„Die Gischt der Tage“ im D’haus

Liebe, Leiden und dazu Trompete

Ingenieur, Trompeter, Sänger und Skandalautor. Boris Vian konnte vieles. Auch wenn zur Veröffentlichung 1946 weniger beachtet, erlangte sein Roman „Die Gischt der Tage“ in Frankreich Kultstatus. In Deutschland schien das Buch halb vergessen, und dennoch oder gerade deshalb wagte sich die Regisseurin Bernadette Sonnenbichler an eine Inszenierung von Vians Liebesroman. Es stellt sich die Frage, wie ein solcher Roman auf die Bühne gebracht werden kann. Was anfangs leicht und verspielt wirkt, entwickelt sich schnell zu einer eingehenden Abrechnung mit dem Leben und anderen Themen, die auch heute noch aktuell sind: darunter die Kirche, Kapitalismus und Krieg.

Neben den großen Themen glänzt Vians Schreibstil durch einen speziellen Humor aus Wortwitzen und obskuren Anspielungen. Dazu warten im Roman immer wieder surreale Szenarien auf: So endet ein Eislauf-Date im Massaker oder es werden Waffen ausgebrütet. Manches davon mag überdreht und fast albern wirken. Sonnenbichlers Adaption orientiert sich wie schon ihre Moliere-Inszenierung nah am Quellentext. Diese Herausforderung gelingt. Großen Anteil daran hat die grandiose schauspielerische Leistung, ebenso wie die Inszenierung an sich.

Der Schaum des Theaters

Zunächst zur Handlung: Colin (Sebastian Tessenow) führt als wohlhabender Junggeselle ein sorgenfreies Leben im Luxus. Sein Alltag besteht aus Gesprächen mit seinem Koch Nicolas (Jürgen Sarkiss), der mit kreativen Rezepten begeistert. Zum Essen kommt regelmäßig sein Freund Chick (Jonas Friedrich Leonhardi) vorbei, ein großer Fan des Philosophen Jean-Sol Partres. Die beiden Junggesellen machen Späße und genießen hin und wieder einen Drink vom Pianocktail, das beim Spielen einen passenden Drink mixt. Ihr Leben ändert sich jäh, als Chick Alise (Fnot Tadesse) kennenlernt. Durch sie trifft Colin auf Chloe (Sophie Stockinger) und die zwei Junggesellen werden Teile von Liebespärchen. Die Romanze macht glücklich, aber kann sich nicht halten. Chloe wird schwer krank, ein bösartiger Lotos beginnt in ihrer Lunge zu wachsen. Verzweifelt gibt Colin all sein Geld aus, um sie zu retten. Ihr Schicksal kann er trotzdem nicht aufhalten, sie stirbt. Letztendlich wird eine Welt gezeichnet, in der sich die deprimierte Maus lieber von der Katze fressen lässt.

Die Figuren werden durch das Ensemble überzeugend dargestellt, so liegen sich Colin und Chick elektrisiert in den Armen, während Chloe immer weltfremder wird. Ebenso verfällt das Bühnenbild, gestaltet vom Videokünstler Stefano Di Buduo, zusehends. Er hat auch die Animationen verfremdeter Handlungsabschnitte gestaltet, die auf den halbdurchsichtigen Vorhang projiziert werden, der immer mal wieder vor die Bühne fällt. Trompeter Richard Koch komplettiert das Ensemble rund um Colin in der Rolle als Maus. Mit seiner ständigen Präsenz wird er fast schon zum Teil des Bühnenbilds, während er mit seiner Trompete das Stück musikalisch untermalt. Zunächst erklingt beschwingender Jazz, doch bald kippt der Ton in einen traurigen Blues. Mit Koch gelingt der Inszenierung etwas Besonderes. Vian selbst schrieb im Vorwort zu „Die Gischt der Tage“: Es gibt nur zwei Dinge: die Liebe und die Musik. Die Liebe, in allen leichten wie schweren Facetten, findet sich bereits im Text wieder und Kochs Trompetenspiel fügt sich da organisch ein.

Trubel auf der Bühne

So positiv das Gesamtbild auch ausfällt, in den zwei Stunden prasselt viel auf das Publikum ein. Anders als beim Lesen gibt es in diesem Stück keine Pausen, um bestimmte Szenen auf sich wirken zu lassen oder Anspielungen nachzuschauen. So ist Chloe beispielsweise nach einem Stück von Duke Ellington benannt. Solche Details können natürlich untergehen, denn andere Referenzen nehmen so viel Platz ein, dass sie verwirrend werden können. Jean-Sol Partre ist nicht nur Jean-Paul Sartre, sondern beherrscht auch einen Großteil der Handlung. Chick gibt nämlich wie Colin all sein Geld für die Liebe aus, Ziel seines Verlangens sind aber die Werke Partres. Aus Chicks Obsession lässt sich Vians kritische Sicht auf öffentliche Intellektuelle ableiten. Chick kauft alles, was Partre von sich gibt, ohne die Inhalte wirklich zu verstehen. Dem Publikum kann es angesichts der Fülle an Referenzen zu Sartre ähnlich gehen. Die Titel der Bücher im Stück, wie „Der Schein und das Licht“ sind Wortspiele echter Werke, die Szene vom überfüllten Vortrag ist eine Verfremdung eines echten Vortrags von Sartre. Dahinter steckt mehr als eine reine literarische Verbindung zwischen Vian und seinem Zeitgenossen Sartre. Auch im echten Leben kannten sich die beiden. So verkehrten sie in denselben intellektuellen Kreisen der Pariser Nachkriegszeit, wo sich auch andere Größen wie Simone de Beauvoir oder Juliette Gréco herumtrieben. Vians erste Frau Michelle begann sogar eine langjährige Affäre mit Sartre. Dieser stand der „Gischt der Tage“ jedoch positiv gegenüber und veröffentlichte Ausschnitte in seiner eigenen Zeitung „Les Temps Modernes“.

Ostern in Deutschland

An dieser Stelle sei aus aktuellem Anlass ein weiterer Teil des Stücks hervorgehoben. Aufgrund Chloes steigender Behandlungskosten sucht sich Colin Arbeit, als Rausschmeißer, Nachtwächter und in der Rüstungsindustrie. Dabei muss er, ganz in Vians surrealistischem Stil, Gewehre ausbrüten. Letztendlich wird Colin gefeuert, weil Blumen aus seinen Gewehren wachsen und die Waffen dadurch unbrauchbar werden. Angesichts der Erschöpfung von Colin wird deutlich, dass die Rüstungsindustrie an der Lebenskraft zehrt.

Das Thema Krieg beschäftigte Vian über den Roman hinaus. Im Zuge der französischen Indochinakriege veröffentlichte er 1954 das Chanson „Le Deserteur“. Hier schreibt ein fiktiver Soldat an den Präsidenten und listet seine Gründe für die Kriegsdienstverweigerung auf. Schon bei der Veröffentlichung griff die Zensur ein und sorgte für öffentlichen Ärger. So sprach sich Jean-Marie Le Pen, Marie Le Pens Vater, in der Nationalversammlung gegen das Lied aus. Bald wurde das Lied verboten und erst nach dem Ende des Algerienkrieges 1962 von der Zensur befreit. In Westdeutschland konnte sich das Lied jedoch schnell großer Bekanntheit erfreuen. Das von Gerd Semmer übersetzte Chanson wurde bei den Ostermärschen der 60er aufgegriffen. 1966 sang Joan Baez bei ihrem Besuch der Ostermärsche die französische und die englische Version. Später wagten sich Liedermacher wie Wolfgang Biermann oder andere Interpreten wie Reinard Mey daran. So übersetzte Biermann passend die Zeile „Die Kriege sind ein Scheiß“. Davon bekam Vian nichts mehr mit. Er starb bereits 1959 im Alter von 39 während der Premiere einer Verfilmung eines seiner Bücher. Todesursache war sein ganz eigener Lotos, ein Lungenödem.

Abschließend soll gesagt sein, dass sich ein Besuch des Stückes auf jeden Fall lohnt. Die Inszenierung macht Spaß und das Quellenmaterial ist sowieso sehenswert. Überhaupt hat das Schauspielhaus Abhilfe geschaffen für alle, die den Roman zuvor nicht gelesen haben oder keine Berührungspunkte mit Vian hatten. An einigen Terminen gibt es vor der Aufführung eine kurze Einführung. Hier werden die Hintergründe zum Roman und zu Vian selbst erläutert. Eine solche Einführung ist auf jeden Fall zu empfehlen. ³

Lennart

Die nächsten Vorstellungen: 15.04. (mit Einführung ab 19.15 Uhr) und 19.04. (ohne Einführung), jeweils 20.00 Uhr, Schauspielhaus, Kleines Haus