TERZ 03.25 – AM PRANGER
Selten waren sich Politiker*innen deutscher Parteien so einig: Es muss ganz viel passieren, damit weniger oder besser keine Geflüchtete mehr ins Land kommen. Diese Menschen werden in zunehmendem Maße als potentielle Gefahr angesehen. Dringlichere Themen, besonders die Klimakatastrophe, werden in den Hintergrund gedrängt.
Die Aktion von Friedrich Merz am 29.01., seinem Fünf-Punkte-Antrag zu einer erneuten Verschärfung der Migrationsregeln mit FDP und AfD zu einer Mehrheit zu verhelfen, sorgte für bundesweite Protestaktionen auf breiter Front. Zumal Merz erst kurz nach dem Bruch der Ampelregierung versprochen hatte, keine „zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit“ mit der AfD zu suchen. „Wenn es hier heute eine solche Mehrheit gegeben hat, dann bedaure ich das“, schwadronierte der Möchtegern-Kanzler, nachdem er an jenem denkwürdigen Mittwoch ein paar Brocken aus der vielzitierten Brandmauer gerissen hatte. Damit erntete er Hohngelächter von Grünen, SPD und Linken. Doch wer zuletzt lacht …
Das von Merz und seinem Fan-Kreis angestrebte Zustrombegrenzungsgesetz scheiterte vorerst, da der Bundestag es mit knapper Mehrheit abgelehnt hat: Am 31.01. stimmten 349 Abgeordnete gegen die Initiative, 338 votierten für den Entwurf, dabei gab es fünf Enthaltungen, auch aus Reihen der CDU.
Unterm Strich geht es vordringlich darum, dass subsidiär geschützte Geflüchtete ihre Familien nicht nachholen dürfen, dass die Einreise von Geflüchteten möglichst verhindert wird, indem diese an der Grenze abgewiesen werden. Erschreckend, dass dies nicht mit Hilfe der AfD, sondern durch Stimmen aus der „breiten demokratischen Mitte“ durchgeboxt werden sollte, wie der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr die erhoffte Mehrheit nannte.
Diese breite demokratische Mitte hat auch das 2. NRW-Abschiebegefängnis in Mönchengladbach mit 140 Haftplätzen geplant, damit möglichst alle ausreisepflichtigen Menschen bis zu ihrer Abschiebung festgesetzt werden können. Die Fertigstellung des Knasts in Mönchengladbach wird allerdings bis zu fünf Jahre in Anspruch nehmen. Eine lange Zeit. Zu befürchten ist, dass, so eine der Forderungen von Merz, „vollziehbar Ausreisepflichtige“ etwa in leer stehenden Kasernen oder Containern in Haft genommen werden.
Wie grausam, geht's noch?
Hat Merz überhaupt eine Ahnung, was er da Ungeheuerliches fordert? „Personen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, dürfen nicht mehr auf freiem Fuß sein. Sie müssen unmittelbar in Haft genommen werden. Die Anzahl an entsprechenden Haftplätzen in den Ländern muss daher signifikant erhöht werden.“ So O-Ton Merz. Vollziehbar ausreisepflichtig sind in Deutschland (Stichtag: 31. 12.2024) 220.808 Menschen. Zu denen zählen auch alle Personen mit einer sogenannten Duldung. Ebenso solche, die schon Jahrzehnte in Deutschland leben, die hier geboren sind, arbeiten oder eine Ausbildung machen. Oft wird es so dargestellt, als seien nur Straftäter*innen gemeint.
Nebenbei bemerkt: Auch Noch-Kanzler Scholz will weiterhin im großen Stil abschieben. Damit, und auch mit seinen Erfahrungen mit Abschiebeknästen, brüstete er sich am 09.02. im TV-Duell mit Merz. Anstinken gegen Merz war die Devise des Abends, wenn auch eine erneute Koalition zwischen CDU und SPD nicht ausgeschlossen wurde.
Am 11.02. bei der letzten Bundestagssitzung vor der Wahl, ging es nochmal hitzig zu. Merz wies Scholz‘ Befürchtung, er, der CDU-Kanzlerkandidat, könne entgegen aller Beteuerungen doch mit der AfD koalieren, als gezielte Angstmacherei zurück. Er versicherte erneut, eine Zusammenarbeit mit der AfD komme nicht infrage. Dem Noch-Kanzler warf er vor, einen „Popanz“ aufzubauen – gemeint ist damit eine „Kunstfigur“, mit der man versucht, Menschen Angst zu machen. Popanz, vielleicht Merz’ neuer Spitzname?
Dass Olaf Scholz keine „Alternative für Deutschland“ ist, haben inzwischen allzu viele Menschen erkannt. Fatal ist aber, dass immer mehr das „Original“ gegen Hass und Hetze wählen – nicht nur in Ostdeutschland.
Steht Merz für eine Politik gegen Arbeitnehmer*innen und gegen soziale Gerechtigkeit? Der Eindruck drängt sich immer wieder auf, er selbst zählt sich zur oberen Mittelschicht, besitzt zwei Privatflugzeuge und hat eher einen Bezug zum Leben ähnlich situierter Menschen in diesem Land. Merz steht für die Interessen großer Konzerne und Banken, nicht für die der arbeitenden Bevölkerung. Seine drei ehemaligen privatwirtschaftlichen Auftrags- und Arbeitgeber – chemische Industrie, Finanzbranche und Metallindustrie – zählen zu den größten Spenderinnen der CDU, die in diesem Wahlkampf bislang mehr als fünf Millionen Euro von Unternehmen und ihren Verbänden einstecken konnte, deutlich mehr als die anderen Parteien. Scholz billigt immerhin Menschen, die für ihre Arbeit gering entlohnt werden, einen Mindestlohn von 15 Euro zu, Merz hingegen befürchtet Belastungen für die Arbeitgeber*innen durch höhere Lohn- und Lohnnebenkosten. Aber: „Fleiß muss sich wieder lohnen“, ist auf Wahlplakaten der CDU zu lesen.
Zahlreiche Protestaktionen, nicht nur gegen die AfD, sondern gezielt auch gegen den CDU-Politiker Friedrich Merz, ziehen seit Wochen durch ganz Deutschland. In Düsseldorf protestierten am 30.01. auf dem Burgplatz gut 1.000 Menschen im strömenden Regen und durften nicht, wie geplant, zur CDU-Zentrale an der Wasserstraße ziehen, es waren der Polizei zu viele. Schließlich gab der Graf-Adolf-Platz das neue Ziel ab, insgesamt um die 5.000 Teilnehmende sollen gegen Merz & Co. auf den Straßen gewesen sein.
Am 09.02. kamen etwa 500 Menschen auf dem Schadowplatz gegen Merz zusammen, der gerne der nächste Bundeskanzler werden will und sich bislang nicht selbst demontiert hat wie Armin Laschet (CDU) 2021. Aufgerufen hatten die „Initiative Düsseldorf gegen Merz“ und das Bündnis „Feministischer Kampftag Düsseldorf“.
Das Taktieren mit der AfD (wie oben geschildert) hat für viele das Fass zum Überlaufen gebracht. Merz hat sich bereits in den vergangenen Jahren seiner politischen Karriere immer wieder mit Entscheidungen und Aussagen geoutet, die sein Menschenbild veranschaulichen. So prangerte die „Initiative Düsseldorf gegen Merz“ an, dass dieser für eine Politik der Spaltung, des Sozialabbaus und der Entrechtung stehe. Er rücke die CDU immer weiter nach rechts, untergrabe Grundrechte und gieße Öl ins Feuer von Rassismus und Frauenfeindlichkeit. Merz’ verbreite rassistische Rhetorik und Hetze gegen Migrant*innen und Geflüchtete, er wolle das Grundrecht auf Asyl abschaffen. Er kriminalisiere ganze Bevölkerungsgruppen, stelle rassistische Narrative über Fakten und bediene damit genau die Ressentiments, die in den letzten Jahren zu rechter Gewalt geführt haben.
„Merz ist nicht unser Kanzler“, war demnach die Devise auf dem Schadowplatz, begleitet von Rufen: „Shame on you CDU“.
Weiter ging es in Düsseldorf am 15.02. mit Demos gegen die AfD, die auf dem Oberbilker Markt eine Kundgebung unter dem mega-widerwärtigen Motto „Remigration schafft Wohnraum“ durchführte. Hunderte fanden sich zu lautstarken Protesten ein, am blauen Pavillon war die Resonanz eher mau. Viele der Demonstrierenden zogen von dort aus direkt weiter Richtung DGB-Haus, von da aus ging es zum Schadowplatz, wo die AfD ihre Wahlkampfveranstaltung zur Bundestagswahl begehen wollte. Aufgrund von Massenprotesten ein schwieriges Unterfangen für die rechte Mischpoke. Bis zu 30.000 Menschen wanderten durch die Düsseldorfer Innenstadt und kreisten den blauen Stand vor dem Kö-Bogen regelrecht ein, braun-blaue Wahlkampfpropaganda ging kläglich unter und wurde vor schätzungsweise 50 Interessierten kundgetan. Ein breites Bündnis zeigte laut, bunt und vielfältig Präsenz gegen Rechts, leider schlug die Polizei brutal auf einige Teilnehmende ein. Ließen die Beamt*innen in voller Montur ihren Frust an Protestierenden aus? Denn wäre es nach der Polizei gegangen, hätte die AfD für ihre Kundgebung selbst Sicherheitspersonal organisieren müssen. Das angerufene Verwaltungsgericht urteilte anders und sprach von einer „faktischen Behinderung“ der Partei im Wahlkampf: Die Polizei musste die Kundgebung schützen.
Die Abschlusskundgebung auf dem Corneliusplatz zeigte nochmal die Wagen von Jacques Tilly, die auch die Klimastreik-Demo am Vortag begleitet hatten.
Ob es weiterhin so viele Menschen auf Demonstrationen treibt, gegen die AfD und eine Zusammenarbeit mit dieser rechtsextremistischen Partei – und auch gegen eine sich weiter verschärfende Migrationspolitik. Was nach der Bundestagswahl geschieht, mensch ist gespannt. Vielleicht befassen wir uns mal mit Mutter Erde statt mit Vater Staat. 2024 war das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Drei Grad Erderwärmung sind kaum noch abzuwenden, mit katastrophalen Folgen für Menschheit und Natur. Im Wahlprogramm der CDU steht davon kein Wort. Klimaleugner Trump lässt grüßen.
Dabei ist die Klimakatastrophe in zunehmendem Maße ein Fluchtgrund. Laut UNHCR (Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen) wurden in den letzten 10 Jahren 220 Millionen Menschen durch klimabedingte Katastrophen zur Flucht innerhalb der Landesgrenzen gezwungen. 2023 verließen rund 26,4 Millionen Menschen ihre Heimat aufgrund von Katastrophen und klimabedingten Ereignissen wie Dauerregen, lang anhaltenden Dürren, Hitzewellen und Stürmen sowohl kurz- als auch langfristig – das ist die höchste Zahl seit einem Jahrzehnt.
Jetzt, am Abend des 23.02., machen wir gerade die März-Terz druckfertig. Währenddessen hat Deutschland gewählt, die ersten Hochrechnungen erscheinen auf dem Screen. Erwartungsgemäß sind CDU (fast 30 Prozent) und AfD (knapp 20 Prozent) die Gewinnerinnen. Zu hoffen ist, dass Merz sich an seine Beteuerungen, nicht mit der AfD zu koalieren, hält. FDP und BSW krebsen bei knapp unter 5 Prozent herum, Grüne bei 13,3, SPD bei 16. Die Linke kommt auf beachtliche 8,6 Prozent. ³
Christine