TERZ 12.25 – FESTUNG EUROPA
Auf dem ehemaligen „Joint Headquarters“-Gelände in Mönchengladbach knubbelt es sich möglicherweise bald. Zoll und Polizei haben sich dort schon breitgemacht und üben in der unmittelbaren Nähe der Erstaufnahmeeinrichtung für geflüchtete Menschen für ihre Einsätze. Es wird geschossen und mit Feuer hantiert.
Das JHQ-Gelände wurde zwar vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) als „bedeutsamer Kulturlandschaftsbereich” ausgezeichnet, aber der Naturschutz wird bei der geplanten Nutzung des 380 Hektar großen Areals immer nachrangiger behandelt. Denn jetzt beansprucht auch noch die Bundeswehr „wegen der veränderten Sicherheitslage” Flächen für ihre Zwecke. Last but not least prangt dann mittendrin NRWs zweiter Abschiebeknast.
Das Bündnis „Abschiebegefängnis verhindern – in Düsseldorf, Mönchengladbach und überall“ hatte am 29.10. zusammen mit dem Flüchtlingsrat Mönchengladbach und dem Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ in die Citykirche Mönchengladbach eingeladen. Thema des Abends: Der aktuelle Kenntnisstand zu den Planungen des Abschiebegefängnisses. Auf dem Podium saßen zwei Mitarbeitende vom Flüchtlingsrat MG, die ihre Erfahrungen aus über 30jähriger Arbeit für geflüchtete Menschen schilderten. Sie zeigten sich schockiert über die Vorstellung eines Abschiebeknasts in ihrer Stadt. Frank Gockel vom Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“, ebenfalls auf dem Podium, leistet seit über 30 Jahren Unterstützungsarbeit für Menschen in Abschiebehaft. Er berichtete von menschenunwürdigen Haftbedingungen wie monate-, teils jahrelanger Inhaftierung, ohne eine Straftat begangen zu haben, hinter sechs Meter hohen Mauern und Stacheldraht, entwürdigenden und gewalttätigen Ganzkörper-Durchsuchungen aller Körperöffnungen zu Beginn der Inhaftierung, schlechter Verpflegung und mehrstufiger Isolationshaft bei „auffälligem” Verhalten. Bei solch menschenunwürdigen Haftbedingungen ist kaum vermeidbar, dass sich ein Mensch auffällig verhält. Frank Gockel erwähnte auch den eklatanten Mangel an Personal im Bürener Knast, von „qualifiziertem” ganz zu schweigen. Resümee: Abschiebehaft ist für die eingesperrten Menschen mit Entrechtung, Desinformation und Hoffnungslosigkeit verbunden. Menschenrechte werden mit Füßen getreten.
In der anschließenden Diskussionsrunde wurde deutlich, dass das Vorgetragene die fast 180 Menschen in der Citykirche sichtlich betroffen gemacht und aufgebracht hatte. Die Realität in Abschiebegefängnissen stimmt nicht mit der Darstellung der Bundes- und Landesregierung überein: denn es kommen keine Straftäter*innen in Abschiebehaft, die nach der Haftverbüßung abgeschoben werden, und auch keine sogenannten „Gefährder“, für die es ein spezielles Gefängnis in Berlin gibt. Menschen werden eingesperrt, weil ihnen unterstellt wird, sich der Abschiebung zu entziehen. Die in der Citykirche ausliegenden Kontaktlisten zur Vernetzung und Information füllten sich rasch. Das Bündnis hat inzwischen die Erstellung eines Newsletters realisiert, um auf diesem Weg Interessierte auf dem Laufenden zu halten.
Am Tag nach der Veranstaltung meldeten verschiedene Medien, dass auf dem JHQ-Gelände und weiteren Liegenschaften laufende Planungen auf Eis gelegt worden seien. Das Bundesverteidigungsministerium prüfe, ob eine Nutzung durch die Bundeswehr in Frage käme, meldete die Stadt Mönchengladbach. Grund: das Ministerium muss wegen der „veränderten Sicherheitslage” erstmal diese Flächen für die Bundeswehr bereithalten.
Betroffen ist auch das Gelände der Bergischen Kaserne, Hoffnungsträger für den so angespannten Düsseldorfer Wohnungsmarkt, sollten dort doch möglicherweise 27 Hektar zum Bau von rund 1.000 Wohnungen entwickelt werden. Auch hier wird die „veränderte Sicherheitslage” als Grund angeführt, berichtete die RP am 29.10. Die Zahl der Bundeswehrsoldat*innen soll bis 2030 um 80.000 wachsen. Woher die kommen sollen, ist noch nicht so ganz klar, der Soldat*innen-Job ist anscheinend ähnlich unbeliebt wie eine Tätigkeit als Wachpersonal im Abschiebeknast. Aber immerhin haben sich CDU und SPD am 12.11. auf einen Kompromiss zum „neuen Wehrdienst” geeignet. Eine verpflichtende Musterung junger Männer sowie die Möglichkeit einer „Bedarfswehrpflicht“ bei zu niedrigen Freiwilligenzahlen sind vorgesehen, wobei die Koalition zunächst auf Freiwilligkeit setzt. Es soll aber auch eine flächendeckende Musterung und Zielmarken für den „Aufwuchs der Truppe” geben. (Quelle: tagesschau24.live 13.11.)
Zum Bau des Abschiebeknasts in MG überhäufen sich Politiker*innen mit Vorwürfen. Am 11.11. berichtet der WDR, Schwarz-Grün in NRW wolle einen weiteren Knast, um die Einrichtung in Büren zu entlasten. Dabei sind die 175 Haftplätze dort kaum jemals belegt. Hauptgrund ist der schon erwähnte Personalmangel. Pensionierte Polizist*innen sollen deswegen zum Einsatz kommen. Dass die Anstalt in Büren durch Personalmangel „stark belastet“ sei, führte auch die SPD an und fordert nun mehr Tempo für den geplanten Knast in MG. Wo das Personal für die 140 dort geplanten Haftplätze (auch für Frauen) hergenommen werden soll, bleibt – bis auf die Posse mit den Omas und Opas von der Polizei – jedoch unerwähnt. Die schwarz-grüne Landesregierung habe die geplante zweite Abschiebe-Haftanstalt in MG „nicht konsequent vorangetrieben“, lautete der Vorwurf von SPD-Fraktionsvize Lisa Kapteinat am 11.11. in Düsseldorf. Kaum ernstzunehmen, obwohl das keine Veranstaltung zum Erwachen vom Hoppeditz war. Kapteinat macht Fluchtministerin Josefine Paul (Grüne) ordentlich Druck, denn immerhin ist der zweite Abschiebeknast das Prunkstück im Sicherheits-Maßnahmenpaket der NRW-Landesregierung nach dem Solingen-Attentat. Im Rahmen einer Aktuellen Viertelstunde im Integrationsausschuss des Landtags am 12.11. stand Paul Rede und Antwort, unterm Strich gab‘s nur wenig erwähnenswertes Geschwafel. Der Standort für den Knast sei alternativlos, dessen Bau wohl auch. Am 18.11. berichtete die RP, dass der Abschiebeknast auf etwa neun Hektar des JHQ-Geländes errichtet werden soll. Der Bund habe ein eigenes Interesse an einem großen Teil des Areals und plane den Informationen zufolge, dort eine Kaserne zu bauen. (Quelle: RP 14.11., 18.11.)
Erschütternd ist, mit welcher Kaltschnäuzigkeit die Nutzungsmischung auf dem JHQ-Gelände geplant wird. Es geht um geflüchtete Menschen, schon vergessen?
Kritik an der Abschiebehaft wird vom WDR erwähnt, von der RP eher nicht. Zitiert wird vom WDR, dass der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren” die Praxis der Abschiebungshaft in NRW anprangert. Und: Die Erfolgsquote bei rechtlichen Auseinandersetzungen gegen eine angeordnete Abschiebehaft liege bei rund 50 Prozent, was bedeute, dass sich etwa jeder Zweite zu Unrecht in Abschiebehaft befinde. Das alleine ist ein Riesen-Skandal. Wen interessierts?
Pro Asyl hatte Ende 2023 den Vorwurf erhoben, dass ein Geflüchteter in der Anstalt in Büren über 50 Tage lang alle 15 Minuten lang kontrolliert worden sei – auch nachts. Das ist, berichtete Frank Gockel, kein Einzelfall. Das ist nichts anderes als Folter. Wo bleibt der Aufschrei?
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Christine