TERZ 04.21 – NOISE OF ART
Der „Dreisegelbrunnen“ von Heinz Mack hatte 1988 die reitende Hohenzollernleiche, die jetzt vor dem NRW-Justizministerium steht, vom Platz der Deutschen Einheit verdrängt. Der Kunstpalast widmet Heinz Mack, der am 8. März 90 wurde, aktuell eine Ausstellung.
„Punkt, Linie und Fläche und deren Verwandte – Scheibe, Kugel, Gitter, Stele, Kubus, Pyramide und Keil sind für mich ‚tragende‘ Grundformen“, wird Heinz Mack in einem der Wandtexte zitiert. Die von Heike van den Valentyn kuratierte Ausstellung zeigt, dass die Ursprünge jedoch nicht in diesen „Grundformen“, sondern in Macks Fotografien der 1940er Jahre zu finden sind. Als Jugendlicher war er während des Krieges mit Mutter und Schwester aus Krefeld evakuiert worden und im hessischen Lollar gelandet, wo ein Onkel lebte. Mit dessen Leica schoss er Motive in der ländlichen Umgebung. Jene Muster und geometrischen Körper, die später sein Werk prägen, faszinierten ihn offensichtlich schon hier. Es sind aber keine, wie es im Wandtext heißt, „natürlichen Strukturen in der Landschaft“, sondern solche, die erst durch den Eingriff des Menschen in die Natur geschaffen wurden, vom Objektiv eingefangen und im Fotolabor des Onkels entwickelt: Ackerfurchen auf einem Feld, geschichtete Holzscheite, die zu einem sich nach oben hin verjüngenden Zylinder gestapelt sind, Baumringe eines Stammes. Letztere erscheinen uns heute als „natürlich“, doch in der Natur brechen Baumstämme, zersplittern, vermodern dann langsam im Unterholz. Erst die Erfindung der Säge ermöglichte es, den Querschnitt eines Stammes und damit die Baumringe sichtbar zu machen. Mit diesen frühen, selten gezeigten Fotos erschließt die Kuratorin einen historisch-materialistischen Zugang zum Werk. Mack geht von der Wahrnehmung aus, nicht von der abstrakten Form. Später folgt die Entdeckung jener von der Natur ohne Menscheneinwirkung geschaffenen „Reliefs“: die vom Wind in den feinen Sand der Sahara gezeichneten Wellenlinien und die Reflexe auf spiegelndem Wasser, von Mack als „Lichtreliefs“ bezeichnet, das Glitzern auf der Wasseroberfläche. Seiner ungekünstelten Sprache, verbunden mit den prägnanten Erklärungen ist anzumerken, dass Mack einst Lehrer – übrigens hier am Düsseldorfer Lessing-Gymnasium – war.
Territorien, die noch nicht von Menschen „zivilisiert“ bzw. zerstört wurden, diese Inseln in der Landschaft, nennt er „Reservate“. Mack führt seine Lichtexperimente in der Wüste (ab 1955) und auch in der Arktis (1976) durch. Einen künstlichen Garten aus Licht zu erschaffen, ist seine Intention. Seine zum Teil mehrere Meter hohen Stelen würden „auf eine geradezu dynamische Weise die Erde mit dem Himmel“ verbinden. „Und umso mehr sich eine Skulptur dem Himmel nähert, desto mehr wird sie auch immateriell, desto mehr leuchtet sie auf, weil sie den Himmel reflektiert.“ Die Stelen, Segel, Spiegel, die er in einer Serie von Versuchsanordnungen in Wüste und Arktis immer wieder neu gruppiert, will er als „Licht-Instrumente“ verstanden wissen. Stockhausen, mit dem ihn eine Freundschaft verbindet, habe analoge Strukturen und Rhythmen in der Musik geschaffen. Insofern kann die Ausstellung auch Anlass sein, über den Umgang des Menschen mit der Natur zu reflektieren.
Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf Macks Frühwerk der 1950er bis 1970er Jahre. Neben Skulpturen, Gemälden, lichtkinetischen Installationen und den bereits erwähnten Fotografien sind Filme, Bühnenbilder sowie Architektur- und „Land Art“-Projekte zu sehen und die „Chromatischen Konstellationen“ seines Spätwerks. Die Wandtexte sind gut und informativ, so dass sich eine eingehende Beschreibung der Räume hier erübrigt. Das Interview vom Eröffnungstag ist auf www.kunstpalast.de/mack online gestellt.
1958 hatte Mack mit Otto Piene die Gruppe ZERO gegründet, Günther Uecker stieß 1961 dazu. Die programmatische Reduktion auf Grundformen und geometrische Körper wurden nun zum (gestalterischen) kleinsten gemeinsamen Nenner. „Wir verstanden von Anfang an Zero als Namen für eine Zone des Schweigens und neuer Möglichkeiten“ (Otto Piene). „ZERO“ konnte auch als Anspielung auf die „Stunde Null“, auf das Jahr 1945, verstanden werden. Die Gruppe legte einen kometenhaften Aufstieg hin, stellte 1964 in der „Howard Wise Gallery“ in New York und der „Washington Gallery of Modern Art“ aus, war zudem auf der Kasseler documenta vertreten. Die Experimente von Heinz Mack und ZERO sind Forschungsexpeditionen in bis dahin noch unbekannte Welten der Wahrnehmung. Provokative Straßenaktionen gehörten auch dazu. Während der Adenauerzeit überpinselte Mack auf den „Keine Experimente“-Plakaten das „Keine“, bis die Polizei seine schwarze Farbe konfiszierte. Uecker strich vor der Düsseldorfer Galerie Schmela die Hunsrückenstraße weiß an, um, wie er sagte, „eine Leerstelle zu schaffen außerhalb der sich immer mehr verhärtenden Mechanismen und Ordnungsprinzipien.“ Durch diese Aktion geriet der zufällig anwesende Joseph Beuys derart in Rage, dass er die Badewanne mit der weißen Farbe umkippte.
Als Kaiser Wilhelm vom Platz der Deutschen Einheit abzog, wurde es nicht automatisch helle in den Köpfen. Nach Wilhelminismus und Nazikunst setzte sich in der „West-Art“ schnell ein neues Dogma fest: Ausschließlich die abstrakte, die nicht-gegenständliche Kunst sei wahre Kunst, nur dort herrsche Freiheit. Anlässlich der Ausstellung „ZERO – Countdown to tomorrow“ (2014) im New Yorker Guggenheim Museum merkte die Kuratorin Valerie Hillings zu Heinz Mack an: „And I think one of the most important aspects of his Sahara Project among other ZERO-Projects is: It‘s a space where the artist really speaks of the concept of freedom.“ Es ist ein Freiheitsbegriff, der hier zu purer Ideologie wird. 1958, als Mack sich zu seiner zweiten Wüstenexpedition aufmacht, bricht von Düsseldorf der 21-jährige Dirk Alvermann auf, auch er mit einer Kamera. Nicht das Licht und die Freiheit der Wüste ist sein Ziel, sondern er wird zum „embedded journalist“. An der Seite algerischer Partisanen dokumentiert er den Kampf gegen die französische Kolonialmacht. Sein Bildband „Algerien – L‘Algerie“ zählt heute zu den politisch einflussreichsten Fotobüchern. Ursprünglich hatte der Bildband in Kooperation mit dem Mailänder Feltrinelli- und dem Pariser Maspero-Verlag bei Rowohlt erscheinen sollen. Doch der Rowohlt Verlag machte einen Rückzieher, so dass der Bildband schließlich in der DDR erschien (dazu: „Radschläger und Algerienkrieg“, TERZ 10.12). Wie eng auch im Guggenheim-Museum die Grenzen der künstlerischen Freiheit sind, musste 1971 Hans Haacke (TERZ 10.20) erfahren. Er plante im Museum windige New Yorker Immobilien-Geschäfte in Form eines „Real Time Social System“ zu dokumentieren, Geschäfte, die bevorzugt in den mehrheitlich von Schwarzen bevölkerten Vierteln stattfanden . Das Museum sagte die Ausstellung nur sechs Wochen vor der Eröffnung ab, für „aktives Engagement mit sozialen und politischen Zielen“ sei kein Platz. (TERZ 10.20) Dies sind hier nur zwei Beispiele für offene Zensur. Sie ließen sich fortsetzen. Denn nicht nur Figürliches, sondern jeglicher Bezug auf Gesellschaftliches wurde und wird in vielen Kunstinstitutionen noch immer geradezu geächtet. Dies schmälert in keiner Weise die Pioniertaten von Heinz Mack und ZERO im Feld der Wahrnehmung. Doch durch die schroffe Ausgrenzung jeglichen Gesellschaftsbezugs aus der Kunst entstand eben jene klaffende Lücke zwischen Kunst und Gesellschaft bzw. Kunst und Politik, die dann mit Rudolf-Steinerschem Gedankengeschwurbel und ein bisschen Schamanismus gestopft werden sollte. Die Ergebnisse sind bekannt.
Thomas Giese
ERRATUM
In „Aschermittwoch-Nachlese“ (TERZ 03.21) heißt es, Friedrich Wilhelm IV. habe „die vollständige Gleichstellung des jüdischen Teils der Bevölkerung, die der Rheinische Provinziallandtag im Juli 1843 durch sein Veto beschloss, verhindert.“ Richtig muss es heißen, dass Friedrich Wilhelm IV. die Gleichstellung, „die der Rheinische Provinziallandtag im Juli 1843 beschloss, durch sein Veto verhinderte.“ Der preußische König hatte ein Vetorecht gegen sämtliche vom Rheinischen Landtag beschlossene Gesetzesnovellen. Der Landtag besaß keinerlei Vetorecht.