Mega-Krise Wohnungsnot – ungelöst

Darf‘s noch ein bisschen mehr sein? Jetzt hält der desaströse Wohnungsmarkt auch noch das Mittel der „Verwertungskündigung“ parat. Aber in Golzheim regt sich dagegen Widerstand.

Ende des Monats wird ein neuer Bundestag gewählt. Mensch sollte annehmen, die drückenden Sorgen und Nöte der Menschen und die Lösungsvorschläge der Parteien würden beim Werben um Wähler*innenstimmen im Mittelpunkt stehen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen ist das aber nicht der Fall. Vorrangig geht es um wechselseitige Schuldzuweisungen der Parteien, um die bedrohte internationale Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft und um die Unterstützung der Ukraine.

Aktuell wird verstärkt um die Asyl- und Zuwanderungspolitik gestritten, jeder neue tödliche Gewaltakt, der Geflüchteten zugeschrieben werden kann, sofort politisch instrumentalisiert. Mit ihrer aggressiven ausländer*innenfeindlichen Rhetorik hat es die AfD geschafft, die meisten anderen Parteien in einem Überbietungswettbewerb für immer weitergehende Regelverschärfungen vor sich her zu treiben.

Armutsgefährdung & Wohnungsnot

Viele Menschen treibt aber Angst und existentielle Verunsicherung durch drohende Armut und Wohnungsnot um. Im medialen Wahlkampfgetöse ist davon nur wenig zu hören. Die wachsenden Unterschiede zwischen Arm und Reich werden nach dem übereinstimmenden Ergebnis verschiedener Umfragen mehrheitlich zu den größten Problemen für das Zusammenleben in Deutschland gezählt. Laut dem jüngsten Oxfam-Bericht zur sozialen Ungleichheit sind im letzten Jahr weltweit die reichsten Menschen noch reicher geworden, zugleich ist die Armut gewachsen. (www.oxfam.de) In Deutschland leben – nach den USA, der VR China und Indien – die meisten Milliardäre*innen. Die Reichen sind die großen Gewinner der Krisenjahre seit der Corona-Pandemie.

Auch die Zahl der Menschen, die von Armut bedroht sind, weil ihnen die Wohnkosten über den Kopf wachsen, hat deutlich zugenommen. Steigende Wohnkosten gehören hierzulande zu den großen Armutsrisiken, wie der Paritätische Gesamtverband jüngst in einer Expertise zur Wohnarmut festgestellt hat. In konventionellen Berechnungen der Armutsgefährdung werden die Wohnkosten (Miete zuzüglich kalte und warme Nebenkosten) nicht berücksichtigt. Erst wenn mensch, wie in der Studie des Paritätischen GV, diese Kosten einbezieht, wird das gesamte Ausmaß der Armutsgefährdung* deutlich: Danach sind in Deutschland 17,5 Millionen Menschen von Wohnarmut betroffen, das entspricht 21,2 Prozent der Bevölkerung. Ursachen dafür sind vor allem hohe und trotz fortdauernder Flaute auf dem Immobilienmarkt weiter steigende Mieten. Die Kaufpreise für Eigentumswohnungen sind laut Immobilienportal Immoscout 24 von 2022 bis 2024 zwar um 9,4 Prozent gefallen, im selben Zeitraum sind die Wohnungsmieten jedoch im Durchschnitt um 11,7 Prozent weiter deutlich gestiegen. Hinzu kommen ebenfalls weiter steigende Kosten für Heizung und Strom. „Die Wohnungsnot ist die unterschätzte Mega-Krise unserer Zeit. Ihre Sprengkraft für unsere Gesellschaft ist nicht geringer als der Krieg gegen die Ukraine und die Klimakrise. Sie wird nur nicht so spektakulär sicht- und spürbar – sieht mensch einmal von der wachsenden Zahl der Wohnungslosen ab, die sich in unseren Innenstädten durchzuschlagen versuchen. Dabei ist die Wohnungsnot eine Krise, die immer breitere Gesellschaftsschichten erreicht, unseren Alltag verändert, weil sie Zukunftspläne zunichte macht und Existenzängste auslöst. Deshalb muss ihr mit aller Konsequenz begegnet werden“, so Michael Weidemann in einem ARD-Kommentar (20.4. 2023).

Neu entflammte Liebe zum sozialen Wohnungsbau

Die aktuelle Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt macht deutlich, in welchem Ausmaß dieser Appell praktisch folgenlos geblieben ist. Die Zahl fehlender Wohnungen wird derzeit bundesweit auf 600.000 bis 800.000 beziffert. Selbst der Spitzenverband der deutschen Immobilienwirtschaft ZIA befürchtet, die Versorgungslücke könnte bis 2027 auf 830.000 Wohnungen anwachsen (Frankfurter Rundschau 20.1. 2024). Die noch von der Ampel-Regierung ausgegebene Zielmarke von 400.000 Wohnungen pro Jahr wurde nie erreicht! 2023 wurden nur 294.000 Wohnungen fertig gestellt, Zahlen für 2024 liegen noch nicht vor, gegenüber dem Vorjahr zeichnet sich bereits ein weiterer Rückgang der Baugenehmigungen um 13 Prozent ab, was zwangsläufig zur Folge hat, dass auch die Baufertigstellungen in den kommenden Jahren weiter zurückgehen werden (Statistisches Bundesamt, Destatis 2025).

Als Gründe für diese Entwicklung werden üblicherweise gestiegene Baukosten und Kreditzinsen genannt. Die sind zwar im letzten Jahr leicht zurückgegangen, auch die Immobilienpreise sind minimal gestiegen – in der Branche spricht man gern davon, dass die „Phase der Bodenbildung“ nun erreicht sei. Es ist das Pfeifen im Wald, um sich selber Mut zu machen. Denn überwunden ist die Immobilienkrise längst nicht. Gero Bergmann, der Präsident der Pfandbriefbanken, nennt die Situation auf dem Wohnungsmarkt „so desaströs wie nie“, und er kennt auch den Grund dafür: Wohnungsbau rentiert sich derzeit nicht! (FAZ 14.12. 2024). Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich das Wohnungsdefizit schon in der Phase des Immobilienbooms von 2010 bis 2022 aufgebaut hat, weil Investor*innen lieber hochpreisig als bezahlbar gebaut haben. Die seit 2022 andauernde Immobilienkrise hat die Probleme noch weiter verschärft. Hohe Baupreise und Zinsen sind jetzt ein Problem, weil neue Wohnungen zu Preisen verkauft oder vermietet werden müssen, die entweder so hoch sind, dass sie selbst für gutverdienende Doppelverdiener*innen der Mittelschicht nicht mehr bezahlbar sind. Oder Verkaufspreise und Mieten müssten so niedrig sein, dass die Investor*innen und ihre Geldgeber*innen die schon fest eingepreiste Rendite nicht mehr erzielt können.

In der Tat lohnt sich für die renditeorientierte Wohnungswirtschaft der Neubau derzeit nicht. Hochpreisige Wohnungen lassen sich nur schwer oder gar nicht mehr verkaufen oder vermieten, weil die nötige kaufkräftige Nachfrage fehlt – es sei denn, die Politik kommt der leidenden Branche z. B. mit Zinssubventionen und Deregulierungen zur Hilfe. Gern werden jetzt auch die Mittel für den früher eher verpönten öffentlich geförderten Wohnungsbau (Sozialwohnungen) in Anspruch genommen. Inzwischen übersteigt die Nachfrage schon die bereitgestellten Fördersummen. Folgerichtig fordert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung jetzt ein Sofortprogramm für den sozialen Wohnungsbau, damit die Kommunen in angespannten Wohnungsmärkten wie z. B. in Düsseldorf über mehr steuerfinanzierte Bundesmittel verfügen können. Ob diese Mittel je fließen werden, ist fraglich, und ob so wirklich mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht, lässt sich aufgrund der bisherigen Erfahrungen bezweifeln. Denn der Fehler liegt im System: Die öffentliche Förderung und die damit verbunde Mietpreisbindung sind zeitlich befristet (in NRW derzeit auf 30 Jahre). Mit dem Ende der Preisbindung können die Wohnungen wieder zu Marktpreisen angeboten werden. In den letzten 10 Jahren ist es nicht gelungen, dem Wegfall der Preisbindungen hinterher zu bauen, deswegen schrumpft der Bestand an Sozialwohungen kontinuierlich, was bundesweit zu beobachten ist.

Auch in Düsseldorf nimmt die Zahl vorhandener Sozialwohnungen immer weiter ab. 2023 gab es noch 14.819 öffentlich geförderten Wohnungen. Sie machen inzwischen nur noch 4 Prozent des Gesamtwohnungsbestandes aus (Landeshauptstadt Düsseldorf/Amt für Statistik und Wahlen 2024). Anspruchsberechtigt für eine Sozialwohnung sind in Düsseldorf aber schätzungsweise knapp 157.000, die Hälfte der Miethaushalte, Der rechnerische Bedarf an Sozialwohnungen wird durch den Bestand, also nur zu rund 9 Prozent, abgedeckt – ein groteskes Missverhältnis. Das wird sich noch weiter verschärfen, weil auch in Düsseldorf mehr Sozialwohnungen aus der Bindung fallen, als neue gebaut werden. Im letzten Jahr wurden zwar mehr öffentlich geförderte Wohnungen fertig gestellt (knapp 700), zugleich sind aber 1.194 Sozialwohnungen aus der Bindung gefallen – unter dem Strich also ein Defizit (Antwort der Verwaltung auf eine Anfrage der Ratsfraktion Die Linke vom 20.1. 2025). Ein absurdes Ergebnis: Trotz einem Mehr an Fördermitteln stehen am Ende weniger geförderte Wohnungen! Der Fehler liegt im System: Er ließe sich nur beheben, wenn die befristete Mietpreisbindung aufgehoben und in eine dauerhafte umgewandelt würde. Möglich wäre das durch die Wiedereinführung der 1989 vom Bundestag abgeschafften Wohnungsgemeinnützigkeit. Ob es nach der Wahl am 23.2. dafür politische Mehrheiten gibt, ist mehr als fraglich.

Wohnungsbestand im Fokus von Investor*innen

Für renditeorientierte Investor*innen ist der Wohnungsneubau derzeit ein wenig erfreuliches Anlagefeld. Deswegen rückt der Wohnungsbestand zunehmend in ihr Blickfeld. Hier lassen sich durch den Ankauf von Mietshäusern, Entmietung durch Verdrängung von Bestandsmieter*innen, umfassende Sanierung oder auch Abriss und Neubau, durch hochpreisige Neuvermietung oder, vor allem in begehrten Innenstadtlagen, auch durch Verkauf als Eigentumswohnungen noch ansehnliche Renditen erwirtschaften. Neuvermietung lohnt sich deswegen, weil in NRW die Nettokaltmieten in Bestandswohnungen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt, wie auch in Düsseldorf, in drei Jahren nur um höchstens 15 Prozent angehoben werden dürfen (sog. Kappungsgrenze). Bei Neuvermietungen gilt zwar die Mietpreisbremse (außer bei Neubauwohnungen), wonach bei Neuvermietung einer Wohnung die ortsübliche Vergleichsmiete nur um max. 10 Prozent überschritten werden darf. In der Praxis ist dieses Instrument aber weitgehend wirkungslos. Letztlich bestimmt der Markt den Mietpreis, weil Mieter*innen selbst Klage erheben müssten, was die meisten aus guten Gründen nicht tun, und weil die Missachtung der Mietpreisbremse für Vermieter*innen keine Konsequenzen hat. Der Mieterverein Düsseldorf schätzt in einer Erhebung, dass ca. 25 Prozent der Vermieter*innen den Grenzwert der Mietpreisbremse überschreiten.

In Düsseldorf machen Mietwohnungen mit über 80 Prozent den Löwenanteil des Wohnungsbestandes aus. Die Gebäudeeigentümer*innen, werden von renditeorientierten Investor*innen umworben und zum Verkauf ihrer Immobilien animiert. Ist das Mietshaus verkauft, versuchen die neuen Eigentümer*innen, die Bestandsmieter*innen zum Auszug zu bewegen. Die dabei angewandten Methoden bewegen sich oft in einem Graubereich zwischen noch nicht strafbar und strafbarer Nötigung. Mobbing, Baumaßnahmen, das Abschalten von Aufzügen, wodurch ältere und gehbehinderte Personen zu Gefangenen in der eigenen Wohnung werden – so in der Bankstraße in Golzheim geschehen – gehören dazu. Als letztes Mittel kommt die Verwertungskündigung zum Zug, ein Instrument, das das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) als eine Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung eines Mietverhältnisses vorsieht. Danach können Eigentümer*innen ihren Mieter*innen kündigen, wenn sie „durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würden ...“ (§ 573, (2)3).

Golzheim – Hotspot des Widerstands

Aktuell häufen sich in den innenstadtnahen und bevorzugten Stadtteilen wie Golzheim, Pempelfort und Derendorf schon vollzogene oder angestrebte Fälle von Entmietungen. Und hier hat sich auch der Protest und Widerstand der Betroffenen – ausgehend von der Mauerstraße 32 (siehe TERZ 09.24) – in bisher in Düsseldorf nicht gekanntem Ausmaß entwickelt. Der Eigentümer PrivateCapital hatte den Bewohner*innen der Mauerstraße 32 in dem Kündigungsschreiben recht unverblümt mitgeteilt, sie stünden seinem Gewinnstreben „bedauerlicherweise“ im Weg, als Renditehemmnis müssten sie deswegen weichen. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht! Die Bewohner*innen der Mauerstraße haben nicht nur ihre Empörung, sondern mit Unterstützung durch das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum auch ihren Willen in die Öffentlichkeit getragen, dem Ansinnen des Investors Widerstand zu leisten. Sie haben sich im Quartier mit Betroffenen in weiteren Häusern vernetzt – bekannt sind inzwischen 20 Häuser es dürften aber noch viel mehr sein. Daraus ist schließlich die Idee entstanden, mit einem Quartiersspaziergang am 3.November 2024 darauf aufmerksam zu machen, dass die Mauerstraße kein Einzelfall ist, sondern dass hier im Wohnungsbestand flächendeckend renditeorientierte Investor*innen mit spekulativen Geschäftsmodellen am Werk sind. Dass sich der Quartiersspaziergang zu einer Quartiersdemonstration mit über 300 Teilnehmer*innen entwickeln würde, war ein Erfolg, mit dem selbst die Initiator*innen nicht gerechnet hatten. Zu der großen und durchweg positiven medialen Resonanz hat sicher auch die symbolische Besetzung einer leerstehenden Wohnung in der Bankstraße beigetragen. Nicht zufällig handelt es sich gerade um das Haus, in dem der Eigentümer die Fahrstühle stillgelegt hatte. Durch den öffentlichen Druck war er schließlich gezwungen, die Fahrstühle wieder in Betrieb zu nehmen, ein schönes Beispiel dafür, wie mensch sich gemeinsam mit Erfolg wehren kann. Nicht nur die Medien, auch die lokale Politik hat auf die Ereignisse in Golzheim-Süd reagiert, das hat es in Düsseldorf bisher so nicht gegeben. Oberbürgermeister Stephan Keller hat Mieter*innen aus Golzheim-Süd zu einem zweistündigen Gespräch im Rathaus empfangen. Deren Schilderungen habe ihm die große Diskrepanz zur Aktenlage verdeutlicht: „Wir haben es mit Praktiken zu tun, die nicht Recht und Gesetz entsprechen“, so der Oberbürgermeister nach dem Gespräch (RP 14.11. 2024). Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Entmietungen und Verdrängung finden auch dort statt, wo es juristisch mit rechten Dingen zugeht. Verwertungskündigungen sind ein völlig legales Instrument, um ganze Häuser zu entmieten, damit Luxussanierung durchgeführt oder nach Abriss neu gebaut werden kann. Ob sich Investor*innen mit diesem Ansinnen durchsetzen können, ist zwar auch eine juristische, vor allem aber ist es eine politische Frage. Die angekündigte Einrichtung von Ermittler*innenteams in der Verwaltung, die Mieter*innen beistehen sollen, die sich durch unfaire Praktiken bedroht fühlen, ist zweifellos ein Fortschritt. Gegen ganz legale Entmietungen werden sie aber kaum helfen.

Die Ereignisse in Golzheim-Süd machen den Grundwiderspruch des kapitalistischen Wohnungsmarktes deutlich: Was für Investor*innen und Immobilieneigentümer*innen bloßes Renditeobjekt und privates Eigentum ist, über das man nach Belieben verfügen kann, ist für Mieter*innen nicht nur das Dach über dem Kopf, es ist ihr Zuhause, ihr Rückzugsort, von dem man sich Schutz und Geborgenheit verspricht, ihre Heimat, zu der auch die sozialen Verbindungen im Quartier gehören. In vielen Fällen ist es auch der Ort, an dem sich ein ganzes Leben abgespielt hat. Die Schlussfolgerung kann nur sein, dass Wohnen keine Ware sein darf, mit der Investor*innen nach Belieben verfahren können. Wohnen muss dem Markt entzogen und zu einer gemeinwohlorientierten, demokratisch kontrollierten kommunalen Aufgabe werden.

Mieter*innen sind in Düsseldorf wie in anderen größeren Städten die überwältigende Mehrheit. Sie werden mit ihren Interessen aber nur wahr- und ernstgenommen, wenn sie öffentlich sichtbar sind und laut dafür eintreten. In den Medien und der Politik sind die Auswirkungen immer noch spürbar. Das könnte daran liegen, dass die einen mit Besorgnis, andere aber auch mit Hoffnungen wahrgenommen haben, dass hier möglicherweise nur die Spitze eines Eisbergs sichtbar geworden ist.

Helmut Schneider
Bündnis für bezahlbaren Wohnraum