TERZ 04.25 – AM PRANGER
Proteste gegen die Politik und ihre Macher*innen hat es in Deutschland immer wieder gegeben, ein Zeichen für Demokratie und gesellschaftliche Wachsamkeit. Die Kritisierten meckerten auch stets zurück. Diesmal jedoch scheint alles anders zu sein.
Einen Tag nach der Bundestagswahl, am 24.02., stellte die Unionsfraktion in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung 551 Fragen zu 17 Nichtregierungsorganisationen und Initiativen, unter anderem zu deren Finanzierung und Gesinnung. Es geht ganz klar auch um die Gemeinnützigkeit. Diese Anfrage schlägt hohe Wellen und sorgt für Empörung auf breiter Front.
Betroffen von den Fragen, die ein gewisses Geschmäckle haben, sind auch Medienorganisationen wie Correctiv und das „Netzwerk Recherche“, Initiativen wie „Omas gegen Rechts“, Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace oder der BUND. Friedrich Merz verteidigte die Anfrage der Union gegenüber den vielfältigen kritischen Stimmen, es sei nichts Ungewöhnliches, wenn aus dem Parlament heraus nach dem Umgang mit Steuergeldern gefragt werde. Die Anfrage sei „nach den Demonstrationen in den letzten drei Wochen vor der Wahl notwendig“. Diese seien nicht einfach gegen rechts, sondern auch „ganz dezidiert gegen uns“, so Merz. Sollten sich gemeinnützige, sogenannte Nichtregierungsorganisationen von der Regierung finanziell fördern lassen, sei das ein Widerspruch in sich, und wenn die Demos einseitig gegen missliebige politische Parteien gerichtet seien, wären die Veranstalter*innen auch keine neutralen Nichtregierungsorganisationen mehr. Noch ist es, wohlgemerkt, nicht Merz' Regierung.
In zwei offenen Briefen äußern sowohl die betroffenen Organisationen als auch Wissenschaftler*innen ihre Bedenken, mehr als 1.700 Personen haben sie unterzeichnet. Sie äußern darin ihre große Besorgnis über das Vorgehen der Unionsfraktion. Die Anfrage widme sich explizit der Finanzierung und dem Gemeinnützigkeitsstatus von Organisationen aus der demokratischen Zivilgesellschaft, die sich, auch politisch, in der Öffentlichkeit engagierten. Dabei sei im höchsten Maße beunruhigend, dass die Kleine Anfrage das Narrativ eines „tiefen Staates“ (Tiefer Staat: ein negativ konnotiertes politisches Schlagwort, das tatsächliche oder angebliche und illegale oder illegitime Machtstrukturen innerhalb eines Staates bezeichnet) aufgreife. Damit werde suggeriert, dass der Arbeit der Organisationen ein Makel anhafte oder dass sie eine schädliche Wirkung hätten. Sie seien jedoch eine tragende Säule demokratischer Willensbildung.
Die Unionsfraktion stellt die Gemeinnützigkeit der Organisationen infrage und begründet dies mit den Protesten gegen die CDU, ausgelöst Ende Januar durch eine gemeinsame Abstimmung mit der AfD über eine Verschärfung der Asylpolitik. Die Proteste seien teils von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten Organisationen veranstaltet oder unterstützt worden.
Die Unterzeichner*innen schreiben dazu, der Kontext und der Zeitpunkt der Anfrage legten den Schluss nahe, dass gegen die Organisationen vor allem deshalb der Verdacht einer unzulässigen Beeinflussung der politischen Willensbildung erhoben werde, weil sie öffentliche Kritik gegenüber der Politik der Union geäußert hätten. Was Merz ja auch so in seiner Rechtfertigung formuliert hat, siehe oben.
In Zeiten globaler Verwerfungen und verstärktem Misstrauen gegenüber der Demokratie, in denen die demokratische Zivilgesellschaft so wichtig wie nie sei, erkennen die Unterzeichnenden einen konfrontativen Unterton in der Kleinen Anfrage und deuten dies als Alarmsignal. Sie kritisieren die Rechtsauffassung der Unionsfraktion. Es sei „verfassungsrechtlich nicht haltbar“, wenn die Union suggeriere, „dass staatlich geförderte Organisationen einer Neutralitätspflicht unterliegen, die sich aus der Neutralitätspflicht des Staates ableitet.“ Die Neutralitätspflicht des Staates beziehe sich lediglich auf das Handeln der Exekutive, nicht aber auf die Meinungsäußerungen und die politische Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteur*innen.
Die Forschenden appellieren an die Unionsfraktion, ein Demokratiefördergesetz einzuführen und verweisen dabei auf den Untersuchungsausschuss zu den NSU-Morden, der bereits 2013 ein solches Gesetz gefordert hatte. Dem stimmte damals auch die Unionsfraktion zu. Nur umgesetzt wurde die Forderung nie.
Der zweite offene Brief kommt von mehr als 200 Organisationen und Einzelpersonen. Darin werfen sie der Union vor, die 17 betroffenen Initiativen unter Generalverdacht zu stellen. Als nunmehr größte Fraktion im Deutschen Bundestag und voraussichtliche Regierungspartei „tragen Sie eine besondere Verantwortung, unser demokratisches Fundament zu bewahren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern“, so die Unterzeichnenden. Der an Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt adressierte Brief äußert sich „schockiert über die Sichtweise auf bürgerschaftliche Organisationen“.
Unter dem Motto Wir sind die Brandmauer fanden auch in Düsseldorf Protestveranstaltungen mit vielen Tausend Menschen statt (TERZ 03.2025). Wie Merz richtig erkannt hat, richteten sich die Proteste gegen Rechts. Und wenn rechte Politik von der CDU, speziell von Merz kommt, richten sie sich gegen ihn und seine Partei. Ende Januar 2024 waren auch Politiker*innen der CDU unter den 100.000 Menschen der Demo gegen Rechts in Düsseldorf. Der Aufschrei nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche war auch aus Reihen der CDU groß. Wortbeiträge wurden auf der Bühne in Düsseldorf zum Besten gegeben, in denen die Redner*innen die rechte Politik scharf verurteilten. Die „Nie wieder“- Rufe hallen einem fast noch in den Ohren. Dieses „Nie wieder“ wollen die von Merz' Kleiner Anfrage betroffenen Organisationen immer noch mit ganzer Kraft erreichen. Und wie sieht's mit Merz in persona aus? Wie mit den Linnemännern, Dobrindts, Söders?
Hierzu sei empfohlen: Die Rechtstreiber der CDU; Correctiv, 11.02.25.
Die AfD und CDU/CSU stellen die Gemeinnützigkeit politisch aktiver Vereine in Frage; Jungle.world, 13.03.2025
Die Union bekämpft eine angebliche „Schattenstruktur“
Am 12.03. antwortete die Bundesregierung auf die 551 Fragen zu den 17 Organisationen. Sie sieht keine Anhaltspunkte für die in der Kleinen Anfrage insinuierte Behauptung, die geförderten NGOs bildeten eine Schattenstruktur. Und: Es sei nicht Aufgabe der Bundesregierung, allgemeine Informationen über die Aktivitäten und Kontakte von Organisationen zu sammeln, zu überwachen oder zu bewerten. Auf konkrete Fragen der Union zu einzelnen Organisationen lautet die Antwort der Regierung mehrfach: „Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor.“ Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann unterstrich die Unterstützung der Bundesregierung für zivilgesellschaftliches Engagement: Dies sei entscheidend für ein vielfältiges, demokratisches Miteinander und die Arbeit gegen Radikalisierung und Polarisierung in der Gesellschaft.
Das zuständige Bundesfinanzministerium gab zu einzelnen Organisationen auch Zahlen über die Finanzierung bekannt, zu zahlreichen Organisationen gebe es aber keine Angaben. Konkrete Fragen zu einzelnen Organisationen werden demnach mit Verweis auf die Zuständigkeit der Länder, das politische Neutralitätsgebot der Regierung oder einen zu hohen Rechercheaufwand nicht beantwortet.
Quelle: tagesschau.de
Soweit die Noch-Bundesregierung, deren Tage gezählt sind. Vielleicht die letzte Bundesregierung, die auf solche Anfragen in der Form antwortet, die ihre Missbilligung durchklingen lässt und dem provokativen Treiben der Unionsfraktion eine Abfuhr erteilt.
Das alles erinnert mich an eine Begebenheit, die sich vor wenigen Monaten in Düsseldorf zutrug. Die Gruppe Jugend gegen Rechtsruck, die sich regelmäßig im ZAKK trifft, hatte in ihrer Programmankündigung die CDU und die AfD in einem Atemzug genannt, es ging um rechte Parteien. Ein Lokalpolitiker der Düsseldorfer CDU machte sich dafür stark, dass folgender Satz geändert wurde: „Die Zeiten sind erschütternd: AfD und CDU legen immer weiter zu, überall in Europa wurden und werden rechte Parteien gewählt und der Rechtsruck wird bittere Realität.“ Die CDU musste raus aus dem Satz. Inzwischen ist die CDU so häufig mit der AfD in einem Satz genannt worden, dass es nichts Besonderes mehr ist. Es ist die erschreckende Realität.
iLLUS & tEXT: Christine