Aschermittwoch-Nachlese

Der diesjährige Aschermittwoch fiel mit Heines Todestag zusammen. In der WDR-Lokalzeit wurde daran erinnert, dass vor genau 40 Jahren zum 125. Todestag am Schwanenmarkt Bert Gerresheims Heinemonument enthüllt worden war.

Ausschnitte aus den Tagesthemen vom 17. Februar 1981 wurden eingespielt: „Heinrich Heine, lebte er heute, er wäre Instandbesetzer oder fiele unter den Radikalenerlass.“ Der Bildhauer wurde zitiert: „Ich möchte Heine wie im Vexierspiegel auflösen, um die Zerstörung seines Lebens zu dokumentieren“. Es sei eine „Gesichtslandschaft“, nur von einer Seite habe „man dann mal ein geschlossenes Bild – das kann man ja auch haben von Heine – aber sobald man näher geht, zerfällt er in Widersprüchlichkeiten“, erläuterte Gerresheim nun in der Lokalzeit sein damaliges Bildprogramm. Die scheinbaren Widersprüchlichkeiten hatten schon zu Lebzeiten des Dichters zu Irritationen geführt. Christian Liedtke, Mitarbeiter des Heinrich-Heine-Instituts, unterstreicht, es gäbe bei Heine „keine auktoriale Stimme des Experten“, als Pariskorrespondent berichte er vielmehr „in der Rolle des Reporters, der auf der Straße flaniert und aufmerksam beobachtet, was sich dort zuträgt.“ Vor allem: „Es sind vielstimmige Berichte.“ Heine entfalte „ein Gesellschaftspanorama“, er lasse „die verschiedenen Parteien im Grunde selber sprechen: die Republikaner, die Liberalen, die Konservativen, die Royalisten.“ Die Kommunisten tauchen als Zitat auf oder als Warnung. „Er konnte nicht überall sein, aber hat den Eindruck erweckt, als sei er überall gewesen“ und was Heine den Menschen dann in den Mund lege, seien „oft Dinge, die er in der Zeitung gelesen hat. Vieles hat er den Leuten gewissermaßen als Rollentext zugewiesen.“ Das sei „auch einer der Gründe, warum diese Berichte noch heute so lebendig wirken.“ Paradoxerweise seien sie dadurch ja auch wieder authentisch: „Sie machen plastisch, welche Kräfte am Werk sind und welche Gefahren bestehen und welche Gewaltpotenziale da sind.“

Ein „Fragemal“

Bert Gerresheim selbst wollte sein Werk von Anfang an nicht als Denkmal sondern als „Fragemal“ verstanden wissen. Aber Heine-Fans erkannten „ihren Heine“ nicht wieder, eben den Heine, der einst in Paris von einer „gottfreudigen Frühlingsidee“ schwärmte, welche „wenigstens ebenso respektabel ist wie jene triste, modrige Aschermittwochsidee, die unser schönes Europa trübselig entblumt und mit Gespenstern und Tartüffen bevölkert hat.“ Der Uni-AStA wiederum argumentierte damals, wenn Heine ein lebendiges Denkmal gesetzt werden solle, dann solle doch endlich die Uni nach ihm benannt werden (die wurde erst 1989 zur „Heine-Uni“). Die schärfsten Attacken kamen aber von rechts. Schmähungen, antisemitische Beleidigungen und Drohungen habe es gegen ihn gegeben, erinnert sich Gerresheim. Sogar Todesdrohungen. Das Heine-Institut hat die Artikel alle archiviert. „Gerresheims Heine-Monument erregt Gemüter – Kritik an Denkmalspolitik“, lautete eine Headline, „Die Geschichte verramscht“, eine andere. Und: „Reine Geldverschwendung, eine Zumutung“, „In Düsseldorf gehen die Bürger nun auf die Barrikaden“, sogar Polizeischutz wurde abgestellt: „Leibwache für Heines Nase“. Und: „Jetzt tanzen die Pänz Heine auf der Nase rum“. Letzteres war beabsichtigt. Die Tagesthemen anno 1981 stellten klar: „Auf Heinrich Heine darf herumgetrampelt werden. Das Monument, seiner Totenmaske nachgebildet, soll von Kindern auch als Spielplatz benutzt werden.“

Lockdown

Ich geb‘s zu, der Lockdown macht auch mir zu schaffen. Alle Archive, alle Museen dicht. Manche Ausstellungen sind zwar online gestellt, doch was mir fehlt, ist das Durchschreiten der Räume. Ich muss mich frei um Skulpturen, Bilder und Installationen herumbewegen können, aus dem Augenwinkel beobachten, wie das Publikum auf die Werke reagiert. Ohne konkreten Raum mäandere ich weitschweifig durch meine Texte. Einer meiner Stadtspaziergänge führte mich dieser Tage dorthin, wo einst der Tausendfüßler stand. Ein paar Schritte weiter erhebt sich das monumentale Kaiser-Wilhelm-Denkmal. 1896 gegossen, reitet der Monarch nun – er hatte im vergangenen Jahrhundert mehrfach seinen Standort gewechselt – vom NRW-Justizministerium kommend auf das Portal der Johanneskirche zu. Mein Blick fiel wieder auf den mächtigen Preußenadler am Sockel: Mit dem linken Greif zwingt er die Trikolore nieder, während der rechte sich die vor ihm liegende Erdkugel krallt. Die Krallenspitzen bohren sich tief in den afrikanischen Kontinent, wobei auf der am Boden liegenden Trikolore deutlich „liberté, égalité, fraternité“ zu lesen ist.

Sichtbares und Unsichtbares

„Es gibt nichts Unsichtbareres als ein Denkmal“ zitierte Heine-Institutsmitarbeiter Liedtke im WDR-Lokalzeitbeitrag Robert Musil. Das stimmt. Ich bin in Düsseldorf aufgewachsen, unzählige Male an dem kaiserlichen Koloss vorbei gekommen. Doch nie hatte ich wirklich einen Blick darauf geworfen. Das Heine-Monument sei etwas Besonderes, so Liedtke. „Das ist eins von diesen Denkmälern, die man immer bemerkt und wo die Leute stehen bleiben und sich fragen, warum ist das so wie es ist.“ Tatsächlich wäre ich 1981 am Einweihungstag fast über die vor dieser „Gesichtslandschaft“ liegenden Trommel gestolpert. Ins Trommelfell ist da eingeritzt: „liberté, égalité, fraternité“. Da ist in Bronze gegossen, was Heine in „Ideen. Das Buch Le Grand“ in die Worte fasste: „[...] und es schien, als sey die Trommel selber ein lebendiges Wesen, das sich freut seine innere Lust aussprechen zu können.“ Man glaubt förmlich die Trommelwirbel zu hören. Doch die niedergezwungene Trikolore am Kaisermonstrum mit der „liberté, égalité, fraternité“-Inschrift hatte ich erst Jahrzehnte später entdeckt. Diese niedergeworfene Trikolore am Justizministerium ist ein in Bronze gegossenes politisches Programm.

„Altes Rheinisches Recht“

Tatsächlich war es erst Wilhelm I., nachdem er 1871 im Spiegelsaal von Versailles zum Kaiser ausgerufen worden war, gelungen, das „liberté, égalité, fraternité“ endgültig niederzuzwingen. 1813 waren die Preußen – übrigens im Bündnis mit russischen Truppen – ins Rheinland gelangt und ließen sich als „Befreier vom Franzosenjoch“ feiern. Um nicht als Diktatoren zu gelten, mussten die Hohenzollern den „Befreiten“ eine Reihe von Zugeständnissen machen, ihnen ein gewisses Maß an Autonomie gewähren. So blieb den Preußen nichts anderes übrig, als bestehenden rheinischen Gesetzen Bestandsschutz zu gewähren, wobei der Preußenkönig als Gegenleistung das Recht erhielt, gegen alle vom Rheinischen Provinziallandtag neu beschlossenen Gesetze sein Veto einzulegen. Die Abgeordneten des Rheinischen Provinziallandtag verteidigten dann stets das „Alte Rheinische Recht“, was auf den Straßen immer mit großen Festen gefeiert wurde. Das „Alte Rheinische Recht“ war aber nichts anderes als die deutsche Fassung des „Code Napoléon“. Mit dem „Code Napoléon“, dem französischen Zivilrecht, das mit den Franzosen einst ins Land kam, hatten ins Rheinland erstmals Rechtssicherheit und verbriefte Individualrechte Einzug gehalten. Und dieses wollten sich die Menschen nicht wieder nehmen lassen. Wieder und wieder machten die Preußen Vorschläge für alternative Gesetzbücher. Die wurden im Landtag allesamt abgelehnt, so dass – Bestandsschutz! – weiterhin das „Alte Rheinische Recht“(sprich: der Code Napoléon) galt, und dies bis 1871. Erst da wurde das „liberté, egalité, fraternité“ eben endgültig niedergerungen.

In Düsseldorf wird derzeit in einem beispielhaften demokratischen Prozess eine Ergänzung zum Nazi-Monument am Reeser Platz diskutiert (TERZ 07/08.20). Der kaiserliche Koloss am Justizministerium schreit ebenfalls nach einer kritischen Kommentierung. Nicht nur weil der Preußenkönig 1848 Truppen mit der Broschüre „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“ im Tornister losschickte, um die Demokratiebewegung in allen deutschen Landen niederzuschlagen, sondern auch, weil es der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. war, welcher die vollständige Gleichstellung des jüdischen Teils der Bevölkerung, die der Rheinische Provinziallandtag im Juli 1843 durch sein Veto beschloss, verhinderte.

„Ich weiß nicht was soll es bedeuten“

Ach übrigens: der bissige Düsseldorfer Karneval hat seinen Ursprung auch in Heines 125. Todesjahr. 1981 wählte Das CarnevalsCommitee (CC) als Zugmotto: „Ich weiß nicht was soll es bedeuten“. Die Initiative „Düsseldorfer gegen Atomraketen“ sagte sich: „Wenn die Heine vereinnahmen, dann vereinnahmen wir den Zoch.“ Die Initiative sprach die Wandmalgruppe an. Nach einer Zeitungskarikatur entstand der „McRonald‘s Schießburger“ – ein mit Papp-Atomraketen gespickter gigantischer drei Meter hoher Big Mac – der am Rosenmontag dann an der Spitze des Zochs stand. Eine künstlerische Intervention gegen Ronald Reagans Raketenstationierungspläne! Am Aschermittwoch war dann aber noch nicht alles vorbei. Die Initiative zog mit dem Gefährt über die Dörfer am Niederrhein entlang der geplanten Stationierungsorte und sammelte Unterschriften gegen die Mittelstreckenraketen. Rosenmontag für Rosenmontag waren die Initiativen wieder da (oft auf Weisung des CC dann von der Polizei aus dem Parcours gedrängt). Diese im Wandmaleratelier produzierten Bissigkeiten wurden eine Konkurrenz zu dem oft sehr lauen Zoch. Das CC feuerte schließlich Jacques Tilly, den jungen talentierten Produzenten von Mottowagen für den offiziellen Zoch, an: „Härter, härter!“ Damit es nach Karneval in der Weltpresse heißen kann: „Düsseldorf hatte mit Abstand die härtesten Mottowagen“. Ohne den „Motor Heine“ wäre dies wahrscheinlich nicht passiert.

Thomas Giese