Reeser-Platz-Umgestaltung verzögert sich

Neues Spiel, neues Glück

Aus dem Wettbewerb um die Umgestaltung des Reeser Platzes mit seinem unsäglichen Kriegerdenkmal ging der Entwurf des „Ultrastudios“ als Sieger hervor. Die Stadt will ihn jedoch nicht realisieren.

Fährt mensch am Rhein entlang von der Innenstadt Richtung Messe, kommt man am Reeser Platz vorbei. Hier steht seit 1939 ein Denkmal, das von den Nazis für die im Ersten Weltkrieg getöteten oder verschollenen Soldaten des Niederrheinischen Füsilier-Regiments Nr. 39 errichtet wurde. Mit seiner faschistischen Ästhetik ist der Klotz nur schwer zu ertragen: In der Mitte ist eine Art Gruft eingelassen, die mit einem Tor verschlossen ist, in dessen Mitte ein Eisernes Kreuz prangt. Unter der Inschrift „FUER DES DEUTSCHEN VOLKES EHRE UND FREIHEIT“ scheinen mehrere Reihen marschierender Soldaten dieser Gruft zu entsteigen, so als würden sie wieder auferstehen. Später wurden auf dem Denkmal, das ursprünglich an den Ersten Weltkrieg erinnerte, Namen von Städten hinzugefügt, die im Zweiten Weltkrieg erobert wurden. Vor dem Denkmal öffnet sich ein achsensymmetrisch gestalteter Aufmarschplatz, der die gradlinige, einschüchternde Ästhetik des Denkmals unterstreicht. Dieser Aufmarschplatz wurde in der Nachkriegszeit sowohl von der Bundeswehr, als auch von konservativen Kreisen und gelegentlich auch von Organisationen der extremen Rechten als Gedenkort und Kundgebungsplatz genutzt.

Neugestaltung

Um diesen Ort ist Golzheim wahrlich nicht zu beneiden. Schon seit 2015 setzt sich die Bezirksvertretung 1 dafür ein, dem Denkmal ein Gegendenkmal oder einen kritischen künstlerischen Kommentar hinzuzufügen, um seine kriegsverherrlichende Botschaft zu durchbrechen. Vor zwei Jahren wurde die Kunstkommission der Stadt Düsseldorf damit beauftragt, einen Wettbewerb zu organisieren, um den Platz, der das Denkmal umgibt, neu zu gestalten. Keine leichte Aufgabe, denn das Denkmal steht unter Denkmalschutz und darf deshalb nicht verändert werden. Aus 67 Entwürfen wählte die aus Mitgliedern der Kunstkommission, Vertreter*innen der Düsseldorfer Fachämter, der Mahn- und Gedenkstätte und Berater*innen aus der Golzheimer Bürger*innenschaft zusammengesetzte Jury zunächst 8 Entwürfe aus, die dann in einer zweiten Phase ausformuliert und als Modell gebaut wurden. Die Ergebnisse wurden in der ersten Juni-Hälfte im Düsseldorfer Stadtmuseum präsentiert.

Gewonnen hatte zunächst der Entwurf von „ULTRASTUDIO“ (Lars Breuer, Sebastian Freytag, Christian Heuchel, Guido Münch, Jürgen Wiener), Köln, mit „O&O Baukunst“, Köln, „osd office for structural design“ und „FSWLA Landschaftsarchitektur“, Düsseldorf. Ihr Beitrag sah vor, in der Parkanlage hinter dem Denkmal einen Hügel aufzuschütten, von dem aus eine 50 Meter lange Stahlbrücke in rund 6,5 Metern Höhe schräg von hinten über das Denkmal bis auf den Aufmarschplatz ragt. Ein Lichtband in Höhe des Geländers hätte die Verbindung des hinteren Parkteils mit dem Aufmarschplatz auch nachts sichtbar machen und das Areal beleuchten sollen. Der Titel der Arbeit („Those who have crossed“) ist einem Gedicht von T.S. Eliot aus dem Jahr 1925 entnommen, das das zerstörte und traumatisierte Europa nach dem Ersten Weltkrieg beschreibt. Ziel des Entwurfs war es, durch die Begehbarkeit der Brücke einen ,neuen Erfahrungsraum zu öffnen‘, das bestehende Denkmal zu ,konterkarieren‘, ,Revanchismus und Militarismus zu durchkreuzen‘ und neue Blickwinkel zu ermöglichen: „Erhöht erlebt der Besucher nicht nur einen neuen Blick nach unten auf einen Teil der Stadt und ihrer Geschichte, sondern der Besuch erlaubt einen befreienden Blick in die Gipfel der Bäume“, so die Urheber in ihrem Begleittext.

Nun kommt es allerdings anders: Am 16. Juni entschied der Rat der Stadt Düsseldorf, den Wettbewerb zur Umgestaltung des Reeser Platzes noch einmal neu zu starten. Eine kluge Entscheidung, denn der Siegerentwurf war in mancherlei Hinsicht ziemlich missglückt. Das sehen nicht nur wir so: Rennomierte Künstler*innen wie Günther Uecker, Gerhard Richter, Thomas Ruff, Katharina Sieverding, Klaus Staeck und andere waren derart irritiert, dass sie ihre Kritik im Vorfeld der Ratssitzung in einem Offenen Brief publik machten.

Missglückter Entwurf

Was also war an dem Entwurf missglückt, und welche Einreichungen bieten vielversprechende Ansätze zur Umgestaltung des Platzes? Wie so oft bei Entwürfen für Kunst im öffentlichen Raum merkt man dem Siegerentwurf an, dass er am Reißbrett entstanden ist. Die Urheber*innen haben durchaus einen professionellen Job gemacht; sie haben die bauliche Struktur des Reeser Platzes, der von dem Denkmal in zwei Teile zerschnitten wird, hervorragend erfasst, sie haben alles solide durchgerechnet, Genehmigungsfristen berücksichtigt und auf den Denkmalschutz geachtet. Und rein formal mag der Entwurf auch in sich stimmig sein: Durch die diagonale Brücke hätte die Achsensymmetrie des Platzes aufgebrochen, durch den Titel die Heroisierung des Soldatentods durch das Denkmal mit den realen Kriegsgräueln konfrontiert werden sollen. Man fragt sich nur: Bei wem kommt diese Intention wirklich an?

Kunst im öffentlichen Raum ist keine einfache Disziplin. Sie trifft auf ein völlig anderes Publikum als Kunst im geschützten Raum des Museums oder historische Exponate in einer Gedenkstätte. Kunst im öffentlichen Raum wird – wenn überhaupt – im Vorbeigehen wahrgenommen. Ihr Publikum ist zufällig und divers. Kunst im öffentlichen Raum wird eben nicht nur von Bildungsbürger*innen rezipiert, die z. B. T.S. Eliot lesen, den Titel erkennen, ihn in seinen Kontext einordnen und ihn dann als kritischen Kommentar zum Denkmal lesen können. Kunst im öffentlichen Raum wird auch nicht nur von Schulklassen betrachtet, deren begleitende Lehrkraft dabei helfen könnte, eine Diagonale als kritischen Kommentar zur rechtwinklig geprägten faschistischen Ästhetik zu interpretieren. Will man im öffentlichen Raum ein faschistisches Denkmal durch eine künstlerische Intervention kritisch kommentieren, ist es ziemlich ambitioniert, auf die formale Kraft einer Diagonalen zu setzen oder davon auszugehen, dass allein der Wechsel der (räumlichen) Perspektive den Betrachter*innen schon Erkenntnis bringt.

Wie gesagt: Die Aufgabe, der sich die beteiligten Künstler*innen und Architekt*innen gestellt haben, ist eine schwierige, und sich dieser Herausforderung zu stellen, verdient Respekt. Dennoch hat der Siegerentwurf mehrere Aspekte außer Acht gelassen, die gerade an diesem Ort hätten berücksichtigt werden müssen. Eine grundsätzliche Schwierigkeit besteht unter anderem in der Lage des Denkmals, denn zunächst müsste es überhaupt erstmal ein Publikum geben, das sich das Ganze anschaut. Das Parkgelände und der Spielplatz auf der Rückseite des Denkmals (zur Kaiserswerther Straße hin) werden zwar durchaus von Anwohner*innen genutzt; der Aufmarschplatz vor dem Denkmal aber ist völlig unbelebt und bietet aktuell keinerlei Aufenthaltsqualität. Das bedeutet: Dort ist einfach niemand.

Der viertplatzierte Entwurf „Kritische Masse. Neuer Reeser Platz“ von missing icons/Knobloch + Vorkoerper aus Hamburg hätte hierfür eine gute Lösung: Ihr Entwurf sieht vor, Park und Spielplatz an der Denkmalrückseite grundlegend umzugestalten und so dessen Aufenthaltsqualität zu verbessern. Um das Denkmal selbst soll eine Art hügelige Kraterlandschaft aus Asphalt aufgeschüttet werden, die zwar begehbar, aber unwegsam sein soll. Von der Parkseite her wäre diese Fläche als Spiel- und Kletterbereich erfahrbar; bei der Umrundung des Denkmals käme dann aber eine weitere, inhaltliche Ebene hinzu: Im Kontrast zu den heroisch inszenierten, marschierenden Soldaten könnte die Kraterlandschaft Assoziationen an ein Schlachtfeld wecken und daran erinnern, wie elendig mensch an der Front verreckt. Die Asphalthügel würden, vom Aufmarschplatz und der Straße aus betrachtet, das Denkmal stellenweise verdecken und damit seine gradlinige, einschüchternde Ästhetik durchbrechen. Auch wäre der Platz durch diese Intervention unbrauchbar für jede militaristische oder rechtsextremistische Aneignung, denn Aufmärsche und Kundgebungen wären auf diesem Untergrund nicht mehr möglich. Der Siegerentwurf hingegen hätte den Denkmalvorplatz nicht angetastet. Er wäre theoretisch weiterhin als Aufmarschplatz nutzbar gewesen, und es hätte sogar die Gefahr bestanden, dass die über das Denkmal ragende Brücke bei politischen Aktionen rechter Gruppen als Kanzel oder Bannerträger zweckentfremdet wird. Das ist weniger weit hergeholt, als es auf den ersten Blick scheinen mag: „Social Media „affine Gruppierungen wie z. B. die rechte Identitäre Bewegung sind inzwischen sehr geübt darin, sich Orte wie Brücken, Kirchtürme etc. kurzfristig anzueignen, ihre Botschaften zu platzieren, ein Foto zu schießen und das Ganze anschließend zu Propagandazwecken zu nutzen. Der Siegerentwurf hätte sich durchaus für Zwecke aneignen lassen, die seiner eigentlichen Intention widersprechen. Mit einem Bein im Asphalt-Schlachtfeld von missing icons kann man sich hingegen nur schwer heldenhaft in Szene setzen.

Infotafel reicht nicht

Ein weiteres, wichtiges Kriterium für eine gelungene Intervention am Reeser Platz ist die Vermittlung der historischen Bedeutung des Ortes. Der Klotz steht immerhin unter Denkmalschutz, und wenn man ein Nazidenkmal nicht abreißen darf, weil man ihm eine historische Bedeutung zuspricht, sollte sich der Öffentlichkeit schon irgendwie vermitteln, worin diese Bedeutung besteht. Anders als in einer Gedenkstätte, wo bei den Besucher*innen ein gewisses Maß an Interesse und Aufmerksamkeit vorausgesetzt werden kann, ist es hier mit einer Infotafel, die schnell übersehen wird, leider nicht getan. Der Entwurf von Milica Lopičić & Christian Sievert aus Köln, der bisher nur eine „Anerkennung“ bekam, liefert hier gute Impulse. Die Verfasser*innen schlagen vor, die „Gruft“ in der Mitte des Denkmals zu öffnen und so einen Durchgang zwischen Park und Aufmarschplatz zu schaffen. In diesem Durchgang sollen mehrsprachige Informationstafeln zu Bedeutung und historischem Kontext des Denkmals angebracht werden. Außerdem sollen in Zusammenarbeit mit der Mahn- und Gedenkstätte Textbeiträge von Historiker*innen integriert werden, die in Ländern forschen, die von Deutschland im Zweiten Weltkrieg angegriffen wurden. So würde die Erzählung von „Ehre und Freiheit“ durch die Integration anderer historischer Perspektiven durchbrochen. Auch würde bei diesem Entwurf die sakrale, mystifizierende Anmutung der „Gruft“ aufgehoben, es würde sichtbar: Das hier ist ein ganz profaner Ort und kein Grab, aus dem die Geister vermeintlicher „Helden“ auferstehen. Mit dem Durchgang würde einerseits eine räumliche Situation geschaffen, die Aufmerksamkeit auf die Inhalte lenkt, denn wenn man von der häufig genutzten Parkseite durch den Durchgang läuft, würde man die Texte gar nicht übersehen können. Andererseits würde die historische Einordnung aber nicht mit dem didaktischen Holzhammer vorgenommen. (Ein klassisches Beispiel von „„gut gemeint“, aber leider nicht gut gemacht ist in diesem Zusammenhang der Entwurf von Christian Ahlborn, der vorsieht, den Aufmarschplatz mit Bildern von Kriegsgräueln zu gestalten. Niemand, der zufällig vorbeikäme, hielte sich gern an einem so bedrückenden Ort auf, und für Führungen engagierter Historiker*innen braucht es eine solche Bebilderung nicht. Und ob eine Sitzbank, die mit Fotografien eines Massengrabs überzogen werden soll, eine angemessene Form des Gedenkens ist? Sich - im übertragenen Sinne - mit dem Arsch auf die Leichen der Opfer zu setzen, ist sicher das Gegenteil respektvoller Erinnerung ...).

Wie missing icons schlagen auch Lopičić & Sievert vor, den Reeser Platz als Ganzes, von der Parkfläche bis zum Aufmarschplatz, neu zu gestalten, dabei aber Anwohner*innen und Nutzer*innen in die Planung einzubeziehen. Hier gäbe es die Chance, die Nutzung des Platzes und damit auch die Wahrnehmung des Denkmals in einem bewussten kommunikativen Prozess real zu verändern. (Welche Erkenntnisse hingegen der im Siegerentwurf intendierte „neue Blick nach unten auf einen Teil der Stadt und ihrer Geschichte“ böte, den man von der geplanten Brücke auf das Denkmal hätte werfen können, bleibt dann doch recht vage.)

Für die Kunstkommission muss es frustrierend sein, dass nach einem zweijährigen, aufwändigen Prozess noch immer keine Entscheidung für eine Umgestaltung des Reeser Platzes getroffen worden ist. Sieht mensch sich aber an, welche Potenziale in manchen der Entwürfe stecken, ist die Entscheidung des Rats gegen eine Realisierung des Siegerentwurfs richtig und bietet die Chance, es nicht nur besser, sondern wirklich gut zu machen. Es ist sicher mühselig, nun eine weitere Runde drehen zu müssen, aber der bisherige Prozess zeigt, dass es sehr, sehr gute Ideen gibt, das 39er-Denkmal klug und wirksam zu kommentieren und es damit für revisionistische Aneignungen ein für alle Mal unbrauchbar zu machen. Drücken wir der Kunstkommission die Daumen, dass es ihr gelingt, alle bisher am Prozess Beteiligten zum Weitermachen zu mobilisieren. Es lohnt sich!

Annie Höch