Brutale Migrationspolitik ohne Sinn und Verstand

Nicht nur in Deutschland haben sich Politiker*innen mit dubiosen Wahlversprechen unter Druck gesetzt: Ebenso menschenverachtende wie unrealisierbare Massenabschiebungspläne sollen durchgedrückt werden.

Weltweit sind mehr als 122 Millionen Menschen auf der Flucht, etwa zwei Millionen mehr als 2024, wie aus dem neuen Jahresbericht des UNO-Flüchtlingshilfswerks hervorgeht, der am 11.06. vorgestellt wurde. Fluchtgründe sind Kriege, politische Verfolgung und Umweltkatastrophen.

Auch aus Anlass des Weltflüchtlingstags am 20. Juni kann nicht eindringlich genug auf das unfassbare Leid der von Flucht und Vertreibung betroffenen Menschen hingewiesen werden. Seit 1993 sind 66.519 Menschen auf der Flucht oder danach in Deutschland gestorben. Das sind nur die recherchierten und belegbaren Schicksale. Die Dunkelziffer wird weitaus höher sein.

Faktisches Einreiseverbot

Ungeachtet dessen, wies, kaum im Amt, der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) eine massive Verschärfung der Flüchtlingspolitik an Deutschlands Grenzen an. Die Regierung von Union und SPD will ein von Friedrich Merz bereits im Januar angekündigtes „faktisches Einreiseverbot“ umsetzen, das ausdrücklich auch für Personen mit Schutzanspruch gelten soll. Der Kampf gegen die „illegale Migration” wird gebetsmühlenartig skandiert, ein „Signal“ soll an die „Welt und nach Europa“ gehen, dass sich die Politik in Deutschland geändert habe. Das hat sie: In eine menschenverachtende, faschistoide Grenzschließungs- und Abschiebungspolitik gegenüber Menschen auf der Flucht. Bekämpft und kriminalisiert werden diese Menschen, nicht aber die Fluchtgründe und deren Verursacher*innen.

Im Mai hatte Dobrindt die Bundespolizei angewiesen, auch Asylsuchende an den Grenzen zurückzuweisen. Anfang Juni stufte das Berliner Verwaltungsgericht die Zurückweisung von drei Somaliern an der deutsch-polnischen Grenze in Eilbeschlüssen als rechtswidrig ein. Das befeuert die migrationspolitische Debatte, auch wenn die Entscheidung lediglich Auswirkungen auf die drei Einzelfälle hat. Dobrindt will ungeachtet dieser Entscheidung an seiner umstrittenen Politik festhalten. Er tut allerorten kund, sich damit innerhalb des europäischen Rechts zu bewegen. Durch die Migration bestehe eine Überforderung der Kommunen und damit eine Notwendigkeit zum Schutz der öffentlichen Ordnung, so der CSU-Mann. Clara Bürger (Die Linke) kritisierte Dobrindts Entscheidung, Schutzsuchende an den deutschen Grenzen ohne Prüfung ihres Asylgesuchs zurückzuweisen. Er habe die Bevölkerung mit einer „erfundenen Notlage angelogen“, die bis heute nicht belegt worden sei. In einer Notlage befinden sich die Menschen auf der Flucht.

Ab nach Guantanamo

Donald Trump hatte im US-Wahlkampf versprochen, das größte Abschiebeprogramm in der amerikanischen Geschichte zu starten. Er geht in bisher nicht da gewesener Manier gegen „gewaltsame, aufständische Meuten, die Los Angeles übernommen” hätten, vor. Für Haudrauf-Trump sind die Proteste der Bevölkerung gegen das Vorgehen der Einwanderungspolizei ICE ein willkommener Aufhänger, um seine Dauerfehde mit der Hochburg der Demokraten in Kalifornien eskalieren zu lassen. Der Bundesstaat verweigert die Kooperation bei seinen Massendeportationsplänen. Lokale Behörden dürfen nach kalifornischem Recht die ICE-Beamt*innen nicht unterstützen. Brutales Vorgehen der ICE, die Migrant*innen ohne gültige Papiere festnehmen und abschieben will, hatte Anfang Juni Proteste im Raum Los Angeles ausgelöst, zumeist friedlich. Vereinzelte Ausschreitungen heizten sich erst richtig auf, nachdem Trump den Einsatz von hunderten Soldaten der Nationalgarde und sogar eine Mobilisierung des Militärs befohlen sowie Marineinfanteristen der regulären Streitkräfte bereitgestellt hatte. Trump erwägt, die abzuschiebenden Menschen in Guantanamo einzusperren, davon sollen auch Bürger*innen aus Staaten betroffen sein, die eng mit den USA verbündet sind – darunter Deutschland. Trump hatte im Januar angekündigt, auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo ein großes Lager für Abschiebehäftlinge errichten zu wollen.

Ziemlich beste Freunde

Unterdessen absolvierte Kanzler Friedrich Merz seinen Antrittsbesuch bei Trump. Begeistert, „nicht Angela” empfangen zu müssen, erwähnte Trump Merz gegenüber, „Angela“ hätte viele böse Menschen nach Deutschland gelassen und Russland Milliarden geschenkt. Trump schwadronierte damit über Ex-Kanzlerin Merkels Flüchtlingspolitik und den Bau der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2. Die steigenden Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland erklärte Merz der amerikanischen Presse als „eine Art importierten Antisemitismus mit dieser großen Zahl von Migranten, die wir in den letzten zehn Jahren haben.“ Seine Regierung tue alles, um deren Zahl zu senken. Was Merz geflüchteten Menschen alles anlastet, ist übelster Populismus nach Trump-Geschmack. Die Formulierung „importierter Antisemitismus“ war vor einigen Monaten Thema bei der Aktion „Unwort des Jahres“. Der Ausdruck suggeriere, dass Judenhass vor allem mit dem Zuzug von Migrant*innen zum Problem geworden sei, so die Begründung. Der Begriff werde vor allem in rechten Kreisen verwendet, um Menschen mit Migrationsbiographie auszugrenzen und vom eigenen Antisemitismus abzulenken.

Zum 40. Jahrestag des Abkommens von Schengen hat Merz die offenen Binnengrenzen in Europa als „einzigartig” gewürdigt und als „die Grundlage unseres freien Europas“ bezeichnet. „So soll es bleiben: Wir wollen einen starken europäischen Binnenmarkt ohne Einschränkungen.“ Der glatte Hohn, denn Menschen können sich im Schengen-Raum nicht mehr frei bewegen. An vielen Grenzen wird längst wieder kontrolliert, von offen kann keine Rede mehr sein. Ein Hoch auf die Umsetzung der neuen Migrationsregeln und die „effektive Zusammenarbeit” mit den europäischen Nachbarn.

Das Schengen-Abkommen wurde am 14. Juni 1985 von fünf europäischen Ländern in Schengen in Luxemburg unterzeichnet. Mittlerweile gehören dem Schengen-Raum 29 Staaten an, darunter fast alle EU-Staaten sowie die Nicht-EU-Mitglieder Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz.

Niederländische Selbstjustiz

Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders hatte am 03.06. im Streit um die Migrationspolitik den Rückzug seiner Partei, der „Freiheitspartei“ PVV, aus der Vier-Parteien-Koalition erklärt, da seine Koalitionspartner*innen keine schärferen Grenzmaßnahmen mehr mittragen wollten. Niederländische Bürger*innen, offensichtlich Wilders-Fans, führten kurz darauf eigenmächtig Kontrollen von Autos an der deutschen Grenze durch. Die Aktion fand an der Bundesstraße 408 statt, die vom niedersächsischen Haren in Richtung der zentralen Aufnahmeeinrichtung für Geflüchtete im niederländischen Ter Apel verläuft. Wenn auch verboten, sprach Wilders von einer „fantastischen Initiative“: Er werde das nächste Mal dabei sein. Solche Aktionen wünsche er sich an allen niederländischen Grenzen.

Neue Abschiebeknäste

Über ein Guantanamo-Äquivalent verfügen Merz, Dobrindt und Co. nicht, aber Abschiebegefängnisse und deren Neuerrichtung wie in Mönchengladbach sollen Massenabschiebungen aus Deutschland ermöglichen, auch wenn der Bau auf dem JHQ-Gelände in Mönchengladbach Rheindahlen nicht vor 2028 starten wird und immer noch nicht komplett genehmigt ist. Die Machbarkeitsstudie steht noch aus. Das breit aufgestellte Bündnis gegen Abschiebegefängnis in Düsseldorf, Mönchengladbach und überall hatte am 14.06. zu einer Demo mit Start am Düsseldorfer Graf-Adolf-Platz aufgerufen, um gegen das geplante Abschiebegefängnis sowie die Migrationspolitik der Bundesregierung zu protestieren. Vor der CDU-Zentrale an der Wasserstraße, wo zeitgleich die Junge Union tagte, wurden die Demonstrierenden nochmal richtig laut. Sinnigerweise hängt am CDU-Gebäude ein Plakat, das Konrad Adenauer zeigt mitsamt dem Zitat: „Wir sind des Glaubens, dass die Würde und die Freiheit des Einzelmenschen geachtet werden muss und von niemandem verletzt werden darf.“ Welches „wir“ und welche Menschen mögen gemeint sein?

Frontex-Zynismus „Mein Leitfaden zur Rückkehr”

Zum guten Schluss möchten wir nicht unerwähnt lassen, dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex bereits 2023 die Broschüre „Mein Leitfaden zur Rückkehr“ veröffentlicht hat: Diese soll Kinder und Jugendliche auf ihre Abschiebung vorbereiten und ist bis vor kurzem der breiten Öffentlichkeit unbekannt geblieben, warum auch immer.

Wir fassen einen empfehlenswerten Artikel zusammen, den netzpolitik.org am 13.06. hierzu veröffentlicht hat. Die Broschüre ist ein zynisches Machwerk der Menschenverachtung. In euphemistischen Worten und in vermeintlich kindgerechter Sprache verniedlicht sie das Herausreißen Minderjähriger aus ihrem Leben – in illustrierter Ratgeberform. Es ist ein Buch voller unschuldig lächelnder, tatsächlich aber eiskalter Pseudo-Menschenfreundlichkeit, in der die traumatisierende Abschiebung als Abenteuer und Chance auf einen Neuanfang verkauft wird. Abschiebung – aber voll nice, voll bunt, voll kinderfreundlich. Sogar die UN-Kinderrechtskonvention wird im Heft präsentiert. Denn Du sollst ja Deine Rechte kennen. Und auch die Handschellen, die Dein Vater vielleicht trägt, sind ganz normal. „So sind er und die anderen sicher“, weiß die Broschüre zu beruhigen. Nach dem Flug ist dann auch gleich Ankunft. „Wenn Du im Heimatland Deiner Familie ankommst, steigt Deine Familie zusammen aus dem Flugzeug.“ Und dann erwartet Dich laut Frontex ein neues Leben in einem Land, wo Du viel erleben und kennenlernen darfst. Du musst keine Angst haben, denn Du darfst neue leckere Süßigkeiten und Speisen entdecken. Bekommst nette Lehrer und Freundinnen. Und das schöne neue Leben, auf das Dich die Europäische Union in der Broschüre schon einmal auf so zauberhafte Weise vorbereitet hat. Wie toll das alles doch ist!

Unfassbar. Die Broschüre gibt es in mehreren Sprachen. Trotzdem unbegreiflich.

Christine