TERZ 10.25 – FESTUNG EUROPA
Über 20.000 Menschen wurden 2024 aus Deutschland abgeschoben, gut 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Ganz vorne dabei als Abschiebeflughafen ist nach wie vor Düsseldorf. Tendenz steigend.
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„Grenzsicherheit kann nicht existieren, wenn es keine Verluste gibt – und, um es klar zu sagen, wenn es keine Todesfälle gibt.”
Athanasios Plevris, griechischer Minister für Migration und Asyl, Juni 2025
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Am 02.09. legte die unabhängige Abschiebungsbeobachtung NRW (ABEO) ihren Jahresbericht vor, der als PDF im Internet abrufbar ist. Der Schwerpunkt liegt diesmal, da jeder vierte abgeschobene Mensch ein Kind ist, auf dem Thema Kindeswohl und der Situation von Familien.
Abschiebebeobachter*innen berichten von erschütternden Fällen wie gefesselten Jugendlichen, oder zwei Kindern im Grundschulalter mit ihrer Mutter, die von der Ausländerbehörde überraschend zur Abschiebung abgeholt wurden, während der Vater im Krankenhaus lag. Mitarbeitende von Ausländerbehörden sind oft kaum geschult im Umgang mit Abschiebesituationen und damit mitunter völlig überfordert.
Während Deutschlands Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) sich für weiter steigende Abschiebezahlen feiert, geraten die Schicksale der abgeschobenen Menschen mehr und mehr in den Hintergrund. Abschiebewütige Politiker*innen deklarieren geflüchtete Menschen in weiter zunehmendem Maße als Gefährder*innen, Kriminelle, Sozialschmarotzende, die zudem die Wohnungskrise verschärfen. Viel Populismus, viele Grausamkeiten, übelste Diskriminierung, welcher Nutzen? Was verbessert sich durch diese Politik der Spaltung und der Abschottung?
Das Bundeskabinett hat Anfang September zwei Entwürfe beschlossen, mit denen deutsche Gesetze an die Reform des EU-Asylsystems GEAS angepasst werden sollen, das im Juni 2026 in Kraft tritt. Die deutschen Beschlüsse gehen weit über die Vorgaben der EU hinaus, die bereits sehr harten EU-Beschlüsse werden rigoroser und brutaler als nötig von Dobrindt & Co. vorangetrieben. Der CSU-Mann schwadroniert von „Verantwortung und Verlässlichkeit, Sicherheit und europäischer Solidarität“. Oppositionspolitiker*innen und Menschenrechtler*innen kritisierten die Pläne dagegen als unmenschlich und rechtswidrig.
Die GEAS-Reform, die die EU-Staaten und -Institutionen im vorigen Jahr beschlossen hatten, sieht umfangreiche Verschärfungen der Migrationspolitik vor. Geflüchtete sollen an den EU-Außengrenzen künftig ein „Sicherheitsscreening“ durchlaufen, manche auch beschleunigte Asylverfahren in Haftlagern – das betrifft auch Kinder. Dabei gelten die Betroffenen rechtlich als nicht eingereist. Wer keinen Schutz bekommt, soll direkt abgeschoben werden.
Außerdem sieht die GEAS-Reform für Krisensituationen weitreichende Möglichkeiten vor, humanitäre Standards „abzusenken”. Zu befürchten ist auch, dass die neuen Regeln illegale Pushbacks erleichtern, bei denen Geflüchtete ohne Asylverfahren einfach zurückgedrängt werden – und ihr Tod in Kauf genommen wird. Für so manche*n Politiker*in ein erwünschter Nebeneffekt. Siehe Zitat oben. Treffender hätte Dobrindt es nicht ausdrücken können.
Die Bundesregierung benutzt die notwendigen Gesetzesänderungen für weitere brutale Verschärfungen, wie die Errichtung von sogenannten „Sekundär-Migrationszentren”. Diese zumindest teilweise geschlossenen Zentren, in denen sich dann das Gros der in Deutschland ankommenden Schutzsuchenden aufhalten muss, sind Gefangenenlager, nichts anderes als Knäste. Das ohnehin schon problematische Konzept der „Dublin-Zentren“ soll damit ausgeweitet werden, sie zielen auf Geflüchtete, die nach den Dublin-Regeln eigentlich dort ihr Asylverfahren durchlaufen müssten, wo sie zuerst EU-Boden betreten haben. Auch wer in einem anderen EU-Land Schutz bekam und nun in Deutschland erneut um Asyl ersucht, soll von diesen Zentren aus möglichst direkt wieder abgeschoben werden. Damit dürften fast alle Geflüchteten, die hier ankommen, betroffen sein.
„Dublin-Zentren“ gibt es bereits in Brandenburg und Hamburg, hier gilt nur nachts eine Anwesenheitspflicht. Bereits in diesen Zentren werden die dorthin verbrachten Menschen brutal entrechtet. Hierzu empfohlen: „Aushungern von Asylsuchenden verboten”, Hamburgs Sozialgericht erklärt den Entzug von Asylbewerberleistungen für rechtswidrig. Im neuen „Dublin-Zentrum“ gibt‘s nur Bett, Brot und Seife. (taz 22.04.2025)
In den neuen Zentren besteht noch verschärfend die Option, Geflüchteten das Verlassen der Einrichtungen komplett zu verbieten.
Nicht von der EU-Reform vorgegeben ist auch eine neue Form der Asylverfahrenshaft, die sogar auf Kinder und Jugendliche angewendet werden kann, wenn das deren „Schutz“ dient. Das soll gelten, wenn Elternteile oder Betreuungspersonen in Haft sind. Wiebke Judith von Pro Asyl sagte dazu: „Kinder schützt man nicht, indem man sie einsperrt.“ Und die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Clara Bünger, sagte: „Zynischer geht es nicht“, berichtete die taz am 03.09.
SPD-Abgeordnete verteidigten ihre Minister*innen, mensch kann sich so ziemlich alles schönreden. Die Koalition achte darauf, dass der nachvollziehbare Wunsch nach Ordnung nicht zum Abbau der Rechte von Schutzsuchenden führe. Ein verdammt hoher Preis für „die Ordnung”, den die geflüchteten Menschen bezahlen müssen. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Fiedler, versprach, im parlamentarischen Verfahren „sorgfältig zu prüfen und zu beraten“. Wie das gehen soll, wenn direkt an den Grenzen zurückgewiesen wird, bleibt offen. Ein Versprechen, kaum ausgesprochen, schon gebrochen.
Inzwischen protestieren über 200 Organisationen, national und international, gegen die unmenschlichen Abschiebungsregeln und setzen sich für deren Ablehnung ein.
„Wir fordern die EU auf, nicht länger rassistischen und fremdenfeindlichen Stimmungen und Unternehmensinteressen nachzugeben, die strafende und diskriminierende Wende in ihrer Migrationspolitik rückgängig zu machen und stattdessen ihre Ressourcen in eine Politik zu stecken, die auf Sicherheit, Schutz und Inklusion basiert, Gemeinschaften stärkt, die Menschenwürde wahrt und sicherstellt, dass alle Menschen unabhängig von ihrem Status sicher leben können.
Die EU-Institutionen und Mitgliedstaaten sollten Abschiebungsmaßnahmen ablehnen, die auf einem strafenden und zwanghaften Ansatz beruhen, die Menschenrechtsstandards senken und rassistisch diskriminierte Menschen unverhältnismäßig stark treffen. Angesichts der oben genannten Bedenken fordern wir die Europäische Kommission auf, diesen Vorschlag zurückzuziehen, und fordern das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union dringend auf, diesen Vorschlag abzulehnen.”
Zu den unterzeichnenden Organisationen gehören unter anderem:
Amnesty International, Human Rights Watch, Ärzte ohne Grenzen, Sea-Watch, AWO Bundesverband, Brot für die Welt, Flüchtlingsrat NRW und weiterer Bundesländer, über deren Homepages auch der komplette Text des Protestes sowie die Liste aller Unterstützenden eingesehen werden kann.
Christine