Krawall und Remmidemmi, nur jünger ... und zusammen

Mit Kindern leben? Kinder haben? Und dabei doch linksradikal bleiben? Geht das überhaupt?

Diesem unübersichtlichen Terrain widmen sich in 33 Beiträgen die Autor*innen von „Links leben mit Kindern“, einem druckfrischen Sammelband, der aus einem Blog heraus entstandenen ist und mit seinen knapp 280 Seiten im März 2020 das Licht der Welt erblickt hat.

Verfasst wurden die Texte größtenteils von leiblichen und sozialen Eltern, viele von ihnen leben in Wohn- und Hausprojekten, die Kinder sind eher bis zu zehn Jahren alt. Berichte von Menschen, die älter sind, oder Eindrücke oder Perspektiven von „Eltern“ mit „größeren“ Kindern finden sich nicht. Es schreiben aber auch Menschen, die selbst keine Kinder haben, aber mit Kindern wohnen oder wohnten. Und andere, die wiederum lange kinderlos waren.

Es sind sehr persönliche Geschichten, die dichte Beschreibungen erlauben. Voller subjektiver Eindrücke und offen ausgesprochen. Dabei sind ihre Autor*innen wohl auch der Idee verbunden, unaufgeregte, nahe und mitunter erstaunlich klare Einblicke zu geben auf Lebenskonstellationen, in denen „Kind(er)“ und „Politik“, Privates und Politisches zusammen gedacht werden möchten. Dabei sind viele der Beiträge sehr dicht am Alltagspraktischen, am Selbsterfahren-Beispielhaften dran, ohne jedoch beliebig zu sein. Durchaus positiv ist, dass den Texten hier und da ein wenig anzumerken ist, welche Entstehungsgeschichte sie ihrer Form nach haben und dass sie im Kontext eines Online-Blogs entstanden oder geplant worden sind, für Lesemomente im fluideren, kurzweiligen aber darum nicht weniger ernsthaften Format digitalen Schreibens und Lesens. Auch die wenigen, eher analytischen Texte sind sehr lesenswert, sind sie doch aus dem (eigenen) Leben und dessen Interpretation heraus geschrieben, beleuchten Ideal(isiert)es, Versuche, Wünsche und Aushandlungsprozesse: zu einem eigenen individuellen oder kollektiven Politikverständnis und zu den Ideen von „privatem“ Glück in einem politischen Leben, zusammen mit anderen. Dabei blicken die Autor*innen auf die bzw. ihre Lebenszusammenhänge von derzeit 30- bis 40-Jährigen.

Ihre Bilanz allerdings auf ein „Link[e]s Leben mit Kindern“ ist freilich eher durchwachsen. Viele beschreiben sich als an ihren Ansprüchen Gescheiterte, schildern, wie wenig sie getroffene Verabredungen und Absichten mitunter einhalten (konnten). Aus vielen Abschnitten spricht nicht zuletzt mitunter sehr deutlich: Überforderung. Auf höchst unterschiedlichste Weise und vor dem Hintergrund sehr diverser Herausforderungen. In der in der Szene gängigen Kritik an „Familie“ und „Kleinfamilie“ sind sich am Ende aber nahezu alle einig. Jedoch: Was sind die lebbaren Alternativen? Basiert das Leben in der Szene auf Selbstbestimmung und Flexibilität, braucht ein Baby sehr lange das Gegenteil davon: Rund um die Uhr Anwesenheit. Kleinere Kinder brauchen Präsenz und Raum zu ihren Bedingungen.

Auch die Nomenklatur von alternativen Lebens- und Politikkonzepten, entlehnt aus einem fraglichen Modell von „Familie“, steht in „Links leben mit Kindern“ auf dem Prüfstand. Viele der Autor*innen stellen etwa fest, dass „engagierter Vater“ in linken Kreisen ein positiv besetzter Begriff ist, „engagierte Mutter“ ein eher negativer. Warum wird nicht zuletzt bei allem, wo es um „Care“ und Sorge im Zusammenleben geht, eine technische Sprache verwendet („Reproduktionsarbeit“, „Heteronormativität“, „Bezugsperson“, „Betreuungsmodelle“, usw.), wo es doch vorrangig um Emotionen und berechtigte Bedürfnisse wie Sicherheit, Hilfsbereitschaft, Wohlfühlen und Trost gehen sollte und geht? Nach dem Scheitern ist die bittere Realität für Viele dann eben nicht die vieldiskutierte Care-Community, sondern die Situation als „Alleinerziehende plus“. So ist die (Rückkehr zur) Kleinfamilie mit einem oder auch zwei Erwachsenen nur die Kehrseite der linken Bindungslosigkeit.

Erschwerend kommt hinzu, dass es für so Manches was hier engagiert und zu recht probiert wird, (bisher) keinen passenden Namen gibt, und erst recht keinen gesetzlichen Rahmen. So ist z.B. das Sorgerecht derzeit nur durch maximal zwei Personen möglich. Dieser problematische Kontext staatlich geformter und bis auf weiteres durchgesetzter Vorstellungen von „Familie“ findet in verschiedenen Beiträgen Platz. Weitere Zwänge, die sich aus der Ökonomie und Lohnarbeit ergeben, kommen im Buch indes kaum vor. Das ist erstaunlich, denn dieser Bereich, ist neben der „Reproduktion“ derjenige, der die meisten Freiheitsverluste und andere Herausforderungen mit sich bringt. Trotz dieser Lücke im Blick auf ein wichtiges Bedingungsfeld, das massiven Einfluss auf Handlungsmöglichkeiten hat, ist die Publikation ein wichtiger Beitrag zu einem in der radikalen Linken zu wenig kollektiv und öffentlich debattierten Thema – das doch gleichwohl das „private“ Leben bis in die letzten Poren bestimmt.

Bernd Hüttner

Almut Birken / Nicola Eschen (Hrsg.):
Links leben mit Kindern. Care Revolution zwischen Anspruch und Wirklichkeit
unrast Verlag, Münster 2020, 280 Seiten, 16 EUR.
Blog: https://linkslebenmitkindern.org