TERZ 01.25 – MUSIC
... Jahreswechsel möchten wir euch Warp Records aus London näherbringen. Das altehrwürdige englische Label wurde 1989 in Sheffield von Steve Beckett, Rob Mitchell (RIP 2001) und Robert Gordon* gegründet. Mittlerweile in London beheimatet, ist Warp das Aushängeschild für Freund*innen der elektronischen/experimentellen Musik in all ihren Spielarten.
Das letzte, aktuelle Release im Oberbilker Haushalt ist das Album Phantom Brickworks (LP II) von Bibio aka Stephen James Wilkinson. Der in den West Midlands geborene und nun in London beheimatete Musiker und Produzent ist in seiner Karriere in allen musikalischen Genres unterwegs. Egal ob, wie zu Beginn mit Folktronica und Ambient, dann später mit instrumentalem Hip Hop, Indie Pop, Elektronica, Soul, Funk und alternativem R&B. Bibio ist überall zuhause! Erschienen seine ersten drei Alben (Fi, Hand Cranked & Vignetting The Compost) und die EP Ovals And Emeralds noch auf dem amerikanischen Label Mush, wechselte er 2009 mit Ambivalence Avenue zu Warp Records. Mit diesem Album trat Bibio in unser Leben und begleitet uns bis heute. Beinhaltet Ambivalence Avenue doch alles, was Bibio auszeichnet. Von verspielten Gitarrenriffs bis hin zu elektronischen Samples, gepaart mit Hip Hop Einflüssen. Auf dem 2011 Album Mind Bokeh haute er uns mit Take Off Your Shirt eine discotaugliche Math-Rock Nummer um die Ohren. 2017 erschien Phantom Brickworks und 2018 die Nachfolge EP Phantom Brickworks (IV & V). Beide Veröffentlichungen sind die Grundsteine für das aktuelle Release und bauen aufeinander auf. Sehr ruhig, fast klassisch, oft nur mit einem Piano instrumentiert, nimmt uns Bibio mit auf eine Reise in die ambienten Sphären der Drone-Musik. Sein 2022 Album BIB10 ist dann „fast“ das genaue Gegenteil. Immer noch ruhig, aber vielschichtiger, wird von Folk bis Discoanleihen vieles verarbeitet. Selbst Soul, Funk und R&B Elemente sind auf BIB10 vertreten. Unterstützt wird er bei zwei Stücken auch von Olivier St. Louis, mit dem er schon öfters zusammen gearbeitet hat. Macht euch mal mit Bibio und seiner Vielseitigkeit vertraut, wir haben selten einen Künstler erlebt, der so viele verschiedene Musikstile verarbeiten kann ohne dabei beliebig zu wirken!
Zwei weitere aktuelle Releases aus diesem Jahr kommen von Broadcast. Spell Blanket (Collected Demos 2006-2009) und Distant Call (Collected Demos 2000-2006). Beide Alben schließen die Lücke, die der frühe Tod von Sängerin Trish Keenan hinterlassen hat. Verstarb diese doch im Januar 2011 überraschend an einer Lungenentzündung. Broadcast gründeten sich 1995 in Birmingham und veröffentlichten vier Alben (The Noise Made By People, Haha Sound, Tender Buttons, Mother Is The Milky Way) und viele weitere Soundtracks, Kompilations, EP‘s, Singles usw. größtenteils auf Warp. Spell Blanket (Collected Demos 2006-2009) versammelt Aufnahmen aus Trish Keenans Archiv und wären der Grundstein für das fünfte Album von Broadcast gewesen. Für das Artwork ist der langjährigen Broadcast-Mitarbeiter Julian House aka The Focus Group verantwortlich unter Verwendung von Fotos, die Trish und Bassist James Cargill gemacht haben. Musikalisch kann bei Broadcast die Band Stereolab** und ihre experimentelle Pop-Musik mit psychedelischen Elementen und starken 60er Jahre Anleihen, als Referenz herangezogen werden. Distant Call (Collected Demos 2000-2006) beinhaltet frühe Demoaufnahmen der Alben Haha Sound, Tender Buttons und der Kompilation The Future Crayon. Als Schmankerl sind die beiden Songs Come Back To Me und Please Call To Book enthalten. James entdeckte diese nach Trish´ Tod. In dem 2006er Projekt Let‘s Write A Song durften Fans Songtexte auf einer Postkarte einschicken, welche dann in verschiedenen fertigen Stücken eingearbeitet wurden. Damit ist das Archiv somit endgültig „geplündert“ und es heißt, dass Spell Blanket und Distant Call die letzten Veröffentlichungen von Broadcast sein werden. Ein würdiger Abschluss und Rückblick auf das Schaffen von Trish Keenan, die uns viel zu früh und plötzlich verlassen hat!
Jetzt wenden wir uns noch zwei, eigentlich drei Reissues zu. Den Anfang machen wir mit Aphex Twin aka Richard D. James. Warp hat den Klassiker Selected Ambient Works Volume II wiederveröffentlicht. R & S Records beglücken uns mit einer Expanded Edition der Didgeridoo 12“.
Beide Releases sind essentiell im Aphex Twin Backkatalog und wichtige Meilensteine im Acid, IDM, Techno, Abstract und Breaks Bereich gewesen. Didgeridoo erschien ursprünglich 1992 als einfache 12“ mit 4 Tracks. Der Hauptrack Didgeridoo ist auch der wichtigste Track in Richard D. James Karriere, war er doch mitverantwortlich für den internationalen Durchbruch von Aphex Twin und erreichte sogar Platz 55 der britischen Single-Charts. Die 2024 Version ist eine Doppel 12“ mit zusätzlichen Remixen. Richard D. James hat die originalen DAT Aufnahmen in einem Nakamichi CR7e-Kassettendeck kodiert und die Laufzeiten angepasst. Die CR7e- und Originalversionen wurden dann von Beau Thomas*** bei Ten Eight Seven Mastering neu gemastert und sind somit endlich in der Qualität erhältlich, wie sie damals angedacht war. Mit Selected Ambient Works Volume II wird von Warp der zweite Meilenstein im Aphex Twin Backkatalog wiederveröffentlicht. Ursprünglich 1994 als dreier-LP veröffentlicht, wurde SAW II im Laufe der Jahre immer wieder neu aufgelegt und teilweise mit Bonusstücken versehen. Warp hat dieses bedeutende Werk, das Generationen über 30 Jahre lang geprägt hat, endlich in der ihm würdigen Fassung neu aufgelegt. Diesmal auf 4 LPS, mit allen Bonustracks, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben. 3 CD Bonustracks, zwei digitale extra Tracks, (aphextwin.warp.net & Soundcloud, 2015) sind zusätzlich dabei. Als Bonbon gibt es ein Poster und Sticker. Das Remastering und der Lacquer Cut sind von Matt Colton**** bei Metropolis Mastering (UK). Für alle, die Heiligabend keine Lust auf „Oh Du fröhliche ...“ oder ähnliche Beschaulichkeit haben, gehört AFX unter den Tannenbaum. Sollten sich zufälligerweise doch unliebsame Besucher*innen zu einem verirren, können die Videos von Come To Daddy und dem Windowlicker helfen, dieses Problem zu lösen. Weitere empfehlenswerte Projekte von Richard D. James sind Polygon Window, Caustic Window, The Tuss usw. Alle Projekte und Aliase aufzuzählen, würde hier den Rahmen sprengen, sind es aber auch wert, sich damit zu beschäftigen.
Ursprünglich aus dem Jahr 2004 ist das Referenzwerk Ultravisitor von Squarepusher aka Thomas Jenkinson. Bei Discogs gibt es mittlerweile den Stil Future Jazz, dessen Umschreibung passt bestens. Wenn wir da dann noch eine Schippe Drum ‘n‘ Bass und eine Prise Acid drauflegen, kommen wir Squarepusher und seinen musikalischen Skills am nächsten. Die 20th Anniversary Edition ist liebevoll aufgemacht und wartet mit einem Bonusalbum auf. Venus No.17 Maximised beinhaltet Tracks einer Promo CD sowie die Venus No.17 12“. Beides auch von 2004 und natürlich auch remastered. Thomas Jenkinson hat sich der Originalbänder angenommen und diese zusammen mit Jason Mitchell ***** (Loud Mastering) bearbeitet. Zusätzlich gibt es ein Booklet mit Flyern, Fotos und vielem mehr. Alles wertig verpackt in einem Schuber. Ein weiterer Klassiker des Warp Backkataloges ist somit nun auch wieder für einen erschwinglichen Preis erhältlich. Reinhören solltet ihr ebenfalls in das erste Album von Squarepusher, Feed Me Weird Things. Erschienen 1996 als Doppel LP, hat Warp sich 2021 das Debüt vorgenommen und mit einer zusätzlichen 10“, die zwei Bonustracks beinhaltet, wieder veröffentlicht. Hier hatte dann wieder Matt Colton, diesmal bei Alchemy Mastering, die Bearbeitung übernommen. Feed Me Weird Things ist das Alter keineswegs anzumerken!
Für alle, die jetzt auf den Warp-Geschmack gekommen sind, hier noch ein kleiner Abriss dessen, was sonst immer wieder auf dem Oberbilker Plattenteller landet.
Autechre (Rob Brown & Sean Booth) arbeiten mit digitalen und analogen Synthesizern und verarbeiten alles zu einem Mix aus experimentellem Ambient, Techno & Electronic. Die letzten beiden Alben waren Sign und Plus von 2020.
Boards Of Canadas 2002er Album Geogaddi des Brüderpaars Michael Sandison und Marcus Eoin möchten wir euch auch wärmstens ans Herz legen. IDM & Ambient mit Dreampop Anleihen beschreibt es am besten.
LFO (Low Frequency Oscillation) waren die Pioniere des „Bleep Techno“. Schaut euch am besten mal das Video zu Freak bei YouTube an. Mitglieder waren Mark Bell (1988-2014), Gez Varley (1988-96) und Martin Williams (1988-90).
Seefeel bilden den Abschluss, die Band besteht aktuell noch aus Kazuhisa Iida, Mark Clifford, Sarah Peacock und Shigeru Ishihara. Succour aus dem Jahr 1995, ist hier unsere Empfehlung. Auch wieder IDM & Ambient, diesmal aber sehr sphärisch aufgestellt.
Nur fürs Protokoll, alle vorgestellten Acts kommen aus UK (-: .
Viel Spaß mit Warp Records wünschen euch Mrs. Cave und Der Oberbilker
[1] Robert Gordon ist auch bekannt als einflussreicher Elektronikproduzent und Toningenieur. Er hat zum Beispiel Hand bei The Fall, The Human League oder Cabaret Voltaire angelegt.
[2] Stereolab hat 1998 die hervorragende Aluminum Tunes Kompilation auf Warp veröffentlicht und ist auch auf verschiedenen Warp Samplern vertreten.
[3] Britischer Musiker, Produzent, DJ und Mastering Engineer, der unter anderem auch schon für Madonna gearbeitet hat. Von den verschiedensten Warp Veröffentlichungen ganz zu schweigen.
[4] Englischer Mastering Engineer, hat unter anderem für die Sleaford Mods, Chat Pile, Fontaines D.C., Bibi Club, Mary Jane Leach, The Body und viele mehr gearbeitet.
[5] Englischer Mastering Engineer, hat unter anderem für Jane Weaver, PJ Harvey, Dry Cleaning, Daft Punk und so weiter gearbeitet.