Die Heinsberg-Studie

Laschets williger Virologe

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet kann es nicht schnell genug gehen mit der Rückkehr zum ökonomischen Normalzustand. Darum wollte er sich seine Öffnungspolitik wissenschaftlich beglaubigen lassen.

Der Druck interessierter Kreise, die Corona-Auflagen zu lockern, um wieder „business as usual“ betreiben zu können, wächst. Nicht selten bricht sich dabei unverhohlen Sozialdarwinismus Bahn. „Wir wählen den wirtschaftlichen Suizid, um zu verhindern, dass einzelne betagte Menschen das Zeitliche einige Jahre früher segnen, als es unter normalen Umständen zu erwarten gewesen wäre“, meinte etwa der schweizer Jurist und Unternehmer Georges Bindschedler. Dabei ist die Fraktion der Drängler*innen parteiübergreifend. In Nordrhein-Westfalen gehören ihr etwa Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel und Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) an.

Und Laschet ging die ganze Sache systematisch an und organisierte sich wissenschaftlichen Beistand für seine Öffnungspolitik. Er heuerte den Bonner Virologen Hendrik Streeck an, der sich im Auftrag der Landesregierung auf nach Heinsberg machte, dem Epizentrum der Pandemie in NRW. „Der Kreis Heinsberg kann uns als Forschungsbeispiel und Modell-Region dienen, wissenschaftlich fundiert herauszufinden, welche Maßnahmen sinnvoll sind, um die Bürgerinnen und Bürger optimal zu schützen und gleichzeitig zu ergründen, welche der ergriffenen Maßnahmen und tiefen Einschnitte in das Leben der Bürger weiterhin virologisch und epidemologisch sinnvoll sind – und welche nicht“, so der Christdemokrat.

Zur Sicherheit bekam Streeck auch noch medialen Geleitschutz durch Public-Relations-Expert*innen. Er selber sei mit den ständigen Presse-Anfragen überfordert, so der Mediziner zur Begründung. Den Job übernahm die PR-Agentur „Storymachine“ des ehemaligen „Bild“-Chefs Kai Dieckmann. Aber die Öffentlichkeitsarbeiter*innen liefen dem Virologen in Heinsberg nicht nur hinterher, sie gingen ihm auch voraus. Storymachine produzierte nämlich schon einmal ein Happy End. „Wissenschaft und Fakten geben uns die Hoffnung und die Möglichkeit, wieder als Gesellschaft zu funktionieren“, so sollte die „prinzipielle Erzählung“ lauten. Und als Zielvorgabe formulierte das 22 Seiten umfassende Konzept-Papier, das der Zeitschrift „Capital“ vorlag, die „Situation so schnell wie möglich wieder zu normalisieren“.

Dafür erstellten die Storymaschinist*innen einen genau getakteten Zeitplan. Einem Termin kam dabei eine besondere Bedeutung zu: dem für die Vorstellung des Zwischenberichtes. Die Präsentation fand just ein paar Tage vor der Telefon-Konferenz von Angela Merkel mit den Ministerpräsident*innen zu möglichen Lockerungsmaßnahmen statt, um Armin Laschet die nötigen Argumente an die Hand geben zu können.

Streeck lieferte dann auch die passenden Ergebnisse. „Weil die Menschen so ‚aktiv und diszipliniert’ mitmachten, sei es jetzt möglich, in eine ‚Phase zwei’ einzutreten: einer Rücknahme von Auflagen bei Sicherung der Hygiene-Maßnahmen“, so gab der „Tagesspiegel“ die Worte des Wissenschaftlers wieder. Deutschlands Ober-Virologe Christian Drosten vermochte aus den dürren zwei Seiten, die Streeck vorlegte, jedoch gar nichts abzuleiten, weil er in dem Manuskript keine Daten fand.

Der Virologe, der einräumte, den Zwischenbericht „mit heißer Nadel gestrickt“ zu haben, versorgte seinen Kollegen inzwischen mit ein paar mehr Informationen. Diese deuten für Drosten auch darauf hin, „dass die Studie an sich seriös ist und gut werden könnte“. An der „embedded science“ von Streeck übt der Forscher von der Berliner Charité in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ trotzdem scharfe Kritik: „Hendrik Streeck sagt, er gehe da vollkommen ergebnisoffen ran. Aber wenn das stimmt mit dem internen Papier der PR-Agentur, dann war das überhaupt nicht ergebnisoffen. Sondern eine von vornherein geplante Botschaft, die man sich kaufen konnte.“

Die Landes-SPD hat zur Heinsberg-Studie unlängst eine „Kleine Anfrage“ gestellt, und auch der „Deutsche Rat für Public Relations“ leitete ein Prüfverfahren ein. Laschet aber sieht keinen Rede-Bedarf; „zu kleinteilig“ erscheint es ihm, über die Causa eine Diskussion zu führen. Die Kritik an der konzertierten Aktion von Wissenschaft, PR und Politik bezeichnete er schlicht als „an den Haaren herbeigezogen“.

Jan