TERZ 02.25 – RECHTER RAND
Nicht wirklich neu war, was Correctiv im Januar 2024 über ein „Geheimtreffen” von AfD und anderen Rechtsgesinnten veröffentlichte. Es ging um Abschiebungen aus Deutschland im großen Stil, Remigration genannt, Deportation gemeint.
Der Aufschrei der breiten Masse als Reaktion auf die Correctiv-Recherche war bemerkenswert, allein in Düsseldorf protestierten Ende Januar über 100.000 Menschen gegen … ja wogegen eigentlich? Die AfD? Die Gefährdung unserer Demokratie und der gesellschaftlichen Vielfalt? Den Rechtsruck schlechthin? Oder kamen viele nur als Mitläufer*innen, weil am 27.01. so tolles Wetter war?
Um bei der AfD zu bleiben: Die rechtsextreme Partei hat in Düsseldorf nicht unbedingt einen leichten Stand, wenn ihr bei der Europawahl im Juni auch fast 22.600 Düsseldorfer*innen ihre Stimme gaben: 8,4 Prozent. Über 25 Prozent lag die Quote im Stadtteil Garath.
Dort formierte sich eine Mahnwache gegen den Rechtsruck, die bis Ende 2024 tapfer in Garath City abgehalten wurde (TERZ 11.2024).
Düsseldorf stellt sich quer (DSSQ) organisierte zusammen mit anderen Protestgruppen Demos und Kundgebungen gegen Veranstaltungen der AfD, die in öffentlichen Räumlichkeiten abgehalten wurden, wogegen die Stadt Düsseldorf aus Gründen der Gleichbehandlung der zugelassenen Parteien nichts machen kann, wie sie immer wieder beteuert. Die Stadt hat 2021 ein „Konzept zur Überlassung städtischer Räume" erstellt, genannt „Kein Raum für Hetze". Darin legte sie fest, keine Räume für Veranstaltungen zu vergeben, die rassistische, antisemitische, salafistische, antidemokratische, sexistische, gewaltverherrlichende oder andere menschenfeindliche Inhalte haben. Zumindest letzteres steht bei AfD-Veranstaltungen mehr oder weniger auf der Agenda. Ein Raum für Hetze also.
Jeweils mehrere Hundert Menschen beteiligten sich an den Protesten von DSSQ & Co. Die Teilnehmenden der AfD-Veranstaltungen konnten nur unter erheblichem Polizeischutz Zugang zum jeweiligen Tagungsort bekommen.
So fanden Demos und Gegenkundgebungen statt:
Außerdem gab es eine Protestaktion gegen die ultrarechte Burschenschaft Rhenania Salingia am 19.06. Am 19.09. ging ein Demozug gegen Rassismus vom Oberbilker Markt aus zum Schadowplatz. Am 06.12. verkündete der Jugendring Düsseldorf (Zusammenschluss von über 20 Jugendverbänden): Keinerlei Zusammenarbeit mit den „Jungen Alternativen” (gesichert rechtsextremer Jugendverband der AfD, der inzwischen von der AfD selbst aufgelöst wurde).
Eine ganze Menge an Protesten, durchaus. Aber auch eine ganze Menge Präsenz der AfD und ähnlich Gesinnter in Düsseldorf! Die meisten anderen Parteien, allen voran CDU/CSU und die der Ampel-Koalition, legten im Laufe des Jahres 2024 kräftig zu, wenn es um Abschiebung, Abschottung und eher AfD-typische Politik geht. Ein Highlight war die Bekanntgabe der NRW-Landesregierung, dass nun doch ein weiteres Abschiebegefängnis gebaut werden soll (siehe S. 12 in dieser TERZ). Nicht nur in Düsseldorf, in ganz Deutschland ist die Tendenz Richtung Rechts erschreckend. Und sie kommt inzwischen von allen deutschen Parteien. Dazu ein Text vom AK Asyl, Göttingen:
Fast kein Tag verging, ohne dass rassistische Äußerungen von Seiten der Politik und die entsprechenden Gesetzesänderungen die Schlagzeilen dominierten – Bezahlkarte, Abschiebungen, schnellere und noch mehr Abschiebungen.
Schon Ende 2023 begann die rassistische Mobilmachung unter der Ampelregierung: Olaf Scholz verkündete unermüdlich: „Wir müssen endlich in großem Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben!“ Wobei schon hier die Frage lautet: Wer bestimmt denn dieses Recht?
Im Januar wurde die Correctiv-Recherche veröffentlicht, laut der die AfD massenhaft Abschiebungen plane. In den Folgewochen gab es unendlich viele Demonstrationen gegen die AfD, aber keine gegen Olaf Scholz. Warum ist das so? Ist die rassistische Mobilmachung von SPD, CDU, FDP und den Grünen nicht genauso gefährlich, oder gar gefährlicher? Sie kommt zwar nicht ganz so unverblümt daher, hat doch aber die Gesellschaft insgesamt nach rechts gerückt.
Im Januar verteidigte eine grüne Ministerin eine Abschiebung aus dem Kirchenasyl, arbeitete Stamp (Sonderbevollmächtigter der Regierung) intensiv an neuen „Migrationsabkommen“ (wie schon mit Georgien und Marokko), um Abschiebungen zu erleichtern, betonte Faeser die Notwendigkeit restriktiver Maßnahmen gegen Geflüchtete, und es wurde die „Bezahlkarte“ beschlossen. Dazu begannen die Abschiebungen von Jezid*innen in den Irak in großem Stil, nachdem kurz zuvor vom Bundestag der Genozid anerkannt worden ist. Wohlgemerkt, alles unter einer rot-grün-gelben Regierung. Das hätte sich die CDU alleine nicht getraut.
Im Februar dominierte der Streit um die Ausgestaltung der Bezahlkarte die politische Debatte, neben dem Ziel vermehrter Abschiebungen. In der Diskussion um die Bezahlkarte war das vorherrschende Argument, die Geflüchteten sollten kein Geld mehr an die Familien in den Herkunftsländern schicken oder Schlepper bezahlen können. Die Bezahlkarte ist eine weitere Schikane gegen Geflüchtete – nur das! Damit wird wieder mehr Kontrolle und Druck ausgeübt, damit Geflüchtete sich nicht frei bewegen können.
Im März waren wieder die Abschiebungen vorherrschend: Thüringen, Bremen und Niedersachsen schieben mehr Menschen ab als letztes Jahr. Es gibt neue „Migrationsabkommen“ u. a. mit Ägypten. Dorthin sind auch viele Menschen aus dem Sudan geflüchtet, die auf gar keinen Fall nach Europa gelangen sollen. Ägypten soll für über 7 Milliarden Euro die Geflüchteten aufhalten, stattdessen schiebt es diese Menschen gleich wieder in den Sudan zurück, wo ein blutiger Bürgerkrieg herrscht, der von den imperialen Mächten befeuert wird.
Auch Tunesien ist in diese „Migrationsabkommen“ eingebunden. Von dort werden die Menschen in die Wüste ausgesetzt. Das Resultat solcher Abkommen haben wir schon früher in Libyen unter Gaddafi kennengelernt. Gaddafi hatte damals von Italien mehr Leichensäcke angefordert, um die verdursteten Menschen verschwinden lassen zu können. Auch mit dem Libanon wurde ähnliches vereinbart. Das betrifft vor allem syrische Geflüchtete, die dort Schutz gesucht hatten. Seit den Angriffen der israelischen Armee hat sich die Situation verschärft, viele fliehen wieder zurück nach Syrien. Wie absurd! Allerdings hatte es dank des Migrationsabkommens und der dortigen rassistischen Stimmungsmache auch schon Hetzjagden auf Geflüchtete gegeben.
Der April ging genauso weiter. Auch Niedersachsen sieht nun keine Einschränkungen mehr für Abschiebungen in den Irak vor. Und auf europäischer Ebene soll die GEAS-Reform (Gemeinsame Europäische Asylpolitik, Anm. TERZ) so schnell wie möglich umgesetzt werden. Niemand soll mehr „ungehindert“ nach Europa gelangen können.
Im Mai wurde das GEAS-Abkommen vom EU-Parlament verabschiedet. Am 6. Mai gab es eine Konferenz in Kopenhagen zur „Schaffung neuer Modelle zur Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Kampf gegen illegale Migration“. Doch das klingt unheilverkündend. Als Beispiel wird denn auch ein Trainingszentrum für Grenzschutzbeamt*innen in Tunesien genannt. Was das bedeutet, wissen wir inzwischen genau – Hetzjagden und Aussetzen in der Wüste.
Im Juni war EU-Wahl, die ein Erstarken vieler rechtsextremen Parteien zum Ergebnis hatte. Schlagwort des Monats war „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“. Es gibt zu wenig Arbeitskräfte, die sollen nun besser rekrutiert werden können. Pech nur, dass Deutschlands Ruf unter den gewünschten Arbeitskräften so schlecht ist. Warum wohl?
Im Juli dann die „Erfolgsmeldung“: Weniger Menschen gelangen über das Mittelmeer nach Europa, dank der Zusammenarbeit mit nordafrikanischen Staaten zur Eindämmung irregulärer Migration. Die Toten in den Wüsten tauchen darin dann nicht mehr auf.
Im Juli wurde auch bekannt, dass Faeser vertraulich Verhandlungen führt, um wieder nach Syrien und Afghanistan abschieben zu können. In Großbritannien wird das sogenannte Ruanda-Modell vom neuen Premierminister gestoppt. Der Plan war, einfach alle nach Ruanda abzuschieben. Dieses Modell wurde in Europa aufmerksam beobachtet, wünschten sich doch viele Regierungen ähnliche Verfahren.
Unterdessen wird in Polen der Schusswaffengebrauch an der Grenze gegen Geflüchtete erlaubt.
Im September ging es so richtig los. Anlass war der islamistische Terrorakt in Solingen. Der Angreifer von Solingen wurde zu einer allgemeinen Gefährdung durch Ausländer*innen für „unser Land“ hochstilisiert. Die deutsche Sicherheit sei gefährdet und man müsse zügig handeln, war das einmütige Credo der Politik. Bereits Ende März 2024 hatte es einen Brandanschlag in Solingen gegeben, bei dem eine Familie aus Bulgarien mit 2 kleinen Töchtern getötet worden war und 3 weitere Personen aus Bulgarien verletzt wurden. Aber nach Ansicht der Ermittler*innen sei kein rassistisches Tatmotiv erkennbar, denn der Täter sympathisiere mit einer Partei der Mitte. Dabei ist die Zahl der rechtsextrem motivierten Straftaten in Deutschland auf einem Rekordhoch. Fast 10.000 registrierte Fälle allein im ersten Halbjahr. Es gab keinen allgemeinen Aufschrei, es gab keinen Ruf nach mehr Sicherheit für Menschen, die nicht-deutsch gelesen werden.
Im Oktober wurde dann das „Sicherheitspaket" verabschiedet: Sogenannte Dublin-Fälle sollen keine Sozialleistungen mehr bekommen (aushungern und obdachlos machen), das Verbot von Messern samt verdachtsunabhängiger Kontrollen und der Einsatz von bildabgleichenden Programmen zur Identitätsfeststellung. Ein allgemein hoch umstrittenes Verfahren zur Fahndung nach Straftäter*innen.
Gleichzeitig wird weiter über die Auslagerung des Asylverfahrens diskutiert. Italien hatte ja schon entsprechende „Migrationsabkommen“ mit Albanien ausgehandelt und ist damit das erste europäische Land, das außerhalb der EU über Asylanträge entscheidet. Ein Gericht hat diese Pläne im Oktober vorerst gestoppt. Doch auf europäischer Ebene wird weiter darüber nachgedacht. Ungarn will nun gänzlich aus dem Asylsystem der EU aussteigen, wie die Niederlande es auch schon im September beantragt hatten.
Im November die nächsten „Erfolgsmeldungen“: Frankreich schließt ein „Migrationsabkommen“ mit Kasachstan, um afghanische Geflüchtete, die über Kasachstan nach Europa gekommen sind, dorthin abzuschieben. Deutschland hat mit Somalia „die Rücknahme Geflüchteter” vereinbart, ein Land, vor dessen Besuch selbst das Auswärtige Amt warnt.
Wer nun schon die christliche Nächstenliebe der Weihnachtsglocken hörte, lag falsch – so was von falsch! In der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember wurde mal wieder das Kirchenasyl gebrochen, diesmal in Bremen. Die gute Nachricht – durch eine Blockade von Unterstützer*nnen konnte die Abschiebung verhindert werden. Wenige Tage später wird Assad aus Syrien vertrieben, sofort beginnt eine unsägliche Diskussion über die „Rückkehr“ von syrischen Geflüchteten. Das Bundesamt verhängt einen Entscheidungsstopp.
Am 17.12. werden alle Polizist*innen, die Mouhamed Drame getötet hatten, freigesprochen. Der Richter sah ein „rechtmäßiges Handeln“ gegeben. Was für ein Signal! 2024 wurden laut Statistik 20 Menschen durch Polizist*innen erschossen, so viele wie seit 1999 nicht mehr. Darunter viele Geflüchtete. Es kommt fast nie zu einer Verurteilung.
In Wilstedt bei Bremen kämpfen die Menschen schon seit Wochen gegen die Abschiebungen von Pflegekräften, ohne die das Pflegeheim Haus Wilstedt schließen müsste. Im Dezember dann die überaus deutsche Lösung: die Betroffenen bekommen eine Ausbildungsduldung. So geht das Jahr mit einer halbwegs guten Nachricht zu Ende.
Durch die unermüdlichen Debatten der Politik um die Gefahr durch Geflüchtete hat sich die allgemeine Sichtweise der Bevölkerung weiter nach rechts verschoben. Das Integrationsbarometer 2024 zeigt eine steigende Skepsis gegenüber Zugewanderten. Die rassistische Mobilmachung läuft auf allen Ebenen, bis tief in den Alltag hinein. Aber der große Aufschrei in der Gesellschaft bleibt aus. Da stellt sich nur noch die Frage, wann auch an Deutschlands Grenzen geschossen werden darf.
Zumeist wird kolportiert, dass die AfD die etablierten Parteien vor sich hertreibe. Diese Erklärung taugt rein gar nichts. Eine kleine Partei kann nicht alle anderen vor sich hertreiben. Sie hat allenfalls die Schleusen geöffnet für einen Rassismus, der bereits vorhanden war. Schon 2000 brach Friedrich Merz die Debatte um eine deutsche Leitkultur vom Zaun, als es die AfD noch gar nicht gab. Es gibt längst keine inhaltliche rote Linie mehr, weder die Verfassung noch die Menschenrechtserklärung sind ein Hinderungsgrund für die unerbittlichen Debatten und die unsäglichen Gesetzesverschärfungen. Und zwar für keine der Parteien.
Gleichzeitig – von den meisten kaum bemerkt – läuft eine Entrechtungs- und Verschlimmerungsdebatte auch für diejenigen Teile der Bevölkerung, die als „dazugehörig” gelten. Das Rentenalter soll hochgesetzt, Bürgergeld gekürzt werden, Krankmeldungen auf den Prüfstand kommen usw. Beim Sicherheitspaket wurde dann auch im Nachgang die Abgleichung von Bildern im Internet zur Strafverfolgung für alle abgenickt. Die Polizeibefugnisse wurden mal wieder erweitert … Orwell lässt grüßen.
Wir wissen, dass Rassismus und Kapitalismus zusammengehören zur Deregulierung und Unterschichtung der arbeitenden Bevölkerung und der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Aber ist der Rassismus erstmal entfesselt von menschenrechtlichen Bedenken, gibt es kein Halten mehr. Dann hilft es auch nicht mehr, wenn Arbeitgeber*innen den Arbeitskräftemangel beklagen. So werden Menschen auch von ihren Arbeitsplätzen verschleppt und abgeschoben. Das beweist wieder einmal: Es gibt keinen kontrollierten Rassismus, und auch keine funktionierende, kontrollierte, staatlich gesteuerte Einwanderung, die nur nach Arbeitskräftebedarf ausgerichtet ist. Das hat schon die „Gastarbeiter“phase in den 60ern bewiesen.
An der Schwelle der Veränderungen in der bipolaren Weltordnung, globaler Ausbeutungsstrukturen, Wirtschaftskrise und der Klimakrise ist der Reflex allenthalben: Grenzen dichtmachen! Unser Wohlstand wird nicht geteilt! Wir machen so weiter wie bisher! Um die Ruhe im eigenen Land zu gewährleisten, werden wir mehr und mehr einem militarisierten Kontrollstaat unterworfen. Die Opfer der globalen Ausbeutung werden unsichtbar gemacht. Die tausenden Toten an den Grenzen finden keine Beachtung mehr. Die Dehumanisierung von Menschen ist schon weit fortgeschritten.
Nur auf die AfD oder andere rechtsextreme Parteien zu schauen, wird der Situation nicht gerecht. Es sind mal wieder die Parteien der sogenannten Mitte, die diese Verschärfungen herbeigeführt haben und sie durchsetzen. Darauf brauchen wir eine Antwort.
The future is unwritten.AK Asyl Göttingen, Januar 2025
(Text redaktionell bearbeitet)
Jetzt, im Januar ‘25, ist auf der Website des WDR aktuell zu lesen, dass die AfD bei ihrem Parteitag im sächsischen Riesa „Remigration" ins Bundestagswahlprogramm aufgenommen hat. Eine große Mehrheit der AfDler*innen stimmte dafür. Der Begriff steht bekanntlich unter Rechtsextremen für massenhafte Abschiebungen von Menschen mit Migrationshintergrund. Und deren Unterstützer*innen. „Remigration” war das Unwort des Jahres 2023. 2024 schaffte es „Biodeutsch”, als Unwort des Jahres gekürt zu werden. Das Wort soll deutsche Menschen ohne Migrationshintergrund bezeichnen, eine rassistische und diskriminierende Bezeichnung sondergleichen. Niemand kann mehr sagen, nichts gewusst zu haben.
Am 15. Februar hat die AfD eine große Wahlkampf-Kundgebung auf dem Düsseldorfer Schadowplatz angemeldet. DSSQ plant eine Gegenkundgebung!
Und am 20.02. ist die AfD mal wieder im Bürgerhaus Bilk, auch dagegen wird protestiert.
Save the dates!