TERZ 04.19 – LAUSIGE ZEITEN
Für viele ist die Türkei wieder das billige Urlaubsland. Da herrscht ein Despot? Da sind fast 200 Journalist*innen im Knast? Da herrscht Krieg? Da gibt es eine Willkürjustiz? Ach egal. Hauptsache, da scheint die Sonne. Insofern wundert es auch nicht, dass die meisten nicht mitbekommen, dass nicht nur in der Türkei Menschen im Hungerstreik sind, sondern auch hier. Nachdem der IS immer weiter zurückgedrängt wurde – wenn er auch noch lange nicht besiegt ist –, interessiert sich kaum noch jemand für das kurdische Anliegen. Die Repressionsschraube gegen Kurd*innen wird hierzulande immer weiter angezogen, gleichzeitig schweigen die Zeitungen das kurdische Anliegen tot. Über 7.000 Gefangene sind in der Türkei im Hungerstreik, um die Aufnahme von Friedensverhandlungen zwischen dem türkischen Staat und der PKK-Guerilla zu fordern. Gleichzeitig sind viele Politiker*innen im Hungerstreik, um gegen die Isolationshaft von Abdullah Öcalan, dem Führer der PKK, zu protestieren. Seit fast acht Jahren konnten seine Anwält*innen ihn nicht mehr besuchen. Eine der Hungerstreikenden in der Türkei ist die HDP-Politikerin Leyla Güven, die seit über 100 Tagen im Hungerstreik ist. Auch in Düsseldorf haben in letzter Zeit mehrere Solidaritätskundgebungen für sie stattgefunden, die von der Presse unbeachtet blieben. Nur die kurzzeitige Besetzung des Eingangs des NRW- Landtags am 12. März tauchte kurz in der Presse auf. Die Gruppe erklärte, sie wollte mit ihrer Aktion erreichen, dass ihre Forderungen auf direktem Wege an die Bundesregierung weitergetragen werden. Von der Bundesregierung forderten sie eine Stellungnahme zum Hungerstreik in Kurdistan, in den türkischen Gefängnissen und in ganz Europa. „Wir akzeptieren nicht, dass sich die deutsche Öffentlichkeit vor diesem Hungerstreik und diesem großen Aufstand weltweit verschließt, während die Bundesrepublik maßgeblich an dem Krieg in Kurdistan beteiligt ist“, so die kurdischen Jugendlichen. Es fand ein kurzes Gespräch mit der Abgeordneten der Grünen, Berivan Aymaz, statt, bevor die Protestler*innen von der Polizei aus dem Gebäude entfernt wurden. Außerdem wurden die Personalien aller Beteiligtenaufgenommen und gegen sie Anzeige erstattet.
Am Mittwoch, dem 20. März fühlten sich einige in der Düsseldorfer Innenstadt in einen Hollywood-Streifen versetzt. Martialische Robocops, vermummt und mit Maschinenpistolen bewaffnet, standen auf der Berliner Allee herum. Kurz vorher hatten Zivilpolizisten des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) mehrere Schüsse abgegeben, nachdem sie zwei vermeintliche Autoaufbrecher stellen wollten und diese dann flohen. Vielleicht lag es am Frühlingsanfang, dass das Testeron die beiden Zivilpolizisten so ausrasten ließ. Die Schüsse sorgten für mehrere Anrufe bei der Düsseldorfer Polizei, die dann wiederum ihre martialischen Robocops losschickte, da das MEK die Leitzentrale in Düsseldorf über ihren Einsatz nicht informiert hatte und es unklar war, was überhaupt los war. Der Einsatz liegt nun bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, die ein Verfahren gegen die zwei MEK-Leute prüft. Polizeibeamt*innen sind angehalten, verhältnismäßig zu reagieren und Schüsse nur im Notfall abzugeben. Davon kann man in diesem Fall mal wieder nicht sprechen. Wie gesagt, es ging um einen vermeintlichen Autoaufbruch. Das Auto war außerdem noch nicht mal abgeschlossen. Dennoch ist zu erwarten, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt, wie meistens, wenn Polizeibeamt*innen über die Stränge schlagen.
Seit ein paar Wochen demonstrieren jeden Freitag Schüler*innen für das Klima. Auch in Düsseldorf. Weil sie dies während der Schulzeit machen, regen sich verschiedene Schulleiter*innen und Politiker*innen darüber auf. Aber die Schüler*innen lassen sich davon nicht beeindrucken. Am 15. März war der vorläufige Höhepunkt der globalen Proteste. Mehrere Millionen Schüler*innen gingen weltweit auf die Straße und forderten ein Umdenken der Politiker*innen, endlich wirksam etwas fürs Klima zu tun. In Deutschland wurde die Zahl auf 300.000 geschätzt. Allein in Düsseldorf gingen zwischen 8.000 und 10.000 Schüler*innen auf die Straße – teilweise wurden sie von Lehrer*innen und anderen Erwachsenen unterstützt. Bisher wurden die Schüler*innen von der Politik eher belächelt und ermahnt, doch lieber zur Schule zu gehen und das Thema den Profis zu überlassen. Es gab Strafandrohungen der NRW-Schulministerin und Abmahnbriefe der Düsseldorfer Bezirksregierung. Chefin ist übrigens eine Grüne. Viele Lehrer*innen und Schulleiter*innen finden das Engagement ihrer Schüler*innen aber eher gut und haben den 15. März einfach zu einem Projekttag erklärt. Besucht wurde auf dem Weg zum Landtag auch die CDU, die jedoch niemanden empfangen wollte. Eine Woche später waren es knapp unter 1.000 Schüler*innen, die vor das Rathaus zogen. Der Schuldezernent der Stadt, Hintzsche, sprach zu den Schüler*innen und solidarisierte sich mit ihnen. „Das Rathaus ist mit euch.“ Die Freitagsproteste sollen auf jeden Fall weitergehen.
Am 17. November 2018 gab es ein Werkstattverfahren zum Kriegsdenkmal am Reeser Platz (siehe TERZ 12.18). Die meisten der Anwesenden waren sich darin einig, dass dieses Denkmal eine faschistische Ästhetik besitzt und eine kriegsverherrlichende Botschaft vermittelt. Problematisiert wurde auch, dass der offensichtlich ewiggestrige „Freundeskreis der Kameradschaft der ehemaligen 39er“ einen Schlüssel zum Tor bzw. zum Eingang der symbolisierten Gruft besitzt. Just einen Tag nach dem Werkstattverfahren legte dieser „Freundeskreis“ dort einen Kranz zum Gedenken ab. Damit sollte eigentlich Schluss sein, doch bis jetzt war es laut Presseberichten nicht möglich, den Denkmalsfreund*innen den Schlüssel abzunehmen. Zu fragen ist auch, wer ihnen den überhaupt überlassen hat und warum es nicht möglich ist, ihnen den Zugang zu verwehren. Zumal es dem „Freundeskreis“ verboten wurde, dort Kränze abzulegen. Und was bitte ist so schwer daran, einfach ein neues Schloss anzubringen? Zum Umgang mit dem Kriegsdenkmal gibt es nichts Neues zu berichten. Man sei noch im Diskussionsprozess, heißt es. Bis jetzt wurde noch nicht einmal der versprochene Bericht zum Werkstattverfahren vorgelegt. Also wie schon in der Dezember-Ausgabe der TERZ geschrieben, muss mensch wohl doch mal wieder selbst Hand anlegen, um etwas zu bewegen.
Im Jahr eins nach der offiziellen Übernahme von Monsanto durch Bayer treten die Risiken und Nebenwirkungen des Deals deutlich zutage. Die Schadensersatz-Prozesse in Sachen „Glyphosat“ kosten hunderte Millionen Dollar. Überdies stehen weitere Klagen wegen des Pestizides Dicamba und der Umweltchemikalie PCB an. Folglich stürzte der Aktien-Kurs ein, worauf der Leverkusener Multi mit einem Rationalisierungsprogramm reagierte, das 12.000 Menschen ihren Job kostet. Und schon ohne das Kapitel „Monsanto“ hat das Schwarzbuch Bayer für das Geschäftsjahr 2018 wieder einen beträchtlichen Umfang. Die ganze Schadensbilanz präsentieren dem Leverkusener Multi auf seiner Hauptversammlung am 26. April in Bonn wieder zahlreiche Konzernkritiker*innen aus dem In- und Ausland. Auf der Kundgebung und im Saal selber werden sie Themen wie „Arbeitsplatz-Vernichtung“, „Pestizid-Vergiftungen“, „Schädigungen durch Medikamente“, „Gentechnik“, „Geschäftspraktiken in den Ländern des Südens“, „Bienensterben“, „CO2-Emissionen“, „Umweltverschmutzung“ auf die Tagesordnung setzen und fordern, Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung zu verweigern.
>> Bonn, 26. April, ab 8 Uhr auf dem „Platz der Vereinten Nationen“ vor dem World Conference Center <<
Alljährlich hält die Düsseldorfer Rüstungsschmiede ihre Aktionärsversammlung ab. Bei Sekt und Häppchen feiern nicht nur Manager*innen, sondern auch Aktionär*innen neue Kurssprünge. Seit Jahren laufen die Geschäfte wieder prächtig. Maßgeblich liegt das an der Rüstungssparte. Die Zahl der Kriege steigt und bei jeder abgefeuerten Patrone, bei jeder abgeschossenen Rakete bzw. bei jedem dadurch getöteten Menschen, bei jedem zerstörten Haus klingelt es in den Kassen von Rheinmetall. Mittlerweile können die Aktionär*innen aber im Hotel Maritim in Berlin nicht mehr ungestört Kriege und Tote feiern. Immer wieder kommt es zu Protesten. Letztes Jahr war die Aktionärsversammlung am 8. Mai. Zynischer konnte der Termin nicht gelegt werden, denn der 8. Mai steht für die Befreiung vom Nationalsozialismus und für das Ende des 2. Weltkrieges in Europa. Mehrere Demonstrierende hielten bei der Hauptversamlung ein Transparent hoch, das auf das Datum Bezug nahm: „8. Mai 1945 – damals wie heute: war starts here, let’s stop it here“. Es war in den Farben der kurdischen Befreiungsbewegung gehalten, um dagegen zu protestieren, dass deutsche Leopard-Panzer zum Einsatz kamen, als die türkischen Verbände die Grenze nach Syrien passierten, um Kurs auf die kurdische Stadt Afrin zu nehmen. Der anwesenden Polizei war der Protest ein Dorn im Auge. Es kam zu Ingewahrsamnahmen. Zwei der Aktivist*innen wurde Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen. Sie hätten „energisch das Transparent festgehalten“, wie es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft heißt. Zusammen sollten die Aktivist*innen 15.000 Euro Strafe zahlen. Es kam zum Prozess, der bezeichnenderweise am 18. März stattfand, dem internationalen Tag für die Freiheit der politischen Gefangenen. Am Ende wurde das Verfahren gegen Zahlung einer Strafe von 500 Euro eingestellt. Gleichzeitig läuft eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin, um zu prüfen, ob nach dem Versammlungsgesetz der damalige Polizeieinsatz überhaupt rechtmäßig war. Am 28. Mai ist wiederum Aktionärsversammlung in Berlin. Schon jetzt wird für die Proteste dagegen mobilisiert.
Die Karnevalstage dürften für die Brause und ihre Freund*innen schon mal unbeschwerter abgelaufen sein. Da wurde nämlich verkündet, dass nun doch schon Ende Mai diesen Jahres Schluss sein wird mit Subkultur in Tankstellenatmosphäre. Eigentlich war geplant, noch bis 2020 das szenische Kleinod an der Bilker Allee zu nutzen. Erst dann sollte hier das alte Tankstellengelände abgerissen werden und ein neues Wohnhaus entstehen. Nach 18 Jahren geht hier etwas verloren, von dem es in Düsseldorf sowieso viel zu wenig gibt. Die Leute von der Brause bringen es auf den Punkt, wenn sie auf Facebook reflektieren: „Düsseldorf bekommt einen neuen grauen Fleck. Bunte Kulturorte verschwinden und müssen Wohnraum weichen. Versteht uns bitte nicht falsch. Wohnraum ist wichtig. Aber dann bitte auch für jeden bezahlbar. Dennoch müssen Kleinkulturstätten geschützt werden. Sie sind Oasen der Entspannung in einer vitalen Großstadt, Quellen der Kreativität und der Nährboden für die große Kunst und Kultur. Die Stadt gehört den Bewohner*innen, nicht irgendwelchen Immobilienfirmen oder seelen- und herzlosen Investoren.“ Wünschen wir der Brause, dass das Unmögliche möglich und sie einen charmanten neuen Ort für ihr „Vereinsheim“ finden wird.