60 Jahre HHU

oder doch eher 37

Das Jahr der neuen GroKo wird überschattet vom Jubiläum der Heinrich-Heine-Universität. Düsseldorfs wichtigster Ausbildungsplatz nach der HSD wird 60. Dafür hat die TERZ einen Blick auf die Geschichte der Uni gewagt und spannende Ereignisse sowie Kontroversen herausgesucht.

Nachruf auf den Uni-Kiosk

Gäbe es eine Zeitmaschine, gäbe es Gerechtigkeit, dann würde sich dieser TERZ-Redakteur zuallererst ins Jahr 2024 begeben, um einem alten Bekannten Lebewohl zu sagen. Im Februar letzten Jahres verabschiedete sich einer der wichtigsten Versammlungsorte auf dem Campus, als der berühmte Uni-Kiosk seine Pforten schloss. Seit 1981, damals noch Kiosk der Universität Düsseldorf, bestückte er sein Sortiment mit Schreibgeräten, Fortuna-Tickets und Bier. Manche Studierende weinen dem Familien­laden weiterhin nach, andere stellen sich die Frage, wann endlich ein neuer Kiosk eröffnet. Fast schon sehnsüchtig denkt mensch an die Auswahl des Bochumer Campusgeländes. Gerade zu Blockseminaren am Wochenende bleibt das Café Ex Libris konkurrenzlos, wenn der Durst nach Kaffee oder Mate ruft. Alkohol wird auf dem Campus seit der Schließung des Kiosks nicht mehr verkauft, nicht einmal an die, die ihre Klausur verhauen oder ihren Abschluss summa cum laude bestanden haben.

Namensstreit – schwer zu vergessen, aber kaum zu glauben

Überraschung, Überraschung, ein HHU-Jubiläums-Artikel, der den Namensstreit behandelt und sich die Frage stellt, warum es über 20 Jahre gedauert hat, bis aus der Universität Düsseldorf die Heinrich-Heine-Universität wurde. Wichtig dafür ist der geschichtliche Hintergrund. Als Ursprung sollte die Medizinische Akademie Düsseldorf gesehen werden, die seit 1923 bestand und in die 1965 gegründete Universität Düsseldorf überging. Bereits damals stieß ein Professor erfolglos an, die Universität nach Heinrich Heine zu benennen. Das scheiterte jedoch schnell am damaligen Ministerpräsidenten, Heinz Kühn (SPD). So blieb es bei der Universität Düsseldorf.

Drei Jahre später, 1968, scheiterte ein weiterer Versuch zur Umbenennung, angestoßen durch zahlreiche Universitätsangehörige um den Germanistikprofessor und Heine-Experten Manfred Windfuhr. Was waren dafür die Gründe? Heute ist das Doppel-H nicht von der Universität Düsseldorf wegzudenken. Der Dichter ziert nicht nur den Namen und den Campus, sondern wirkt darüber hinaus als Aushängeschild der Universität. Zuerst sei angemerkt, dass Heine im Nachkriegsdeutschland noch unbekannter als heute war. In einer Umfrage 1968 unterstützten viele Studierende noch den alten Namen, auch weil vielen der Dichter gar nicht bekannt war. Ob Antisemitismus eine Rolle gespielt hat? Unter den Widersachern fanden sich Leute wie Medizinprofessor Heinrich Schade, der 1931 in die NSDAP eintrat und bis zu seinem Tod 1989 ein treuer Verfechter von Konzepten wie der Rassenhygiene blieb. Der Namensstreit sollte jedoch auch als Konflikt zwischen den Mediziner*innen und der übrigen Universität verstanden werden. Heine war schließlich kein Arzt, sondern Dichter. Auf Angehörige der ehemaligen medizinischen Akademie für Mediziner*innen musste es gewirkt haben, dass sich die junge Universität noch weiter von ihrer ursprünglichen medizinfokussierten Identität entfernen würde.

Mit der Bürgerinitiative Heinrich-Heine-Universität und ihrer prominenten Unterstützung durch beispielsweise Erich Fried, Günther Grass und Erich Kästner erreichte die Bestrebung weitere Bekanntheit. Doch auch diese konnten den Namensstreit nicht entscheiden. Längst war der Konflikt um Heine Teil des universitären Lebens geworden. Über all diese Jahre spielte die Studierendenschaft und besonders der AstA eine starke Rolle. Bereits in den 70ern bekannte der sich zu Heine und nahm den Namen „AstA der Heinrich-Heine-Universität“ an. In dieser Zeit wurde es nachts auch immer wieder der Name Heines an die Außenwände des Hörsaals 3A gesprüht. Dem stand das damalige Rektorat entgegen, das beispielsweise 1976 entschied, alle Briefe mit dem Schriftzug „Heinrich-Heine-Universität“ an die Empfänger*innen zurückzusenden. Langsam stieg jedoch der politische Druck, so empfahl der NRW-Landtag mit dem Rat der Stadt 1981 die Umbenennung, diese scheiterte jedoch in den Universitätsorganen. Erst 1988 war es endlich so weit, und es kam zur Umbenennung durch den Senat. Diese wurde im folgenden Jahr gebührend gefeiert. In diesem Zuge schenkte die Landesregierung der HHU die legendäre Heine-Gastprofessur, durch die Größen wie Marcel Reich-Reinicki und Tote-Hosen Sänger Campino den Campus beehrten.

Plagiatsaffäre Schavan

Immer wieder erschüttern Plagiatsvorwürfe Deutschlands Forschungswelt, seien sie ernstgemeint wie bei zu Guttenberg oder entkräftet wie bei Habeck. Wo wissenschaftlich gearbeitet wird, da fallen Späne und manche ehrliche Zitate unter den Tisch. In der jüngeren Vergangenheit zog die HHU einige Aufmerksamkeit mit der Plagiatsaffäre um die ehemalige Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) auf sich. 2012, noch unter der Ägide Merkels, enthüllte das Recherche-Netzwerk VroniPlag einen Plagiatsverdacht gegen Schavans Dissertation „Person und Gewissen“ aus 1980. Darauf reagierte die Universität mit einer eigenen Untersuchung und entschied 2013 ohne Gegenstimme, dass der Plagiatsversuch vorliegen würde und erkannte damit den Doktor*innentitel ab. Zwei Wochen später reichte Schavan den Rücktritt als Bildungsministerin ein und verzichtete dabei auf ein Schuldeingeständnis. Im Mai des folgenden Jahres wurde das Urteil rechtskräftig.

Im Nachgang offenbarte der Dekan der Philosophischen Fakultät, welche Institutionen versucht hatten, Einfluss auf diese Entscheidung zu nehmen. Darunter fielen Namen wie die Max-Planck-Gesellschaft und der Wirtschaftsrat. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zog in Folge dessen seine geplante Festrede an der Universität zurück, ein Verlust, dem Studierende noch lange nachtrauerten. Schavan selbst richtete ihren Blick zur Kurie. Sie wurde zur Botschafterin am Heiligen Stuhl berufen, obwohl sie sich nun ohne jeglichen Universitätsabschluss nur schwer für den höheren Dienst qualifizierte. Es bleibt unklar, ob sie dort Ablass für ihr universitäres Vergehen suchte und erhielt. Titellos blieb sie aber nicht lange. Die Universität von Lübeck sprang bereits 2014 in die Bresche und verlieh ihr zumindest die Ehrendoktorwürde.

60 Jahre Uni – wie sieht die denn aus?

An dieser Stelle waren neben lebhaften Beschreibungen eigentlich mehrere Seiten Farbbilder geplant, die jedoch aus Kostengründen entfallen mussten. (Hinweis der Redaktion: Leute, die TERZ braucht Unterstützung, dann gibt’s in der nächsten Ausgabe nochmal ein Bild vom Campus, versprochen!) Auf dem X-Nachfolger Bluesky beschreibt sich die Uni als „Jung.brutalistisch.guttaussehend“. Vom PR-Sprech abgesehen, ist festzustellen, der Campus ist ein Kind seiner Zeit geblieben. Aufgrund zu hoher PCB-Verunreinigung aus den 70ern wurde Gebäude 23.21 lange geschlossen und Fakultäten wie die Sozialwissenschaften mussten vom Campus zur Ulenbergstraße ziehen. Dafür strahlt das Gebäude nach der vollendeten Renovierung farbenfroh und lenkt an guten Tagen den Blick von der Baustelle nebenan ab. Dort verweilt das umzäunte Gebäude 23.31. Für lange Zeit entsprach es nicht mehr dem Brandschutz. Vor der Schließung trafen Studierenden hier Brandwachen, die in Warnwesten durch das Gebäude patrouillierten. Nach einem Fehlalarm und totaler Überforderung der Hilfskräfte wurden diese durch richtige Rauchmelder ersetzt, bevor die Entscheidung zum Umbau fiel.

Ein bisschen weiter weg von der Augenweide Baustelle, direkt gegenüber der 1970 erbauten Bibliothek, findet sich der Hingucker des Campus, das Oeconomicum. Dieses Prachtstück konnte die HHU ganz ohne Fördermittel des Landes bauen lassen. Nötig wurde lediglich eine der größten privaten Spenden an eine Universität in Deutschland im Jahr 2008. Dahinter steckte vor allem die Schwarz-Schütte-Stiftung des Pharmakonzerns Schwarz Pharma. Aufgrund der Initiative der Familie Schwarz-Schütte wurde zudem das volkswirtschaftliche Institut DICE gegründet, das sich in diesem Gebäude befindet und sich mit Forschung zur Wettbewerbsökonomie auseinandersetzt.

Erinnerungskultur an der HHU

A propos Familie mit Geld, Schwarz-Schütte ist nicht die einzige derartige Präsenz an der HHU. Auch die Henkels haben ihre Spuren auf dem Campus hinterlassen. Damit ist nicht nur gemeint, dass das Institut der Physikalischen Chemiker*innen zu Gründungszeiten der Uni ihr Zuhause auf dem Firmengelände fand oder Henkel 2018 einen Lehrstuhl für Sustainability Management stiftete. Dieses Engagement überdeckt vielleicht auch Henkels Platz oder den der Familienmitglieder Hugo und Konrad Henkel in der deutschen Erinnerungskultur.

Auseinandersetzungen mit der Erinnerungskultur spielten sich zuletzt an der medizinischen Fakultät ab und betrafen unter anderem Vater und Sohn. So distanzierte sich die Universität 2018 von der Ehrendoktorwürde Udo Klausas, als seine enge Verbindung zum NS-Regime in den Medien bekannt wurde. Aus diesem Anlass wurden verschiedene Projekte ins Leben gerufen, um weitere Personen und ihre Beziehungen zum NS-Regime transparent darzustellen. Dazu zählt die 2021 veröffentlichte Untersuchung aller Ehrendoktorwürden für Personen, die vor 1928 geboren wurden. Darunter fallen unbelastete Personen wie Marcel Reich-Reinicki, aber es wird auch klar, dass Hugo und Konrad Henkel als Parteimitglieder Verbindungen zum NS-Regime pflegten, wobei Zweiterer an der Kampfstoffentwicklung unter Richard Kuhn beteiligt war und als Miterfinder des Kampfstoffs Soman gilt. Interessant ist dabei, dass die wissenschaftliche Fakultät weiterhin ein Konrad-Henkel-Stipendium verleiht und der Hörsaal 3A, das Audimax der HHU, nach ebendem benannt ist, beides ohne große Einordnung in diesen biographischen Kontext. Erinnerungskultur ist ein Prozess, aber hier scheint die HHU noch Lücken aufzuweisen.

Aktuelle Veranstaltungen

Abseits der Vergangenheit stellt sich die Frage, was macht die Uni heute, oder besser noch, was macht die Studierendenschaft? Diese tut sich im Kulturbereich besonders durch das Filmfest Düsseldorf hervor. Seit 2003 richtet ein Team aus Studierenden der Medien- und Kulturwissenschaften das mittlerweile auf internationale Reichweite angewachsene Festival mit Preisgeldern bis zu 1000 Euro aus. Die nächste Ausgabe findet vom 05. bis zum 07.11. auf dem Campusgelände und dann im Weltkunstzimmer statt, alles kostenlos. Für den Sommer organisiert der AstA das sogenannte Sommerkult vom 26. bis zum 27. Juni. Auf dem berühmten Parkplatz P2 hinter der Bibliothek findet das zweitägige Festival statt. Nach interner Recherche ist herausgekommen, dass keinem TERZ-Mitglied die letztjährigen Acts bekannt sind. Dafür traten 2023 Größen wie Zsa Zsa oder „The toten Crackhuren im Kofferraum“ auf.

Veranstaltungen anlässlich des Jubiläums gibt es natürlich auch. Am 17. Juni stellen Studierende 60 Fragen an Mithu Sanyal.Hierbei handelt es sich um einen Kurs aus der Germanistik, der anlässlich der Kinoadaption von Identitti stattfindet. (Siehe auch TERZ 5.25) Außerdem wird wieder die Sommerbeachparty ausgerichtet und endlich wieder Sand auf dem Campus ausgeschüttet. Einen Tag lang gibt es dann Strand-Feeling für alle, denen der Paradiesstrand zu weit weg und Mallorca zu doof ist. Intellektueller wird es im September mit dem Ausstellungsbeginn von Visus-Campus der Fotogruppe Phos, wo die Geschichte des Campus aufgearbeitet wird. Zuletzt gibt es noch das, was keinem Uni-Jubiläum fehlen darf: Poetry-Slam. Im Oktober treten im Poetry-Future-Slam Studierende gegeneinander an und reflektieren Gegenwart und Zukunft.

Zeitenwende an der Universität

Bisher kann die TERZ nicht oder zumindest noch nicht verlässlich in die Zukunft schauen. Dennoch sei hier ein Ausblick gegeben, welches Thema angesichts der von allen Seiten ausgerufenen Zeitenwende spannend werden könnte. Diesen Monat führte der Karrieretag am 14.05. zu einem Protest der Studierenden, als dort Bundeswehr und Rheinmetall um Studierende werben durften. (Siehe auch TERZ 5.24) In Zukunft könnte es wieder um die Zivilklausel gehen. 2015 beschloss die HHU, nur zu friedlichen Zwecken zu forschen und lehnte damit ab, dass Forschungsergebnisse zu militärischem Zweck genutzt werden dürfen. In Bayern dagegen beschloss der Landtag bereits im Juli 2024 ein Gesetz, dass die Zivilklausel an Universitäten untersagt und zu Kooperationen mit der Bundeswehr verpflichtet, in Hessen rüttelt die Landesregierung ebenso daran. Im Bund zeigte sich Scholz kritisch gegenüber der Zivilklausel, und nun steht mit Merz ein Kanzler an der Bundesspitze, der sich bereits in der Opposition für die Abschaffung stark gemacht hat. Es bleibt also spannend, inwieweit dieses Thema die HHU beschäftigen wird.

Damit sei fast alles gesagt, nur zwei Dinge sind noch offen: ein Glückwunsch an die HHU und die Ankündigung, in zehn Jahren wieder einen Jubiläumsartikel zu verfassen.

Lennart