TERZ 09.25 – AM PRANGER
Vor gut 12 Monaten schrieben wir in der TERZ 07/08.24 ausführlich zum Thema Schwangerschaftsabbruch. Und noch im Februar dieses Jahres schien die lang erwartete Reform von Paragraf 218 gescheitert: Der Rechtsausschuss des Bundestages debattierte dazu am 10.02. ohne Ergebnis. Eine Teillegalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen drohte fürs Erste vom Tisch zu sein. Bei der verhinderten Wahl der von der SPD als Verfassungsrichterin nominierten Juristin Frauke Brosius-Gersdorf spielte es eine zentrale Rolle, daher kommt nun doch Bewegung in das umstrittene Thema. Allerdings scheinen Frauenrechte, Lebensschutz und ethische Fragen dabei Nebensache zu sein, eher stehen Machtgerangel und Polarisierung im Vordergrund. Ihre politischen Gegner*innen warfen Brosius-Gersdorf unter anderem vor, sie befürworte Abtreibungen bis zur Geburt. Dabei wurde ein Zitat der Juristin aus dem Kontext gerissen und falsch interpretiert.
Bislang kaum beachtet, aber durchaus beachtenswert steht im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vom April ‘25 zum Schwangerschaftsabbruch: „Wir erweitern die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus.“ Deutet dies eine Legalisierung früher Abbrüche an? In einer Talkshow sagte Frauke Brosius-Gersdorf Mitte Juli, im Koalitionsvertrag stehe genau das, was sie (in einer Gutachter*innenkommission) vorgeschlagen habe. Da das Bundesverfassungsgericht entschieden habe, dass Krankenkassen nur leistungspflichtig seien, wenn der Abbruch rechtmäßig sei, „geht auch dieser Koalitionsvertrag davon aus, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase rechtmäßig ist.“ Demnach muss der Schwangerschaftsabbruch legalisiert werden, bevor er eine Kassenleistung sein darf. Bisher ist der Eingriff in Deutschland grundsätzlich illegal, geregelt in Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs, straffrei nur, wenn eine Pflichtberatung stattgefunden hat, eine Wartezeit von drei Tagen eingehalten und die Schwangerschaft in den ersten zwölf Wochen abgebrochen wird. Darüber hinaus, wenn eine Gefahr für das Leben der Schwangeren oder eine schwerwiegende Beeinträchtigung ihres körperlichen oder seelischen Gesundheitszustands abgewendet werden muss.
Bis dato zahlt in den meisten Fällen die ungewollt Schwangere. Der Satz bezüglich der Erweiterung der Kostenübernahme kam erst in letzter Minute in den Koalitionsvertrag. Ob Verhandler*innen der SPD die neue Formulierung strategisch in den Vertrag verhandelten oder nicht wussten, welchen Sprengstoff sie bergen könnte, sei dahingestellt. Den Verhandler*innen der Union war offensichtlich nicht klar, was sie da abnickten – denn der Paragraf 218 ist für ihre Partei von zentraler Bedeutung.
Bei der Bundespressekonferenz am 18.07. sagte Kanzler Merz: „Was im Koalitionsvertrag verabredet worden ist, soll kommen. Da macht niemand Abstriche.“ Welche Rechtsfolgen das habe, möglicherweise auch für den Paragrafen 218, könne er nicht abschließend beurteilen. „Ich will nur darauf hinweisen, dass das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Deutschland davon ausgeht, dass es rechtswidrig ist, aber unter bestimmten Umständen straffrei bleibt. Ob diese Konstruktion geändert werden muss, wenn wir im Sozialrecht und im Krankenkassenrecht etwas ändern, vermag ich im Augenblick nicht zu beantworten.“ Eine eindeutige Antwort ist allerdings von Nöten.
Über den Passus der Kostenübernahme hat die SPD zumindest einen Hebel, um die Legalisierung von Abbrüchen in der Frühphase zu thematisieren.
Frauke Brosius-Gersdorf hat Anfang August ihre Kandidatur zurückgezogen. Teile der CDU/CSU-Fraktion lehnten ihre Wahl kategorisch ab, so die Juristin.
Christine
[1] Quelle: taz 21.07.25 “Kippt Schwarz-Rot nebenbei Paragraf 218?”