Identitti @ HHU

Campus goes Kino

Viel Trubel auf dem Campus, wie soll es anders sein zum Semesterstart? Der Rauch von Pueblo-Zigaretten liegt wie Nebel vor dem Studierenden-Center. Hin und wieder läuft jemand hektisch hindurch, in der Hand eine Mate. Alles wie immer, möchte man meinen, wären da nicht all die Kameras. Zum Beginn des Sommersemesters findet der Dreh zum Kinofilm „Identitti“ auf dem Campus der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf statt. Was passt besser als Kulisse für die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Mithu Sanyal?

Darum geht es

Der Ursprungstext spielt ebenso wie der Film teilweise an der Universität. Im Zentrum steht Nivedita, Studentin des fiktiven Masterstudiengangs für Intercultural Studies und Postkoloniale Theorie. Sie führt dazu den namensgebenden Identitti-Blog. Dabei sucht sie auch nach einem Umgang mit ihrer eigenen Herkunft, da sie aus einer Familie mit einer polnischen Mutter und einem indischen Vater stammt, so wie Sanyal selbst. Antworten findet sie in den Veranstaltungen der von ihr bewunderten Professorin Saraswati. Diese Verehrung gerät ins Wanken, als öffentlich wird, dass Saraswati eine Hormontherapie durchlaufen hat, um ihre Hautfarbe zu verdunkeln und als Person of Color gelesen zu werden. Eigentlich heißt sie Sarah Vera Thielmann und ist ein Kind deutscher Eltern, die indische Abstammung entpuppt sich als Lüge. Die Enthüllung löst einen medialen und universitären Skandal aus. Auf der Suche nach den Beweggründen ihrer Professorin diskutiert Nivedita tagelang mit ihr in ihrer Oberbilker Wohnung. Immer wieder wird zum Thema, inwiefern Hautfarbe ein politisches Konstrukt oder Interpretationssache ist. Eine abschließende Antwort liefert der Roman nicht, viel mehr stellt er komplexe Fragen zur Konstruktion von Sexualität, Identität und Rassismus.

Sanyal und die HHU

Die Handlung findet nicht zufällig an der HHU statt. Sanyal ist Absolventin der Universität und promovierte hier zur Kulturgeschichte der Vulva. Die Dissertation diente als Grundlage für ihr erstes Sachbuch 2009. In ihrem zweiten Buch thematisierte sie die Geschichte und Machtstrukturen von Vergewaltigungen, bevor sie mit Identitti am 15. Februar 2021 ihren Debütroman veröffentlichte. Dieser stand 2021 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Ernst-Bloch-Preis und dem Literaturpreis Ruhr. Bereits im November desselben Jahres feierte eine Theateradaption Premiere am Düsseldorfer Schauspielhaus. Die Neuinszenierung für die Kinoleinwand findet unter der Regie von Randa Chahoud statt, die zuvor Erfolge mit Serien wie „Deutschland 89“ und „Deutsches Haus“ feierte. In den Hauptrollen sind Stephanie Eidt, Sabrina Setlur und Niels Bornmann zu sehen. Funfact am Rande, die TERZ kannte Sanyal bereits vor ihrem Erfolg. In den Neunzigern verfasste sie, damals noch Studentin, einige Artikel, wie unten zu sehen.

Passend zu ihrem sechzigsten Geburtstag 2025 macht sich die Heinrich-Heine-Universität selbst ein Geschenk. Erstmals wird sie namentlich zum Filmset. Ein Alleinstellungsmerkmal, viele andere Unis, die derart eng mit einem Kinofilm verwoben sind, kennt die TERZ-Redaktion nicht. Anlässlich der Produktion hat die Universität zudem einige begleitende Veranstaltungen ins Leben gerufen. So organisiert der BA Germanistik im Rahmen eines Seminars am 17. Juni eine Talkrunde mit der Autorin.

Der Masterstudiengang Intercultural Studies und Postkoloniale Theorie bleibt fiktiv. Nichtsdestotrotz ist die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte Teil des Wissenschaftsbetriebs, so startete das Institut für Geschichtswissenschaften das Projekt „Düsseldorfer Kolonialgeschichte“. Hier wird bis 2026 untersucht, wie die Düsseldorfer Stadtgeschichte mit der kolonialen Vergangenheit verstrickt ist.

Zwischen Fiktion und Realität

Die Dreharbeiten finden bewusst während des laufenden Unibetriebs statt. Büros, Flure und Bibliotheken werden zum Hintergrund für zentrale Szenen, wie einer Demonstration vor dem Hörsaal. Über 160 Komparsen, darunter Studierende und Mitarbeitende der HHU, wurden gemeinsam mit der Produktionsfirma Razor Film gecastet. Die Präsenz echter Studierender verleiht dem Film Authentizität. Ein Nachteil: hin und wieder verirren sich Studierende ins Set und müssen höflich hinausgebeten werden.

Diese Verschmelzung von fiktiver Handlung und realen Einflüssen findet sich auch im Theaterstück und Buch wieder. So beginnt die Adaption im Schauspielhaus mit einem WDR-Interview, bei dem die Nivedita-Schauspielerin Cennet Rüya Voß die Hintergründe des Stücks erklärt. Im Buch kommen zudem echte Tweets von Internetpersönlichkeiten wie Minh Thu Tran, Hengameh Yaghoobifarah und vielen weiteren vor. Ebenso reagieren die Charaktere des Buchs auf den Anschlag in Hanau, der sich während der Entstehung des Romans abgespielt hat. Hier bleibt spannend, ob und wie der Film dieses Ereignis aufgreift.

Woran arbeitet Sanyal?

Sanyals jüngster Roman Antichristie sorgte 2024 für Aufsehen und fand sich wie schon Identitti auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises wieder. Hier reist die Drehbuchautorin Durga rückwärts durch die Zeit. Sie wechselt dabei nicht nur das Jahrtausend ins Jahr 1906, sondern auch das Geschlecht. So wird sie zum Bengalen Sanjeev. Der trifft in London auf diverse historische Figuren wie Gandhi und seinen Gegenspieler Vinayak Damodar Savarkar. Die Geschichte greift kolonialgeschichtliche Themen auf und liefert zugleich eine Auseinandersetzung mit der indischen Geschichte, westlicher Literatur und der Frage, wem welche Narrative gehören. Mit den 432 Seiten füllt das Buch wahrscheinlich einen Teil der Wartezeit, bis zum Erscheinen des Films.

Der Dreh läuft seit Anfang April 2025 und ist bis zum 16. Mai geplant. Mit der Veröffentlichung auf der Kinoleinwand ist nicht vor 2026 zu rechnen.

Lennart