TERZ 05.20 – NOISE OF ART
Auf der homepage der Kunstsammlung NRW heißt es zu Picasso:
„Der Inbegriff des unabhängigen Genies, das immer wieder neue Wege in der Kunst beschritt. Ein Verfechter der Freiheit. Ein Pazifist, der 1949 die berühmte Friedenstaube entwarf.“
Anders als es uns heute suggeriert wird, fand Picasso nie durchgängig Applaus. Weder in Ost noch in West. 1951 gestaltete er das Cover eines von Kommunisten in Nizza herausgegebenen Lokalblatts. Titel der Lithographie: „Le Carnaval vu par Picasso.“ Die Ausgabe wurde ohne Aufpreis verkauft. Denn „die Arbeiterklasse sollte Zugang zu Kunst und Kultur haben“, erinnert sich die Tochter des Herausgebers. Nicht nur den bürgerlichen, auch den kommunistischen Medien war es keine Zeile wert. Picassos Stil widersprach allzu sehr den Dogmen des sozialistischen Realismus. „Picasso auf der Anklagebank“ hieß 1952 eine Schlagzeile in DIE ZEIT. Zeuge der Anklage: Salvador Dali. „Pablo Picasso und die kommunistische Partei müssen sich trennen“, meinte der. Dali war ein glühender Bewunderer Adolf Hitlers, und als Francisco Franco kurz vor seinem Tod fünf Regimegegner hinrichten ließ, kommentierte er dies mit: „Man müsste noch mehr Leute exekutieren.“
Picasso war von anderem Holz. „Ich habe die Kunst niemals als eine Kunst der simplen Verzierung, der Zerstreuung betrachtet. Ich habe durch die Zeichnung und die Farbe, da dies meine Waffen sind, immer mehr das Bewusstsein der Welt und der Menschen durchdringen wollen. Ja, ich habe das Selbstbewusstsein, immer mit meiner Malerei als wahrhafter Revolutionär gekämpft zu haben.“
Mit diesen Sätzen endet „Guernica – Pablo Picasso und die Politik“, eine NDR/SWR-Produktion von 1981. Diese wie auch die Doku „Kunst als politische Waffe“ (Laurence Thiriat; Doku F 2013), beide im Netz verfügbar, empfehle ich als Vorbereitung auf einen Ausstellungsbesuch.
Die aktuelle Ausstellung im K20 – alle Werke sind chronologisch geordnet – endet mit Fotos, welche begeisterte GI‘s in Picassos Pariser Atelier zeigen. Die Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei findet zwar Erwähnung, doch steht sie außerhalb der eigentlichen Zeitschiene: Erst im Oktober 1944, wenige Wochen nach der Befreiung von Paris, war Picasso ihr beigetreten. Während der Besatzung gingen in seinem Atelier aber bereits in der Résistance Aktive ein und aus. „Mein Eintritt in die Kommunistische Partei ist die logische Folge meines Lebens und meiner Kunst.“ Im Grunde habe er schon immer zu ihr gehört. „Ich bin Kommunist und meine Malerei ist kommunistische Malerei.“
Die Werke aus der Kriegszeit sind durchweg datiert, weil es, so Picasso gegenüber dem Fotografen Brassaï, „nicht genügt, die Arbeiten eines Künstlers zu kennen, man muss auch wissen, wie und unter welchen Bedingungen er sie schuf.“ Folglich müssen wir auch seinen Beitritt zur KPF (Kommunistische Partei Frankreichs bzw. Parti communiste français) im Zeithorizont sehen. Der Kapitalismus war rundum gescheitert. „Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen“, heißt es z.B. im Ahlener Programm, beschlossen am 3. Februar 1947 vom Zonenausschuss der CDU für die britische Zone. Inhalt und Ziel einer sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung könne „nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben“ sein. Denn: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.“ Während die CDU bekanntlich bald wieder mit dem Kapital auf Kuschelkurs ging, blieb Picasso seiner Haltung treu. Sein Parteibuch hat er nie zurückgegeben.
Mit der „Diktatur des Proletariats“ ging er allerdings nie konform, unterstreicht der Kunstwissenschaftler Philippe Dagen. Mit der Parteiführung legte er sich oft an, es sei aber der „Geist des Widerstands“, die Idee der Solidarität gewesen, die Picasso anzog. Denn in den ersten Jahren in Paris habe er selbst erfahren, was Armut heißt. Eine nicht geringe Rolle wird auch gespielt haben, dass nach '45 neben den Gaullisten die KPF die einzige ernstzunehmende politische Kraft in Frankreich war. Und De Gaulle war ein no go: Als französischer Staatspräsident ließ er sich von Franco durch den Prado führen.
Wer im K20 einen Wald roter Fäuste erwartet, wird schwer enttäuscht sein. „Kriegssujets“ sind ebenfalls nicht zu finden. Keine Bomben. Keine Granatsplitter. Keine Hausruinen. Picasso malt, was er immer malt: Stillleben, Porträts, Akte. Das war schon bei „Guernica“ so. Von der spanischen Regierung beauftragt, hatte er eine Wand des spanischen Pavillons auf der Pariser Weltausstellung bemalt. Ganz in Schwarzweiß, analog zu den Fotos, welche die Weltpresse über die Stadt, die von einem deutschen Bombengeschwader in Schutt und Asche gelegt worden war, verbreitete. Es sei „eine Welt voller Verzweiflung, in der der Tod allgegenwärtig ist“, schrieb Christian Zervos 1937 in Cahiers d‘Art, alles darin sei „Verbrechen, Chaos und Verwüstung; Katastrophen gewaltiger als Gewitter, Flut und Hurrikan, denn alles dort ist feindselig, unkontrollierbar, entzieht sich unserem Verständnis.“ Auf dem Bild sind Gesichter voller Entsetzen, wie von grellem Bombenblitz erleuchtet, zu sehen, eine Mutter, im Arm ihr totes Kind. Das sich aufbäumende Pferd, die Lampe, der tumb dreinblickende Stier. Nur die elektrische Küchenlampe, die wie ein Auge über allem wacht, ist aus dem 20. Jahrhundert. Terracottadachschindeln und die Terracottafliesen gab es schon zur Römerzeit. Die Petroleumlampe und das elektrische Licht weggedacht, könnte das Ganze auch eine Schreckensszene aus dem 30jährigen Krieg sein. Da das Bild die Weltöffentlichkeit fast zeitgleich mit den Fotos von dem Angriff erreichte, hat sich das Bild als „Guernica“ ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingebrannt.
Picasso war im Oktober 1940 – wenige Wochen nach dem Einmarsch der Wehrmacht – nach Paris zurückgekehrt, der Stadt, in der er seit 1904 kontinuierlich lebte. Die Stillleben, Porträts, Akte scheinen, als wolle er auf diese Weise erkennen, was sich in seinem Innern verändert hat. Tatsächlich sehen uns diese Bilder mit anderen Augen an. 1937 war der von francistischen, deutschen und italienischen Faschisten gegen die spanische Republik entfesselte Krieg noch weit weg. Im gleichen Jahr konnte Picasso noch ein Gemälde wie „Frau vor dem Spiegel“ malen, ein Bild, das Ruhe und Erotik ausstrahlt, ein Sonntagnachmittag in Paris, blauer Himmel, eine offene Balkontür, Licht flutet in den Raum. Ein Abstecher in die oberen Etagen des K20, in der das Bild in der ständigen Sammlung hängt, lohnt. Welch ein Kontrast zu den ab 1939 entstandenen Bildern! Der picassotypische Kubismus ist auch da der gleiche. Doch nach 1939 strahlen die abstrakten Formen keine Harmonie mehr aus, nun scheint das Menschenbild selbst zu zerfallen. Das Modell liegt auf der Chaiselongue wie bei anderen Aktgemälden auch. Doch es ist so, als wollten alle Dargestellten nur noch mutwillig das Leben weiterführen, Alltag simulieren. Alles so wie immer. Und doch ist nichts wie zuvor. Beim Nachbarbild erinnerte mich das Gestell der Liege an einen Sarg. Bezeichnend ist, dass Dora Maar, die Muse Picassos, sich in den Deformierungen z.B. nicht wiedererkennen wollte. Richtig unheimlich sind gleich am Anfang die drei enthäuteten blutigen Schafsköpfe. Von September 1940 bis Januar 1941 malt Picasso nicht. Er verfasst ein Drama. „Überhaupt spielen Theatervorstellungen in jener Zeit als intellektuelle und emotionale Entlastung und Möglichkeit der Zusammenkunft eine wichtige Rolle“, heißt es dazu im Kurzführer.
Zu „Jeune garçon à la langouste“ (Junge mit Languste) heißt es im Kurzführer: „Gleich einer Trophäe, einem Zepter oder einer Waffe hält er eine Languste triumphierend in seiner Rechten.“ Ein Fragenkatalog folgt: „Ist die Languste Zeichen des Widerstandes gegen die Besatzer? Oder soll sie als sexuelle Anspielung verstanden werden?“ Fazit: „Womöglich können alle Deutungen nebeneinander bestehen.“ Können sie nicht. Eine Languste ist eine Languste. Punkt. In Barockkirchen mag ein Jesusknäblein auf dem Schoß der Heiligen Jungfrau thronen, mit dem Blick eines Weltenherrschers. Doch bei Picasso ist ein Kind ein Kind, selbst wenn es im Matrosenanzug neben einem Minotaurus steht. Und eine Languste ist keine Allegorie auf Widerstand in Kindeshand, sondern nicht mehr als ein im Meer lebendes Schalentier. Der peinlichste Fehler im Kurzführer ist jedoch Beleg mangelhafter deutscher Allgemeinbildung. Auf Seite zwölf wird „Guernica“ als „baskisches Dorf“ bezeichnet. Ist ein baskischer Kunstführer vorstellbar, in dem Freiburg oder Nürnberg als „deutsches Dorf“ bezeichnet werden? Auch bei dieser Ausstellung gilt, was stets gilt: Erst die Werke selbst auf sich wirken lassen, als zweites ein kurzer Blick in den Führer, ob sich darin noch Erhellendes für eine weitere Betrachtung findet.
Auf die Frage, was ihn nach der Niederschlagung des Ungarnaufstands und des Prager Frühlings noch in der KPF halte, habe Picasso mit dem immergleichen Satz reagiert: „Nun gut, aber das einzige, was zählt, ist doch, die Revolution zu retten.“ Dagegen, jedem Bild eine Allegorie auf politische Zustände zuzuschreiben, hat er sich stets gewehrt. „Revolution sah Picasso offensichtlich als etwas Allumfassendes. Ein Leben in der Revolte.“ Erstaunliche Worte für ein konservatives Blatt wie DIE WELT! Unter dem Titel „Wie politisch war der Kommunist Pablo Picasso?“ hatte Paul Jandl dort 2010 „Frieden und Freiheit“, eine von der Tate Liverpool 2010 gemeinsam mit der Wiener Albertina kuratierte Ausstellung, rezensiert. In der K20-Ausstellung, die unter der Schirmherrschaft von Armin Laschet steht, klingt alles ein wenig weichgespülter. Da diese in den ersten Maitagen noch geschlossen sein wird, hier noch einmal der Tipp auf die NDR/SWR- und Arte-Dokus. In „Guernica – Pablo Picasso und die Politik“ findet sich zwar jene unsägliche Gleichsetzung von Naziherrschaft und Stalinismus als „Diktaturen“, es werden aber auch zahlreiche kritische Fragen gestellt, z.B. ab wann eine Demokratie eine Demokratie ist? Die Doku ist in Form eines öffentlichen Prozesses inszeniert. Eingespielt wird die Original-Wochenschau von 1937, in der behauptet wird, Gernika – so der baskische Name der Stadt – sei von spanischen Bolschewisten vor ihrem Abzug selbst niedergebrannt worden. Karl von Knauer, Staffelkapitän der Legion Condor, kommt zu Wort (was freilich einigen Brechreiz verursacht). Ein Historiker wird zu den Fakten befragt. Gleich einem Geschworenengericht müssen wir als Publikum selbst ein Urteil fällen.
Die Doku „Kunst als politische Waffe“ legt den Schwerpunkt auf das Engagement des Künstlers. „Die harten Jahre der Unterdrückung haben mich gelehrt zu kämpfen. Nicht nur mit meiner Kunst, sondern auch als Mensch“, sagt Picasso. Er unterstützt nicht nur Kommunist*innen an der Basis, er wirft immer wieder auch sein Renommee als öffentliche Person in die Waagschale. Als Geflüchtete aus Spanien in Toulouse unter unmenschlichen Bedingungen untergebracht werden, organisieren geflüchtete spanische Ärzt*innen in einem alten Schloss vor Ort ein Krankenhaus. In den USA gründet sich zur Unterstützung des Projekts das Joint Anti-Fascist Refugee Comitee, Picasso übernimmt den Ehrenvorsitz, zweiter Vorsitzender ist Albert Einstein. Zu den Mitgliedern des Komitees zählen u.a. Rita Hayworth, Leonard Bernstein, Pierre Monteux, Yehudi Menuhin, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Thomas Mann und dessen Familie. Unter dem Vorwurf, das Lager sei ein „refugio de agentes soviéticos” lässt die französische Regierung 1950 unter dem Decknamen „Operación Bolero-Paprika“ fünfzig Personen, unter ihnen alle Ärzt*innen des Hospitals, festnehmen und abschieben. Französische Kolleg*innen, die meisten Kommunist*innen, führen ihre Arbeit weiter „und erhalten den Geist des Krankenhauses bis heute, im Namen eines gerechteren medizinischen Systems für alle“, heißt es in dem Arte-Film.
Thomas Giese
Coronabedingt wird die Ausstellung im K20 noch nicht zum 2. Mai wieder öffnen.
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