Worried about 40221 Worri

Sicherheit im Bahnhofsumfeld heißt es, eine Verlagerung der Szene vom Worringer Platz zum KAP1 bedeutet es. Der Platz ist aber nicht leergefegt, nach einer gehörigen Umstrukturierung steht Kultur ganz oben auf der Tagesordnung. Off-Spaces sollen genutzt werden, um das Image des Bahnhofsumfeldes zu ändern. Der Kreativraum-D zeigt bereits die zweite Ausstellung, eine Fotostrecke vom Fotokünstler Guido Westermeier mit spannender Führung. Dieser Artikel berichtet zuerst über die Finissage und stellt die Ausstellung anschließend in den Kontext der Umgestaltung.

Bericht aus dem Künstlerraum D

Am 18. Juni lud der Kunstraum D am Worringer Platz 20 zur Finissage der Kunstserie „40221 Worri“ ein. Das wollte sich Euer TERZ-Redakteur nicht entgehen lassen und besuchte den Worringer Platz. Beim Aussteigen aus der 704 wird klar, die Gegend hat sich verändert. Nicht nur sieht er anders aus, die Atmosphäre ist eine andere als vor ein paar Monaten. Die Umgestaltung scheint vorerst abgeschlossen. In der Mittagssonne sitzen verschiedene Leute auf den neuen Bänken, jung bis alt, und genießen den Schatten der Bäume.

Daran vorbei geht der Weg direkt rüber zum Kreativraum D. Drinnen ist von der Feststimmung einer Finissage noch nicht viel zu spüren. An einem Stehtisch plaudern ein paar Leute miteinander, über den Kunstraum D und Ideen zu anderen Erschließungen. Aufbruchsstimmung liegt spürbar in der warmen Luft. Es fließen Wein und Sekt, drumherum hängen Bilder der Ausstellung. Auf dem Tisch liegen Exemplare eines Fotobuchs zur Ausstellung, natürlich für den käuflichen Erwerb. Es dauert einen Moment, bis weitere Gäste vorbeikommen. Als diese auftauchen, fällt auch ohne Millieustudie auf, dass es sich um ein besonderes Klientel handelt. Neun von zehn Anwesenden nutzen Parfüm teurer als die (mittlerweile abgenutzten) Schuhe Eures Redakteurs. Ins Bild des ‚früheren‘ Worringer Platz passen sie eher nicht, sie kommen von außerhalb, aus teuren Wohngegenden oder von der Kunstakademie.

(Re-)Interpretation vom Worri als Kunstszene

Bei der Projektvorstellung wird Kunst zum Leitmotiv der Umgestaltung. Zunächst spricht die Kulturorganisatorin davon, wie gut die Umgestaltung des Platzes angenommen wird, bisher ohne große Zwischenfälle. Ähnlich äußert sich der Künstler. Immer wieder wird der Artikel von Gerda Kaltwasser vom 12. Oktober 1999 erwähnt, der die Situation am Worri damals als „Abstieg von der Kultur- zur Schmuddel-Ecke“ beschrieb und dessen Kopien im Raum ausliegen. Daran schließt die Finisage an. Die Glasbänke von Katrin Voigt hätten ausgedient, der Worri würde wieder erschlossen werden.

Je mehr Kunst und Kultur, desto besser und lebenswerter würde das Bahnhofsumfeld werden. Es wirkt, als wäre das die Plattform für ein Miteinander, das in dieser Situation nicht für alle zu gelten scheint. Für Kunstschaffende, für Kunstinteressierte, auch Anlieger*innen werden explizit genannt. Draußen gehen verschiedene Leute vorbei, kommen aber nicht herein. Von draußen muss der Kreis exklusiv wirken, Blazer, Broschen, eher fein als nur gut gepflegt. Ein Stil, der zeigt, dass mensch es sich leisten kann, den Mittwochnachmittag auf einer Finissage zu verbringen.

Die Zusammensetzung des Publikums soll das Kunstprojekt jedoch nicht diskreditieren. Am House of Friends, neben dem Eisladen ebenso wie vor der „Botschaft“ hängen Fotos aus den Serien „40211 Worri, Kontaktbogen“ und „Tiere für Worri“. Die Idee für Westermeiers Ausstellung klingt ansprechend. Kunst für Vorbeilaufende, das ist niedrigschwellig und bietet wirklich Zugang für alle. Diese Serien sind entstanden, nachdem Westermeier 2021 zum Worringer Platz zog und über die Zeit von seinem Balkon aus die Veränderungen festhielt. Auf manchen sind Tiere und Natur als Kontrast darüber gelegt. An der ehemaligen „Botschaft“ ist es eine Collage kleiner Fotos auf einem großen Format. Wer genau hinschaut, bemerkt Veränderungen aus der Vogelperspektive und dazu manchmal eine Hand mit einem passenden Getränk darauf.

Es ist eine neue Perspektive auf den Worringer Platz, aber vor allem vom Balkon des Künstlers herab. Da wird die Distanz zu dem eigentlichen Geschehen und dem Leid auf dem Platz spürbar. Die Bilder scheinen nicht wie eine Antwort auf die Frage, wie sich das Leben auf dem Worri als Szeneangehörige*r, sondern wie es sich als Künstler*in anfühlt. Bei Westermeier handelt es sich schließlich nicht um jemanden von „da unten“, sondern einen Absolventen und Dozenten der Kunstakademie, der auch den Vorsitz des renommierten „Künstlerverein Malerkasten innehat. Er ist kein Outsider in der Kunstszene, sondern ist in den bildenden Künsten fest verankert.

Off-Spaces als Kulisse der Umgestaltung

Alltagsnäher wirkt die Führung zur heutigen „Botschaft“ am Worringer Platz 4, die Westermeier im Rahmen des Projekts anbietet. In einem Hinterhof unterschreibt Euer TERZ-Redakteur einen Haftungsausschluss und riskiert, TERZ-typisch, alles für einen umfassenden Artikel. Helm oder nicht Helm, zwischen baulichem Verfall und Schmutz betritt die Führung halb verlorene Düsseldorf -Geschichte. Den Start macht der Saal der ehemaligen Probebühne des Forum Freien Theaters, das davor bereits Party-Location, Ausstellungshalle, Kino und in den 50ern Operettentheater war. Der Ort ist dabei Kulisse für Projektionen oder großflächige Bilder Westermeiers.

Während der Führung wird klar, die Stadt plant Großes. In Palermo wäre dieser Ort längst kulturell erschlossen, so heißt es. In Düsseldorf bahnt sich die Führung ihren Weg durch Staub, weiteren Dreck und Vogelscheiße. Vom Saal geht es weiter nach oben. Jedes Stockwerk wirkt verrotteter. Mehr Schutt, mehr Taubenkot und zwischendurch ein paar Fotos von Westermeier. Die Kulisse wirkt als harter Kontrast zu Westermeiers Arbeit und generell dieser Atmossphäre einer polierteren Kunstwelt. Der Blick durch schmutzige Fenster auf den Platz unten unterstreicht die Unterschiede und regt zum Nachdenken an.

Letztendlich hat diese Ausstellung eher einen dokumentarischen Charakter. Den dargestellten Worringer Platz gibt es so nicht mehr. Das Projekt bezeugt aber keinen Protest gegen den Umgang mit den Betroffenen, sondern verspricht Hoffnung, den Worringer Platz noch weiter umzugestalten. Wo es hier noch dreckig wirkt, könnte ein neues kulturelles Zentrum entstehen. Das ist aber keine Umgestaltung mit den Betroffenen, sondern eine Umgestaltung nach den Betroffenen. In dieser Veranstaltung kommen sie nicht zu Wort, über sie wird gar nicht gesprochen. Platz müssen sie woanders suchen. Ihre Vertreibung wirkt wie das notwendige Übel, das dennoch losgelöst von dieser Entwicklung stattfand. Als würde der Worringer Platz nur so zu seiner eigentlichen Bestimmung als Kunstszene zurückfinden. Das stellt die Frage, ob das ganze neue kulturelle Konzept wirklich für alle ist oder sich an die, die bleiben durften und vorbeikommen sollen, richtet.

Die Finissage im Kontext der Sicherheitskonzepte

Für diese Frage sollte erklärt werden, dass der Kreativraum D Teil der Initiative zur Sicherheit in der Bahnhofsumgebung (SiBu) ist. Die SiBu greift nicht nur auf Sicherheitskräfte, städtebaulichen Maßnahmen wie die Platzierung von Lampen und den Rückbau der kaputten Glasbänke, sondern auch auf Änderungen im Stadtbild zurück. Ziel ist dabei, den Bürger*innen mehr Gefühl von Sicherheit zu GEBEN und das Image ders Ortes zu ändern, der bisher eng mit Drogen und Kriminalität verbunden war. Dafür ist eine Änderung der Atmosphäre des Platzes nötig, die über die Präsenz der Sicherheitskräfte hinausgeht. Kuratierte Kunst kann als Zeichen von Sicherheit gewertet werden, weil der Platz damit zugänglicher wirkt. Das hat mit dem abgerissenen Glashaus nicht funktioniert, wird nun aber mit anderen Konzepten erneut versucht.

Der Kreativraum D dient dabei in diesem Konzept als Treffpunkt für die lokale Kulturszene untereinander sowie für die Anwohner*innen. Zudem sollen hier Veranstaltungen stattfinden, wie z. B. die Finissage. Die Regeln und der Zugang zur Nutzung der Räume scheinen noch nicht klar entschieden. Grundsätzlich soll jede Person ausstellen dürfen, ob der Zugang wirklich so offen ist, muss sich zeigen. Unter dem Fond „WP Kultur“ fördert der Raum zudem eine Zusammenarbeit des Schauspielhauses, Jungem Schauspiel, Stadtkollektiv, dem Tanzhaus, der Zentralbibliothek, dem Literaturbüro und dem Forum Freies Theater (FFT). Finanzielle Mittel stehen also zur Verfügung. In dem Zusammenhang werden zudem Off-Spaces wie das Gebäude der „Botschaft“ genutzt. Dieses sollte 2019 noch einem fünfgeschossigen Neubau mit 129 Mikro-Appartements weichen, was auf Protest unter Kulturschaffenden stieß, bis sich die Stadt des Gebäudes annahm. Eine kulturelle Nutzung scheint besser als ein profitorientierter Umbau.

Was bedeutet das für die Szene?

Kritisch bleibt dennoch, wie schnell der Platz geräumt und umgewidmet wurde. Neben der Frage nach dem Zugang zu den Kunsträumen steht die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen noch zur Frage. So fand der Worringer Weekender statt, da war die Berichterstattung zur Vertreibung der Suchterkrankten noch gar nicht abgeschlossen. Bisher zeigen die Maßnahmen deutliche Leerstellen auf, wie die Verschiebung der Szene zum KAP zeigt. Das kann den Bedürfnissen der Szene keineswegs gerecht werden. Ohne eine langfristige Lösung, wirken die Kulturinvestitionen wie der Teil einer Verdrängung. Fehlende Sicherheitsgefühle und Angst vor Kriminalität betreffen nicht nur die Anlieger*innen, sondern gerade Drogenkonsument*innen und wohnungslose Menschen. Für diese sollten endlich entsprechende Maßnahmen wie ein Aufenthaltsort und mehr von den geforderten Hilfsangeboten kommen.

Die Nachricht von der Planung eines neuen Aufenthaltsortes gibt Hoffnung. Zielort soll der Hinterhof der Düsseldorfer Drogenhilfe sein, Standort Erkrather Straße. Über die Drogenhilfe sollen die Betroffenen den Platz erreichen und sich dort aufhalten. Konsum wäre in den Räumlichkeiten der Drogenhilfe möglich. Dafür soll der Platz extra hergerichtet werden, um das Angebot attraktiver zu gestalten und Personen von Orten wie beispielsweise dem KAP wegzubewegen. Das klingt nach einer großen Chance, gerade da hier auch eine langfristige Nutzung im Raum steht. Es bleibt also spannend, wie sich der Worringer Platz oder eher das Bahnhofsumfeld entwickelt. Die TERZ wird dies im Blick behalten und weiter berichten. Der Autor ist sich bewusst, selbst nicht mit Betroffenen gesprochen zu haben. Als Redaktion ist es der TERZ dennoch wichtig, marginalisierten Stimmen eine Plattform zu geben. Dafür planen wir bereits einen Event, bleibt gespannt.

Lennart