TERZ 09.25 – MUSIC
Es gibt immer wieder Entdeckungen, Reissues, Flohmarktfunde oder Live-Überraschungen, die Mrs. Cave und mich nachhaltig begeistert haben und es verdienen, besonders erwähnt zu werden!
Eine dieser bleibenden Überraschungen sind Savage Republic, 1980 in Los Angeles ursprünglich als Africa Corps gegründet. 1982 erschien das Debüt Tragic Figures dann unter dem Namen Savage Republic auf dem Label Independent Project Records*. Auf die vielen Umbesetzungen, Mitgliederwechsel, Pausen, weiteren Nebenprojekte usw. wollen wir jetzt nicht eingehen, denn das würde schon alleine einen Artikel füllen. 2013 weilten Mrs. Cave und ich für ein verlängertes Wochenende in Freiburg, denn die Fortuna spielte gegen den FC Freiburg. Es war das Karnevalswochenende, die Stimmung im Stadion war super, obwohl Forteng (Fan-Slang für Fortuna, Anm. TERZ) verloren hatte. Als weiterer Ausgehtipp wurde uns von Flight 13 Savage Repuplic am Rosenmontag im Great Räng Teng Teng ans Herz gelegt. Ein plüschig gemütlicher Club in der Freiburger Altstadt. Der Beiname: „Der kleine feine Westernpuff“ ergab Sinn. Savage Republic begeisterten uns sofort, eine einprägsame Mischung aus Tribal, Percussion, Industrial, Avantgarde und Post Punk ließ keinerlei Sehnsucht nach dem Karnevalstreiben in Düsseldorf aufkommen. Leider gab es damals kein Merchandise und so blieben SR nur ein wohlklingendes Nachdämmern im Konzertkosmos. Umso erfreuter war ich, als ich 2023 auf dem Fürstenplatztrödel sofort drei Alben von SR erbeuten konnte. Unter anderem auch das erste Album Tragic Figures, welches sich sofort einen unumstößlichen Platz in meinen Alltimefaves eroberte. Tragic Figures ist sehr gut gealtert, was wir auch von Savage Republic im Allgemeinen sagen können. Die vielen Besetzungswechsel haben der Band keinesfalls geschadet. Ähnlich wie bei den Swans haben Bandmitglieder SR verlassen, sind wieder dazu gestoßen, haben Freunde mitgebracht und so immer wieder neue Inspirationen und Einflüsse hinzugefügt. Das aktuelle Line Up besteht seit 2008 aus Thom Fuhrmann, Ethan Port, Alan Waddington und Kerry Dowling. Die letzten Alben Metora von 2021 oder Live In Wrocław aus dem Jahr 2023 zeigen, dass Savage Republic immer noch wegweisend und inspirierend sind. Das Debüt ist 2022 wieder als Doppel-LP veröffentlicht worden. Auf der zweiten LP finden sich Pre-Tragic-Figures-Aufnahmen aus der „Africa Corps“-Zeit, die den frühen Werdegang der Band von 1980 bis 1982 ausführlich beleuchten. Linernotes runden das Reissue ab und machen die 2022er-Pressung somit zur wirklich essenziellen Auflage. Es lohnt sich auf jeden Fall, sich mit Savage Republic tiefgehender zu beschäftigen.
Ein weiterer Fund und Blindkauf auf dem gleichen Trödel waren die Abecedarians, auch aus Los Angeles. Auf dem Hype-Sticker stand […] 4AD pop, much like the Joy Division/New Order Axis, and did have a single on the legendary Factory Records […]. Es war das Reissue des Debüt-Albums Eureka, welches 1986 auf Southwest Audio Reproductions erschienen ist und 2012 auf Pylon Records wiederveröffentlicht wurde. Die 2012er-Pressung ist eine Doppel-LP. Auf der ersten LP befindet sich die remasterte Version des Debüts. Auf der zweiten LP finden sich die beiden Songs der Smiling Monarchs 12“, 1985 auf Factory erschienen, sowie 6 Tracks, die zwischen 1983 und 1985 aufgenommen und 1990 unter anderem auch von Bruce Licher* gemixt worden sind. So schließt sich der Kreis also wieder. Der 4AD-Hype-Sticker Vergleich passt zu 100 %: melancholischer Synth-Pop, eher in UK als in den Staaten vermutet, prägen Eureka. Vergleiche mit Ultravox oder Visage sind auch angebracht, Eureka ist in der Tat ein vergessenes Highlight! Die Abecedarians waren bis in die späten 80er aktiv, veröffentlichten 1988 das Album Resin und 1990 die Compilation The Other Side Of The Fence. Bis zu ihrer Auflösung bestanden sie aus Chris Manecke (Gitarre, Gesang, Keyboards), Kevin Dolan (Schlagzeug) und John Blake (Bass).
Absolut obskur und unbekannt ist Grey Factor, ebenfalls aus Los Angeles. Damaged Disco, ein Independent-Label aus LA, hat 2022 die beiden Only-Tape-EP‘s The Perils Of Popularity (1979) und The Feel Of Passion (1980) als 1979-1980 A.D. Complete Studio Recordings veröffentlicht. Grey Factor gelten als Pioniere der elektronischen Unterground-Szene von Los Angeles. Kraftwerk, Tuxedomoon, Telex, White Noise, Suicide, The Normal, Throbbing Gristle, Pere Ubu und Human League werden im beiliegenden Booklet als Referenzen genannt. Beide Tapes wurden nur bei den wenigen Auftritten den Band verkauft oder verschenkt. Beim 1979er Tape The Perils Of Popularity kamen nur Synthesizer und Drum-Machines zum Einsatz. Damals eingespielt von Jeff Jacquin, Joey Cevetello, John Pospisil und Paul Fontana. 1980 verließ Paul Fontana dann die Band. Anne Burns und John Cevetello stießen dazu und die 1980er-EP The Feel Of Passion wurde zusätzlich mit Gitarre, Bass und Anne am Gesang aufgenommen. Bei manchen Stücken auf der zweiten EP unterstützte Mike Bauer Grey Factor am Saxophone. Insgesamt umfasst das Studio-Vermächtnis von Grey Factor 10 Songs, und diese legen wir jedem Fan der oben genannten Bands wärmstens ans Herz. Die Band hat aufgrund der großen Nachfrage – die LP wurde wohl schon das dritte Mal nachgepresst – die Archive durchforstet und ein komplettes Live-Set gefunden. Diese 6 Aufnahmen wurden 2024 von Damaged Disco auf Vinyl veröffentlicht und hören sich bei Bandcamp auf jeden Fall vielversprechend an.
2021 veröffentlichte das Amsterdamer Label Knekelhuis die Vinyl-Compilation Play von der ebenfalls in Amsterdam beheimateten Band Electric Party. Wie der Name schon vermuten lässt – elektronische Musik. New Wave, Synth-Pop, Experimental und ein wenig Disco verarbeiteten Electric Party zu einem Mix, der uns wieder an Human Leage, Ultravox oder Visage, nur experimenteller, erinnert. 1982 veröffentlichten Electric Party das Tape Work, welches ebenfalls 2021 wieder als Tape aufgelegt wurde. Auf der Compilation befinden sich drei Tracks vom Work-Album und 6 unveröffentlichte Tracks aus den Jahren 1983 bis 1987. Ein weiterer Schatz aus den Niederlanden, den es somit zu entdecken gilt. Electric Party waren Jaap Blok (Drums), Rudolf Eeken (Gitarre), Ed Zirkzee (Saxophone), Leo Wernaert aka Leo Low (Bass & Synthesizer), Jan-Willem van Kruyssen (Synthesizer), René van Rijn aka DJ Solo (Gesang und Synthesizer). Die Gastsängerinnen Monique Koolen[2], beim Song Tension und Lena Tenaglia[3], beim Song Catwalk, sollten natürlich nicht unerwähnt bleiben. Tension startet mit einem druckvollen Basslauf, der in einen atmosphärischen Synthesizer-Groove übergeht. Catwalk hingegen beginnt mit einem funky Basslauf, unterstützt von einem squeaky Gitarrenriff, wie ich es in den 80ern hasste. Mittlerweile habe ich aber meinen Frieden mit diesem funky Teil meiner Jugend gemacht und kann sogar mitwippen. Zwei Stücke, die unterschiedlicher nicht sein könnten und die Diversität von Electric Party besonders hervorheben.
Von Holland geht es rüber zum belgischen Reissue-Label OnderStroom Records und der Coldwave/Gothic Rock Band Siglo XX aus Genk. Siglo XX wurden 1978 gegründet und waren bis 1991 aktiv. Das s/t Tape (s/t = self-titled) erschien eigentlich 1981 auf Straatlawaai Prod. (ebenfalls Belgien). Beim Opener Whispers fallen uns sofort Joy Division als Referenz ein, das gesamte Album ist musikalisch von Joy Division und Ian Curtis geprägt. Trotzdem ist Siglo XX kein billiger Joy-Division-Abklatsch, die Gruppe bringt neue Einflüsse und teilweise mehr Post-Punk ein. Auf jeden Fall bin ich morgens um 6 Uhr sofort wach, der Kopfhörer liegt leicht auf den Ohren. Und das nicht nur, weil Freitag ist und das Wochenende ruft. 2010 veröffentlichte OnderStroom Records das Debüt der Belgier erstmalig, damals lag der LP ein 24-seitiges Booklet mit ausführlichen Linernotes usw. in flämisch (niederländisch) bei. Die 2020er-Pressung muss leider ohne dieses Goodie auskommen. Auf beiden Pressungen sind aber zwei Bonus-Songs, alte Demoaufnahmen. Zwei Fun Facts: a.) beim original Tape, sowie beiden LP Pressungen sind die Tracktitel auf Ukrainisch mit englischen Untertiteln. b.) Siglo XX bedeutet im spanischen „Zwanzigstes Jahrhundert“.
Die beiden Original-Mitglieder Antonio Palermo und Klaas Hoogerwaard touren wieder, aber unter dem Alias Honeymoon Cowboys. Weitere Mitglieder waren Chris Nelis, Dirk Chauvaux, Erik Dries und Guido Bos.
Eine Secondhand-Entdeckung bei Hitsville war die 2016er-Compilation Hearing Music von Joanna Brouk. Das Reissue Label Numero Group (Chicago) hat sich der amerikanischen Komponistin, Dichterin und Pionierin der frühen elektronischen Musik angenommen. Joanna Brouk, geboren 1949 in St. Louis County, Missouri, verstorben Mai 2017, bewegte sich an der Schnittstelle zwischen Ambient, New Age, Drone und klassischem Minimalismus. Hearing Musik widmet sich der leider unbekannten Künstlerin und präsentiert uns auf dieser Doppel-LP 15 Stücke aus Ihrer kompletten Schaffensphase, die von 1981 bis 1986 bzw. 1989 reicht. The Space Between auf Seite A, ein fast 22 Minuten langes Piano-Stück eröffnet uns die wunderschöne Welt der Joanna Brouk. Auf den Seiten B bis D kommen Flöten und sogar eine Conch[4] zum Einsatz. Zwischendurch wabert es elektronisch über den Plattenteller, dann wieder sphärischer Gesang. Selbst Orcagesänge sind aufgenommen und verarbeitet worden. Das Gesamtwerk und die Kompositionen von Joanna Brouk sind so beindruckend, faszinierend und vielseitig, bei jedem Anhören von Hearing Music tun sich neue Entdeckungen und immer wieder neue Einflüsse auf.
Nicht Lost And Found, sondern frisch aus dem Presswerk ist das erste Album von Theilen aus Düsseldorf und Köln. Didi aka Dietlind Falk (Gesang und Gitarre), Marco (Gitarre und Gesang), Emma (Bass) und Christian (Schlagzeug) sind alte Freunde und Weggefährt*innen, die uns schon viele Jahre begleiten und selber als Autorin & Übersetzerin, Labelmacher, in anderen Bands, Konzertgruppen, Projekten oder Aktionsgruppen aktiv sind. Niederbrennen Weitermachen spiegelt das alles in 11 Songs wieder. Rotziger DIY-Punk mit der nötigen Wut im Bauch sorgen dafür, Theilens Debütalbum sofort dreimal über den Plattenteller laufen zu lassen. Vergleiche mit Blumen Am Arsch Der Hölle, Dackelblut, Oma Hans oder anderen Bands von Jens Rachut sind textlich angebracht, musikalisch aber weniger Hamburg, es geht eher nach Berlin oder Hannover. Wir freuen uns auf die Release Show am 12.09.25 mit den Kaputt Krauts im Linken Zentrum, die von unseren Freunden Erwinyouth veranstaltet wird.
Da wir in unserer Wohnung leider keinen Platz mehr haben, verlosen wir die Niederbrennen Weitermachen LP. Quizfrage: Wie heißt der Roman, den Dietlind Falk 2023 veröffentlicht hat? Antwortmails bis Samstag, 06.09.25 an terz[at]free[dot]de , dann kann die LP vor dem Konzert noch gehört werden!
Wir sehen uns Mrs. Cave und der Oberbilker
[1] Das Label Independent Project Records wird vom ehemaligen SR-Gitarristen Bruce Licher betrieben, welcher bis 2002 Mitglied war.
[2] Ein Modell, wahrscheinlich aus den Niederlanden, mehr haben wir nicht gefunden.
[3] 1959 in New York geboren, 1981 in die Niederlande, Amsterdam emigriert, arbeitet jetzt als Visual Artist.
[4] Schneckenhorn, auch Schneckentrompete, ist eine aus dem Schneckenhaus einer großen Meeresschnecke gefertigte Naturtrompete, die seit der Jungsteinzeit für religiöse Rituale, als Signalinstrument vom Militär und von Fischer*innen und seltener in der Musik verwendet wird.