TERZ 06.25 – TEURER WOHNEN
Noch am Tag seiner Ernennung im Dezember 2021 hatte Olaf Scholz als Kanzler der Ampelregierung angeordnet, wieder ein selbständiges „Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen“ einzurichten. Damit sollte die Entschlossenheit der neuen Regierung demonstriert werden, der grassierenden Wohnungsnot zu begegnen. Sehr viel ist daraus nicht geworden. Fairerweise kann man das nicht allein dem Bauministerium und der Ex-Ministerin Clara Geywitz (SPD) anlasten, ihren eigenen Anteil an diesem Versagen haben sie aber durchaus. Auch in der neuen schwarz-roten Merz-Regierung wird es wieder ein eigenständiges Bauministerium geben. Neue Bauministerin ist die 37-jährige Verena Hubertz (SPD). Ihre Hauptaufgabe muss sein, wirksam gegen den weiter zunehmenden Wohnraummangel in den Ballungszentren vorzugehen. Große Erwartungen darf mensch jedoch nicht haben.
Die Einflussmöglichkeiten des Bundesbauministeriums auf den Wohnungsmarkt sind begrenzt. Für den Wohnungsbau, insbesondere den sozialen Wohnungsbau, sind seit der Föderalismusreform 2006 die Länder, nicht mehr der Bund zuständig. Der Bund kann den Ländern zwar Finanzhilfen gewähren, die Gesetzgebungskompetenz liegt aber bei den Ländern. Was das in NRW mit der neoliberalen Hardlinerin Ines Scharrenbach (CDU) als Bauministerin bedeutet, haben wir bereits erfahren: Bundesgesetze, die optional Instrumente zum Mieterschutz enthalten – z. B. die kommunale Genehmigungspflicht bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen oder die Anwendung des Wirtschaftsstrafrechts bei Baumaßnahmen, die das Ziel haben, Bestandsmieter*innen zu verdrängen - können in NRW nicht genutzt werden, weil sich die NRW-Bauministerin weigert, die nötigen Rechtsverordnungen zu erlassen.
Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung werden keine Zielmarken mehr für den jährlichen Wohnungsneubau vorgegeben. Die Scholz-Regierung hatte sich noch auf das Ziel von 400.000 Wohnungsneubauten pro Jahr festgelegt, was jedoch nie erreicht wurde. 2023 wurden weniger als 300.000 Wohnungen neu gebaut, 2024 waren es nur rund 252.000 und für das laufende Jahr schätzt das Ifo-Institut die Zahl der Fertigstellungen sogar nur noch auf 225.000. Dafür musste die Scholz-Regierung, vor allem Bauministerin Geywitz als politisch Verantwortliche, regelmäßig heftige Kritik einstecken. Die neue Bundesbauministerin Verena Hubertz dürfte es wohl als Akt politischer Klugheit betrachten, sich nicht mehr für das Verfehlen quantitativer Ziele rechtfertigen zu müssen, wenn von vornherein gar keine Zahlen mehr genannt werden. Auf diese Idee waren in Düsseldorf auch schon CDU und Grüne im Jahr 2021 in ihrer Kooperationsvereinbarung für die Stadt Düsseldorf gekommen. Die von OB Kellers Vorgänger Thomas Geisel propagierte, aber regelmäßig verfehlte Zahl von jährlich 3.000 Wohnungsneubauten wurde nicht mehr erwähnt.
Tatsächlich ist der Verzicht auf quantifizierte Zielvorgaben, das Eingeständnis der Politik, nur sehr begrenzten Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der privaten Bau- und Wohnungswirtschaft zu haben. Auf die ist sie aber angewiesen, weil Bund, Länder und Kommunen bisher nicht bereit sind, selber als Bauherren tätig zu werden. Renditeorientierte Investoren bauen nur so viel und auch nur das, was sich rentiert, und nicht das, was der gesellschaftliche Bedarf erfordert. Und da Investoren in der Regel mit Fremdkapital arbeiten, müssen sie die mit den Geldgebern vertraglich vereinbarten Renditeziele unbedingt erreichen. Weniger genügt da nicht. Was es bedeutet, wenn diese Renditeziele nicht mehr erreicht werden können, weil hochspekulierte Grundstückspreise und hohe Baukosten zu so hohen Preisen für Häuser, Wohnungen und Wohnungsmieten führen, dass sie am Markt kaum mehr durchsetzbar sind, hat sich im Verlauf der Immobilienkrise seit 2022 gezeigt: Immobilienunternehmen, vor allem Projektentwickler, sind reihenweise in die Pleite gerutscht und Bauvorhaben wurden in großen Umfang auf Eis gelegt oder ganz storniert.
Will man die private Wohnungswirtschaft wieder zum Bauen animieren, bleibt aus wirtschaftsliberaler Sicht nur die Möglichkeit, die Profitabilität der Unternehmen zu erhöhen. Da eine spürbare Erhöhung der Kaufkraft von Käufer*innen und Mieter*innen aus dieser Perspektive keine Option ist, bleibt nur, die Unternehmen auf der Kostenseite zu entlasten. Das kann zum Beispiel durch Zuschüsse und zinsverbilligte Darlehen aus Steuermitteln geschehen. Die neue Bundesregierung hat sich deswegen auf eine Erhöhung der Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau verständigt. Dringend nötig ist das zweifellos, denn bundesweit haben nach einer Schätzung des Pestel-Instituts (Hannover) etwa 11,5 Mio. Haushalte Anspruch auf eine Sozialwohnung. Aber eine zu bekommen, ist wie Lotterie spielen, denn es gibt viel zu wenige. In Zeiten des Booms eher verpönt, werden die öffentlichen Fördermittel in der andauernden Krise von der Wohnungswirtschaft gern in Anspruch genommen. So lange politisch keine anderen Instrumente verfügbar sind, ist der steuerlich geförderte Bau bezahlbarer Wohnungen durchaus sinnvoll. Allerdings werden die eingesetzten Mittel am Ende wirkungslos verpuffen, wenn die zeitliche Befristung der Preisbindung öffentlich geförderter Wohnungen nicht aufgehoben wird. Seit Jahrzehnten fallen mehr Sozialwohnungen aus der Preisbindung, als trotz höherem Mitteleinsatz neue gebaut werden, so dass der Bestand ständig weiter abschmilzt. Dieses absurde Ergebnis ist auch für Düsseldorf festzustellen: Im letzten Jahr wurden zwar mehr Sozialwohnungen als zuvor gebaut, aber noch mehr sind aus der Preisbindung gefallen, so dass der Bestand unter dem Strich um knapp 530 Wohnungen zurückgegangen ist. Beheben ließe sich dieser Systemfehler nur durch die Wiedereinführung der 1989 von einer schwarz-gelben Bundestagsmehrheit abgeschafften Wohnungsgemeinnützigkeit, die eine dauerhafte Preisbindung geförderter Wohnungen ermöglichen würde. Allerdings ist von der neuen Bundesregierung angesichts der vor allem in der CDU/CSU starken Immobilienlobby kaum eine Politikänderung in dieser Richtung zu erwarten. Auch in dem am 15. Mai im Bundestag vorgestellten Programm der neuen Bauministerin lautet der Befund zu diesem Thema: Fehlanzeige.1
Eine weitere gewichtige Leerstelle in der Absichtserklärung der neuen Bauministerin ist der Umgang mit dem kommunalen Vorkaufsrecht bei Wohngebäuden. Ihre Vorgängerin Clara Geywitz hatte bereits einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der die fatale Wirkung eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts (BVG) vom 9. November 2021 aufgehoben hätte. Nach diesem Urteil ist eine vorbeugende Nutzung des kommunalen Vorkaufsrechts nicht zulässig. Dieses Urteil hat auch für Düsseldorf unmittelbare Auswirkungen, nachdem in Bilk (nach langjährigen Bemühungen) ein erstes Gebiet für eine Soziale Erhaltungssatzung (Milieuschutzsatzung) eingerichtet wurde, in dem das kommunale Vorkaufsrecht greifen könnte. Der bloße Verdacht, ein geplanter Verkauf von Wohnhäusern könnte zur Verdrängung von Bestandsmieter*innen führen, reicht aber nach dem BVG-Urteil nicht aus, um den Kommunen die Nutzung des Vorkaufsrechts zu erlauben. Der Schaden – die Verdrängung von Mieter*innen - muss demnach erst eingetreten sein, um ihn feststellen zu können. Für ein städtisches Eingreifen ist es dann natürlich zu spät. Was absurd klingt, war von den Kläger*innen aber genauso beabsichtigt. Der Gesetzentwurf von Clara Geywitz wurde vom damaligen FDP-Justizminister Buschmann konsequent ausgebremst. Zwar ist die FDP nun als Bremse weggefallen, aber in der CDU/CSU hat die Immobilienlobby, angeführt von dem bau- und wohnungspolitischen Sprecher der Fraktion Jan-Marco Luczak, erheblichen Einfluss, jetzt auch in der Regierung. Luczak ist einer der Kläger, die das erwähnte BVG-Urteil erwirkt haben. Dass die neue Regierung bereit sein wird, gerade dieses Urteil nun zu entkräften, ist nicht anzunehmen.
Großen Raum in der Programmvorstellung der neuen Bauministerin nahm der „Wohnungsbau-Turbo“ ein, den Verena Hubertz für die ersten 100 Tage angekündigt hat. Kernstück soll die Lichtung des „regulatorischen Dickichts“ bürokratischer Vorgaben sein. Um lange Antrags- und Bearbeitungszeiten zu verkürzen, sollen die Kommunen nun eine „Brechstange“ aus dem Baugesetzbuch in die Hand bekommen. Wie die konkret aussehen soll, bleibt unklar. Ähnliches hatte auch schon Ex-Bauministerin Geywitz angestrebt. Für dieses wirtschaftsliberale Projekt hatte sie seinerzeit sogar die Zustimmung der FDP, die ansonsten in der Ampel-Regierung alle Regelungen zum Mieter*innenschutz abgeblockt hatte. Massiver Widerstand kam aber unter anderem von Mieter*innen- und Sozialorganisationen, die zu Recht kritisierten, dass unter dem Label Bürokratieabbau Mitwirkungsrechte der Bürgerschaft sowie Umwelt-und Klimaschutz beschnitten werden sollten. Aus dem Geywitz-Turbo ist bis zum Ende der Scholz-Regierung nichts mehr geworden, ob es dem Hubertz-Turbo mit der neuen Bundesregierung anders ergehen wird, ist fraglich. Erhofft wird, durch Bürokratieabbau im Neubau wieder Quadratmetermieten von 12 bis 14 Euro möglich zu machen (statt wie aktuell in Ballungsgebieten 20 Euro und mehr). Aber selbst wenn das gelingen sollte: Von bezahlbarem Wohnraum kann auch bei solchen Mieten keine Rede sein.
Für die SPD war die Verlängerung der Mietpreisbremse um vier Jahre ein zentrales Wahlversprechen.2 Die Zustimmung der CDU/CSU, die angestrebte Verlängerung nach anfänglicher Weigerung nun mitzutragen, wertet die SPD als wohnungspolitischen Erfolg. Verantwortlich für die Umsetzung wird die neue Bauministerin sein. Anders als ein befristeter Mietenstopp oder ein bundesweiter Mietendeckel, die in den Ankündigungen der neuen Bauministerin überhaupt nicht vorkommen, hat die Mietpreisbremse eher nur symbolische Bedeutung. Eine messbare Wirkung auf die Entwicklung der stetig weiter steigenden Wohnungsmieten ist nicht feststellbar. Das liegt zum einen am Fehlen von Sanktionen, wenn Immobilieneigentümer*innen sich nicht an die Reglung halten, zum anderen aber auch daran, dass Mieter*innen zur Erstattung überhöhter Mieten den Vermieter verklagen müssen, was in angespannten Wohnungsmärkten viele aus guten Gründen nicht tun. Um diese Mängel zu beheben sowie die zahlreichen Ausnahmen abzuschaffen, wäre eine Schärfung der Mietpreisbremse erforderlich. Dieses Ansinnen wurde aber schon von Clara Geywitz für die Scholz-Regierung mit der Bemerkung zurückgewiesen, wir hätten schließlich keinen „Babysitter-Nanny-Staat“, der sich in Vertragsbeziehungen zwischen Privatpersonen einmische. Es ist nicht zu erwarten, dass die neue Bundesregierung dazu eine andere Haltung einnimmt.
Von der neuen Bundesregierung und der neuen Bauministerin Verena Hubertz wird nach Lage der Dinge kein Impuls für eine neue Wohnungspolitik ausgehen. Es ist vielmehr zu befürchten, dass sich mit der Merz-Regierung die Schlagseite der Bau- und Wohnungspolitik zugunsten der Immobilienwirtschaft noch verstärken wird. Ein Gegengewicht dazu wird Verena Hubertz, die an einer privaten Wirtschaftshochschule einen betriebswirtschaftlichen Abschluss erworben hat, wohl kaum sein. Von der FAZ wurde sie wegen ihre Nähe zu Unionspositionen bereits als „die Bürgerliche in der SPD“ bezeichnet (FAZ 6.5. 25).
Die Bewohner*innen von Ballungsräumen und größeren Städten, die unter dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum, dem Wahnsinn steigender, schon jetzt abenteuerlich hoher Mieten und der Sorge, aus ihren Wohnungen verdrängt zu werden, besonders leiden, können von der Wohnungspolitik der schwarz-roten Bundesregierung und der neuen Bauministerin kaum Unterstützung erwarten. Abhilfe wird nur die Entfaltung von gesellschaftlichem Druck von unten schaffen können. Vernetzung und Organisierung der Betroffenen sind dafür unabdingbar.
Helmut Schneider
Bündnis für bezahlbaren Wohnraum
[1] Die von Ex-Bauministerin Geywitz als Zusatz im Vereinsgesetz eingeführte sogenannte „neue Wohnungsgemeingemeinnützigkeit“ war von vornherein reiner Etikettenschwindel. Gedacht nur für einen sehr kleinen Adressat*innenkreis waren dafür gar keine öffentlichen Fördermittel vorgesehen.
[2] Das Bundesgesetz zur Mietpreisbremse erlaubt den Ländern in angespanntem Wohnungsmärkten die Regelung, dass die Miete bei Neuvermietungen nur maximal 10 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf.