„Wir bleiben hier!“ – Widerstand gegen Entmietung in Düsseldorf

Das Mehrfamilienhaus, in dem Andrea und Wolfgang wohnen, wurde vor einigen Monaten von einem Investor gekauft, alle Mieter*innen sollen ausziehen, damit die Wohnungen als Eigentumswohnungen verkauft werden können.

Andrea und Wolfgang haben beschlossen, sich dagegen zu wehren und gemeinsam mit ihrer Nachbarin und Freundin Daniela die Mieter*inneninitiative „Zeit zu bleiben“ gegründet. Denn das, was für andere nur eine Adresse auf einem Kaufvertrag ist, ist für sie ein Netz aus Beziehungen, Erinnerungen und Solidarität. „Natürlich, wir sind hier verwurzelt. Wir haben unsere Ärzt*innen in der Nähe, wir kennen die Leute im Viertel, wir haben Freund*innen, Bekannte, kleine Alltagsnetzwerke. Das ist nicht nur Wohnen, das ist Zuhause: Das ist Leben.“ Doch genau dieses Leben soll verschwinden. Nicht, weil das Haus baufällig wäre, im Gegenteil, die Bausubstanz ist solide. Es geht um etwas anderes, um Rendite, um den schnellen Profit. Für Investor*innen ist das Haus kein Zuhause, sondern eine Kapitalanlage. Und solange diese Logik gilt, droht jedem Zuhause die Gefahr, zur Verwertungsmasse zu werden.

Entmietung: Profitlogik statt Grundrecht

Das Problem ist kein Einzelfall. In Düsseldorf werden ganze Häuser von Investor*innen gekauft, saniert, „aufgewertet“ und anschließend zu Preisen verkauft, die sich die bisherigen Bewohner*innen niemals leisten können. Das nennt sich im Fachjargon Entmietung. Oft geschieht das nicht durch eine offene Kündigung, sondern durch Schikanen: kaputte Aufzüge, abgedrehte Heizungen, nie reparierte Schäden, ständige Mieterhöhungen. Wer kann, zieht irgendwann von selbst aus. Wer nicht kann, bleibt unter Druck.

Politik: bauen, bauen, bauen – und die Mieter*innen?

Wenn in Düsseldorf von Wohnen die Rede ist, klingt es in der Politik fast immer gleich: Mehr bauen, schneller bauen, höher bauen. Doch für diejenigen, die gerade von Entmietung bedroht sind, wirkt das wie blanker Hohn: „Bauen allein verhindert nicht, dass Investor*innen Wohnhäuser kaufen und entmieten“, sagt Wolfgang. „Natürlich ist es schön, wenn neuer Wohnraum entsteht. Aber währenddessen stehen in Düsseldorf bis zu 14.000 Wohnungen leer.“ Die Antwort der Regierungsparteien bleibt fast immer dieselbe. Baukräne statt Mieter*innenschutz. Neubau statt Kontrolle. Rendite statt Rechte.

Am 14. September sind Kommunalwahlen. Fast alle Parteien haben inzwischen das Thema Wohnen auf ihre Plakate geschrieben. Doch wer genauer hinsieht, erkennt Unterschiede und vor allem Leerstellen. Manche versprechen nebulös „wohnen statt warten!“ Andere klammern sich an die Bau-Lösung, ohne ein Wort über Leerstand, Entmietung oder die Profitlogik von Investor*innen zu verlieren.

Düsseldorf braucht konsequente Leerstandskontrollen, echte Sanktionen für Eigentümer*innen, die ihre Wohnungen verfallen lassen, sowie die Ausweitung von Milieuschutzgebieten und eine strikte Mietpreisbremse. Daniela, Wolfgang und Andrea von „Zeit zu bleiben“ trafen sich vor der Wahl mit den Spitzenkandidat*innen von SPD, Grüne, Die Linke, Volt und CDU. Julia Marmulla, OB-Kandidatin der Linken in Düsseldorf unterstrich bei dem Treffen die Wichtigkeit von Initiativen wie „Zeit zu bleiben“ und sicherte Unterstützung zu: „Wir brauchen mehr Vernetzung, mehr öffentlichen Druck. Nur so wird das Thema wirklich in die Politik getragen. Wohnen ist ein Menschenrecht, und dieses Recht darf nicht länger Investor*innen ausgeliefert sein.“

Leerstand: Bis zu 14.000 Wohnungen ungenutzt

Der Leerstand ist einer der größten Skandale dieser Stadt, und gleichzeitig ein politisches Tabu. Offiziell heißt es mal 10.000, mal 15.000 leerstehende Wohnungen, dazu kommen 7.000 zweckentfremdete Wohnungen, die beispielsweise über Airbnb vermietet werden.

Ganze Häuserblocks vergammeln, während Menschen auf Wohnungsbesichtigungen in Schlangen bis auf den Gehweg stehen. Gleichzeitig bleiben Wohnungen ungenutzt, weil Eigentümer*innen auf steigende Preise spekulieren. Hinzu kommt das Problem von leerstehenden Büroflächen. Bei einigen bestünde theoretisch die Möglichkeit, sie in Wohnungen umzubauen, dadurch könnten bis zu 10.000 neue Wohnungen entstehen. Genutzt wird diese Möglichkeit von der Stadt nur selten.

Eigentlich gibt es in Düsseldorf ein Meldesystem für leerstehende Wohnungen. Wer sie entdeckt, kann das online eintragen. Doch was passiert dann? Fast nichts. „Wir kennen Fälle, da wurde über Jahre hinweg immer wieder derselbe Leerstand gemeldet“, erzählt Leonie vom „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“. „Und der Eigentümer bekam jedes Mal Aufschub, mit irgendwelchen fadenscheinigen Begründungen. Am Ende ist nichts passiert. Das ist ein Skandal.“

Ein Zahnloser Tiger: Die Zweckentfremdungssatzung

„Dass der Leerstand kaum Folgen hat, liegt hauptsächlich daran, dass sich OB Stephan Keller (CDU) praktisch weigert, sich mit der Immobilienbranche anzulegen. Deshalb wird das Team, das die Zweckentfremdung verfolgen soll, auch nicht personell aufgestockt und mit eigenen Rechercheaufträgen versehen“, kritisiert Udo Bonn, er war Oberbürgermeisterkandidat der Linken Düsseldorf bei der Kommunalwahl 2020. Leerstand gilt in Düsseldorf lediglich als Ordnungswidrigkeit. Die Strafen sind so lächerlich, dass Investor*innen sie einfach aus der Portokasse zahlen. Das Ergebnis: Leerstand wird eingepreist und gehört zur ganz normalen Kalkulation.

Und hier zeigt sich auch, warum die bestehende Zweckentfremdungssatzung bis heute wirkungslos bleibt. Unter SPD, FDP und Grünen wurde sie bewusst schwach aufgestellt, ohne echte Sanktionsmöglichkeiten, ohne genügend Personal. Nur die Linke hatte damals ein wirksames Modell vorgeschlagen: mit höheren Strafen, klaren Eingriffsmöglichkeiten und einer Aufstockung des Personals. Der Antrag wurde abgelehnt. Seitdem bleibt alles beim Alten: Symbolpolitik statt wirksamer Eingriffe.

Dabei liegen konkrete Forderungen auf Oppositionsseite längst auf dem Tisch: linke Ratsmitglieder fordern ein eigenes Referat für bezahlbares Wohnen, ausgestattet mit ausreichend Personal und echten Befugnissen. Dazu gehören konsequente Ermittlungen bei Verstößen gegen die Mietpreisbremse, die Einrichtung von mindestens zwölf Milieuschutzsatzungen, ein gezieltes Vorgehen gegen Verdrängung und ein schärferes Zweckentfremdungsverbot, das Leerstand und Airbnb-Geschäftsmodelle wirksam bekämpft. Die Ausgleichszahlungen für zweckentfremdete Wohnungen sollen endlich an den realen Kosten für Neubau orientiert werden. Bußgelder dürfen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern müssen regelmäßig verhängt werden. Und: Der Abriss von Mietshäusern soll nur noch erlaubt sein, wenn im Gegenzug preislich vergleichbarer Wohnraum geschaffen wird.

Milieuschutz: Von 13 Anträgen blieb einer

In Düsseldorf wurden in den letzten Jahren 13 Anträge auf Milieuschutz gestellt, 12 davon lehnte die Ratsmehrheit aus CDU und Grünen ab. Lediglich ein Teil von Bilk wurde ausgewiesen. Offizielle Begründung: „fehlende Erfahrung“. Das Problem ist klar: Milieuschutz ist politisch nicht gewollt. CDU und Grüne fürchten, Investor*innen zu verschrecken. Statt Mieter*innenschutz steht Standortpolitik im Vordergrund. Jede abgelehnte Milieuschutzzone ist daher nicht bloß ein Verwaltungsakt, sondern eine bewusste Entscheidung, grünes Licht für Investor*innen und ein rotes Signal für die Menschen, die bleiben wollen.

Mieter*innen wehren sich

Trotz aller Hürden geben Andrea, Daniela und Wolfgang nicht auf. „Wir wollen nicht nur für uns kämpfen“, sagt Daniela, „wir wollen ein Forum, in dem Erfahrungen geteilt werden und man sich gegenseitig den Rücken stärkt.“ So entstand die Initiative Zeit zu bleiben. Von Anfang an ging es nicht nur um ein Haus, sondern um viele. Deshalb suchten sie den Kontakt zum Bündnis für bezahlbaren Wohnraum und anderen Aktiven. „Am Anfang waren wir völlig entsetzt“, erinnert sich Andrea. „Du zahlst immer deine Miete, kümmerst dich um die Wohnung, und plötzlich heißt es: tschüss, du kannst gehen. Da fühlt man sich wie Ungeziefer.“ Genau daraus wuchs die Kraft, sich zu wehren. „Wenn wir hier rausfliegen, trifft es die Nächsten.“ Daniela bringt es auf den Punkt: „Ich glaube daran, dass wir zusammen etwas erreichen können. Ich möchte für meine Kinder ein Vorbild sein und zeigen: Wir stehen für unsere Sache ein. Die Politik muss handeln. Wir alle brauchen das Gefühl: Ich bin zu Hause, und hier kann ich bleiben.“

Schutz suchen: Mieterverein, Rechtsschutz und mehr

Wer in einer solchen Situation steckt, braucht Rückhalt, aus der Nachbarschaft, aber auch aus rechtlicher Unterstützung. Andrea und Wolfgang raten vor allem zum Mieterverein und, falls möglich, zu einer Rechtsschutzversicherung. Der Mieterverein hilft bei kleineren Konflikten, doch vor Gericht braucht es anwaltliche Vertretung, die ohne Rechtsschutz kaum bezahlbar ist.

Ein weiteres wichtiges Instrument ist die einstweilige Verfügung. Sie greift, wenn Vermieter*innen das Leben unzumutbar machen, etwa Heizung oder Wasser abstellen oder eigenmächtig in Wohnungen eindringen. Dann kann das Gericht eine schnelle Entscheidung erzwingen. „Das hat uns am Anfang Hoffnung gegeben“, sagt Andrea, „aber du musst es kennen, und du brauchst juristischen Rückhalt, um es nutzen zu können.“

Die sozialen Folgen: Krankheit, Einsamkeit, Tod

Entmietung ist kein abstraktes Problem, sie greift mitten ins Leben ein und kann es zerstören. Andrea erzählt von einer älteren Nachbarin, die an den Stadtrand ziehen musste – fern von ihrem Umfeld. „Sie ist dort vereinsamt, wurde depressiv und ist sehr schnell gestorben“, sagt sie. Was nüchtern „Verdrängung“ heißt, bedeutete für diese Frau schlicht den letzten Halt zu verlieren. Andere Betroffene berichten von eskalierenden Krankheiten: Schlaganfälle, Herzinfarkte, Asthma, Tinnitus. Ärzt*innen warnen seit Jahren, dass Wohnungsunsicherheit ein massives Gesundheitsrisiko ist. Stresshormone bleiben erhöht, Schlafstörungen setzen sich fest, das Immunsystem bricht ein. Wer nicht weiß, ob er in einem halben Jahr noch ein Dach über dem Kopf hat, lebt im Ausnahmezustand. Auch seelisch hinterlässt Entmietung Spuren: Depressionen, Panikattacken, Gefühle von Wertlosigkeit. „Wenn du entmietet wurdest, dann denkst du, du hast nie wieder Sicherheit im Leben“, sagt Wolfgang. „Jeder Karton fühlt sich an wie ein Provisorium.“ Mit der Entwurzelung zerbrechen Nachbarschaften, Netzwerke gegenseitiger Hilfe gehen verloren, zurück bleibt Vereinsamung, besonders bei Älteren.

Entmietung ist damit nicht nur ein wohnungspolitisches Thema, sondern ein gesellschaftliches Gesundheitsproblem. Sie kostet Menschen Jahre ihres Lebens, zerstört Biografien und verursacht immense Folgekosten – ein stilles Sterben, das in keiner Statistik auftaucht, aber in den Geschichten der Betroffenen greifbar wird.

Forderungen an die Politik

Die Initiative „Zeit zu bleiben“ richtet klare Forderungen an die Politik:

Und vor allem, so sagt es Andrea, braucht es einen Paradigmenwechsel: „Die Politik muss Mieter*innen ins Zentrum stellen , nicht Gebäude, nicht Investor*innen, nicht Standortfaktoren. Es geht um Menschen, um Sicherheit, um Zuhause.“

„Wohnen ist ein Menschenrecht“

Am Ende geht es nicht um einzelne Häuser, sondern um den Zusammenhalt einer Stadt. Eine Stadt verliert ihre Seele, wenn Menschen wie Schachfiguren verschoben werden. „Wollen wir wirklich, dass einige wenige reicher werden, während andere ihre Heimat verlieren?“, fragt Andrea. Die Initiative „Zeit zu bleiben“ ist ein Gegenentwurf: Sie steht für Nachbarschaft, Solidarität und gegenseitige Hilfe. Ihr Ziel ist es, Menschen zu vernetzen und Druck auf die Politik zu machen, bis Wohnen endlich als das behandelt wird, was es ist: kein Spekulationsobjekt, sondern ein Grundrecht. „Wohnen ist ein Menschenrecht“, sagt Wolfgang. „Und dieses Recht gehört nicht in die Bilanzen von Investor*innen, sondern in die Hände der Menschen.“

Weitere Informationen zu dem Thema findet ihr auf Instagram bei zeit_zu_bleiben und bezahlbarer_wohnraum_ddorf. In der TERZ haben wir uns schon mehrfach mit der Wohnungsproblematik auseinandergesetzt: z. B. 09.24 und 12.24, in dieser TERZ ist es Schwerpunktthema.

Valentine