TERZ 02.25 – AM PRANGER
Diese Top-Platzierung in einem Ranking ist definitiv kein Fall für das Stadt-Marketing: Düsseldorf gehört zu den 300 PFAS-Hotspots der Republik. Hohe Belastungen mit den gefährlichen Chemikalien weisen unter anderem Flächen am Flughafen, in Gerresheim, in Bilk und in Wersten auf.
1996 starben bei dem Großbrand im Düsseldorfer Flughafen 17 Menschen, 88 Personen trugen zum Teil schwere Verletzungen davon. Der Terminal B musste abgerissen, der Terminal A kernsaniert werden. Ein weiterer Riesen-Schaden machte sich jedoch erst Jahre später und zunächst auch nicht in Düsseldorf, sondern in der Nachbarstadt Duisburg bemerkbar. Die dortigen Stadtwerke schlugen Alarm, weil Beschäftigte ihrer Wassergewinnungsanlage bei Proben-Entnahmen im Düsseldorfer Norden auf immens hohe PFT-Werte stießen. Daraufhin begann das hiesige Umweltamt mit Untersuchungen und bestätigte den Befund. Rund um den Flughafen stellte es hohe Belastungen mit den zur Gruppe der PFAS gehörenden perfluorierten Tensiden fest. Die Ursache war auch schnell gefunden: Der Löschschaum der Feuerwehr, der bei dem Brand von 1996 großflächig zum Einsatz kam.
Feuerlöschschäume enthalten PFAS-Zusätze, weil diese Stoffe deren Oberflächen-Spannung verringern und so dafür sorgen, dass sich ein Film bildet, der die Flammen von der Sauerstoff-Zufuhr abschneidet. Zudem verhindert er die Freisetzung von Dämpfen und wirkt kühlend. Die nötige Stabilität und Hitzebeständigkeit dafür haben die per- und polyfluorierten Alkylverbindungen, weil bei ihnen die Wasserstoff-Atome ganz oder teilweise durch Fluor-Atome ersetzt sind. Diese sogenannte Fluorinierung steigert zudem die Effektivität der Chemikalien und verleiht ihnen eine wasser-, fett- und schmutzabweisende Wirkung.
Solche Eigenschaften verschaffen ihnen über Löschschaum hinaus vielfältige andere Verwendungsmöglichkeiten. Von Antibeschlagmitteln bis zu Zahnseide reicht die Liste. In Outdoor-Kleidung etwa halten sie den Regen ab. Auch in Lederwaren und Teppichen kommen sie zur Imprägnierung zum Einsatz. In Antihaft-Beschichtungen von Bratpfannen und anderen Koch-Utensilien wirken die Stoffe, und in Pestiziden erfüllen die Substanzen die gegenteilige Funktion: Durch sie finden die Ackergifte einen besseren Halt auf den Pflanzen.
Gerade aber diese Charakteristika bereiten auch die meisten Probleme. Der menschliche Organismus kriegt die Substanzen nämlich kaum klein. Auch in der Umwelt halten die Stoffe sich lange und reichern sich dort sogar noch an. Darum gelten die PFAS wie DDT und PCB als Ewigkeitschemikalien. Die US-amerikanische Umweltbehörde „Environmental Protection Agency“ (EPA) stuft sie nicht zuletzt deshalb schon in geringsten Mengen als extrem gefährlich ein: „Die EPA hält jeden PFAS-Gehalt für potenziell toxikologisch signifikant.“
Studien bestätigten diesen Befund. „Unsere Daten zeigen einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen PFAS im Blut und schädlichen Blutfetten, die mit einem kardiovaskulären Risiko assoziiert sind“, sagt etwa die niederländische Neuroepidemologin Monique Breteler vom Bonner „Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen“. Aber nicht nur Herz/Kreislauf-Erkrankungen können die Tausendsassas befördern. Ihre Nebenwirkungen gehen weit darüber hinaus. So haben sie das Potenzial, Krebs, Diabetes und Fruchtbarkeitsstörungen auszulösen. Darüber hinaus vermögen sie die Leber zu schädigen sowie die Schilddrüsen-Funktionen und das Immunsystem zu schwächen.
Nach dem Hinweis aus Duisburg begann Düsseldorf im Jahr 2007 mit systematischen Messungen am Flughafen. 2008 erfolgten im Rahmen der „Altlasten-Erkundung“ 59 Untersuchungen unter Einschluss der Kaiserswerther Seen. 2009 waren es schon 180 Analysen des Grund- und Seewassers. Dazu kamen noch „19 Bohrungen zur Eingrenzung der Boden-Verunreinigungen“. 2010 gab es 106 weitere. Diese förderten neben den 1996 von den Löscharbeiten kontaminierten Arealen noch weitere belastete Flächen zutage: den Tanklager-Bereich, das Feuerlösch-Übungsbecken, die Feuerwache Nord sowie den Ort, an dem 2005 bei der Landung das Triebwerk einer Boeing-Maschine Feuer fing.
Konkrete Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung erfolgten jedoch erst 2012. Die Stadt untersagte die Nutzung privater Grundwasser-Brunnen in Kaiserswerth. Im Jahr darauf erging eine „Allgemeinverfügung zur Untersagung der Grundwasser-Förderung und -nutzung in Teilbereichen von Düsseldorf-Lohausen/Kaiserswerth sowie der Untersagung der Nutzung von Wasser aus den Kaiserswerther Seen zu Bewässerungszwecken“.
Dem damaligen nordrhein-westfälischen Umweltminister Johannes Remmel von Bündnis 90/Die Grünen war das zu wenig. Angesichts einer bis dahin festgestellten Kontamination von 8,5 Quadratkilometern Boden forderte er die Flughafen-Gesellschaft auf, „eine offensivere Rolle“ bei der Schadensbegrenzung zu spielen. Der Politiker fürchtete eine großflächige Verseuchung des Grundwassers sowie eine Verunreinigung des Rheins und damit auch eine Gefährdung der Trinkwasser-Gewinnung. Die Aufbereitungsanlage in Kaiserswerth musste damals schon ihr Wasser mit solchem aus anderen Regionen strecken, um die empfohlenen Limits einhalten zu können. Zeitweilig lagen die im Grundwasser gemessenen PFAS-Werte um das 570fache über dem Wert von 100 Nanogramm pro Liter.
2014 fanden dann endlich erste Vorarbeiten zur Einrichtung von Grundwasser-Sanierungsanlagen statt. 2015 ging am ehemaligen Feuerlösch-Becken die erste in Betrieb, ausgestattet mit diversen Filtern zur Reinigung der Gift-Frachten. Zudem verhindert die Vorrichtung das Abströmen des PFAS-belasteten Wassers durch eine sogenannte „hydraulische Abschirmung“ – Druck von der anderen Seite, den eine sogenannte Gegenwasserhaltung aufbaut. Mittlerweile betreibt der Flughafen auf dem Gelände drei solcher Anlagen und plant deren Ausbau. Bis Herbst 2023 haben diese rund 2,1 Millionen Kubikmeter gesäubert. Einen Reinigungsgrad „von nahezu 100 Prozent“ verkündet die Flughafen-Leitung. Nach einer Schätzung von 2013 werden die Gesamtkosten für die Sanierung über 100 Millionen Euro betragen.
Aber der Flughafen ist nicht die einzige PFAS-Baustelle der Stadt. Auch auf dem Gelände der ehemaligen Glasfabrik in Gerresheim und dem der Papierfabrik in Bilk blieben nach Großbränden und den entsprechenden Groß-Einsätzen der Feuerwehr als Hinterlassenschaften per- und polyfluorierten Alkylverbindungen zurück. Und in Wersten fanden sich auf dem Gelände einer Feuerwache Spuren der Ewigkeitschemikalie.
Zwei weitere Kontaminationen im Stadtgebiet gehen auf Industrie-Produktionen zurück. In Bilk und Unterbilk sorgte ein Galvanik-Unternehmen dafür. Auch dieser Betrieb, der Werkstücke mit Metallen beschichtet, setzte PFAS zur Absenkung der Oberflächen-Spannung ein. Im sogenannten Galvanik-Bad sorgen die Chemikalien auf diese Weise für eine gleichmäßige Verteilung des neuen Überzugs.
Die Sanierungsmaßnahmen, die diese Fälle erfordern, nehmen zwar nicht das Ausmaß von denjenigen ein, die am Flughafen nötig sind, fressen jedoch ebenfalls viele Ressourcen. Auf dem Gelände der Ex-Glashütte etwa läuft seit 2016 eine Grundwasser-Sanierung. 30.000 Liter reinigen die Apparaturen pro Stunde. Trotzdem ist noch kein Ende abzusehen. „Das ist eine Generationen-Aufgabe“, sagt Düsseldorfs Umweltdezernent Jochen Kral in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Die in den nächsten 15 Jahren dafür anfallenden Kosten schätzt er auf 20 Millionen Euro. Dreieinhalb Personal-Stellen hat die Stadt nur für die PFAS-Baustellen im Stadtgebiet geschaffen.
Überdies finden sich im Rhein PFAS-Rückstände. Gerade erst hat Greenpeace unter anderem auch bei Messungen auf der Höhe von Düsseldorf beträchtliche Konzentrationen des PFAS-Stoffes Perfluoroctansulfonsäure nachgewiesen. Das verwundert nicht weiter: Seit nunmehr drei Jahrhunderten dient der Fluss der Chemie-Industrie nun schon als „Opferstrecke“, wie es der ehemalige Bayer-Generaldirektor Carl Duisberg einmal ausdrückte. Als Eintragsquelle Nr. 1 firmiert der Chem„park“ in Leverkusen. Die ehemalige Bayer-Tochter Lanxess stellte dort bis zum Frühjahr 2024 PFAS-Chemikalien her, deren Produktionsrückstände die Kläranlage nicht in ausreichendem Maß aus den Abwasser-Strömen herausfiltern konnte. Der Großeinsatz der Feuerwehr bei der großen Explosion im Entsorgungszentrum des Geländes am 27. Juli 2021, die sieben Menschenleben forderte, steigerte das Aufkommen der Stoffe in dem Fluss dann noch einmal, denn er musste das kontaminierte Löschwasser aufnehmen.
Diese Belastungen mit den per- und polyfluorierten Alkylverbindungen erweisen sich als besonders problematisch, weil das Gewässer auch eine Trinkwasser-Quelle ist. Die Düsseldorfer Stadtwerke, die seit 2010 PFAS-Verunreinigungen im Rhein feststellen, versichern zwar, alle Ewigkeitschemikalien aus dem Wasser herausfiltern zu können, dringen aber trotzdem auf Maßnahmen. „Weil die technischen Möglichkeiten, PFAS aus dem Trinkwasser zurückzuhalten, irgendwann an ihre Grenzen stoßen werden, sollte aus unserer Sicht die Politik mindestens auf EU-Ebene das eingeleitete Verbots- bzw. Minimierungskonzept für PFAS auf den Weg bringen“, so eine Sprecherin.
Dieses umfassende Verbots- bzw. Minimierungskonzept hat Deutschland gemeinsam mit Norwegen, den Niederlanden, Dänemark und Schweden erstellt. Inzwischen wollen die Politiker*innen davon aber nichts mehr wissen. Die Wirtschaft läuft nämlich Sturm gegen dieses Ansinnen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck spricht sich daher bloß noch für einen differenzierten Umgang mit den Ultragiften aus: „Bessere Regulierung dort, wo es für den Verbraucherschutz notwendig ist, aber keine Überregelung für die Wirtschaft, wo es Wachstum und Technologieentwicklung hemmt.“ Zur Begründung übernimmt er ungeprüft Argumente der Industrie, die – mit einem fälschlichen Verweis auf die OECD als Quelle – bestimmte PFAS als nur „wenig besorgniserregend“ bezeichnet und schon mit konkret bezifferten und natürlich dramatisch hohen Verlustzahlen im Falle von Restriktionen zur Hand ist. Und Bundeskanzler Olaf Scholz nahm Bayer & Co. auf deren Verbandstagung alle Befürchtungen. „Auch bei PFAS setzen wir uns für eine praktikable und ausgewogene Regulierung für Sie ein. Darauf können Sie sich auch für die Zukunft verlassen. In den Brüsseler Dschungeln ist es ja wichtig, dass man einen klaren Kompass hat“, sagte er am 12. September 2024 auf dem Chemie & Pharma Summit 2024.
Und prompt musste das Verbots- bzw. Minimierungskonzept Federn lassen. „Die zusätzlichen Informationen, die im Rahmen der Konsultation 2023 vorgelegt wurden, führen auch dazu, dass geprüft wird, ob andere Beschränkungsoptionen als ein Verbot das Ziel erreichen, die PFAS-Emissionen während ihres gesamten Lebenszyklus‘ deutlich zu reduzieren“, rudern die Ersteller des Konzepts zurück. Das gelte besonders für solche Verwendungen und Sektoren, „für die Informationen vorgelegt wurden, die zeigen, dass die sozioökonomischen Auswirkungen eines Verbots unproportional hoch sind“, heißt es in der Stellungnahme.
Das ganze Jahr 2025 geht nun erst einmal für die Überarbeitung des Regulierungsvorschlags drauf. Anschließend durchläuft er wieder ein Konsultationsverfahren. Erst dann irgendwann will die Chemikalien-Agentur mit einer Empfehlung für den Umgang mit den PFAS um die Ecke kommen. Brüssel droht also das zu verpassen, was der Präsident des Verbandes der europäischen Wasserversorger in einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als „unseren Asbest-Moment“ bezeichnete. „In 20 Jahren werden unsere Kinder fragen: ‚Warum habt ihr nicht eher was unternommen?‘“
Coordination gegen BAYER-Gefahren