TERZ 03.20 – NOISE OF ART
Miles Davis wirft sich in Pose, als setze er gerade zum Stagediving an. Die komplette Bootscrew besteht aus Jazzgrößen. Einzige Ausnahmen: der Steuermann und jener Schwarze, den Emanuel Leutze unmittelbar zu Füßen Washingtons gemalt hatte. (TERZ 02.2000)
Die Fotomontage erschien August 2010 auf dem DVD-Cover von „Madlib Medicine Show #8: Advanced Jazz“. Im Netz kursiert die Erläuterung:
„Jazzcats Crossing the Hudson is an 1851 oil-on-canvas painting by German American artist Emanuel Gottlieb Leutze. It preemptively commemorates the arrival in New York City of jazz greats Miles Davis, John Coltrane, Sun Ra, Pharoah Sanders, Steve Kuhn and others. The painting is remarkable for the fact that it was created decades before the birth of any of these jazz artists.“
Über die Stagediving-Pose, in der hier Miles im Boot zu sehen ist, hatte sich bereits 1864 ein Rezensent des Originals in der New York Times amüsiert, als noch George Washington diese Haltung eingenommen hatte. Der erste US-Präsident stünde da, als wolle er gleich ans Ufer hüpfen „and dance a pirouet on the snow.“ In der Fotomontage sind tatsächlich nur die Köpfe ausgetauscht. Das Showmäßig-Theatralische, das Bühnenhaft-Groteske der Figuren fand sich bereits im Leutze-Original von 1851.
Der von Leutze ins Boot gepinselte Schwarze wird in den Erläuterungen zur Fotomontage als „Malik“ angegeben, eine Anspielung auf Malcolm X, der sich 1964 in Mekka einem sunnitischen Zweig des Islams angeschlossen und den Namen „El Hajj Malik el-Shabazz“ angenommen hatte. Von den antikolonialistischen Kämpfer*innen in Afrika war er fasziniert und bald überzeugt, dass das „orthodox-islamische Frauenbild einer grundlegenden Korrektur bedürfe, weil in fortschrittlichen Staaten auch die Frauen fortschrittlich und kämpferisch seien.“
Übrigens: Der Schwarze in Leutzes Boot war bereits 1855 von Harriet Beecher Stowe und William Cooper Nell in ihrem Buch „Colored Patriots of the Revolution“ erwähnt worden. Seitdem gab es immer Diskussionen, ob es sich bei ihm um eine historische Person oder nur eine symbolische Repräsentation handele. Robert Colescott hat sich dann 1974 aus einer dezidiert schwarzen Perspektive mit dem Bild auseinandergesetzt. Ironischer Titel seines Acrylbilds: „George Washington Carver Crossing the Delaware: Page from an American History Textbook“. Die Bootscrew – Männer wie Frauen – besteht bei ihm aus ausschließlich Schwarzen. George Washington Carver war ein 1864 in Missouri geborener Sklave, der schließlich Botaniker und Chemiker wurde und bahnbrechende Entdeckungen in der Landwirtschaftsforschung machte. Durch die Diversivizierung der Baumwoll-Monokultur gelang es ihm, die Erträge nachhaltig zu steigern. 1921 war er der erste Afroamerikaner, der vom Washingtonter Kongress zu einer Anhörung eingeladen wurde. Zu Carvers Bootscrew in Colescotts Gemälde heißt es in einer Erläuterung, dass „his crew of servants, is obviously informed by historically racist popular imagery.“ Also ist auch Colescotts Gemälde ein unterschwellig ironisches Bild.
Die US-Kunstkritik wurde nicht müde, die ästhetische Minderwertigkeit von Leutzes 1851er Gemälde zu betonen. Der Popularität des Werks tat dies aber keinen Abbruch. Als es für einige Zeit im Magazin des Metropolitan Museum verschwand, mussten die Kurator*innen es wieder hervorholen. Allzu viele Bürger*innen hatten gegen die Entfernung protestiert. Heute ist es eines der am häufigsten karikierten und in Fotomontagen verwendeten Gemälde weltweit. Es gibt wohl keinen US-Präsidenten der letzten 50 Jahre, der sich nicht in einer Karikatur ins Boot gestellt fand. Bill Clinton schaffte es sogar auf ein Spiegel-Cover. Die Karikaturen mit Obama gehen in die Dutzende. MAD präsentierte 2017 einen pathetisch in die Ferne blickenden Trump, der im nächsten Moment samt Kahn und Mannschaft die Niagarafälle hinabzustürzen droht.
In der kunstgeschichtlichen Forschung jenseits des Atlantiks gibt es Ansätze zu einer Neubewertung der während des Vor- und Nachmärz in Düsseldorf entstandenen Amerikabilder. 2003 hieß es in einer Rezension zum Werk von Richard Caton Woodville (Düsseldorf-Aufenthalt 1845-1851), der Standort seiner Staffelei in Europa, „placed him culturally and physically outside the ranks of his fellow antebellum artists.“ Seine Bilder würden nicht in die Schemata des American genre painting passen. Ist also das Subversiv-Ironische dem rheinischen Einfluss zu verdanken? Auch bei „Washington Crossing the Delaware“ ist es ja das Ambivalente, das Karnevalesk-Subversive, das immer wieder zu neuen Karikaturen und satirischen Fotomontagen provoziert.
Aktuell macht Jacques Tilly, der Düsseldorfer Rosenmontagszugwagenproduzent von sich reden. Noch bis Juni sind einige seiner Pappmascheegroßkarikaturen, insbesondere die zum Brexit, im Schloss Oberhausen zu sehen. Das Privileg der Narren sei, „denen da oben“ die Wahrheit sagen zu dürfen, sagt Tilly. Und dazu sei der Rosenmontag da. Mit einer Narrenexistenz wollten sich die Revolutionäre im Vormärz jedoch nicht zufriedengeben. „Der Narr fühlt allein das Glück der Freiheit, und wer dies einmal gekostet, der ist ein ewiger Feind alles Unfreien, ein ewiger Freund der Freiheit, oder der Narrheit”, heißt es in der Urkunde zur Ernennung von Ehrenmitgliedern, die der Düsseldorfer Verein der Carnevalsfreunde 1843 verschickt hatte. Es folgt ein Generalangriff auf die preußische Zensur: „Wir streben dar nach, das ganze Jahr hindurch das zu genießen dessen wir uns bisher nur in der schönen Faschingszeit erfreuen durften.“
1851, als Leutze in seinem Atelier hier am Graf-Adolf-Platz sein Monumentalwerk schuf, hatte die Geschichte auch jenseits des Atlantiks bereits wieder den Rückwärtsgang eingelegt. In den 50er Jahren beabsichtigten viele Siedler und Unternehmer in die Territorien westlich von Missouri zu expandieren. Der Kongress gab 1854 grünes Licht, in den sich neu gründenden Staaten auch im Norden wieder die Sklaverei einzuführen ...
Thomas Giese