„Man blicke also stets aus dem Engen ins Weite, von dem Starren auf das Bewegliche, von der Einheit in die Vielheit. Kein Exerzierplatz soll das soziale Leben sein, sondern eine bunte, blumenreiche Wiese. Nicht: dieser Idee gehört die Zukunft, sondern: die Zukunft gehört allen Ideen, die einen Wert haben! Lernen wir kritisch, skeptisch und tolerant zu sein und seien wir nie gläubig, engherzig und fanatisch.“
Max Nettlau, 1927

Zehn Jahre Lama-Musik e.V.

Eigentlich sollte hier ein ganz anderer Text stehen. Ich hatte vor, hier schöne Worte über den von mir mitgegründeten Verein Lama-Musik zu verlieren und vor allem Werbung für unsere Veranstaltungen zu machen. Die Konzerte mit Konrad Kraft, Laura Hoo, Esther Quade, Thilo Schölpen, Limpe Fuchs, Peter Strickmann, Matti Rouse und Mithu M. Sanyal sind nun alle abgesagt, aber die Ausstellung vielfalt/zehnplusx wird ab dem 17. April in der Buchhandlung BiBaBuZe hängen.

Sobald die Buchhandlung wieder offiziell die Türen öffnen darf, sollte die Ausstellung bitte von Euch besucht werden. Bis Ende Mai habt ihr dann die Chance Fotografien, Bildhauerei und Malerei von Rüdiger Tschibbi Wich, Teresa Garcia Alonso, Nils Trash, Daniela Buchholz, Sebastian „Bartotainment“ Kalitzki, Nele Waldert, Christian Janusch, Axel Brandt, Jakob und Claudia Berg, Renate Westermann, Detlef Funder, Wiebke Brunzema, Lukas van Bentum und Richard „ar/gee“ Gleim zu sehen. Es wirkt beinah surreal, wenn man vom jetzigen Zeitpunkt aus nicht einmal sagen kann, ob dies realistisch ist oder nicht.

Im VEB (Volkseigener Betrieb Politik, Kunst & Unterhaltung) in Siegen hatten wir schon 2009 die Möglichkeit Konzerte zu veranstalten, da gab es Lama-Musik noch gar nicht als Verein. Es waren die alten Kontakte zu Joe Mertens und die neuen Kontakte zu Verena Stamm, die diese schöne Reihe „Akustik Highlights“ damals entstehen ließen.

Folk, Liedermacher, Indie und Pop an einem Ort, der für Punk- und Hardcore-Konzerte bekannt ist – funktioniert das?

Ganz hervorragend sogar! Ich erinnere mich gerne noch an die zwei jungen Punks, die ganz beseelt waren vom Americana-Folk, den KC McKanzie damals spielten. Oder an VEB-Erstbesucher*innen, die mir sagten, sie hätten ja nie gedacht jemals einen Fuß in dieses Haus zu setzen – und die nachher so froh waren, es endlich getan zu haben! Ich möchte das gar nicht zu sehr überhöhen, aber es verändert sich einiges an der Graswurzel, wenn Menschen offen an etwas herangehen. Und man kann dann auch einfach ausgelassen feiern, wie etwa bei Sven Panne, Julia A. Noack oder The Great Park. Danke für diese schöne Zeit und herzlichen Glückwunsch zu 40 Jahren VEB Politik, Kunst und Unterhaltung! (Der VEB hat ebenfalls schon alle Feierlichkeiten zu seinem Jubiläum abgesagt.)

„Unsere Weisheit besteht darin, andere anzuregen, für sich selbst zu handeln, nicht aber sie in einem Zustand andauernder Unmündigkeit zu halten.“ Diese Worte William Godwins, einem der Gründer der anarchistischen Theorie, aus dem Jahre 1793, sind sicher mit dem Blick auf uns extrem dick aufgetragen und wir sind ganz bestimmt nicht weise. Aber in dem Zitat steckt auch die schlichte und weitreichende Idee von DIY-Kultur: Mir reicht nicht das, was mir fertig konfektioniert vorgesetzt wird, also denke ich darüber nach, auch mit anderen, und dann machen wir uns daran etwas Eigenes aufzubauen. Dieses Eigene beinhaltet für mich persönlich ganz viele Begegnungen mit tollen Menschen, von denen ich heute einige als Freund*innen bezeichnen darf. Es beinhaltet das Kennenlernen neuer Musik, neuer Kunst und das Ausprobieren neuer Formate.

Nun also: Unser Verein „Lama-Musik – Verein zur Förderung musikalischer Vielfalt e.V.“ wird im April 2020 zehn Jahre alt. Wir sind komplett unabhängig, netzwerken uns durch die Düsseldorfer Subkultur und finden immer wieder Kooperationspartner, mit denen wir uns neuen Konzert- und Kunstprojekten widmen können. Über die Jahre haben wir das Spektrum der Musikgenres unserer Konzerte deutlich erweitert. Angefangen mit Folk, Liedermacher, Singer-Songwriter und Pop ging es weiter mit Punk, Elektro, Klangcollage und Klassik. Neben den Konzerten haben wir auch immer mal wieder eine Lesung veranstaltet, ein paar Filme gezeigt oder Ausstellungen organisiert. Ebenfalls sind durch unser Zutun einige Tonträger erschienen. Tapes, CDs und Vinyl – auch da gilt immer das Prinzip der Vielfalt.

Unsere Vorstellung von Vielfalt schließt aber auch einiges aus. Schon in unserer Satzung steht, dass es keine rassistischen, nationalistischen, sexistischen oder homophoben Inhalte bei und mit uns geben wird. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber manchmal muss es halt einfach ausgesprochen werden.

Zehn Jahre Lama-Musik e.V. heißt auch: zehn Jahre Konzerte, Lesungen und Ausstellungen ohne festen Spielort. Wir müssen also immer Überzeugungsarbeit leisten und die Mitstreiter*innen für unsere Ideen begeistern. Im Fall der Buchhandlung BiBaBuZe war es sogar andersherum. Hans Schmitz von der BiBaBuZe war zu Gast bei dem Konzert von Binoculers/Honig/The Great Park im Petit Papillon in Derendorf und fragte mich nach dem Konzert: „Wollen wir nicht auch mal was bei uns machen?“

Daraus wurde eine intensive Zusammenarbeit mit großartigen Konzerterlebnissen in unserem inoffiziellen Headquarter: Colin Wilkie, Erica Freas, Klaus Weiland, Wizz Jones, Zen Mob, Ben Bertrand, Jean D.L., Analog Ruins, Cocktailbar Stammheim - um nur einen kleinen Eindruck zu geben. Einige dieser Abende sind nur durch den ideenreichen Menschenfreund Rikk Raccoone entstanden und wir durften uns dranhängen. Mein kleines Loblied auf ihn war auch schon in der Terz zu lesen (10.2019)!

Bei keinem der mittlerweile 20 Spielorte kann man von einer geschäftlichen Beziehung sprechen. Unsere Mitveranstalter*innen sind eben Mitstreiter*innen und wollen sich mit uns auf diese Abende einlassen und den Künstler*innen wie dem Publikum etwas Schönes bieten.

Ich nenne jetzt einfach mal alle Orte. Bei den meisten waren wir Veranstalter, bei anderen Kooperationspartner, bei einigen auch nur Vermittler. Wir waren aber an jedem Abend als Künstler*innen-Betreuer vor Ort: VEB (Siegen), FFT (Düsseldorf), Cantina Publica (Bremen), damenundherren (Düsseldorf), Petit Papillon (Düsseldorf), Sportheim Fortuna Freudenberg, Sprachtherapeutische Praxis Juchems/Berg (Düsseldorf), Sissikingkong (Dortmund), Parzelle 90 (Bremen), BiBaBuZe (Düsseldorf), Liberfrank (Düsseldorf), Rathaus (Freudenberg), Lama-Garten (Düsseldorf), Kunstschule Werksetzen (Düsseldorf), Butze (Düsseldorf), Brause (Düsseldorf), Hitsville (Düsseldorf), Atelier Nele Waldert (Düsseldorf), Weltkunstzimmer (Düsseldorf), Karton (Bremen), Super7000 (Düsseldorf)

Wer uns und unsere Arbeit unterstützen möchte und sich gleichzeitig eine Freude bereiten will, kann dies mit unserem „Wunderbeutel“ tun. Nils Trash hat anlässlich unseres Geburtstages unseren ersten (Fairtrade-)Leinenbeutel gestaltet. Die Siebdruckbeutel werden als „Wunderbeutel“ verkauft. Jeder Wunderbeutel wird mit Tonträgern und Lesestoff gefüllt sein. Das Material stammt aus unserem Lama-Fundus und weitere Stücke wurden von befreundeten Labels und Verlagen zur Verfügung gestellt (Ana Ott, Graswurzelrevolution, Trust-Fanzine, Raccoone Records, Ox-Fanzine, Aufabwegen, Kochen ohne Knochen, Stencil Trash Records, Cut Surface und Licht-ung). Die Beutel gibt es in „Light“ für 10 Euro und in „Fett“ für 15 Euro. Bestellungen nehme wir gerne entgegen: info[at]lama-musik[dot]de

Vielen Dank an alle Künstler*innen, die in den vergangenen zehn Jahren für uns aufgetreten sind. Vielen Dank an alle Mitveranstalter*innen, Besucher*innen, Helfer*innen, medialen Unterstützer*innen und selbstverständlich vielen Dank allen Mitgliedern von Lama-Musik e.V.

Bleibt gesund und seid bitte nett zueinander. Liebe Grüße,

die Lamas


Von Labelsuchern und Menschenfindern

Dieser fragmentarische Rückblick auf zehn Jahre Lama-Musik e.V. gibt Euch einen kleinen persönlichen Einblick in die Welt der DIY-Labels.

Im Herbst 2013 bin ich an die Freund*innen vom damenundherren mit einer Veranstaltungsidee herangetreten, die sich rund um DIY-Kleinstlabels drehen sollte. Mir schwebte eine Ausstellung bzw. Labelmesse vor, die die Macher*innen hinter den vielen Klein- und Kleinstlabels sichtbar werden lässt. Die Menschen, die in Eigenregie die Tonträger rausbringen, die sie möchten. Das tun sie oftmals sehr aufwendig und mit vielen Extras: Siebdruck, Risographie, Linoldruck, farbiges Vinyl, handnummeriert in Auflagen zwischen 50 und 300 Stück.

Zu der Labelschau sollte es noch eine Filmvorführung mit Diskussion und ein oder zwei Konzerte geben. Die Idee wurde vom damenundherren begeistert (ich übertreibe wirklich nicht) aufgenommen. Ich holte daraufhin Hauke Schmidt (Franticworld) mit ins Boot und für ihn war die Sache direkt klar: Wir machen eine ganze Woche daraus! Mit wenigen Worten gesagt: So entstand die Micro Pop Week.

Jetzt ging die Suche nach den Labels los. Einige kannte ich schon, andere wurden mir empfohlen. Ralf von Hitsville erzählte mir von einem ganz jungen Menschen, der so bekloppt ist, die Motive auf dem Cover teilweise von Hand mit dem Skalpell herauszuschneiden. Großartig!

Ich habe dann diesen Nils Trash angeschrieben und es ist eine Freundschaft und Zusammenarbeit entstanden, die bis heute hält. Wir Lamas durften Nils auch bei vier Veröffentlichungen unterstützen, darunter die wundervolle „Strophen“ von Asmus Tietchens und ganz frisch die Debüt-LP von den City Boys. Lofi-Space-Country-Garage - sehr zu empfehlen!

Ein riesiger Input-Schwung kam dann von Haukes Seite, der seinen Freund Eike Klien, Betreiber von dasklienicum.blogspot.com, ansprach und nach seinen Lieblingslabels fragte. Eike schickte mir eine Liste, die meinen Musikkosmos ziemlich durcheinandergewirbelt hat und mich bis heute beschäftigt. Darauf befand sich Totally Wired Records aus Wien, die uns für die erste Labelmesse „Brandnester“ Platten zusendeten, aber bei der zweiten Auflage selbst vor Ort waren. Diese fand 2015 im Forum Freies Theater (FFT) statt und die Macherinnen von Totally Wired, Kate Kristal und Ana Threat, traten als „Kristy and the Kraks“ beim Abschlusskonzert selbst auf. Mir fehlen die Superlative! Zum Reinhören: https://youtube.com/watch?v=5qwdSIEjnTw

Im FFT gab es auch einen Stand des Mülheimer Labels Ana Ott (auch von Eikes Liste). Diese Menschen haben mich mit ihren Platten und Kassetten von Vomit Heat, Léonore Boulanger, Transport, Peter Strickmann und Limpe Fuchs immer wieder begeistert und manchmal einfach sprachlos gemacht. Nachdem ich vor einigen Jahren auf dem Shiny Toys Festival (von Ana Ott kuratiert) zum ersten Mal Limpe Fuchs live erleben durfte, wurde der Wunsch geboren, auch einmal diese große Künstlerin zu veranstalten. Am 2. Mai 2020 hätte dies nun endlich passieren sollen.

Erwähnen muss ich auch noch den SicSic-Labelabend 2016 mit Daniel Voigt, Flamingo Creatures und Tobias Schmitt. Dieser heiße und laute Abend hinterließ bei den Besucher*innen glückliche und fragende Gesichter. Denkwürdig – und ebenso ein Eike-Tipp.

Abgesehen von besagter Liste war ich noch auf der Suche nach DIY-Punk-Labels. Im AK47 hatte ich mich mit Maz von Spastic Fantastic Records verabredet und lernte am Plattenstand neben ihm Rikk von Raccoone Records kennen. Zwischen Rikk und mir ist seitdem eine ähnliche Freundschaft entstanden wie mit Nils. Wir haben einige Veranstaltungen in der BiBaBuZe gemeinsam durchgeführt und auch eine Ausstellung über das AK47 zusammengestellt. Mein kleines Loblied auf Rikk könnt ihr auch in der letzten Oktoberausgabe der TERZ (10.2019) nachlesen.

Till Kniola und sein Label Aufabwegen habe ich bei einem Konzert von Asmus Tietchens in der Filmwerkstatt kennengelernt. Ich konnte ihn danach überreden einen Stand auf der Micro Pop Week 2017 (meiner letzten) zu machen. Wir haben uns ein paarmal bei Konzerten getroffen und 2018 hielt Till für uns einen ersten Vortrag zum Thema Geräuschmusik im Atelier der Bildhauerin Nele Waldert. Anlass war das Tape-Releasekonzert von Stefan Yürke. Den zweiten Vortrag „Fieldrecordings“ gab es dann 2019 in Kombination mit einem Konzert von Miki Yui.

Die Entdeckungstour wird auch nach diesen intensiven Jahren weitergehen, aber vielleicht doch etwas langsamer. Letzten Januar waren Nils und ich in Köln, um uns dort mit Till zu treffen. Wir waren indisch essen und anschließend noch ein Bier trinken. Wir haben über Musik gesprochen – über alles andere aber auch!

Markus