TERZ 12.25 – RECHTER RAND
Anfang November hat sich der neue Düsseldorfer Stadtrat konstituiert. Und wie immer, wenn die AfD irgendwo zehn Prozent der Stimmen erhält, geht es nicht um Gestaltung, sondern um Schadensbegrenzung. Dazu bildeten CDU, Grüne, SPD, FDP und Linke eine Zugriffsgemeinschaft – ein bürokratischer Begriff für den politischen Reflex, die Rechten in Schach zu halten.
Das Zugriffsverfahren regelt, dass Fraktionen der Reihe nach Ausschussvorsitze „greifen“ dürfen, entsprechend ihrer Sitzstärke. Wer sich in einer Zugriffsgemeinschaft zusammenschließt, kann die Reihenfolge verschieben und Zugriffe einer einzelnen Partei blockieren. So weit, so demokratisch – und so begrenzt.
Die AfD ist gewählt und damit legitimiert – genau darin liegt das Dilemma. Die Zugriffsgemeinschaft kann sie zwar verlangsamen, aber nicht stoppen. Das Verfahren wahrt den Anschein von Kontrolle, doch inhaltlich bleibt alles beim Alten. Während sich die Politik in Regeln und Normen verliert, hat sie den sozialen Boden, auf dem rechte Wut wächst, längst preisgegeben.
Das Ergebnis der politischen Schadensbegrenzung: Claus Henning Gahr (AfD) leitet nun den Ausschuss für Wirtschaftsförderung, internationale und regionale Zusammenarbeit. Er leitet somit ausgerechnet das Gremium, das für Weltoffenheit stehen soll. Dies ist mehr als ein symbolischer Affront und birgt die Gefahr, dass AfD-Vertreter*innen die internationale Reputationsarbeit der Stadt aktiv sabotieren oder behindern. Im Rechnungsprüfungsausschuss, der für Kontrolle und Transparenz zuständig ist, führt Thomas Eberhardt-Köster (Linke) den Vorsitz, Marco Vogt (AfD) ist sein Stellvertreter. Das ist besonders brisant, denn so erhalten AfD-Vertreter*innen Kontrollbefugnisse, die sie nutzen könnten, um politische Gegner*innen gezielt zu diffamieren oder behördliche Prozesse zu stören. Diese Posten zeigen, wie schwer sich die Demokratie tut, wenn sie ihre Gegner*innen mitverwaltet. Die Zusammenarbeit war richtig, sie markiert jedoch zugleich die Grenze des Systems. Wenn der Kampf gegen Rechts nur noch auf Geschäftsordnungen basiert, wird aus Wehrhaftigkeit Routine.
Dabei stünden dem Staat längst andere Mittel zur Verfügung, auch wenn diese juristisch hoch komplex und politisch risikobehaftet sind. Ein Verbotsverfahren gegen die AfD ist keine juristische Spielerei, sondern angesichts der gesicherten extremistischen Bestrebungen in Teilen der Partei als ultima ratio ernsthaft zu prüfen. Ja, die Hürden des Bundesverfassungsgerichts sind enorm: Es müsste zweifelsfrei bewiesen werden, dass die Partei aktiv die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen will. Ein Scheitern des Antrags könnte der AfD zudem einen Legitimationsgewinn verschaffen. Doch diese Risiken dürfen nicht als Argumente für eine lähmende Untätigkeit herangezogen werden.
Aus purer Angst vor dem Scheitern oder dem „Märtyrer-Effekt“ darf die Möglichkeit eines Verfahrens nicht beiseitegeschoben werden. Im Gegenteil: Die Politik muss jetzt alle verfügbaren rechtlichen Mittel kritisch evaluieren und den Mut zur Nutzung aufbringen. Bis dahin gibt es genug zu tun. Die AfD wächst dort, wo sich die Politik aus dem Alltag der Menschen zurückzieht. Wo steigende Mieten, unsichere Jobs und Ohnmacht als „Sachzwänge” hingenommen werden, gedeiht rechte Wut. Wer den Rechtspopulismus stoppen will, muss soziale Politik machen und nicht nur Dienst nach Vorschrift.
Diese Art, Demokratie zu betreiben – korrekt, aber kraftlos – ist keine Normalität. Sie ist eine legalisierte und hausgemachte Erosion. Eine Demokratie, die ihre Feinde mitschleppt, um fair zu bleiben, verliert langfristig ihre Richtung.
Demokratie bedeutet nicht, alle hinzunehmen, die gewählt werden. Der Anspruch wäre, aus den gegenwärtigen Entwicklungen die richtigen Schlüsse zu ziehen und eine sozial gerechte Politik zu machen, statt bürokratische Selbstverwaltung zu betreiben. Wenn die Politik weiterhin nur Geschäftsordnungen befolgt, statt alle Mittel unseres Rechtssystems zu nutzen, muss die Demokratie nicht mehr abgeschafft werden – sie erledigt das selbst, ordnungsgemäß und fristgerecht.
Valentine