TERZ 05.19 – REPRESSION
Am 26. März hat die zuständige Staatsanwaltschaft am Amtsgericht Düsseldorf das Verfahren gegen den fiftyfifty-Mitarbeiter Oliver Ongaro eingestellt. Eine Mitarbeiterin des Ordnungs- und Sicherheitsdienstes (OSD) der Stadt Düsseldorf hatte ihn im November 2017 angezeigt, sie angegriffen zu haben.
Mit der wenig überraschenden Einstellung beendete die Anklagebehörde im Einverständnis mit dem Gericht nun einen für (fast) alle Verfahrensbeteiligten jenseits der Anklagebank peinlichen Strafprozess. Dabei war die Entscheidung von Amtsrichterin Silke Boriss, die Anklage überhaupt zuzulassen und das Verfahren mit der Hauptverhandlung und einem ersten Verhandlungstermin am 11. März zu eröffnen, von Beginn an auf Sand gebaut. Das sollte sich am ersten Prozesstag auch rasch zeigen (TERZ 04.19). Denn die Zeug*innen und die vermeintlich „Geschädigte“, die gegen Ongaro aussagten, widersprachen oder ergänzten sich doch am Ende ganz eklatant, so als hätten sie sich an den falschen Stellen abgesprochen. Wollten sie gesehen haben, wie der Streetworker Ongaro Anfang November 2017 in einer Kontroll-Situation des OSD gegenüber einem Wohnungslosen auf die OSD-Mitarbeiterin Frau Brecko mit Gewalt eingewirkt hätte. Doch die Zeug*innenaussagen vor Gericht waren so dermaßen krude, dass es nicht an den Haaren herbeigezogen wäre zu glauben, dass die Zeug*innen des OSD – darunter auch die „Geschädigte“, Frau Brecko – sich in ihrem Aussageverhalten massiv abgesprochen, Gefälligkeitsaussagen geplant oder sich gar zu Falschaussagen verständigt haben.
Die OSDlerin Brecko hatte Ongaro im November bei dem in Frage kommenden Aufeinandertreffen mit den Armen mehrfach vor die Brust geschlagen. Sie hatte damit offenkundig zu verhindern versucht, dass dieser sich einer unrechtmäßigen Beschlagnahmung der Habe eines Wohnungslosen, den die OSD-Mitarbeiter*innen kurz zuvor wenig zimperlich kontrolliert und drangsaliert hatten, entgegenstellte. Doch Brecko selbst hatten den Sozialarbeiter ihrerseits angezeigt, weil er sie gestoßen und beleidigt haben soll. Ein Klassiker.
Am Ende, so zeigte sich am 11. März 2019 vor Gericht, wirkten die Aussagen der vermeintlich geschädigten OSD-Mitarbeiterin Brecko und die ihres Kollegen, Herrn Zimmermann, so inszeniert ähnlich, dass beide nunmehr nur noch als unglaubwürdig erscheinen konnten. Ein weiterer Kollege der beiden Sicherheitsdienst-Kräfte, die schon mehrfach als besonders drastisch-autoritär und repressiv gegenüber Menschen aufgefallen sind, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben, erzählte dann vor Gericht zunächst im Brustton der Überzeugung, was er alles beobachtet haben wolle. Im Abgleich aber mit seiner ersten Aussage, die im Ermittlungsverfahren festgehalten worden war, konnte diese Phantasiegeschichte nicht stimmen. Widersprach seine Aussage vor Gericht nun doch der ersten Schilderung des Zeugen, rein gar nichts gesehen zu haben vom vermeintlichen Tathergang. Der Zeuge musste auf Nachfrage des Gerichtes schließlich einräumen, dass seine neue Aussage, dies und das beobachtet zu haben, falsch sei – seine alte Aussage hingegen richtig.
Auf Basis dieses dünnen Auftakts war es dann auch nicht überraschend, dass das Gericht den zweiten Verhandlungstag gar nicht erst abwartete. Vielmehr zeigte es sich einverstanden mit dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft, das Verfahren einzustellen – wegen Geringfügigkeit und auf Grundlage des §153a StPO. Nach diesem Strafprozessordnungsabschnitt kann ein Verfahren unter „Auflagen und Weisungen“ an die oder den Beschuldigten eingestellt werden, wenn das „öffentliche Interesse an Strafverfolgung“ damit beseitigt sei. Nach geltender Rechtsmeinung heißt das zugleich, dass die Unschuldsvermutung in der Ermittlung bzw. Beweiserhebung nicht widerlegt worden ist.
Ongaro willigte in die Auflage, 500 Euro an die Armenküche zu zahlen und die Einstellung des Verfahrens damit anzunehmen, ein. Die Armenküche ist Kooperationspartnerin des Straßenmagazin fiftyfifty, für das Ongaro an besagtem Tag im November seine reguläre Streetwork-Runde gedreht hatte, als er die OSD-Mitarbeiter*innen bei der Kontrolle des Wohnungslosen bemerkte und sie vor Ort auf ihre rüde Beschlagnahmungspraxis ansprach.
Mit der Zahlung der Geldauflage setzen Ongaro und fiftyfifty jetzt einmal mehr ein klares Zeichen, dass ihnen die konstruktive Debatte um der Sache willen wichtig ist. Man wolle mit der Entscheidung, sich auf die Einstellung einzulassen, das unsinnige Verfahren nicht auf die Spitze treiben und die Beteiligten des OSD nicht vollständig dekonstruieren, mit der Stadt in Sachen Straßenordnung und Umgang mit Wohnungslosigkeit wieder „auf eine Gesprächsebene“ zurückkommen. Hatte doch Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) seinerzeit bereits vorgeschlagen, den Konflikt außergerichtlich zu klären. Ob er bereits ahnte, wie dünn die Glaubwürdigkeit der empörten Breckos und Zimmermanns sein würde?
Gefolgt waren die OSD-Mitarbeiter*innen diesem Vorschlag aber nicht. Fiftyfifty und Oliver Ongaro hingegen haben einen Schritt in Richtung Gesprächsbereitschaft gemacht. Über das Signal des Oberbürgermeisters hinaus, bei allen Differenzen in der Sache in einen konstruktiven Dialog zu kommen, hat sich jedoch bis heute nichts getan. Auch nach Einstellung des Verfahrens gegen Oliver Ongaro. Bis Ende März etwa hatte die Stadt keinerlei Maßnahmen erkennen lassen, dass sie mit der Prüfung vergangener Vorfälle im Kontext der Arbeit des OSD begonnen hätte. In vier Fällen hatte fiftyfifty zuvor dokumentiert, dass OSD-Mitarbeiter*innen in der Vergangenheit gleich mehrfach ein schikanöses Verhalten gegenüber Wohnungslosen an den Tag gelegt hatten. Ordnungsdezernent Christian Zaum hatte diese Überprüfung auf Druck von fiftyfifty angekündigt. Doch scheinbar ist bislang nichts in dieser Richtung geschehen. „Unsere Kritik an der Düsseldorfer Straßenordnung und an einzelnen Mitarbeitern des Ordnungsamtes im Umgang mit Obdachlosen bleibt bestehen“, sagte Ongaro zusammen mit seinen Kolleg*innen von fiftyfifty nach der Einstellung des Gerichtsverfahrens gegen ihn. Man warte weiter auf „einen konstruktiven Dialog in der Sache“.
Das Ordnungsamt wird seine „Einzelfälle“ problematischen Mitarbeiter*innenverhaltens aber aller Erfahrung nach bis zur Vergessenheit hinwegschweigen und mit Phlegma glänzen. Hier muss sich die Stadtspitze durchaus in ihrer Weisungskraft bewegen, will sie die zweifelhafte Praxis, die der Sicherheitsdienst in seiner Arbeit zum Alltag werden lässt, nicht unkommentiert stehen lassen. Solange es aber niemanden kümmert, dass der OSD und seine Mitarbeiter*innen Menschen diskriminieren und regelmäßig Grenzen rechtmäßigen Handelns überschreiten (etwa durch Beschlagnahmungen), ohne dass sie auch nur irgendeine Überprüfung zu erwarten haben, wird sich nichts ändern. Aber genau darum ist eine starke, parteiliche und kluge Arbeit zum Beispiel von Unterstützungsstrukturen für Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße in der Stadt so wichtig. Wegsehen ist dann schwieriger. Darum ist es gut, dass es ein fiftyfifty gibt. Danke!