TERZ 09.25 – DICKES D:
Mit diesem Slogan startete Donald Trump Anfang August die Jagd auf Obdachlose in der Hauptstadt Washington auf seiner Plattform Truth Social. „Wir werden euch Unterkünfte geben, aber WEIT weg von der Hauptstadt. Die Kriminellen müssen nicht wegziehen. Wir werden euch ins Gefängnis stecken, wo ihr hingehört.“
Paris, ohnehin die schönste Stadt der Welt, hatte es zu Beginn der Sommerspiele 2024 bereits vorgemacht. Die Schandflecken im Straßenbild wurden getilgt, Obdachlose Geflüchtete wurden aufgegriffen und irgendwo weit weg auf dem platten Land in der tiefsten Provinz abgesetzt.
Auch in Düsseldorf (Klein-Paris) sind Obdachlose und Drogenabhängige seit Monaten „on the run“. Auf dem Bahnhofsvorplatz sind sie eine schlechte Visitenkarte für ankommende Besucher*innen. Ihre Stammplätze unter den Bäumen wurden durch Einzäunugen unbegehbar gemacht. Auch die Bäume selber sollen weg, sie sind der „Verschönerung“ des Vorplatzes im Wege. Der Worringer Platz, Treffpunkt von Drogenabhängigen und Obdachlosen nahe des Konsumraums der Düsseldorfer Drogenhilfe, wurde ebenfalls abgeräumt. Kunstwerke wie Bänke mit Glasbausteinen und ein Kulturprojekt wurden entfernt, um den Aufenthalt dort möglichst ungemütlich zu machen.
Als alternative Aufenthaltsort sollte ursprünglich der Berta-von-Suttner-Platz hinter dem Bahnhof angeboten werden. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Mobile Einsatzteams des Ordnungsamtes sind unterwegs, um Unerwünsche vom Bereich des Hauptbahnhofs und auch vor der Zentralbibliothek im KAP1 zu vertreiben.
Düsseldorf beansprucht für sich weiter, der Schreibtisch des Ruhrgebiets mit einer niedergehenden Industrie zu sein und sich als Dienstleistungsmetropole neu erfunden zu haben. Airport Düsseldorf ist mittlerweile mit 21.600 Arbeitsplätzen der größte Arbeitgeber, darunter (und drumherum) viele prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Viele Arbeitnehmer*innen, die einpendeln, können sich die teuren Wohnungen im Stadtgebiet selbst nicht mehr leisten.
Für Düsseldorf als ehemalige Residenzstadt war die Industrie schon immer eher ein Fremdkörper. Die Industrialisierung des 19.Jahrhunderts nahm ihren Ausgangspunkt nicht in Düsseldorf, sondern in der Textilindustrie Wuppertals und Krefelds. Der Fremdkörper Schwerindustrie wurde mittlerweile abgeräumt. Dennoch beansprucht die Stadt heute weiter, der zweitgrößte Industriestandort in NRW zu sein. Eine zweifelhafte Sichtweise, produzieren doch eigentlich nur noch Henkel und Mercedes in Düsseldorf. Nach dem Niedergang der deutschen Industrie ist die Ansiedlung von produzierenden Gewerbe heute kein Thema mehr im Ddorf.
Eine Obdachlosen-Zählung im Oktober 2023 ergibt, dass 437 Menschen in der Stadt im Freien übernachten. Hinzu kommen 292 Menschen in Notunterkünften, Krankenhäusern und polizeilichem Gewahrsam. Ein Anstieg von 60 Prozent gegenüber der letzten Zählung 2021. Die tatsächliche Zahl wohnungsloser Menschen, die bei Freunden und Bekannten übernachten, wurde dabei nicht erfasst. Im April 2024 berichtet die Caritas Düsseldorf über einen weiteren Anstieg der Obdachlosigkeit.
Obdachlosigkeit ist nur die sichtbare Spitze im Stadtbild der Wohnungsnot. Nur ein Bruchteil der Menschen in Düsseldorf, die einen Wohnungsberechtigungsschein haben, finden hier auch eine Sozialwohnung. Aber Menschen aus dem sogenannten Mittelstand, die nach Änderung der persönlichen Lebensverhältnisse ihre Wohnung verlieren oder denen nach Eigentümer*innenwechsel etwa mit der Begründung Eigenbedarf gekündigt wird, befinden sich ebenfalls schnell in einer sehr prekären Situation. Selbst in hypergentrifizierten Stadtteilen wie Oberkassel kann für alteingesessene Mieter der Wohnungsverlust das Aus bedeuten.
Im August startet die Interessengemeinschaft Königsallee, ein Zusammenschluss der Inhaber*innen von Luxusgeschäften, ein Programm, um vor ihren Läden bettelnde Obdachlose gegen eine Gebühr von 100 Euro im Monat von privaten Sicherheitsfirmen vertreiben zu lassen. Wohlgemerkt: Armut im Straßenbild und Betteln im öffentlichen Raum sind nicht verboten. Nur aggressives Betteln kann zu Platzverweisen führen. Soll Armut Straftatbestand werden, der wie in früheren Zeiten ins Gefängnis führen kann?
Das Vorgehen der IG-Kö trifft einen Nerv in der Düsseldorfer Zivilgesellschaft. Vertreter*innen des Obdachlosen-Magazins fifty-fifty, der Armenküche am Rathaus und der stadtbekannte, aktivistische ehemalige Obdachlose Django finden sich auf der Kö mit Besen zu einem spektakulären Kehraus unter großer Publikumsbeteiligung ein. Eine rumänische Familie schildert im Dialog mit den zahlreich erschienenen Bürger*innen ihre prekäre Situation. Sie treten dem gestreuten Gerücht entgegen, dass sie sich in Luxuslimousinen auf der Kö absetzen lassen, was die Familie in die Nähe von Clan-Kriminalität rückt. Das Interesse der Medien bei dieser Aktion ist riesig. Der Protest schafft es beispielsweise auf die Titelseite des Düsseldorfer Express, Fotos und Kommentare zu der von Beuys inspirierten Aktion des Kehraus füllen die komplette Rückseite der Zeitung. Oliver Ongaro, Streetworker von fifty-fifty, sagt, Obdachlosigkeit im Straßenbild sei sicherlich nicht schön, manchmal auch störend, aber auch Obdachlose haben Anspruch auf diesen öffentlichen Raum. Selbst auf der Kö. Am Wochenende darauf veranstaltet die Armenküche am Rathaus auf dem Burgplatz eine große Solidaritätsaktion, an der hunderte von Bürger*innen teilnehmen. Gegen geringes Entgelt geben ehrenamtliche Mitarbeiter*innen einen Eintopf aus und sammeln für das tägliche kostenlose Essen für Bedürftige am Rathaus. Es gibt sie also doch: die solidarische Stadt. Auch in Düsseldorf.
Der Kommunalwahlkampf in Ddorf startet am Ende des Sommerlochs. Nach der Straßenplakatierung der großen Parteien läuft alles... absehbar... konfliktfrei. Die Spitzenkandidat*innen, der Oberbürgermeister sowie das FDP-Personal lächeln die Bürger*innen einvernehmlich und zuversichtlich und vor allem großflächig an. Ein Forschungsteam der Heinrich-Heine-Universität hat einen lokal-o-maten als Wahlhilfe aufgesetzt. 30 Statements zu aktuellen strittigen Themen wurden formuliert, zu denen die Parteien Stellung beziehen konnten. Auffällig die einhellige Zustimmung bzw Ablehnung aktueller Forderungen bei den großen Parteien. Alles easy – halt erwartbar, automatisch? Ein näherer Blick in die Details der Antworten der Parteien lohnt, um etwas über die sozialpolitischen Vorstellungen der Kandidierenden zu erfahren. Wer positioniert sich wie, vor allem wer „enthält“ sich zu bestimmten Forderungen.
Längst haben die Parteien erkannt, dass die Wohnungsnot eines der zentralen Themen ist, das die Bürger*innen der Landeshauptstadt bewegt. Deswegen sind natürlich alle Kandidat*innen für mehr Wohnungen. Interessant wird es dann im eher Kleingedruckten. Während OB-Kandidat Zachel von der SPD eine Erhöhung des Anteils des sozialen Wohnungsbaus fordert, möchte der Regierende OB Keller von so einer Einschränkung nichts wissen und „enthält“ sich zu dieser Forderung. Ein klares Nein der CDU zu einer Abgabe auf leerstehende Gebäude. Zur Forderung zur Verpflichtung zu gemeinnützigen Arbeiten von Sozialhilfeempfänger*innen äußert sich die CDU erst mal nicht. Kostenfreie Mobilität bei Bus und Bahn für Sozialhilfeempfänger*innen ist für die CDU explizit ein No-Go, wie auch eine kostenfreie Kita-Betreuung. Auch ein klares Niet zu einem zweiten Drogenkonsumraum. Am „oberen Ende Kö“ gibt mensch sich ebenfalls entschieden, der Corneliusplatz soll nicht dauerhaft autofrei bleiben.
Und natürlich muss eine neue Oper her. Da ist die CDU sich mit der SPD einig. Die Grünen, Juniorpartner der CDU, dagegen ziehen es vor, zu diesem sehr wahrscheinlichen Milliardengrab erstmal keinen Standpunkt zu beziehen - übrigens ganz im Gegensatz zur Grünen Jugend Düsseldorf. Auf der Verschönerungs-Agenda der CDU stehen weiter Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen und weniger Gänse in Parks. Bei einem möglichen Abrauschen der Grünen bei den Kommunalwahlen und einem drohenden Wegschmelzen der bisherigen Ratsmehrheit dürfte eines klar sein: der Kampf um eine solidarische Stadt hat gerade erst begonnen.
Text und Fotos (siehe Druckausgabe): Michael Flascha