TERZ 05.25 – KOMMUNIKATION
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Liebe TERZler*innen,
ich habe mit Interesse den Artikel zu den Aktivitäten von Rheinmetall und den Neusser Stadtoberen in Bezug auf die Aufrüstung der Bundeswehr, die Wehrhaftmachung Europas und die Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland studiert.
Die Verfasserin des Artikels, Valentine, diagnostiziert ein Ungleichgewicht von Aufrüstung und Friedensbemühungen und möchte den Schwerpunkt der Politik in Richtung letzteren gelegt wissen. Ganz dem Zeitgeist verhaftet konstatiert sie jedoch: „Die Notwendigkeit, die Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg zu unterstützen, steht außer Frage.“ Und im letzten Abschnitt wiederholt sie ihr Bekenntnis: „Die Unterstützung von Menschen und Staaten, die sich gegen bewaffnete Angriffe verteidigen müssen, ist notwendig.“
Warum Staaten – und hier im speziellen Fall die Ukraine – gegen Angreifer geschützt werden sollen, erfährt man nicht. Als selbstverständlich wird wohl vorausgesetzt, dass Artikel 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen für das Handeln von Staaten eine anerkannte Gültigkeit besitzt. Dabei fällt unter den Tisch, dass der angegriffene wehrhafte Staat seine Bevölkerung ungefragt zum Töten und Sterben an die Front schickt und mit der Zerstörung von Dörfern und Städten diesseits und jenseits der Frontlinie die Lebensgrundlage vieler Menschen vernichtet.
Die Zustimmung der Bevölkerung zur Kriegsführung mag im Verlauf des Krieges zwar bröckeln, aber eine weitgehende Interessenidentität von Bevölkerung und Staat bleibt bestehen: Der Staat verkauft sein Bemühen, sein Staatsgebiet zu verteidigen, als Dienstleistung für sein Volk.
Weder in Friedens- noch in Kriegszeiten stimmt diese Gleichsetzung, die Interessenidentität. Die große Masse der Bevölkerung in der Ukraine lebt recht bescheiden von der Subsistenzwirtschaft oder von Lohnarbeit, mit der sie die Taschen der Reichen füllt und selbst in der Regel ziemlich leer ausgeht. Und diese ökonomischen und rechtlichen Bedingungen, die zum offensichtlichen Gegensatz zwischen der arbeitenden und der besitzenden Klasse von Kapital und Grundbesitz führt, werden von einem über alle Antagonismen in der Gesellschaft herrschenden Staat gewährleistet.
Für solche Verhältnisse soll die arbeitende Klasse den Kopf hinhalten? Wäre es nicht sinnvoller, wenn die Bevölkerung auf beiden Seiten der Front die Solidarität mit ihrer Staatsgewalt kündigt und unter der alten Parole „Krieg dem Krieg“ ihre Teilnahme an der Durchführung der mörderischen Pläne ihrer demokratisch gewählten Machthaber verweigert?
Thomas
Nachtrag
[…] Auf der Tribüne [der außerordentlichen Stadtratsitzung am 13. März in Neuss zum Thema Umstellung der Produktion des Rheinmetallwerks] hatten sich ca. 30 Friedensfreund*innen versammelt, die in einer schriftlichen Stellungnahme […] sich zur Produktionsumstellung von Rheinmetall in Neuss ähnlich äußerten wie Valentine in der TERZ. In einem Flyer bekundeten auch sie ihre nationale Verantwortung, indem sie den „Schutz bestehender Staatsgrenzen vor Angriffen, Bedrohungen und fremder Einmischung“ forderten und die „Beschränkung von Militär auf Landesverteidigung“ befürworteten. Es war also nicht verwunderlich, dass solche Genoss*innen den rechtsbewussten Stadträten mit lautstarken Protesten nicht in die Parade fuhren. Denn wer auf Landesverteidigung wert legt, sollte doch auf Augenhöhe mit dem Feind aufgerüstet sein. Da ist kein Panzer, kein Bomber, keine Fregatte und kein Soldat zu viel!
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Lieber Thomas,
vielen Dank für Dein Feedback zu meinem Artikel – grundsätzlich begrüße ich jede kritische Auseinandersetzung. Dass du meine differenzierte Haltung zur Unterstützung von Menschen, die sich gegen einen Angriff wehren, mit staatstragender Loyalität gleichsetzt, stellt meine Position jedoch falsch dar – du rückst mich damit in eine politische Ecke, gegen die ich mich ausdrücklich positioniere. Das verzerrt meine Argumentation und erschwert die Möglichkeit eines produktiven Austausches.
Du wirfst mir vor, das Recht auf militärische Verteidigung für selbstverständlich zu halten. In der Tat halte ich es für ein Grundrecht, sich gegen einen Angriff zu verteidigen – individuell und kollektiv. Die Ukraine wurde überfallen, Städte wurden zerstört, Menschen ermordet, vergewaltigt oder verschleppt. Dass es in einem solchen Kontext Menschen gibt, die sich wehren wollen, ist für mich nachvollziehbar und legitim – auch wenn in keinem Krieg, selbst in einem Verteidigungskrieg nicht, die Entscheidung zu kämpfen jemals vollkommen freiwillig, individuell und frei von Zwang oder Druck ist. Auch in der Ukraine gibt es Deserteur*innen, Zwangsrekrutierte und unzählige Menschen, die in diesem Krieg schlicht keine Wahl haben. Aber gerade deshalb finde ich es problematisch, ihnen aus der Ferne pauschal das Recht auf Unterstützung abzusprechen.
Es geht nicht darum, ob Krieg falsch ist. Natürlich ist er das. Aber was tun, wenn der Krieg bereits da ist – nicht aus eigener Entscheidung, sondern als Folge eines brutalen Angriffs? Wer dann Hilfe verweigert mit dem Argument, alle Staaten seien gleich ausbeuterisch und jeder Krieg per se verwerflich, verkennt die Realität der Betroffenen. Es sind nicht wir hier in Deutschland, die entscheiden sollten, ob sich die Ukrainer*innen wehren. Aber wenn wir ihnen die Mittel zur Selbstverteidigung verweigern, zwingen wir sie faktisch zur Kapitulation. Das bedeutet nicht Neutralität, sondern einseitige Parteinahme: für den Angreifer, der stärker ist.
Natürlich ist „Landesverteidigung“ ein politisch aufgeladener Begriff. Er dient dazu, Aufrüstung zu legitimieren, nationale Interessen über Menschenleben zu stellen und Rüstungskonzerne wie Rheinmetall zu bedienen. Gleichzeitig hat der Begriff aber auch eine reale, existenzielle Dimension: Menschen, die sich gegen einen Angriff schützen, so gut sie können. Diese Ambivalenz muss eine ernsthafte Kritik aushalten.
Ich bin gegen die Militarisierung der deutschen Gesellschaft, gegen neue Rüstungsprojekte und gegen die wirtschaftliche Inwertsetzung des Krieges. Aber ein Diskurs, der der Komplexität realer Gewaltverhältnisse ausweicht und sich nur in die Abstraktion retten kann, bleibt folgenlos. Die Forderung nach Frieden muss sich an der Realität der Gewalt messen lassen – nicht nur an ihrer Analyse. Politische Handlungsfähigkeit entsteht nicht durch Abschottung, sondern durch Auseinandersetzung. Pauschale Zurückweisung und vereinfachende Zuschreibungen hingegen verhindern nicht nur Austausch, sondern auch eine ernsthafte Weiterentwicklung politischer Praxis.
Solidarische Grüße
Valentine“