer experimenteller, droniger, krachiger und abgespaceter. Erwähnenswert ist seine 2016er Zusammenarbeit Concrete Desert mit Earth[3], erschienen auf Ninja Tune. The Bug hat 2023 drei digitale EP‘s mit dem Namen Machine I / II / III heraus gebracht, diese wurden nun mit Machine IV / V als Doppel LP auf Relapse veröffentlicht. Harte industrielle Dubstep Beats, langsam und schleppend, mit einem Bassriff das den Dachstuhl beben lässt. Falls nach dem Atomschlag noch Leben auf der Erde vorhanden ist, das ist der Postapokalyptische Soundtrack dazu.

Wie eine langsam andauernde Hetzjagd klingt das zweite Album von Chat Pile. Die Noise Rock / Post-Hardcore Band aus Oklahoma City ballert auf Cool World langsam und erbarmungslos alles nieder was sich ihr in den Weg stellt. Sänger Raygun Busch aka Randy Heyer überschlägt sich in den Tonlagen, von tiefsten Tiefen zu höchsten Höhen wird die gesamte Bandbreite abgearbeitet. Luther Manhole aka Griffin Sansone liefert mit den langsamen Gitarrenriffs die Begleitung dazu und erweitert das Ganze mit Glockenspiel! Die Rhythmusfraktion mit den Brüder Stin aka Austin Tackett am Bass, Synthesizer & Tape Loops und Cap‘n Ron aka Aaron Tackett an den Drums „eckt“ das Ganze dann ab. Auch schwerverdauliche Kost, die sich hervorragend in das momentane Zeitgeschehen einfügt. Flenser Records, USA.

Den Abschluss machen die Düsseldorfer*in­nen Grim Silence mit ihrem Debütalbum First Course. Letzten Monat haben Grim Silence im Linken Zentrum gespielt und First Course, welches im August veröffentlicht wurde, vorgestellt. Schneller aggressiver HC/Punk mit metallischen Einflüssen, der sich hinter den vorherigen, oben besprochenen, internationalen Acts nicht zu verstecken braucht. Den Druck und die Aggressivität die Grim Silence live im LZ präsentierten, schaffen sie auch eins zu eins im Studio zu verpacken. Soundtechnisch sogar noch besser, was vielleicht daran lag, dass Sängerin Mascha gesundheitlich angeschlagen war und nicht so böse shouten und growlen konnte, wie wir es sonst von ihr gewohnt sind. Zum Glück war der Rest der Band mit Katja an den Drums, Lukas am Bass und Tobi an der Gitarre fit und konnten so den Soundlevel live hoch halten. Eines der Releases des Jahres aus Düsseldorf und das Aushängeschild der gerade explodierenden Metal-HC-Punk-Szene in NRW. Veröffentlicht auf Santa Diabla, Havixbeck.

Das nächste Konzert von Unter Keiner Flagge ist am Freitag den 06.12.24 um 19 Uhr im Linken Zentrum. Pogendroblem, Preisträger des Holger Czukay Preiss für Popmusik der Stadt Köln 2024, Theilen aus Düsseldorf und Mathilda Tastenpunk (Piano Punk Cover) erwarten den Nikolaus.

Wir sehen uns, Mrs. Cave und der Oberbilker

[1]  Zitat von Roberta Menendez, Sängerin bei Neon Neon und Postford, morgens beim Bandfrühstück nach dem Konzert am 16.11.24 im Linken Zentrum, das konnten und wollten wir euch nicht vorenthalten!
[2]  Auch empfehlenswert, das Split Album von The Body und Sandworm aus dem Jahr 2014.
[3]  Earth wurde 1989 von Slim Moon, Dylan Carlson und Kurt Cobain (ja, der Kurt) gegründet und sind eine Legende im Amerikanischen Drone, Post Rock und Doom Metal. Mein Anspieltipp von Earth ist das 2005 Album Hex; Or Printing In The Infernal Method, erschienen auf Southern Lord, dem Sunn O))) Label. Einziges konstantes Mitglied bei Earth ist Dylan Carlson, dieser hat auch (FunFact) den Soundtrack für den deutschen Western Gold mit Nina Hoss in der Hauptrolle komponiert.