Das Geschäft mit dem Tod

Ein Rückblick auf zwei Jahre Zeitenwende und die Vorgeschichte nebst Auszügen aus einer Ostermarsch-Rede von Peter Bürger.

Zum Neujahr ein Blick zurück: Anfang der 1970er Jahre hatten die Verhandlungen über einen Waffen­exportstopp schon kurz vor dem Abschluss gestanden, erinnerte sich Valentin Falin 1993 bei einer Veranstaltung der International Peace Foundation im Haus der Kulturen in Berlin. „Aber dann haben unsere USA-Partner gesagt: In alle Regionen der Welt außer Israel und manchen anderen Staaten.“ So könne das aber nicht funktionieren. „Entweder gibt es eine komplette Lösung oder es gibt keine.“ Deshalb blieb das Problem „ungelöst und wird mit jedem Tage schärfer.“ Und wenn heute alle, „die etwas an Waffen verdienen, diesem Unfug und irrationalem Denken kein Ende bereiten, dann haben wir niemanden zu tadeln, dass es so unruhig und so gefährlich in dieser Welt geworden ist.“

Der einstige russische Diplomat und von 1971 bis 1978 Botschafter der Sowjetunion in der Bundesrepublik saß 1993 gemeinsam mit Henry Kissinger und Egon Bahr auf dem Podium in Berlin. Falin mahnte: „Wir dürfen heute keine Zeit verlieren.“ Die wichtigsten Probleme hätten ganz andere Namen wie z.B. „Ökologie“. Diese Podiumsdiskussion ist auf YouTube nachzuhören. Ebenfalls dort eingestellt ist ein Interview, das Sandra Maischberger mit Egon Bahr nur wenige Monate nach dem Angriffskrieg der NATO gegen Serbien führte. Bahr war gerade von der Münchener Sicherheitskonferenz des Jahres 2000 zurückgekehrt und gestand: „Ich muss sagen, ich war erschrocken über die Tagung.“

Bei der Diskussion über die Lehren, die zu ziehen sind, sei dies auf das rein Militärische reduziert worden. Die Diskussion habe sich ausschließlich um die Frage gedreht, „wie bereiten wir uns auf den nächsten Krieg und wie bereiten wir uns auf die nächsten Schlachten vor.“ Insbesondere vom US-Verteidigungsminister Cohen sei die Diskussion in diese Richtung gedrängt worden. Das politische Umfeld wurde gar nicht diskutiert, die Frage, „ob man alles getan hat, um nicht bomben zu müssen“, auch nicht. Über die Frage, was mensch für politische Fehler vorher gemacht hat, die mensch „künftig vermeiden will“, kein Wort. Und das sei doch schon sehr beunruhigend.

Auf Maischbergers Nachfrage bekräftigte er: „Natürlich sind auch neue Waffen ausprobiert worden.“ Er verglich die aktuelle Situation (also die im Jahr 2000) zwischen Russland und dem Westen mit zwei Zügen, die aufeinanderzurollen. Bahr ließ keinen Zweifel daran, dass bei diesem Konfrontationskurs der Westen, die NATO und insbesondere die USA die treibende Kraft seien. Das Interview hatte Sandra Maischberger im Auftrag der ARD geführt. Es ist, wie bereits erwähnt, weiterhin im Netz verfügbar.

Düsseldorf – a global player

Düsseldorf spielt bei dem Ganzen eine nicht unwichtige Rolle. Der Rheinmetall-Konzern hat hier seinen Hauptsitz. Im Ersten Weltkrieg war er nach Krupp der zweitgrößte Waffenproduzent und -exporteur. Im Zweiten Weltkrieg stattete er das expansionswillige Nazi-Imperium mit allem aus, was dieses begehrte. Auch nach 1945 führte der Konzern mit gleichem Elan seine Geschäfte weiter, wie allein schon die Schlagzeilen belegen. So z.B. die in BILD vom 22. Januar 1986: „Staatsanwalt klagt vier Rheinmetall-Manager an: Maschinen-Gewehre an Scheichs, Geschütze für den Falkland-Krieg“. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft heißt es: „Sie haben Kriegswaffen ohne Genehmigung ausgeführt und die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik erheblich gestört.“ Kurzzeitig wurden drei der Manager sogar festgesetzt, kamen gegen eine Kaution von 23 Millionen schnell wieder frei. „Angeklagte gewinnen Zeit“, lautete die Headline in der Frankfurter Rundschau vom 14. Januar 1986. Dann Rheinische Post, 29. April: „Angeklagte erhalten Kaution zurück“ – NRZ, 28. Mai 1986: „Rheinmetall-Manager: Haftstrafen – aber Bewährung.“ Heute beliefert der Konzern gleich mehrere europäische Staaten und „internationale NATO-Kunden“. Rheinmetall und die Ukraine haben „einen ersten gemeinsamen Panzer-Reparaturbetrieb und eine Produktionsstätte eröffnet“, meldete am 11. Juni 2024 die Tagesschau. Auf seiner Homepage schreibt Rheinmetall euphorisch: „Die Erfolge des 35mm-Flakpanzers Gepard in der Ukraine unterstreichen, mit welcher Effizienz die kanonenbasierte Flugabwehr Luftziele treffen kann.“

Und die öffentlich-rechtlichen Medien?

Ein Blick auf die Aufrufe zum 1. September, dem Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf Polen und seit 1957 Antikriegstag des DGB und deren Resonanz bzw. Nicht-Resonanz in den öffentlich-rechtlichen Medien, ist erhellend. Der DGB hatte sich im Aufruf zum Antikriegstag 2023 klar gegen das 2-Prozent-Ziel für Rüstungsausgaben positioniert. Die Ukraine habe ein Recht auf Selbstverteidigung, wird betont. Doch die „einseitige Fixierung der Debatte auf Waffenlieferungen und ein Denken in den Kategorien ‚Sieg‘ oder ‚Niederlage‘“, führe in eine Sackgasse. Die Bundesregierung wurde deshalb aufgefordert, „stärker auf friedliche Ansätze zur Konfliktlösung zu fokussieren.“ Im Aufruf zum Antikriegstag 2024 konstatiert dann der Gewerkschaftsbund: „In mehr und mehr Ländern fällt die Politik in alte Denkmuster zurück und antwortet mit bewaffneten Interventionen und militärischer Unterstützung auf diese Gewaltspirale, ohne sie durchbrechen zu können. […] Zu lange schon verrennt sich das sicherheitspolitische Denken und Handeln in Diskussionen über ‚Kriegstüchtigkeit‘ und immer neue Waffenlieferungen.“ Völlig unzureichend bleibe hingegen „das Eintreten Deutschlands für Abrüstung, Rüstungs- und Rüstungsexportkontrolle.“ Dann folgt die Forderung: „Hierzu erwarten wir neue Initiativen auf europäischer und internationaler Ebene. Mit 2,4 Billionen Dollar sind die globalen Rüstungsausgaben so hoch wie nie. Der zerstörerischen Logik des Wettrüstens muss endlich Einhalt geboten werden!“ Und weiter heißt es in dem Aufruf: „Die veränderte geopolitische Lage und Herausforderungen wie Klimawandel, Armut und Hunger erfordern eine umfassend verstandene Außen- und Sicherheitspolitik [...]. Umso unverständlicher ist die Ankündigung des Bundesfinanzministers, bei der Entwicklungshilfe und bei Demokratieprojekten zu sparen.“

Weder in der ARD-Tagesschau noch in den Tagesthemen wurden diese DGB-Aufrufe erwähnt. Stattdessen Frontberichterstattung. Am 1. September 2023 meldeten die Tagesthemen: „Die ukrainischen Soldaten wissen, dass sich hinter der ersten russischen Verteidigungslinie noch weitere befinden, wissen allerdings nicht, wie stark die befestigt sind.“ Hinzu komme: „Die Zeit läuft. Nur noch wenige Wochen bis zum Herbst und den ersten Regenfällen. Und dann wird es kaum noch möglich sein, schweres Gerät einzusetzen.“ Ein „Militärexperte Gustav Gressel“ wird als O-Ton eingespielt: „Ich würde sagen, die Ukrainer haben einen wichtigen Zwischenschritt genommen. Aber es liegen jetzt noch wichtige und schwierige Wochen vor ihnen, bis sie den Durchbruch wirklich ausnutzen können, und dann werden wir wirklich sehen, wieviel Reserven die Ukrainer noch haben, wie gut sie in die Tiefe gehen können und wie lang sie dann den Erfolg ausnutzen werden können.“

Die öffentlich-rechtlichen Medien kommen hier ihrem Sendeauftrag nicht bzw. nur mangelhaft nach. Einst nach dem BBC-Modell geschaffen, sollten diese bewusst keine Staatsmedien sein, sondern unabhängige, beitragsfinanzierte, die eine kritische Berichterstattung ermöglichen. Stattdessen geht allzuoft Regierungspropaganda über den Sender. In Talkshows, ja selbst von Seite der Moderator*innen, deren eigentliche Aufgabe es ist, Meinungen zu moderieren, werden mehr und mehr Waffen gefordert. Kritik bleibt oft auf Sendeplätze nach 23 Uhr verdrängt. Wenn in gegen die Regierung protestiert wird, so wird dies berichtet. Doch Aufrufe des DGB – in dem Gewerkschaftsbund sind immerhin rund 5,7 Millionen organisiert – werden von unseren öffentlich-rechtlichen Medien da schlicht totgeschwiegen. Reden zum Ostermarsch, insbesondere solche, in denen Klartext geredet wird, gehen erst recht nicht, nicht einmal auszugsweise, über den Sender.

Im Folgenden Auszüge aus der Rede des Düsseldorfer Friedensaktivisten und Mitbegründer des Ökumenischen Friedensnetzes, Peter Bürger, die er beim Ostermarsch 2024 in Köln hielt:

Auszüge der Rede Peter Bürgers:

In Düsseldorf stünde „die mächtige Zentrale der Totmach-Industrie“, wie Peter Bürger den Rheinmetall-Konzern nennt. Hier wohne auch „die oberste Großmutter der deutsch-katholischen Kriegspredigt, Frau Agnes Strack-Zimmermann.“ Sie male sich „ihre Welt, wie es der Waffenindustrie gefällt …“ und dergleichen habe „noch nie in der Geschichte etwas Gutes bedeutet.“

Bürger unterstreicht: „Die Friedensbewegung ist durchaus parteiisch – für alle Verdammten dieser Erde: Wir stehen stets unterschiedslos an der Seite der Opfer, ob in Israel oder Gaza, in der Ukraine oder Russland, ob in prowestlichen oder anderen Lagern, ob in zivilen Haushalten oder auf Seiten der Soldaten, die von den Herrschenden auf das Schlachtfeld geschickt werden …“

Bürger hebt hervor, dass das Opfergedächtnis derzeit der weltweiten Friedensbewegung anvertraut bleibe. „Denn die Imperien löschen ihre Massenmorde immer schnell aus allen Geschichtsbüchern: Die hiesige Regierung will z.B. nicht eingestehen, dass der deutsche ‚rassenbiologische Vernichtungskrieg‘ gegen die Sowjetunion ab 1941 ein planmäßiger Völkermord war (sogar der größte der gesamten Geschichte).“ Bürger schlägt den Bogen bis in dieses Jahrtausend: „Millionen Menschen mussten zu Beginn dieses Jahrhunderts im sogenannten ‚Antiterrorkrieg‘ des christlich-fundamentalistischen US-Präsidenten George Bush jun. ihr Leben lassen. Die deutschen Kommentatoren sagten 2023 bezogen auf den mit Lügen ins Werk gesetzten Angriff auf den Irak, das sei ein strategischer Fehler gewesen, aber sie verschwiegen, dass er – auch unabhängig von den Folterkammern [hier sei an Abu Graib und Guantanamo erinnert] – ein unvorstellbares Verbrechen war. So rassistisch ist das herrschende Denken. Das Leben von Millionen Arabern oder Muslimen zählt einfach nicht im westlichen Lager.

‚Kriegstüchtigkeit‘ gemäß Pistolenschuss: Der deutsche Militarismus ist wieder öffentliche Doktrin

Vor dreieinhalb Jahrzehnten waren wir alle wie Träumende, zuversichtlich mit Blick auf das Kommende. Jede Dekade brachte dann Desillusionierungen und die bange Frage: Ob es noch schlimmer kommt? Es kam noch schlimmer. Gegenwärtig sind wir Zeugen einer rasanten Renaissance des deutschen Militarismus, deren Tempo unser Fassungsvermögen übersteigt. Bis ins Kinderzimmer hinein reicht die Waffenpropaganda des Fernsehens. Bürgerrechte und Gewissen von Pazifisten sind nicht mehr geschützt.“

Bürger erinnert an Ludwig Quidde (1858-1941), „Erzdemokrat und Urgestein der bürgerlichen Friedensbewegung“, der schon 1893 den deutsch-preußischen Militarismus scharf analysiert habe: „Fortschrittliche Liberale schwimmen stets mit und finden sich unversehens in autoritären Verhältnissen wieder. Für das Militär kann jederzeit über Nacht jede geforderte Geldmenge locker gemacht werden. Doch Schulen, die Kinder innerlich stark machen könnten, Gesundheitswesen und alle sozialen Belange der Gesellschaft liegen darnieder, gehen leer aus.

Das ist noch immer der unüberbietbare Aberwitz: Alles, was eine Gesellschaft nachweislich widerstandsfähig macht gegen Militärdrohungen und Besatzungsversuche, wird auf dem Altar der Rüstungsindustrie geopfert. Die Kinder lernen nicht mehr lesen, um später desto besser als Kanonenfutter dienen zu können. Doch für jene Produktionen der Todesindustrie, die die Kriegsgefahr vergrößern und im Ernstfall überhaupt keine Menschenleben schützen können, werden Sonderbudgets – mal eben ‚hundert Milliarden‘ – bereitgestellt. Die Freiheitspredigten gelten schließlich nur denen, die bei alldem schon im Voraus ihren Gehorsam erklären.

Die sehr deutsche Kampagne gegen „Lumpenpazifismus“ und Antimilitarismus – wie ehedem auch judenfeindlich

Auferstanden ist in deutschen Landen die Hetze gegen Pazifisten und Antimilitaristen, allesamt ‚gefallene Engel aus der Hölle‘. Beim letzten Atombombenprotest in Büchel hat mir der Kölner Pfarrer Matthias Engelke eine Plakette ‚Ich bin ein Lumpenpazifist‘ geschenkt. Ich wünschte, noch mehr Leute könnten endlich verstehen, dass dies ein Ehrenname sondergleichen ist. In zwei Weltkriegen waren die Friedensbewegten in Deutschland eine Minderheit und die einzig Klarsichtigen. Jeder möge gerne dazugehören und kundtun: ‚Ich bin ein Lumpenpazifist!‘

Die frühesten und bedeutendsten Friedensarbeiter seit dem 19. Jahrhundert kamen aus jüdischen Familien. Die Geschichte des deutschen Pazifismus – das sahen die Nazis richtig – ist ohne Juden gar nicht vorstellbar. Und nun gibt es dieser Tage eine Neuauflage der antipazifistischen Judenfeindschaft. Unsere jüdischen Geschwister aus Initiativen für einen gerechten Frieden in Nahost werden verbal mit Dreck beworfen, oder man sperrt ihnen kurzerhand das Bankkonto.

Ein absurder Kasus betrifft aktuell Moshe Zuckermann, Sohn von Auschwitz-Überlebenden und ein warmherziger linker Humanist. Er erinnert als Säkularer an das Erbarmen (rachamim), ohne welches es keine abrahamische Religion geben kann. Er wäscht als Israeli jenen Pseudolinken den Kopf, die die fundamentalistische, antiemanzipatorische Hamas nicht für ein Mord- und Vergewaltigungskommando, sondern für eine Organisation von Befreiungskämpfern halten. Aber er sagt gleichzeitig auch wahrheitsgemäß: Die israelische Regierung besteht mehrheitlich aus Rechtsradikalen und ist verantwortlich für den militärischen Massenmord an unseren Menschengeschwistern in Gaza. Jetzt ließ die deutsche Regierung Moshe Zuckermann bescheinigen, er sei ein Antisemit! Juden, die dem deutschen Staat nicht gehorchen, bekommen kurzerhand Redeverbot und das Etikett ‚Antisemit‘ verpasst. Basta.“

C. F. Lessing