TERZ 04.25 – FESTUNG EUROPA
„Wie geht es nach der Wahl in der Flüchtlingsarbeit weiter?“ – so lautete am 12.03.25 das Thema einer von Stay! organisierten Veranstaltung, die im Düsseldorfer Atrium am Berta-von-Suttner-Platz stattfand. Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW referierte über das Sondierungspapier von CDU und SPD. Das dominante Thema in dem Dokument ist eine massive Verschärfungen der Migrationspolitik. Eine verschärfte Rhetorik fällt auf, geflüchtete Menschen werden entmenschlicht, als Fälle bezeichnet. Es herrscht große Unsicherheit, was jetzt auf Initiativen und Ehrenamtler*innen zukommen wird, denn die geflüchteten Menschen sind extrem verunsichert und haben Angst. Immer weniger Geld steht zur Verfügung. Die Flüchtlingshelfer*innen haben Informationsbedarf und möchten sich mit Gleichgesinnten austauschen. Nach den Ausführungen von Birgit Naujoks herrschte eine bedrückte Stimmung bei den Zuhörenden, viele wirkten sprach- und ratlos.
In den vergangenen Jahren gab es vier große Maßnahmenpakete zur Migrationspolitik, zwei unter der großen Koalition, zwei unter der Ampel. Bei einer weiteren Verschärfung bliebe kaum Raum mehr für rechtsstaatliches Handeln. Aus dem Inhalt des aktuellen Papiers unter der Überschrift „Zurückweisung an den Staatsgrenzen“: „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen. Wir wollen alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu reduzieren."
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Dublin-Verordnung (VO) dürfen die Länder nicht pauschal zurückweisen, sondern müssen die Asylsuchenden einreisen lassen und dann die Zuständigkeit prüfen. Damit sind pauschale Zurückweisungen an den Grenzen, ohne dass das Vorliegen eines Notstands mit entsprechenden Sonderregelungen festgestellt wurde, rechtswidrig. Bei Grenzübertritten gilt im Schengen-Raum grundsätzlich der Schengener Grenzkodex, allerdings finden für Asylbewerber*innen die Sonderregelungen der VO Anwendung. Diese legt auch fest, welches EU-Land für Geflüchtete zuständig ist. Das System ist auf Einvernehmen zwischen den EU-Mitgliedstaaten ausgelegt: Auch bei Überstellungen abgelehnter Asylbewerber*innen soll zwischen den Ländern kommuniziert werden. Aber da bei fast allen Nachbarn Deutschlands ein Rechtsruck erfolgte, ist eine Änderung der Regelung absehbar, umgangen wird sie bereits.
Noch müssen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Menschen die Möglichkeit haben, ein Asylverfahren zu erhalten. Weigert sich auch das andere Land, dieses durchzuführen, müssen die Geflüchteten ohne Zugang zum Recht im Niemandsland zwischen zwei EU-Ländern ausharren. Die betroffenen Menschen haben Pech gehabt, wenn eine Regierung diese Regelungen nicht mehr akzeptiert. Merz sprach von Alleingang, sollten Deutschlands Nachbarn bei seinen Plänen nicht mitziehen.
„Aus dem Amtsermittlungsgrundsatz muss im Asylrecht der Beibringungsgrundsatz werden.” Der Beibringungsgrundsatz gilt im Zivilrecht. Er bedeutet, dass die Parteien selbst entscheiden, was Gegenstand eines Verfahrens ist. Es wird also nur über das gesprochen und im Gerichtsverfahren entschieden, was von den Beteiligten ins Verfahren eingebracht wird. Anders ist es im Straf- und im Verwaltungsrecht, dort gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, der Behörden verpflichtet, von Amts wegen alle Informationen zu berücksichtigen, die für das Verfahren relevant sind. Sie müssen entsprechende Ermittlungen anstellen. Eine Abkehr vom Amtsermittlungsgrundsatz hätte absurde Folgen: Sollte beispielsweise eine Person abgeschoben werden, weil sie ihre Situation im Verfahren nicht beschreiben kann? Das müsste sie, wenn der Amtsermittlungsgrundsatz aufgehoben würde. Das verletzt die Grundsätze des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Grundgesetz.
„Den verpflichtend beigestellten Rechtsbeistand vor der Durchsetzung der Abschiebung schaffen wir ab.“ Unfassbar. Bisher gibt es Pflichtanwälte/Anwältinnen nur im Fall der Abschiebungshaft. Diese Pflicht hatte die Ampelregierung mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz erst im Februar 2024 eingeführt. Danach muss das Gericht der betroffenen Person zur richterlichen Entscheidung über die Anordnung von Abschiebungshaft von Amts wegen für die Dauer des Verfahrens eine*n anwaltliche*n Vertreter*in als Bevollmächtigte*n bestellen, wenn die Person noch keinen derartigen Beistand hat, Paragraf 62d Aufenthaltsgesetz. Es sei auf die erheblichen (Grund-)rechtseingriffe hingewiesen, die regelmäßig mit der Inhaftierung von Menschen einhergehen, die keine Straftat begangen haben. Abschiebehaft beinhaltet eine massive Entrechtung der betroffenen Menschen, die, wir können es nicht oft genug erwähnen, keine Straftäter*innen sind, sondern Schutzsuchende.
„Wir wollen, dass die Bezahlkarte deutschlandweit zum Einsatz kommt, und werden ihre Umgehung unterbinden.” Nach langen Diskussionen um die Bezahlkarte für Geflüchtete hat sich die Ampel-Koalition im April 2024 auf ein Gesetz geeinigt. Die Bezahlkarten sollen Leistungsberechtigten die Möglichkeit nehmen, Geld aus staatlicher Unterstützung an Menschen im Heimatland zu überweisen. Die Leistungsbehörden sollen selbst entscheiden können, wieviel Bargeld die Karteninhaber*innen innerhalb eines bestimmten Zeitraums abheben können. Einige Kommunen haben sich entschieden, die Bezahlkarte nicht einzuführen, auch, weil eine Stigmatisierung und erhebliche Schwierigkeiten der Betroffenen im Alltag zu erwarten sind. Für die Verwaltungen der Kommunen hat die Karte mehr Nachteile als Vorteile. Daher nehmen zum Beispiel Düsseldorf, Mönchengladbach und Münster die Opt-out-Regelung in Anspruch (TERZ 03.25 Keine Bezahlkarte). Diese Regelung soll ausgehebelt werden, das legt die Formulierung "... und werden ihre Umgehung unterbinden” nahe. Eine krasse Bevormundung der Kommunen ist hiermit geplant.
Den größten Teil des Papiers nimmt das Thema Abschiebung ein. „Die Bundespolizei soll die Kompetenz erhalten, für ausreisepflichtige Ausländer vorübergehende Haft oder Ausreisegewahrsam zu beantragen, um ihre Abschiebung sicherzustellen. Wir wollen eine Möglichkeit für einen Ausreisearrest für ausreisepflichtige Gefährder und Täter schwerer Straftaten nach Haftverbüßung schaffen. Wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Kapazitäten für die Abschiebehaft deutlich zu erhöhen", lautet es zu diesem Thema im Sondierungspapier. Für NRW ist ja bereits ein zweiter Abschiebeknast in Mönchengladbach mit 140 Haftplätzen geplant. Wenn die Bundespolizei Zugriff auf Akten von Geflüchteten bekommt und dann migrationsrechtlich einordnen kann, ob ein Grund für den Gewahrsam oder Haft besteht, ist zu befürchten, dass es in Deutschland noch mehr Fälle von rechtswidrigem Gewahrsam und Inhaftierung geben wird. Ob es Gründe für eine Inhaftierung gibt, kann nur eine genaue juristische Analyse des Aufenthaltsstatus einer Person ergeben.
Auch wird hier wieder einmal suggeriert, dass es vordringlich um „Gefährder und Täter schwerer Straftaten” geht, – die probate Methode, Abschiebehaft zu propagieren, die seit dem Rechtsruck für alle geflüchteten Menschen ohne Bleiberecht gefordert wird. Und das von fast allen Parteien.
Rückführungsoffensive starten, auf Teufel komm raus. Remigration jetzt … ach nee, das war ja von der AfD. Vieles von Merz' Fünf-Punkte-Plan ist eingeflossen, die SPD tut zumindest, als wolle sie es etwas milder. Olaf Scholz’ Ankündigung nach dem Attentat von Solingen: „Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben, …. Wir müssen mehr und schneller abschieben”, steht im Raum.
Geflüchtete Menschen bleiben immer mehr auf der Strecke. Wir schaffen das leider nicht.
Christine