Düsseldorfer Hängung

Es ist Februar. Der Winter schlendert durch die Düsseldorfer Altstadt und ich bin auf dem Weg zum Rundgang der Kunstakademie. Bis Sonntag kommen tausende Leute von überall her, um die Arbeiten der Studierenden zu bestaunen. Der Eintritt ist frei, aber das bedeutet nicht, dass der Zugang zum Rundgang ohne Hürden ist.

Zuerst gilt es, sich durch die rauchende Masse vor dem Eingang zu kämpfen, hinein in diese andere Welt. Zwei Schritte reichen, dann beginnt eine erste Reizüberflutung. 80 Räume, 1.000 Werke von über 400 Studierenden und fast alle Menschen tummeln sich im Erdgeschoß. Das hier ist kein Freitagnachmittag mit Lars Eidinger im K21, hier ist es voll. Eigeninitiative ist gefragt, um in die Räume zu kommen. Wer sich nicht bemüht, bleibt im Gedränge des jeweiligen Türrahmens stecken.

Drinnen reicht der Platz, um sich einmal umzuschauen. Und dieses Umschauen hat es in sich. An den Wänden hängen Gemälde, Bildschirme und Fotografien. An manchen Stellen bin ich unsicher, was sich mir dort offenbart. Auffällig lange starre ich auf verformte Bierdeckel, bis ich begreife, dass sie Körperteile darstellen, von Augen bis Genitalien. Auf den ersten Blick ist das viel und ungewohnt. Wie viel Zeit widme ich den einzelnen Stücken? Wie lange bleibe ich in einem Raum?

Selbst auf den Gängen findet die Ausstellung statt. An den Wänden hängen bunte Plakate, Leute tragen Klamotten mit Mustern, die ich noch nie gesehen habe, und bei dem einen Sofa weiß ich immer noch nicht, ob das zum Inventar oder zur Ausstellung gehört. Ich brauche eine Pause und finde einen kleinen Süßwarenstand. Beim Warten in der Schlange ist der erste Schock schon verarbeitet, ich habe Lust auf mehr. Das geht am besten mit Getränk, deshalb kaufe ich noch einen Kaffee zur gemischten Tüte. Und Bier? Das gibt’s unten an der Theke oder bei anderen selbstgebauten Bars.

Orientierung im Rundgang wird nicht leichter. Kurz denke ich darüber nach. Am Eingang wurden doch Informationshefte zum Rundgang verkauft, oder? Aber letztendlich geht es doch ums Entdecken. Einmal stehe ich vor hosenlosen Burschenschaftlern und schaue mich fragend um. Neben mir staunt ein älteres Paar über blaue Rechtecke, eine junge Familie läuft vorbei, und da in der Ecke sitzen die Kunststudierenden. Dabei sind sie doch die perfekten Ansprechstationen für flüchtige Nachfragen. Nach jahrelanger Museumserfahrung sehne ich mich nach erklärenden Texttafeln und muss mich erst überwinden, die Künstler*innen anzusprechen. Aus einem Kommentar zu einem Text an der Wand entwickelt sich eine ganze Diskussion zur Quarter-Life-Crisis. Hier verliert die Akademie einen Teil des Elitären, die Menschen werden nahbar und die Werke persönlicher.

Dennoch mag die Akademie weiterhin wie eine eigene Welt erscheinen, aber die Probleme von draußen sind hier genauso relevant. In den oberen Stockwerken dünnen sich die Massen vom Erdgeschoss aus und verteilen sich. Dort weist auch ein Gedenktisch auf einen Femizid hin. Im Juli letzten Jahres ist eine Studierende mutmaßlich von ihrem Partner ermordet worden, ein Foto von ihr, umrandet mit Blumen, zeigt die 24jährige. In Erinnerung an sie hängen ihre Kunstwerke an der Wand, rhythmische Linien auf großen Leinwänden.

Das Gesehene braucht einen Augenblick, um verarbeitet zu werden. Ich bleibe stehen im Gang und gehe an anderen Räumen vorbei. Die Zeit nutze ich für einen genaueren Blick auf die Plakate. Manche sind Werbung für Ausstellungsräume, daneben findet sich aber ein Aufruf zu einer Demo am Freitag. Es geht um faire Bezahlung der Hilfskräfte und bessere Lehre. Das verkürzte Sommersemester steht in der Kritik, ebenso wie die häufige Abwesenheit von Professor*innen.

Später finde ich mich auf der Terrasse wieder und genieße die Sicht auf den Rhein. Irgendwo habe ich drei Euro für ein Bier bezahlt. Je weiter oben die Räume liegen, je schwerer wird es zu erkennen, ob es sich um Lager- oder Ausstellungsräume handelt. Bin ich überhaupt noch bereit, mehr anzuschauen? Die Frage erübrigt sich, denn die Studierenden schließen ihre Räume bereits.

Am Wochenende bedeutet das eine Sache. Bald beginnt die Party, unten im Keller läuft Musik und vor allem Security herum. Die Gesellschaft teilt sich in zwei Teile, welche mit Bändchen und Leute ohne. Bändchen sind für die Studierenden und ihre Freunde. Meine Beine sind müde, ich bin kaputt. Auf der Toilette kommt das Angebot, Bändchen für 5 Euro. Umgerechnet in Dortmunder Export ist mir die Heimfahrt mit Wegbier lieber. Ich gehe zur Bahn und denke über den Rundgang nach. Was habe ich verpasst? Gab es noch ein Kunstwerk, das mich besonders angesprochen hätte? Vielleicht ist es in der Menge an Kunstwerken untergegangen. Im Juli versuche ich es wieder. Da findet der Sommer-Rundgang statt.

Lennart