TERZ 05.21 – NOISE OF ART
Ein „Schamane“ in der Kunstsammlung NRW – Im K20 ist das pompöse „beuys 2021“-Jubiläumsjahr eingeläutet, ein Projekt des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit der Heinrich-Heine-Universität als Trägerin.
Greta Thunberg – eine Schamanin? „Bei allen guten Göttern, darauf wären wir jetzt nicht gekommen“, wunderte sich der Sprecher der arte-Sendung TWIST über die „kosmopolitischen Übungen“ im K20. Die Klimaaktivistin wird dort mit dem selbst ernannten „Schamanen“ Beuys quasi in einen Sack gesteckt. Zwar habe der den Slogan „Die Revolution sind wir“ geprägt, habe auch mal vorgehabt, „eine Partei für Tiere zu gründen“, ja sogar mal kurzzeitig das Akademiesekretariat besetzt. Doch unterm Strich eine magere Bilanz. „Greta ist da etwas erfolgreicher. Sie ging mit 15 Jahren in den Schulstreik. Erst alleine, dann mit anderen. Am Ende folgten ihr Millionen. Nicht nur auf Instagram, sondern in echt.“ (arte/TWIST 2.4.2021) Seit mehr als vier Jahrzehnten dreht sich die Kritik am Filzhutträger seltsam im Kreis. „Beuys bewegte sich in seinem eigenen Gedanken- und Kunstkosmos“, hieß es in „Streiten über Filz und Fett“, einer Doku des Bayrischen Rundfunks. Er schien „allen Fragen und Zweiflern einen Schritt voraus zu sein“, war nie um eine Antwort verlegen. „Aber so entstand oft eine Art Seminargeschwätz, das schwer zu ertragen war.“(Tilman Urbach; BR 2016; im Netz verfügbar)
Ein Blick über den Tellerrand verhilft zu einer realistischeren Perspektive. Im Jahre 1990 hatten kubanische Künstler*innen in der Düsseldorfer Kunsthalle ein karnevaleskes Crossover präsentiert: „Porträts, zu monumentalen Polit-Ikonen aufgeblasen, Parteiphrasen und Comicsprache wild gemischt. […] Ein Mix von Sinnbildern, Personen und Dingen unterschiedlichster Erdteile und Epochen.“ Joseph Beuys habe die kubanische Kunstszene stark beeinflusst, waren sich die Künstler*innen im Interview einig. Die beuyssche Utopie, dass „alle Menschen zu Skulpteuren, Bildhauern oder Architekten“ an der Gesellschaft werden und „jeder einzelne seine Lebens- und Umwelt mitgestaltet“, sei eine Provokation im Castrostaat gewesen. Denn „Maler dienten da oft nur als Lieferanten bunter Polit-Deko.“ Das „dunkle Gemunkel“ und die „unscharfen Kategorien“ des „Schamanen“ stießen aber auf Ablehnung: „Beuys‘ ehrgeizige Vorstellungen von der therapeutischen Wirkung der Kunst sind besonders verführerisch“, so Felix Suazo im Katalog der damaligen Ausstellung. Oftmals sei aber „eine sehr viel radikalere Therapie nötig“: Die „Veränderung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Strukturen.“ (siehe auch die Beuys-Kritik „Falscher Jesus unter Irren“ in der TERZ 12.03) Ein fast identisches Fazit fand sich drei Jahre zuvor in einem Katalogbeitrag zur Ausstellung „Brennpunkt Düsseldorf“: Joseph Beuys – Die Akademie – Der allgemeine Aufbruch ; 1962 – 1987“, einer nüchternen Bestandsaufnahme der Kunstszene ein Jahr nach Beuys‘ Tod, ausgerichtet vom Kunstmuseum Düsseldorf [1]: „Die politischen Aktionen überholten bald alle vorausgegangenen Kunstformen in der Radikalität des Verlangens nach Veränderung.“ Dokumentiert waren auch Aktionen der „Mietersolidarität“ und Fotos von einer Hausbesetzung, die 1970 von Künstler*innen mitinitiiert und kreativ mitgestaltet worden war. Im Katalog findet sich Affirmatives neben Kritischem, z. B. ein Text des Beuys-Schülers und einstigen 2. Vorsitzenden der „Deutschen Studentenpartei“ ,Johannes Stüttgen, sowie der Aufsatz „Joseph Beuys – Eine Götzendämmerung“ von Benjamin Buchloh. Der Beitrag des Kunsthistorikers – heute mit Harvard-Professur in Cambridge, Massachusetts – war bereits 1980 auf Englisch unter dem Titel „Beuys: The Twilight of the Idol“ im „Artforum International“ erschienen, als das Guggenheim Museum in New York Beuys eine Einzelausstellung widmete. Buchloh stellt fest: „Im Kontext zeitgenössischer Kunst wächst das Bedürfnis nach Mythisierung in dem Maße, wie die Rezipienten dieser Kunst Einsicht in die realen Determinanten ihrer geschichtlichen Realität verweigern.“ Er bezog dies insbesondere auf den Mythos von Beuys‘ wundersamer Errettung durch Tataren, nachdem dieser 1944 mit einem Wehrmachtsbomber auf der Krim abgestürzt war. Dieser Mythos spreche „von dem Gedächtnisverlust, den die Herrschaft des Nazi-Regimes politisch, kulturell und psychologisch über die Generation von 1933/43 und die ihr folgenden verhängt hat.“ („Twilight of the Idol“, https://www.artforum.com/print198001/beuys-the-twilight-of-the-idol-35846)
Werner Schmalenbach, der die Kunstsammlung NRW seit 1962, dem Gründungsjahr, bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1990 leitete, kaufte nicht ein einziges Werk von Beuys an. Hierin spiegelt sich das Problem, dass das aufgeklärte Düsseldorf mit dem Filzhutträger hatte und hat. Eine Kunstsammlung ist für Kunst da. Was haben Relikte von Aktionen eines selbst ernannten „Schamanen“ dort zu suchen? Und in Sachen Ökologie gab es andere, die, wie wir wissen, weitaus fortschrittlicher und früher aktiv waren. Er verstand es aber, sich bestens in Szene zu setzen, z. B. 1983 in der ORF-Talkrunde Club 2. Von Zuschauer*innen auf seinen Hut angesprochen, erklärte er weitschweifig, sein Hut sei „ein Versuch, den Menschen selbst sozusagen als Begriff der Kunst in die ganze Arbeitswelt hinüberzuführen, d. h. ich selbst bin in diesem Augenblick das Kunstwerk.“ Ziel sei doch, so Beuys, „dahin zu kommen, dass der Mensch selbst das Kunstwerk wird. Nun, wenn ich das sage, behaupte ich nicht, dass ich ein besonders gutes Kunstwerk bin. Ich deute nur eine Entwicklungsrichtung an, dass das Kunstwerk durch den Menschen selbst realisiert werden kann in unserer Zeit. Und dass an dieser Realisation, die Welt zu einem Kunstwerk zu machen, potenziell jeder Mensch teilhaben kann.“
Zurück ins Jetzt. Schirmherr des Gesamtprojekts „beuys 2021“ mit weit über 100 Veranstaltungen, Ausstellungen und Performances in ganz NRW ist Armin Laschet. Susanne Gaensheimer als Leiterin der Kunstsammlung NRW gibt sich als die Galionsfigur einer Re-Mythisierung her. Denn um nichts anderes handelt es sich hier. Ein Vergleich der „kosmopolitischen Übungen“ mit der 1987er „Brennpunkt“-Ausstellung ist erhellend. In „Brennpunkt Düsseldorf“ war Beuys einer von vielen. Auf dem Cover taucht sein Name neben dem von Marcel Broodthhaers, Imi Giese, Eva Hesse, Jörg Immendorf, Ute Klophaus, El Loko, Nam June Paik, Sigmar Polke, Chris Reinecke, Gerhard Richter, Ulrike Rosenbach, Rainer Ruthenbeck und Katharina Sieverding auf, um hier nur die bekannteren der insgesamt 27 Künstler*innen zu nennen. Heute ist aber allein noch Beuys als der alles überragende Mythos übrig geblieben. Im K20 wird er mit Bob Dylan, Angela Davis, Jenny Holzer, Michel Houellebecq, Zoe Leonard, Goshka Macuga, Lutz Mommartz, Tuan Andrew Nguyen, Patti Smith, Edward Snowden, Greta Thunberg und weiteren in Beziehung gesetzt. Diese Parade von Persönlichkeiten wertet die Person Beuys weiter auf, entrückt diesen noch weiter ins Kosmisch-Mythische.
Von der Kunstwissenschaft und öffentlich-rechtlichen Sendern würden wir erwarten, dass sie an einem der Aufklärung verpflichteten, wissenschaftlichen Weltbild arbeiten. Doch bereits vor Jahrzehnten geklärte Fakten werden als Frage wieder neu aufgeworfen. „Der Mythos ist eben immer noch etwas Ewiges, Geschichte dagegen nur etwas Historisches“, hatte ich einmal Ende des 20. Jahrhunderts resümiert. Geschichtliche Fakten werden schlicht ignoriert, stattdessen ein überliefertes Bild weiter tradiert. Hier nur mal ein kurzer Blick auf die bereits zitierte arte-Sendung TWIST. „1982 pflanzt Beuys auf der documenta 7.000 Eichen. Angesichts des Klimawandels heute: visionär“, kommentiert Moderatorin Bianca Hauda. Wirklich visionär? Bereits zehn Jahre zuvor hatte Hans Haacke die Rheinverschmutzung thematisiert. An eben diese Ausstellung hatte erst im vergangenen Jahr das Mönchengladbacher Museum Abteiberg mit der Ausstellung „Hans Haacke – Kunst Natur Politik“ erinnert (TERZ 10.20). Nicht nur die WDR5-Sendung Scala, sondern auch der Bayrische Rundfunk berichteten, das „Kunstforum international“ brachte eine Rezension. In der hieß es: „Bilder dieser frühen Arbeiten und Installationsansichten seiner bedeutenden Schau im Museum Haus Lange in Krefeld 1972 zeugen von der Verwobenheit von Politik, Gesellschaft, Ökologie und Umweltverschmutzung im Werk des Künstlers.“ Hört denn niemand in der arte-Kulturredaktion WDR und Bayrischen Rundfunk, liest keine*r das „Kunstforum international“? Wie ist es möglich, die Moderatorin Bianca Hauda so ins offene Messer laufen zu lassen? Catherine Nichols, die gemeinsam mit Eugen Blume die künstlerische Leitung von „beuys 2021“ innehat, merkt zum Ökologiethema in dem Beitrag an, Beuys habe „wirklich auf die Zeitfrage hingewiesen, die uns auch heute so beschäftigt.“ Eine Ergänzung des öffentlich-rechtlichen Senders, dass da bereits andere am Thema dran waren, folgte allerdings nicht. „Urban Dancer“ und erster Bundesvorsitzender der HipHop-Partei, Raphael Hillebrand, erklärt dann, wenn ein Künstler unpolitisch sei, heiße das nur, dass „er nichts zu sagen hat und im schlimmsten Fall seine Meinung verkauft für Sponsorenverträge und für andere Sachen.“ Künstler wie Beuys seien Vorreiter gewesen, was „Haltung“ anbetrifft. „Und das, glaube ich, ist das Spannende an Beuys, wo ich wirklich was davon lernen kann.“
Uuups. Für „Haltung“ und „Haltung zeigen“ war Beuys gerade nicht bekannt. Zuweilen war er so butterweich wie seine Fettecken. Benjamin Buchloh prangerte dies bereits 1980 im „Artforum international“ in seinem „The Twilight of the Idol“-Aufsatz an. Als 1971 eine Ausstellung im Guggenheim, in der Haacke New Yorker Immobiliengeschäfte thematisieren wollte, zensiert und der Kurator gefeuert wurde, erklärten sich weltweit Künstler*innen mit Haacke und dem Kurator solidarisch und protestierten öffentlich gegen das repressive Vorgehen des Guggenheim-Direktors. Eine Unterschrift fehlte jedoch unter dem Protestaufruf: die von Joseph Beuys. Für sein Stillschweigen wurde er belohnt. Das Guggenheim präsentierte ihn 1979/80 in einer Einzelausstellung, eine Ehre, die zuvor noch keinem lebenden deutschen Künstler zuteil geworden war. Wollte das Guggenheim mit „kosmopolitischen Übungen“ und dem Politiksurrogat des „Schamanen“ die eigene brutale Zensurpraxis vergessen machen? Aber dass Beuys „Haltung“ bewiesen habe, ist ein fast genauso großer Mythos wie der seiner wundersamen Errettung durch Krimtartaren, die ihn in Filz und Fett gewickelt und tagelang mit Honig genährt hätten.
Dass für die kubanischen Künstler*innen der international gehypte und auch vom renommierten Guggenheim Museum hofierte Beuys einst eine große Bedeutung hatte, ist wenig verwunderlich. Doch hier in der Bundesrepublik fällt er im Vergleich zu Künstlern wie Hans Haacke oder Jochen Gerz, der mit Joseph Beuys und Rainer Ruthenbeck 1976 zu dem Triumvirat zählte, das den deutschen Pavillon auf der Biennale von Venedig bespielen durfte, doch mächtig ab. Das „Harburger Mahnmal gegen Faschismus“ (1986-1993) von Esther Shalev-Gerz und Jochen Gerz war tatsächlich Anstoß für eine langjährige Debatte über die Nazi-Zeit. Indem Gerz in Kooperation mit der Handwerkskammer 2019 Geflüchteten Praktika in der Verwaltung und in den Werkstätten des Lehmbruck-Museums vermittelte, setzte er klare Akzente (siehe dazu: „Alles ist Kunst, alles ist Politik“ in TERZ 07/08.19).
Beuys sollte aber keinesfalls kleingeredet werden. In gewisser Weise war er eben doch Vorreiter. Er war z. B. Gründungsmitglied der Grünen, und kaum war diese „Umweltpartei“ in Koalition mit der CDU in Düsseldorf auf kommunaler Ebene in der Regierungsverantwortung, verkündete der langjährige planungs- und verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Norbert Czerwinski, dass die „Umweltspur“ wieder abgeschafft würde. Diese Form von Haltung-Zeigen hat sich Czerwinski sicherlich von Beuys abgeguckt. Im Grundgesetz, Art. 21, Abs. 1, heißt es: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Parteien haben also ein Mitwirkungsrecht. Mehr nicht. Politische Willensbildung findet – so will es das Grundgesetz – vor allem außerhalb von Parteien statt. Wann ist also der nächste „Fridays for Future“-Termin? Bitte unbedingt bekannt geben!
Thomas Giese
[1] 2001 liquidiert; es wurde unter dem Label „Museum Kunstpalast“ als private-public-partnership weitergeführt und firmiert noch heute unter diesem Namen.