TERZ 06.25 – MUSIC
Frisch zurück aus Hamburg und Glückstadt an der Elbe und die Taschen voll mit neuen Tapes und Vinyl sowie Eindrücken von zwei Konzertbesuchen unserer Alltimefaves Motorpsycho, sind wir voller Tatendrang und sitzen morgens um 5:30 Uhr am PC (eigentlich nur der Oberbilker, Mrs. Cave ist erst 5:30 p.m. voller Tatendrang)!
… und starten mit den schwedischen Post-Punkern Viagra Boys und ihrem neuen Album Viagr Aboys. Die nöligen Stockholmer legen mit ihrem offiziellen vierten Album (die Shrimp Sessions 1 & 2 lassen wir außen vor) dermaßen einen vor, uns ist die Spucke weggeblieben. Mrs. Cave findet den Bandnamen zwar immer noch selten dämlich, aber selbst vor ihren strengen Ohren findet Viagr Aboys Gnade. Nach dem grandiosen Erstlingswerk Street Worms aus dem Jahr 2018 waren Welfare Jazz (2021) und Cave World (2022) dann leider nur „OK“, aber vielleicht müssen wir uns die Alben auch nur wieder einmal vornehmen und reinhören. Album #4 ist auf jeden Fall eine 1+! Schon der Opener Man Made Of Meat (schaut euch das Video an) haut mit seiner Attitüde so richtig einen raus und das sowohl textlich als auch musikalisch. Die englischen Texte sind satirisch, schwarzhumorig und ohne skandinavischen Akzent vorgetragen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Sänger Sebastian Murphy in San Francisco aufgewachsen ist und erst im Alter von 17 Jahren nach Stockholm zu seiner Tante zog. Dazu das Schmökern im Collectable Zine[1] mit Texten, Credits und Zeichnungen: ein absolut perfektes Album. Der Forderung „i need access to heaven“ schließen wir uns bedingungslos an! Veröffentlicht auf Shrimptech Enterprises, ihrem neu gegründeten bandeigenen Label.
Das Comeback des Jahres kommt von mclusky. Nach 21 Jahren Pause endlich Album Nummer 4 der walisischen Noiserocklegende! Diesmal auf Ipecac Recordings[2], statt auf Too Pure. Ohne Ermüdungserscheinungen knüpft The World Is Still Here And So Are We nahtlos an die drei Alben aus den Jahren 2000 bis 2004[3] an. Nach dem Split 2005 machten Andy Falkous (Gesang & Gitarre) und Jack Egglestone (Drums seit 2003) mit diversen anderen Musiker*innen als Future Of The Left weiter. FOTL setzten da an, wo mclusky aufgehört haben und veröffentlichten 5 Studio-, 2 Live-Alben, sowie mehrere Singles. Auch eine sehr gute Band, die aber leider nie zu 100 Prozent an die Performance von mclusky herankam. Um diese war es all die Jahre mehr oder weniger still, abgesehen von einer Benefiz-Show in 2014 als „mclusky*“, gefolgt von weiteren Konzerten in 2015 wieder als mclusky. 2019/20 dann die erste Tour mit Damien Sayell am Bass, der jetzt auch festes Bandmitglied ist. Die für 2022 geplante Tour wurde auf 2024 verschoben, und im September 2024 unterzeichnete die Band auch bei Ipecac. Andy Falkous gibt am Gesang wieder alles, von höchsten Höhen bis in die tiefsten Tiefen, hin zu enthemmten Geschrei wird uns auf TWISHASAW alles geboten. Dazu wilde Gitarren-Riffs und eine hetzende Bass-Schlagzeug-Rhythmusfraktion. Erinnerungen an den abgedrehten Auftritt am 27.09.2004 im zakk (Düsseldorf) kommen hoch und lassen auf baldige Gigs in Deutschland hoffen! Randnotiz, Bos Weston hat das Mastering in seinem Studio, dem Chicago Mastering Service, übernommen. Dass er Noise Rock kann, dürfte ja TERZ-Leser*innen weitestgehend bekannt sein.
Das dritte Album Metal Horse der Engländerin Billy Nomates ist dann sehr viel ruhiger, aber nicht weniger unspektakulär als die neuen Alben der Viagra Boys oder mclusky. Das erste Mal mit Backing Band[4] im Studio präsentiert uns Billy Nomates ein eingängiges, aber ausgefeiltes Indie-Pop-Album. Schon alleine ihre Stimme trägt durch alle Songs, einprägsam und dominant wie immer mit klassischen UK Slang. Dazu gibt es auf Metal Horse Einflüsse aus New Wave, Punk, Folk, und sogar Blues hören wir bei Life‘s Unfair raus. Selbst Pianoparts kommen zum Einsatz. Anspieltipp hier The Test. Stranglers-Frontmann Hugh Cornwell intoniert den Dark Horse Friend. Es war in letzter Zeit wohl nicht einfach für Billy Nomates. Der Hype um das 2023 Album Cacti, die misogynen Online-Angriffe nach dem Auftritt beim Glastonbury Festival 2023 (wo sie wie üblich, ähnlich wie die Sleaford Mods, nur mit Laptop auftrat, und es hieß, das sei doch nur eine Karaoke-Show) und der Tod des Vaters Peter Maries, dem auch Metal Horse gewidmet ist. Irgendwo habe ich in einer Besprechung den Begriff Jahrmarkt des Lebens gelesen, und das passt. Eigentlich wollte Billy Nomates nach dem Glastonbury Festival 2023 nie wieder auftreten, sie hatte die BBC sogar darum gebeten, die Aufnahmen des Auftrittes von der Webseite zu löschen, umso erfreulicher, dass sie am 26.11.25 im Kölner Gebäude 9 spielen wird. Wie alle anderen Alben, EP’s oder ihr Tape auch auf Invada Records[5] veröffentlicht.
Eine weitere Überraschung kommt aus den USA. Torres aka Mackenzie Scott hat mit der amerikanischen Singer/Songwriterin und Gitarristin Julien Baker ein Country-Folk-Album aufgenommen. Skepsis war vorhanden, ist Country ja ein Genre für sich, aber Send A Prayer My Way ist großartig! Beide Musikerinnen erlebten eine gottesfürchtige und konservative Jugendzeit. Julien Baker in Tennessee und Mackenzie Scott in Georgia. Wenn eine sexuelle Orientierung nicht gesellschaftskonform ist oder du dich selber als non-binäre und queere Person siehst und keine Unterstützung im Umfeld hast, dann bleibt dir oft nur die Flucht in den Alkohol (Julien Baker) oder du fühlst dich unverstanden und emotional allein (Torres). Julien Baker ist glücklicherweise wieder clean und hoch dekoriert, hat sie doch drei Grammys mit ihrer Band boygenius erworben. Torres ist mit ihren Alben immer wieder in diversen Best-Of-Jahrescharts gelistet. Dieser positive Zuspruch spiegelt sich auch in Send Me A Prayer My Way wieder. Protestsongs? Weit gefehlt! Wut oder Gesellschaftskritik gibt es auch nicht. Es geht um Hunde und Highways, Trauer und Trunkenheit, Liebe und Verlust. Torres sagte in der amerikanischen Daily Show auf die Frage, „Ob das ‚queerer Country‘ sei?“ „Wenn‘s sein muss“, dann vertrete sie das auch mit Stolz. Wenn‘s aber nach ihr ginge, sei das Album, was es ist: „einfach Country Musik“. So sehen wir das auch, es ist einfach nur verdammt gute Country Musik, nicht mehr und nicht weniger! Wir sollten einfach alle weniger in Schubladen denken ...
Erschienen auf Matador[6].
Film- und vor allen Dingen Quentin Tarantino Fans werden vielleicht bei dem Namen Meiko Kaji (太田雅子) aufhorchen. Verwendete Quentin Tarantino doch Songs von ihr für Kill Bill I & II. Die 1947 in Tokyo geborene Schauspielerin und Sängerin, bürgerlicher Name Masako Ōta, wurde 1972 als schweigsame Rächerin Nami „Matsu“ Matsushima mit der Serie Sasori – Scorpion berühmt. Ihrer Rolle in Lady Snowblood (1973) & Lady Snowblood II (1974) huldigte Tarantino mit der legendären Schnee-Schwert-Kampf-Szene zwischen Uma Thurman (Die Braut) und Lucy Lui (O-Ren Ishii) in Kill Bill I. Außerdem ist sie seit 1970 auch als Sängerin tätig, die letzte Veröffentlichung ist aus dem Jahr 2024. Das in Paris beheimatete Label WeWantSounds, spezialisiert auf die Wiederveröffentlichung schwer zu findender Originalpressungen in hochwertiger Aufmachung, hat am 02.05. dieses Jahres ein weiteres Album von Meiko Kaji mit Bonus Single veröffentlicht. Der Yadokari (オリジナル・ベスト12:やどかり) LP, veröffentlicht 1973 in Japan auf Teichiku Records liegt die Shura No Hana (Flower Of Carnage) Single bei, auch 1973 im Original erschienen. Flower Of Carnage ist der Titelsong von Lady Snowblood und wurde von Tarantino für Kill Bill I verwendet. Allen Freund*innen japanischer Schlagermusik und Cineast*innen können wir also die Wiederveröffentlichung von Yadokari bedingungslos empfehlen. Tragisch, aber nie kitschig nimmt uns Meiko Kaji mit auf eine Reise zu den japanischen Exploitationfilmen der 70er Jahre! Klappcover, Obi-Band und ausführliche Linernotes runden alles ab, was will das Sammler*innenherz mehr. Erhältlich sind über WeWantSounds von Meiko Kaji außerdem das Gincho Wataridori Album (Original 1972 in Japan erschienen) und das Hajiki Uta Album (1973 in Japan erschienen).
Nicht unerwähnt wollen wir die BluTape_session_3 von YürkE lassen. Teil 3 der BluTape Serie ist am 02.05.25 erschienen. Wieder zwei Tracks, wieder gemastert von Detlef Funder bei Paraschall und wieder böse und brutal nimmt uns YürkE mit in den technoiden, Dub lastigen Untergrund Düsseldorfs. Der letzte und vierte Teil der Serie wird im Juni 25 erscheinen, wir sind gespannt auf den Abschluss der BluTapes und warten auf weitere Veröffentlichungen von YürkE.
Diesmal Werbung in solidarischer Sache. Das Bündnis Feministischer Kampftag Düsseldorf veranstaltet am Freitag den 27.06.25 ein Konzert im Linken Zentrum. Bronko, Garage Punk aus Köln und UK, Cat Piss Potion, Riot Grrrl Punk aus Dortmund und Could Care Less, Post-Rock, Shoegaze, Spoken World aus Köln treten auf. Einlass ist ab 18:30 und Beginn 19:30 Uhr. Alle drei Bands haben Bandcamp-Seiten, es lohnt sich auf jeden Fall, diese zu besuchen.
Wir sehen uns dann am 27.06.25 im Linken Zentrum, Hummelhummel
Mrs. Cave und der Oberbilker
[1] Leider nur erhältlich in der Viagra Boys Webstore Edition.
[2] Wie schon öfters erwähnt, das Label von Mike Patton (Faith No More).
[3] My Pain And Sadness Is More Sad And Painful Than Yours (2000), mclusky Do Dallas (2002) und The Difference Between Me And You Is That I‘m Not On Fire (2004)
[4] Bassistin Mandy Clarke, KT Tunstall, The Go! Team und Schlagzeuger Liam Chapman, Rozi Plain, BMX Bandits.
[5] Invada Records wurden in der TERZ ja auch schon öfters erwähnt und dürften somit auch nicht mehr unbekannt sein.
[6] Über das New Yorker Independent Label Matador Records gab es in der aktuellen Mint Ausgabe # 76 (Mai 2025) einen interessanten und sehr lesenswerten Bericht, zusätzlich zu dem ausführlichen Spezial über New Yorker Recordstores.