TERZ 0708.25 – GENDER
In der Düsseldorfer Altstadt liegt queere Geschichte oft im Verborgenen – sichtbar wird sie dort, wo bewusst hingeschaut wird. Der erste Halt führt zur Mutter‑Ey‑Straße, benannt nach Johanna Ey (1864–1947), eine der prägendsten Personen der lokalen Kunstszene der 1920er-Jahre.
Ey eröffnete 1907 zunächst ein Café nahe der Kunstakademie und führte ab 1920 die Galerie „Neue Kunst. Frau Ey“, die zu einem Zentrum der rheinischen Avantgarde wurde. Dort fanden sich nonkonforme Künstler*innen zusammen, darunter auch queere Personen. Johanna Ey bot nicht nur Ausstellungsflächen, sondern unterstützte viele mit Krediten, Ratschlägen und konsequenter Loyalität.
An der Fassade der Mutter-Ey-Straße erinnert ein großformatiges Porträt an sie – ein sichtbares Zeichen ihrer Bedeutung im Düsseldorfer Stadtbild. Johanna Ey galt in ihrer Zeit als eine der meistgemalten Frauen Deutschlands. Viele Künstler*innen bezahlten Ausstellungsfläche oder anderweitige Unterstützung mit einem Porträt. Die entstandenen Werke zeigen sie nicht als Muse oder idealisiertes Objekt, sondern als präsente, kraftvolle Persönlichkeit. Die Darstellungen brechen mit gängigen Schönheits- und Geschlechterbildern: keine nackten Körper, keine passive Pose – stattdessen Würde, Autorität und ein prüfender Blick.
Seit 2017 steht in unmittelbarer Nähe, auf dem Andreas-Quartier ein Bronze-Denkmal von Bert Gerresheim, das Johanna Ey mit symbolischen Elementen zeigt: Ein Ei als Anspielung auf ihren Namen, flankiert von Bildern, unter anderem von Otto Dix und Max Ernst.
Eys Café und Galerie waren für Viele Orte des Rückzugs, sichere Räume in einer Zeit, in der queeres Leben kriminalisiert und bedroht war. Lange bevor Begriffe wie Safe(r) Space oder Queer Community verbreitet waren, lebte Johanna Ey eine Praxis der Solidarität und Selbstermächtigung.
Unweit des Mutter-Ey-Platzes, in der Hunsrückenstraße, erinnert ein Stolperstein an Wilhelm Zitschka (1880–1960). Der gelernte Silberschmied lebte ab 1928 in Düsseldorf und wurde 1941 von der nationalsozialistischen Justiz wegen seiner Homosexualität verurteilt. Grundlage war der §175 des Strafgesetzbuches, der gleichgeschlechtliche Sexualität unter Strafe stellte und unter den Nationalsozialisten massiv verschärft wurde. Die Verfolgung queerer Menschen war staatlich organisiert, systematisch, entmenschlichend und oft lebensbedrohlich.
Zitschka wurde vor die vermeintliche Wahl gestellt: Konzentrationslager oder sogenannte freiwillige Entmannung. Was als freiwillig bezeichnet wurde, war in Wahrheit ein staatlich erzwungener medizinischer Gewaltakt: die Kastration. Sie wurde queeren Männern unter dem Druck drohender KZ-Haft „angeboten“, ein physisch und psychisch gewalttätiges Mittel der Disziplinierung und Entmündigung. Eine tatsächliche Entscheidungsfreiheit gab es nicht.
Die Nationalsozialist*innen rechtfertigten dieses Vorgehen mit der Ideologie, Homosexualität sei eine „Gefahr für die Volksgemeinschaft“, die medizinisch „beseitigt“ werden müsse. Am 14. Mai 1941 wurde Wilhelm Zitschka im Gefängniskrankenhaus der Ulmer Höh’ kastriert. Zwei Wochen später begann seine zweijährige Haftstrafe. Er überlebte und kehrte 1943 nach Düsseldorf zurück – doch das Unrecht war damit nicht beendet. Wie vielen anderen wurde auch ihm keine Entschädigung gewährt, keine Rehabilitierung, keine Anerkennung. Nicht weil es übersehen wurde, sondern weil das Stigma bewusst bestehen blieb. Die Verfolgung queerer Menschen ging nach dem Zweiten Weltkrieg weiter, mit denselben Gesetzen, in neuer Verantwortung.
Der Stolperstein vor dem heutigen Kom(m)ödchen erinnert an ein Leben, das von staatlicher Verfolgung gezeichnet wurde. Er steht exemplarisch für queere Biografien, die ausgelöscht, gebrochen oder verschwiegen wurden, und dafür, dass diese Gewalt bis heute nachwirkt. Erinnerung bedeutet nicht nur Sichtbarmachung, sondern auch Anerkennung dessen, was nicht wiedergutzumachen ist.
Zitschkas Geschichte steht exemplarisch für eine lange Geschichte der staatlichen Verfolgung. Der §175, der homosexuelle Handlungen zwischen Männern kriminalisierte, wurde 1871 im Deutschen Kaiserreich eingeführt, 1935 unter den Nationalsozialisten verschärft und blieb auch nach 1945 in der Bundesrepublik bestehen. Erst 1994 wurde er endgültig abgeschafft. Die juristische Aufarbeitung kam spät: Die Urteile aus der NS-Zeit wurden im Jahr 2002 aufgehoben, diejenigen aus der Nachkriegszeit hingegen erst im Jahr 2017 – und auch nur, nachdem ein Gutachten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes die Aufhebung als verfassungsrechtlich geboten erklärt hatte. Seit 2021 erinnert ein neues Denkmal von Claus Richter am Johannes-Rau-Platz an die Opfer dieser Repression – und an alle, die wegen ihrer geschlechtlichen oder sexuellen Identität ausgegrenzt, pathologisiert oder verfolgt wurden. Der Ort trägt den offiziellen Namen: „Ort für die Erinnerung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“.
Vier lebensgroße Bronzefiguren stehen hier auf einem Sockel, mit erhobenen Armen, in stolzer, kämpferischer Haltung. Zwei zeigen das Victory-Zeichen, die anderen beiden ballen die Faust. Die Körper sind unterschiedlich: jung, alt, maskulin, feminin, nicht eindeutig lesbar. Das Denkmal zeigt keine idealisierten Heldenfiguren, sondern reale Menschen mit Geschichte. Eine Inschrift auf dem Sockel widmet diesen Ort all jenen, die in Düsseldorf wegen ihrer Identität Diskriminierung oder Gewalt erfahren haben, und all jenen, die sich damals wie heute für Vielfalt einsetzen.
Nur wenige Gehminuten vom Johannes-Rau-Platz entfernt, am oberen Ende der Rheintreppen vor dem Schlossturm, liegt ein Gedenkort, der leicht zu übersehen ist, obwohl viele Menschen regelmäßig an ihm vorbeikommen. Die meisten haben auf diesen Stufen schon gesessen und den Blick auf den Rhein genossen. Dass sich dort, wo die Treppen beginnen, eine Gedenkinstallation befindet, bleibt den meisten verborgen.
Der Denkraum „Namen und Steine“ wurde im Oktober 2000 auf dem Burgplatz installiert. Die Arbeit des Künstlers Tom Fecht besteht aus drei Reihen Großpflastersteinen, die sich rund 20 Meter durch das Pflaster ziehen, unauffällig eingefasst in einen Messingwinkel. In die Steine eingraviert: Namen von Menschen, die an den Folgen von AIDS gestorben sind. Einige bekannt, wie Freddie Mercury, viele lokal – aus Düsseldorf und Umgebung.
Die Installation ist Teil eines europaweiten Projekts, das 1989 begann und bis heute über 17.000 solcher Gedenksteine in mehr als 20 Städten umfasst. Der Düsseldorfer Teil trägt den Titel „Dreizeiler II“. Die Steine stammen ursprünglich aus dem Straßenbau und wurden bewusst in belebten öffentlichen Räumen eingelassen.
Erinnerung findet hier nicht abseits statt, sondern mitten im Alltag. Es gibt keine erklärende Tafel, wer die Namen liest, muss genau hinschauen. Das Konzept ist klar: Sichtbarkeit durch Präsenz, nicht durch Monumentalisierung.
„Namen und Steine“ erinnert an das Sterben während der AIDS-Krise, aber auch an das gesellschaftliche Schweigen, an Ignoranz, Stigmatisierung und politisches Wegsehen. Das Projekt wurde von der Aidshilfe Düsseldorf ermöglicht und am 11. Juni, zum 40-jährigen Bestehen im Rahmen eines Festaktes erweitert.
Die queere Stadtführung endet an einem Ort der gelebten Zukunft: dem Café Franzmann an der Ratinger Straße 20. Hier trifft sich der Verein 1001 Plateau, ein Netzwerk für queere Communityarbeit. Was als Initiative in Duisburg begann, ist in Düsseldorf heute ein unverzichtbarer Ort für Empowerment, Kulturarbeit und politischen Austausch. Besonders wichtig ist der Raum für junge inter*, trans* und nicht-binäre Personen, Menschen, die oft am stärksten von Gewalt, Ausschluss und institutioneller Ignoranz betroffen sind.
1001 Plateau bietet Workshops, Peer-Beratung, Coming-out-Begleitung, Selbsthilfegruppen, Kulturveranstaltungen, aber vor allem: ein Gefühl von Zugehörigkeit. Ein Ort, an dem man nicht erklären muss, warum man anders ist, sondern einfach sein darf. Zwischen Beratungsstelle und Wohnzimmer.
Auch das Jugendzentrum PULS leistet wichtige Arbeit: Dort finden queere Jugendliche einen Schutzraum, in dem sie sich ausprobieren, vernetzen und stärken können. Ob durch offene Nachmittage, thematische Abende oder freiwilliges Engagement, solche Orte fangen auf, was die Mehrheitsgesellschaft oft übersieht. Hier wird nicht nur über queere Teilhabe gesprochen, sie wird konkret gelebt.
Es hat sich viel verändert, doch der Druck ist geblieben, und in letzter Zeit steuern wir in Deutschland wieder in die falsche Richtung. 2025 mussten mehrere CSDs in kleineren Städten wie Gelsenkirchen und Regensburg wegen Drohungen oder abstrakter Gefährdungslagen kurzfristig abgesagt oder umgeplant werden. Rechtsextreme Gruppen rufen vermehrt gezieltzu Aktionen gegen queere Veranstaltungen auf, und CSD Deutschland warnt vor einer extremen Zunahme von Bedrohungen in sozialen Netzwerken.
In Berlin sorgte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) für Aufsehen, weil sie einem queeren Netzwerk der Bundestagsverwaltung die Teilnahme am CSD und das Hissen der Regenbogenflagge auf dem Reichstag untersagte, mit der Begründung, dies würde gegen politische Neutralität verstoßen. In Zeiten wachsender queerfeindlicher Angriffe ist das kein Ausdruck von politischer Neutralität, sondern ein Zeichen mangelnder Solidarität und institutioneller Blindheit gegenüber gesellschaftlicher Realität.
Hintergründe wie diese zeigen klar: Auch wenn die rechtliche Gleichstellung Fortschritte gemacht hat, kämpfen queere Menschen weiterhin gegen Hass – online wie offline. Die Zahl queerfeindlicher Straftaten steigt laut Verfassungsschutz deutlich. Trans* Personen ringen um Anerkennung und Zugang zu medizinischer Versorgung. Queere Jugendliche leiden überdurchschnittlich oft unter psychischer Belastung.
Parallel dazu entsteht auf lokaler Ebene viel Basisarbeit: queere Initiativen leisten Care, Schutz und Community-Arbeit, niedrigschwellig und konkret. Sie organisieren Beratungen nach dem Coming-Out, Jobnetzwerke, sichere Räume in Schulen oder einfach Gesprächsangebote für Menschen, die jemand brauchen, der zuhört. Das ist politische Arbeit im besten Sinne: Keine leeren Identitätspolitik-Parolen, sondern echte Antworten auf konkrete Bedürfnisse: einen geschützten Namen, respektvolle Schulbegleitung, einen sicheren Alltagsraum.
Der Pride Month macht sichtbar, was sonst oft übersehen wird: Queere Geschichten gehören zu Düsseldorf – damals wie heute. In Kneipen, Clubs, Galerien, Jugendzentren oder auf der Straße – queeres Leben war immer da. Nur selten wurde es öffentlich anerkannt, sichtbar gemacht oder geschützt.
Die queere Stadtführung durch Düsseldorf ist deshalb kein nostalgischer Rückblick, sondern ein politisches Statement. Sie zeigt, wo Räume fehlen, wo Erinnerung notwendig ist – und wo Solidarität beginnt.
Auch beim CSD 2025 in Düsseldorf am 21. Juni wurde wieder deutlich: Sichtbarkeit ist wichtig, aber nicht genug. Die Forderungen nach Schutz, Teilhabe und Anerkennung bleiben aktuell. Denn Pride heißt nicht nur feiern, Pride heißt: einfordern, einmischen, dranbleiben. Nicht nur im Juni. Und nicht nur, wenn’s gerade passt.
Valentine
Wenn wir von queer sprechen, meinen wir alle, die von cis- und heteronormativen Vorstellungen von Geschlecht, Begehren und Lebensweise abweichen – dazu gehören unter anderem lesbische, schwule, bisexuelle, asexuelle, aromantische, trans, nicht-binäre, intergeschlechtliche und weitere Personen, die sich nicht in dominante Normen einordnen (wollen oder können).
Pride: Erinnerung, Widerstand, Zukunft
Jedes Jahr am 1. Juni beginnt der Pride Month, ein Monat, in dem queeres Leben weltweit sichtbar, laut, widerständig und auch verletzlich gefeiert wird. Höhepunkt des Pride Month ist der Christopher Street Day, der an die Stonewall-Aufstände im Juni 1969 in New York erinnert. Bei diesen Aufständen wehrten sich queere Menschen – viele von ihnen Schwarz, trans, arm und/oder Latine – gegen systematische Polizeigewalt und ständige Razzien. Die Proteste gelten als Wendepunkt für die internationale LSBTIQ*-Bewegung.
Der Pride Month ist mehr als bunte Fahnen und fröhliche Paraden, er ist und bleibt ein politischer Akt. Denn Sichtbarkeit allein schützt nicht vor Diskriminierung, Gewalt, Pathologisierung oder materieller Prekarität. Gleichberechtigung ist noch lange nicht erreicht, solange queere Menschen um Sicherheit, Rechte und Anerkennung kämpfen müssen. Der Pride Month ist Erinnerung an Widerstand, Mahnung gegen das Vergessen und Vision einer solidarischen Zukunft.
Auch in Düsseldorf wird gekämpft, erinnert und gefeiert. Die TERZ macht in diesem Pride Month queere Geschichte und gelebte Gegenwart sichtbar, mit einem Streifzug durch Orte, die vielen vertraut scheinen, deren Geschichten aber oft übersehen werden. Dieser Artikel lädt dazu ein, hinzusehen, hinzuhören – und sich selbst auf den Weg zu machen. Queere Spuren im Stadtbild erzählen nicht nur von Vergangenheit, sondern von Gemeinschaft, Mut und Zukunft.