TERZ 04.25 – WAR WORLD
Der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall will sein Werk im Neusser Hafen umbauen: Statt wie bisher Hydraulikpumpen, Dichtungen und Kolben für die Automobil- und Maschinenbauindustrie herzustellen, sollen dort künftig militärische Komponenten produziert werden – möglicherweise auch Teile für Munitionssysteme.
Das Niederrhein-Werk gehört zur Konzernsparte Rheinmetall Power Systems und beschäftigt rund 180 Menschen. Neben Neuss steht auch der Berliner Standort zur Disposition – mindestens einer der beiden Standorte soll auf Rüstungsproduktion umgestellt werden. Die Nachfrage ist hoch: Die NATO, die Bundeswehr und die Ukraine ordern tonnenweise Munition – zur Selbstverteidigung, zur Abschreckung, zur Kriegsführung. Der Konzern liefert – und wächst.
Die Notwendigkeit, die Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg zu unterstützen, steht außer Frage. Doch während reale Bedrohungen als Begründung für Aufrüstung dienen, wird diese zunehmend entgrenzt: Die Produktionskapazitäten wachsen schneller als jede friedenspolitische Debatte – und Rüstungskonzerne wie Rheinmetall profitieren nicht nur davon, sie gestalten die Politik aktiv mit.
Rheinmetall galt lange als umstrittener Player – heute wird der Konzern von der Bundesregierung hofiert. Vorstandschef Armin Papperger nennt das Unternehmen „systemrelevant“, Kanzler und Verteidigungsminister feierten Spatenstiche für neue Werke. Der Aktienkurs hat sich seit 2022 verzehnfacht, der Umsatz liegt bei über sieben Milliarden Euro. Und auch die Kommune profitiert: Allein die Gewerbesteuereinnahmen für Düsseldorf haben sich zwischen 2019 und 2023 verfünffacht – auf zuletzt 2,7 Millionen Euro. Während der Staat sich mit Einsparungen rühmt, wenn es um Soziales geht, scheint für Rheinmetall kein Budget zu hoch.
Im Juni 2024 berichtete die TERZ bereits über die neuen Werke in Unterlüß und Sachsen. Nun also Neuss – ein Standort in Hafennähe, direkt angrenzend an Wohngebiete. Und genau das sorgt für Kritik: Die Nähe zur zivilen Infrastruktur birgt nicht nur sicherheitstechnische Risiken, sondern stellt auch eine politische Provokation dar. Die Vorstellung, dass künftig militärisches Gerät nur wenige Meter von Wohnhäusern entfernt produziert werden soll, stößt bei vielen Anwohner*innen auf Unbehagen.
Offiziell heißt es von Rheinmetall, es handele sich lediglich um eine Prüfung verschiedener Optionen – doch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die politischen Signale und die Konzernstrategie sprechen eine andere Sprache. Wenn es keinen öffentlichen Druck gibt, wird die Entscheidung hinter verschlossenen Türen fallen – zugunsten der Aufrüstung.
Im Mai 2024 befasste sich der Neusser Stadtrat in einer Sondersitzung mit der angekündigten Umstrukturierung des Rheinmetall-Werks. Die Linke äußerte sich klar gegen die geplante militärische Nutzung, während andere Parteien vor allem die wirtschaftliche Bedeutung des Standorts betonten. Trotz der Brisanz des Themas wurden bislang keine Anwohner*innen beteiligt, auch eine öffentliche Informationsveranstaltung ist nicht geplant. Die Kommunikation erfolgt – wenn überhaupt – zwischen Konzern und Verwaltung, ohne demokratische Transparenz.
Gleichzeitig wächst der überregionale Widerstand. Die Initiative Rheinmetall Entwaffnen organisiert seit Jahren Aktionen zivilen Ungehorsams gegen den Konzern – mit Blockaden, Camps und kreativen Störungen. Ihr Protest ist nicht symbolisch, sondern konkret: Er richtet sich gegen eine Industrie, die Krieg zur Geschäftsgrundlage macht. Die TERZ teilt diese Kritik und unterstützt ihren Aufruf zur Unterbrechung der Normalisierung von Rüstungsproduktion – in Neuss und überall.
Im März 2025 hat der Bundestag beschlossen, die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben auszusetzen – ein politischer Tabubruch mit weitreichenden Folgen. Parallel dazu plant die Bundesregierung ein 500-Milliarden-Euro-Programm für militärische Infrastruktur. Öffentliche Investitionen fließen in Kasernen, Panzerhallen und Logistikzentren – während in Bereichen wie Bildung, Soziales und Gesundheit gekürzt wird.
Rheinmetall zählt zu den größten Gewinnern dieser Entwicklung. Konzernchef Armin Papperger rechnet mit bis zu 40 Milliarden Euro aus dem sogenannten Sondervermögen der Bundeswehr. Längst ist klar: Rüstungsproduktion ist keine Ausnahme mehr – sie wird zum wirtschaftspolitischen Leitbild erhoben.
Während soziale Sicherungssysteme eingefroren werden, fließen Milliarden in die Aufrüstung. Die politische Priorität ist eindeutig: Sicherheit heißt heute Militär. Und wer daran verdient, sitzt längst mit am Tisch – gut vernetzt, gut bezahlt, gut abgeschirmt vor öffentlicher Kritik.
Die Unterstützung von Menschen und Staaten, die sich gegen bewaffnete Angriffe verteidigen müssen, ist notwendig. Doch unter dem Deckmantel von Sicherheitslogik und Zeitenwende wird eine umfassende Aufrüstungsstrategie verfolgt, deren wirtschaftliche Profiteure längst feststehen. Der Umbau hin zu einer militarisierten Wirtschaft geschieht schleichend – aber zielstrebig. Ohne öffentliche Debatte, ohne demokratische Kontrolle, aber mit enormem finanziellen und politischen Rückhalt.
Neuss ist kein Einzelfall. Der Rheinmetall-Standort steht exemplarisch für eine Politik, die Industrieinteressen vor soziale Verantwortung stellt – und Rüstungsproduktion zur lokal verankerten Realität macht. Wenn wir nicht widersprechen, wird genau dieses Modell zur neuen Normalität.
Diese Entwicklung ist weder naturgegeben noch unumkehrbar. Sie kann gestoppt werden – durch Aufklärung, durch Druck, durch Widerstand. Das heißt: aktiv werden. Informieren. Organisieren. Widersprechen.
Laut. Lokal. Gemeinsam.
Valentine
Weitere Infos und Aufrufe zu Aktionen:https://rheinmetallentwaffnen.noblogs.org