Winterinparis

(Westvirginia), oder

der Frühling kommt nach Düsseldorf

YürkE (Stefan Jürke) hat seine Blu­Tape_session_2 am 03.04.2025 via Bandcamp veröffentlicht. Die Single Kassette, mit einem Track pro Seite, gräbt sich tief in unsere musikverwöhnten Hirnwindungen hinein. Seite A mit My Reson ist ein Dub-lastiges Monster, die B-Seite kommt mit My Comfort wesentlich technoider rüber. Beide Tracks sind wahnsinnig laut aufgenommen, produziert und gemastert. Zwei knackige Stücke, die beide so gut sind, dass die Bezeichnung A- und B-Seite nicht passt. Für mich ist das ein Double A-Side-Release*. Das Mastering hat wieder einmal Detlef Funder in seinem Paraschall Studio übernommen, das sollte mittlerweile als „Qualitätsmerkmal“ reichen.

Eine Woche vor Yürkes Veröffentlichung haben Detlef Funder (Konrad Kraft) und Sven Vieweg (Elektrohorror) zusammen als Dark Zen Department am 28.03.25 im Subsol (Flingern), ihr erstes s/t-Tape präsentiert. Des Weiteren traten Drescher (Berlin) und der Moogulator (Solingen) auf.

Dark Zen Department (DZD) spielten ein harsches, dunkles Live Set, das polarisiert hat. Die Dark-Electro-Noise-Fraktion war begeistert, den Freund*innen des tanzbaren Beats fehlte der Rhythmus. Uns hat der Sound mit seinen abgefahrenen Skills, noisigen Attacken abgeholt. Nervend, krachig und dunkel präsentierte sich Dark Zen Department über eine halbe Stunde lang bei seinem ersten Auftritt. Wie Detlef Funder mir mitteilte, ist die Live-Aufnahme sehr gelungen und wird für ein zweites Tape verwendet werden. Leider gibt es von DZD (noch?) keine Bandcamp Seite, es kursieren aber Live-Clips im Netz, die euch einen Eindruck vermitteln können. Wir werden euch außerdem auf dem Laufenden halten, wenn es News zu DZD gibt, versprochen!

Den Namen Elektrohorror hatte ich schon öfters in diversen Düsseldorfer Ankündigungen wahrgenommen und Sven Vieweg war mir auch schon öfters in der schönsten Stadt am Rhein aufgefallen, namentlich kannten wir uns aber nicht. Diese Lücke haben wir dann am 28.03.25 im Subsol auch geschlossen.

Außerdem hat Elektro­horror zusammen mit Drescher (Alexander Paul Dowerk) aus Berlin letztes Jahr im November das Aus Dem Schleim Split-Tape veröffentlicht. Jeder Musiker hat einen Track auf dem Tape veröffentlicht, beide Takes bauen sich darauf jeweils über 16 Minuten lang auf. Voice Samples, dröhnender Bass, dann wieder nur beklemmendes und beunruhigendes Rauschen, zwischendurch ein bedrohliches Piano oder Soundcollagen, die an Alien-Vokabular erinnern. Für Freund*innen des Bizarren ist das Aus-Dem-Schleim-Split-Tape unbedingt empfehlenswert, und beide „Songs“ sind auch bei Bandcamp hochgeladen.

Drescher hatte zusätzlich das im Februar veröffentlichte Tape, Winterinparis (Westvirginia) dabei. Es besteht aus vier Tracks, die gewaltig vor sich hin dröhnen und scheppern. Ab und zu ist sogar ein gewisser Rhythmus herauszuhören, der aber immer wieder zersetzt wird. Das Set von Drescher im Subsol ist mittlerweile auch bei Bandcamp hochgeladen. Live At Subsol enthält einen Take, und 20:15 – 20:45 vermittelt euch bestens die Stimmung des Abends.

Vom Moogulator gab es an dem Abend leider kein physisches Merchandise, aber auch sein Set war beeindruckend.

Die Cellistin und Soundkomponistin Lia Kohl (Lia Irene Kohl) aus Chicago haben wir 2024 bei einem Atelier-Auftritt, ebenfalls in Flingern, live gesehen und ihre Performance hatte uns in der Tat nachhaltig beeindruckt. Cello gepaart mit elektronischen Skills, unaufdringlich, fast schüchtern dargeboten, aber auf den Punkt umgesetzt. Also auch ein Abend, der in Erinnerung geblieben ist. Nachschlag gab es in diesem Jahr in Form der For Translucence LP. Erschienen im März dieses Jahres auf Drag City (Chicago), arbeitete Lia Kohl hier mit Whitney Johnson aka Matchess aus Clearfield, Pennsylvania zusammen. Die Improvisationskünstlerin und Komponistin Whitney Johnson und Lia Kohl ergänzen sich brillant bei ihrer ersten Zusammenarbeit. Lia Kohl steuert Cello, Radio (Ich meine das Frequenzrauschen wie am Ende der Radioskala herausgehört zu haben), Field Recordings und Synthesizers bei. Von Whitney Johnson kommen die Viola (Bratsche), auch ein Synthesizer und Sine Waves (Sinuswellen). Also zwei Streichinstrumente, die eigenwillig interpretiert und mit den verschiedensten elektronischen Skills verfeinert werden. Experimentelle Ambient-Neo-Klassik ist hier das Label, welches wir vergeben. Empfehlenswert sind außerdem das Normal Sounds Album von Lia Kohl, sowie das Hav Album von Whitney Johnson, beide aus 2024.

Wir bleiben im Jahr 2024, das Nostalgia Album von Hania Rani verdient es ebenfalls noch, besprochen zu werden. Erschienen im September letzten Jahres, war Nostalgia der gelungene Abschluss unseres Polen-Trips. Die polnischstämmige Komponistin, Musikerin und Pianisten Hania Rani pendelt zwischen Warschau, wo sie wohnt, und Berlin. Dort studiert und arbeitet sie. Das Nostalgia Album wurde mit einem String Ensemble 2023 live im Studio S1 des Polnischen Radios, Warschau und im Roundhouse, London, eingespielt. Beide Auftritte waren Releaseshows für das Ghost Album, welches in 2023 erschienen ist. Zum regulären Studio-Album können wir nichts sagen, die Umsetzung live ist auf jeden Fall hervorragend und präzise genau eingespielt. Die Dynamik der Interpret*innen wird ausgezeichnet eingefangen. Dazu steckt in der die Doppel-LP ein 16-seitiges Booklet mit Liner-Notes und Fotos der Aufnahmeorte. Eines der Neo-Klassik-Alben der letzten Jahre. Unbedingt empfehlenswert ist die Live-Aufnahme des Stücks Don‘t Break My Heart, zu der Hania Rani ergreifend singt! Dazu ein exzellentes Mastering von Peter Beckman, Technology Works sowie der sehr gute Vinyl Cut von Norman Nitsche, Calyx Mastering. Erschienen auf Gondwana Records.

Aber wir wollen die „Pop“musik nicht vernachlässigen. Die englische Indie-Pop-Band The Horrors hat mit Night Live nach acht Jahren Pause ihr sechstes Album auf Fiction Records veröffentlicht. Starteten The Horrors 2007 als Garage-Rock-Band und wandten sich danach dem Shoegaze zu, beschreiten sie mit Night Live nun gänzlich neue Pfade. Während in einer der Rezensionen der Name Nine Inch Nails als Vergleich verwendet wurde, fällt uns als erstes eher Depeche Mode ein. Gerade The Silence That Remains erinnert musikalisch und auch textlich stark an Depeche Mode. Nur der Refrain ist dann wieder „industrieller“ und „härter“, als wir es von DM gewöhnt sind. Die Synthesizer-Beats bei Night Live sind treibend, catchy und Full With Sexyness. Night Live ein richtig cooles Album mit der richtigen Pop-Attitüde und ein gelungenes Comeback!

Wir bleiben poppig, werden dabei noch krachiger, hardcoriger. Scowl aus Santa Cruz, Kalifornien haben ihr neues Album Are We All Angels auf Dead Oceans** veröffentlicht. Are We All Angels ist das zweite Album von Scowl und erinnert stark an vergleichbare Pop-Punk-Alben. Garbage fallen dem Oberbilker da spontan als Vergleich ein. Was vielleicht auch an Sängerin Kat Moss liegen kann, erinnert diese doch stellenweise an Garbages Frontfrau Shirley Manson. Beide können nämlich singen und mit ihrer Stimme auch ruhige Parts tragen. Scowl ist natürlich „härter“, die Punk/HC Sozialisation ist nicht zu leugnen. Pop-Punk, wie er sein soll, knackig, punktgenau, verspielt, aber immer mit dem nötigen Rotz, um nicht ins Kitschige abzurutschen.

Squid aus Brighton, UK, haben im Februar diesen Jahres ihr drittes Album Cowards auf Warp veröffentlicht. Als Referenzen fallen uns hier spontan LCD Soundsystem und Düsseldorfer Kraut Rock ein. Die fünfköpfige Band spielt experimentellen Art-Rock mit leichten, sehr leichten Post-Punk-Anleihen. Der treibende Beat packt einen sofort und erinnert zusätzlich an A Certain Ratio aus Manchester. Der Gesang von Ollie Judge ist auch Very British und trägt darüber hinaus zum einprägenden Stil von Squid bei. Unterstützt werden Squid auf Cowards an den Streichern vom Ruisi Quartett. Zwei Violinen, eine Viola und ein Cello kommen zum Einsatz und vermitteln zusätzlich ein orchestrales Hörvergnügen.

Zum Schluss lassen wir es noch einmal knallen. Die Atmosphere-Black-Metal-Band Amenra aus Belgien hat zwei neue EP’s am Start. De Toorn und With Fang And Claw ergänzen sich eigentlich und können auch als ein Doppelalbum gesehen werden. Heden und De Toorn (Talisman) sind zwei lange ruhige Tracks, die sich immer mehr aufbauen und krachig enden. Die With-Fang-And-Claw-EP ist Single Sided und zeigt auf der anderen Seite ein Etching. Hier sind die beiden Tracks Forlorn und Salve Mater klassisch, es gibt sofort auf die 12, und die ruhigeren Parts finden sich im Mittelteil der Songs. Wie auch schon beim 2021er-Album De Doorn „singen“ Amenra in ihrer Muttersprache flämisch, und das Flämische ist wirklich eine „böse“ Sprache! Von Amenra werden übrigens regelmäßig Live-Shows bei Arte hochgeladen, und diese sind wirklich zu empfehlen.

Einen Werbeblock gibt es auch diesen Monat. Das nächste Unter Keiner Flagge Konzert findet am 10.05.25 im Linken Zentrum, Corneliusstraße 108 statt. Einlass ist wie gehabt ab 19 Uhr, diesmal haben wir als Gäste Traquenard, Crossover-Thrash aus Lille, Frankreich und Winselmutter, Black Metal, Emsdetten am Start.

Wir freuen uns auf euch

UKF, Mrs. Cave und der Oberbilker

[1]  Eine Single mit zwei A-Seiten zeichnet sich dadurch aus, dass die Titel aller Tracks auf der Verpackung mit gleicher Gewichtung aufgeführt sind. (Geklaut bei Discogs)
[2]  Das US-Label aus Bloomington, Indiana, USA war lange Jahre das Zuhause von A Place To Bury Strangers, und Slowdive oder Phoebe Bridgers sind dort immer noch beheimatet.